Weitersroda den 3ten September 1801.
Lieber, guter Bruder;
Du wirst wohl böse seyn, und Dich gewundert haben, daß ich so
lange gegen Dich stille gewesen, und Dich so lange auf Nachricht von
meiner Lage und Verhältnißen mit den Herrn Greinern habe warten
laßen. Aber da ich selbst nichts bestimmtes wußte, so wollte ich Dich
mit einen [sc.: einem] unbedeutenden Brief nicht beschweren, und mir
nicht die Mühe machen ihn zu schreiben.
Erst am vergangenen
Sonntag war der Vetter Florentin hier, und da erst habe ich mit ihm
meinetwegen sprechen können. Doch ehe ich Dir dieß schreibe, will ich
Dich etwas mit dem Guthe und meinen Geschäften bekannt
gemachten [sc.: machen].
Der
Feldbbau und Viehstand ist hier nicht groß, besonders letzter klein.
/
[1R]
Das Feld wird mit 4 Pflügen bestellt. In dem
Kuh- und Göltenstall sind nicht mehr als 12 bis 14 Stück Vieh. Im
Ochsenstall 3 paar Ochsen, und 3 Pferde; Daher ist außer dem Hofbauer
und seiner Frau, weider niemand als 1 Magd und 3 Knechte hier. Weder
Schääferey noch Mastung ist dabey; Zwar ist eine Brandweinbrennerey
hier, diese Mastung wird aber blos für die Schweine und das Kuhvieh
verwand. Wo ich nicht irre, so werden ohngefähr 80-90 Schoch Gedraite
jährlich hier gebauet, worunter 30-32 Schoch Winterkorn. Fütterung
wird ein Jahr in das andere gerechnet ohngefähr 40 <Futt[e]r>
gebauet.- Eine ziemlich ansehnliche Bierbrauerey ist hier; doch wird
blos den Herbst Winter, und zu Anfang des Frühlings gebraut. Außer
dieser ist auch noch eine Potaschensiederey hier; welche, wenn sie
recht betrieben würde, große Einnahme liefern würde, und die Schmelz-
od- Fettgrube für das Gut wäre.- Die Waldung beträchtlich für dieses
Guth, und hält, wenn ich nicht irre 700 Acker à 160
![[*Zeichnung*, sc.: Quadratmeter
?]]]()
.
Du wirst hieraus sehen, daß ein
Verwalter in Betreff des Feldbauer nicht so gar viel zu besorgen hat;
aber bey dem allen ist das Rechnungwesen ziemlich weitläuftig:
erstlich weil alles klein ist, zweiteres weil es so vielerley ist,
zumal da der Verwal-/
[2]
ter die Forstrechnung mit
führen muß, weil der Jäger blos ein Hirsch gerechter Jäger ist, aber
kein Scribent; drittens muß der Rechnungsführer viel Zeit auf die
Reduktion des Geldes wenden; da die Rechnung in andern Geld geführt
werden muß, als die Einnahmen und Ausgaben sind.
Ich fand
daher wenig praktische Beschäftigung für mich hier, und bis jetzt
haben sie blos darinne bestanden, daß ich auf dem Felde bey den
Arbeitern gestanden um sie zur Arbeitsamkeit und Ordnung anzuhalten,
und einige mal bin ich mit in dem Wald gewesen, wo ich einmal mit
Holz angepflanzt habe. Was meine Beschäftigungen in Ansehung des
Buchhaltens betrifft; so haben sie jetzt im Durchstudiren einer
ganzen Jahresrechnung bestanden, und in <
> Bemerkung der
täglich <
nöthigen> in einer
Oekonomie vorkommenden nöthigen Rechnungen und Anmerkungen.- In den
Zwischenstunden gedachter Arbeiten habe ich ein Buch über das Ganze
der Oekonomie, von Weisenbruch gelesen. Unsre einigen kleinen Ar-/
[2R]
beiten im Garten, sind bis jetzt alle meine
Beschäftigungen gewesen. Schon einige mal habe ich den Herrn
Verwalter gebeten, mir einiges bei rechnen oder was zur
Haushaltungsrechnung gehört, schreiben zu lassen; aber immer
hat sagte er; "ich habe noch nichts
concepirt". Nun in ihn dringen und ihn dazu zwingen kann ich freylich
nicht.
Aus alle dem, was ich Dir jetzt geschrieben wird Du
leicht einsehen, daß ich den H: Greinern wenig oder gar keinen
wesentlichen Nutzen, in der geschafft
habe; und daß ich daher auf keine Belohnung rechnen konnte.
Ich muß Dich daher versichern, daß es mich sehr von Florentin
gefreut, und daß ich es für sehr freundschaftlich von ihm angesehen,
daß er, so lange ich bis jetzt hier bin, für Kost, Logis, und Wäsche
stehen will; und daß er mir erlaubt, unter oben genannten Vorschlägen
wenn es mir gefiele ein ganzes viertel Jahr hier zu bleiben.- Wenn Du
bedenkst das [sc.: , daß] ich ihm wenig Nutzen bis jetzt schaf[f]te,
so wirst Du gewiß ebenfalls das Freund-/
[3]
schaftliche
darinne finden.
Jetzt so bald die Erndte ganz vorüber werde
ich vielleicht auf dem Guthe der H. Greiner zu Schwarzbach etwas
messen, doch muß ich erst noch Verhaltungsregeln v. Herrn
Commerzienrath zu Breitenbach erwarten.-
Kürzlich erhielt ich
von dem Vater einen Brief, worinne er schreibt: "sollte sich
Florentin nicht annehmlich gegen Dich erklären, so mußt Du ohne
Zeitverlust Dich im Reichs Anzeiger nach Diensten bewerben, und mir
schreiben in welchen Fache Du am liebsten angestellt seyn willst."
Dieß habe ich nun gethan und dem Vater einen Aufsatz überschickt,
welchen er nach Belieben abändern kann. In demselben habe ich mich
als ok Ökonomie-Buchhalter was
<o[f]>t eine Sylbe thut! /:ehrlicher Schreiber:/ als Gehülfe
bey einem Landgeometer und als dergl. bey einem dergl. Baumeister
angeboten. Mit Schmerzen erwarte ich nun den Erfolg dieses
Dienstgesuches; und die noch von gedachten Vierteljahr übrigen 6
Wochen will ich ihn gedultig abwarten aber dann - doch jetzt stille
hiervon. /
[3R]
Aus dem bis jetzt Dir geschriebenen,
wirst Du meine Lage sehr genau beurtheilen können; zumal wenn ich Dir
noch sage, daß es scheint, als wenn mich der Vater nur höchst ungerne
wenn gedachte Zeit verfloßen seyn sollte, ohne daß sich Gelegenheit, mein
Brod zu verdienen, finden sollte wieder zu sich in sein Haus
aufnehmen würde; denn er schreibt im gedachten letzten Brief:
"Nota. Jetzt fällt mir ein, da dein
Vormund und Oncle in Königsee, sich so sehr für Dich
interessirt hat, so könnte ja dieser Dich eine Zeitlang
zu sich nehmen."
Ich kann Dich versichern, daß mich dieß
so wie ich es las in schrecklichen Aerger brachte. Hätte er dieß von
dem Stadtilmer H. Onkel geschrieben, nun gut so hätte ich es als
guten Rath angesehen; aber so dieses nur zu meinen Verdruß zu
schreiben, und mir gleichsam dadurch zu sagen und bemerkbar zu machen
wie groß die Wohltat sey, wenn er mich wieder zu sich nähme. Denn daß
dieß blose Worte und es schlechterdings unmöglich sey, daß mich der
H. R. C. [sc.: Rat Consistorii = Konsistorialrat] zu sich nehmen
kann, muß doch wahrhaftig den Vater bey Niederschreibung jenes so
guten Raths eingefallen seyn. /
[4]
Denn wie kann der
Herr R. C, deßen Vermögen mir noch nie als groß geschildert worden,
der einen Sohn auf Akademien und einen auf Schulen hat, wie kann der
einen erwachsenen Menschen zu sich nehmen? -
- Zu was diente
also jener Vorschlag weider, als das vielleicht zwischen Vater und
Sohn wieder hergestellte und kaum verharschte Band, wieder schlaff zu
machen? -
Aber wahrhaftig der Vater hätte mir diese
empfindliche [sc.: dies Empfindliche] nicht zu sagen gebraucht, ich
würde so nicht wieder auf lange Zeit von seinem Brod gegessen haben.
Denn erstl. ist nicht mehr ärgerlich und kränkt nichts mehr als
vorgeworfene Wohlthaten, und das täglich Hören, daß man blos aus
Wohlthat an einem Orte gelitten wird. Aus dieser Ursache würde ich
schon alles mögliche angewendet haben nie auf längere Zeit wieder zu
Hauße zu seyn; Und zweitens hatte mir der Herr Onkel in Stadtilm bey
meinem Dortseyn gesagt: "nun wenn Deine Verhältniße so sind, und wenn
Dich Dein Vater nicht gerne behalten mag so komm zu mir, und das
sogleich wenn der Vorschlag mit den Herrn Greinern nicht vortheilhaft
seyn sollte"[.]/
[4R]
Aber so sehr ich die Güte und
Freundschaft meines H. Onkels erkenne; so mach [sc.: mag] ich doch,
wenigstens nicht auf längere Zeit von diesem seinen Vorschlag
profitiren. Und was wäre es nach einigen Wochen, ja ich will viel
sagen, nach einigen Wochen [sc.: Monaten ?] besser um mich?- Um kein
Haar, und noch obendrein könnte man mir Vorwürfe meiner Läßigkeit,
meiner Unbesorgtheit und meines in den Tag Hineinlebens machen. Also
um dem Vater und vielleicht auch Euch zu beweisen, daß ich bis jetzt
nicht so in den Tag hineingelebt habe, und daß ich nun im Stande bin,
selbst für mich thätig zu seyn, und mich nicht blos auf andere Leute
Protektion und gelegenes Fürwort zu verlaßen, so habe ich im
Glückstopf selbst gegriffen, und auf dem Zettel die Worte gefunden
Suche Dein Glück. Mein <
> Entschluß ist daher
gefast, und kein Ungewitter und Ungemach soll ihn zu Boden werfen.
Der Mensch hat Verstand und Kräfte von der gütigen Natur erhalten,
und doch soll es sich durch od. von dem Launen anderer Menschen am
Gängel[-]/
[5]
bande leiten lassen. Wahrlich Schande für
ihn demjenigen der diese Fesseln
<
> trägt und der
sich dadurch dem Kindern ähnlich macht.
Also mein Entschluß
ist gefaßt selbst mein Glück zu suchen, selbst meines Glücks Schmied
zu werden. Ja wirst Du vielleicht sprechen, der Vorsatz ist gut aber
wo? wo? willst Du es suchen?- weißt Du in welchem Theile der Erde es
verborgen liegt, warte lieber standhaft aus bis das Glück Dich
findet, - und verhunger einstweilen, mußt Du aber auch hinzu setzen.
Nun und fällt denn die Wahl so schwer, haben nicht schon mehre[re]
ihr Glück gesucht und es gefunden? - Also hin, hin wo jene es fanden,
vielleicht grünt auch dort für mich das Glücke.-
Amerika also
oder Rußland, sollen für mich die Findorte meines Lebensunterhalts
werden. Du lachst vielleicht, und siehst mich hier von oben bis unten
an, oder glaubst, daß ich mir hier blos ein kleines Spielwerk
gemacht, Seifenkugeln zu blaßen, oder Kindern ähnlich, Entwür-/
[5R]
fe zu machen, die der nächste Wind oder die nächste
Sonne zerstreuen kann. Nein, bey Gott nicht, ich weil [sc.: will]
Euch doch und besonders dem Vater beweisen daß ich Kräfte habe selbst
zu handeln, und er nicht länger nöthig hat für mich zu sorgen; Es
müßte doch wahrhaftig nicht gut seyn mir meinen Unterhalt verschaffen
zu können?- Der Unterhalt sey welcher er wolle, und die Art und
Weise, wie er erhalten werde ist mir dann wahrl. gleichgültig, so
wenig gleichgültig
er mir vielleicht
bis jetzt beydes war.
Aber von Verhältnißen und Conkruensen
[sc.: Kongruenzen] getrennt kann der Mensch glückl. leben und wird
ihm vielleicht leichter sich seinem Unterhalt zu verschaffen, als wo
er sich an beyde binden muß.
Kurz mein Entschluß ist gefaßt
und wohlbedachtig nicht erst heute od[er] gestern, <
recht> nein schon lange bildete ich am
diesen Vorsatz, aber jetzt ist es Zeit ihn aus zu führen; aber aus
dieser Ursache ist er auch fest und unwandelbar, und wahrlich kein /
[6]
gemeines Hinterniß soll mich davon
abhalten.
Jetzt oder
Nie! -
Doch
damit Ihr und der Vater mir nicht Vorwürfe machen könnt, werde ich
gedachte Zeit erstlich den Erfolg meines Dienstgesuches abwarten,
aber dann! - Doch genug hiervon.
Willst Du so brüderlich seyn
und die Sache genauer überlegen, und den Entschluß ausbutzen, so
werde ich es mit herzlichen und aufrichtigen Dank erkennen. Auch will
ich es noch auf Eure Entscheidung ankommen lassen, welchen von beyden
Orten Ihr für den besten haltet. Willst Du so gütig seyn so kannst Du
mit Traugott darüber correspondiren, welcher ganz davon unterrichtet
ist. Auch dem Onkel in Stadtilm habe ich dieserhalb geschrieben. Nur
der Vater weiß bis jetzt noch <nichts> davon; und ich für meine
Person werde ihm auch nichts davon schreiben oder sagen, bis die
Sache entschieden ist, denn sonst hätte er nur wieder neue Ursache
über mich zu spötteln /
[6R]
daß man zwar groß Maul hätte
aber wenig hielt. Ich bitte Dich daher recht sehr vor der Hand nichts
von diesen Entschluß dem Vater bekannt zu machen. Ich hielt es aber
für Schuldigkeit Euch Brüdern schon jetzt von meinem Plan und ernsten
Vorsatz zu benachrichtigen, damit Ihr mich nicht wieder
Verschlossenheit beschuldigen könnt.
Verzeihe, die so elende
Schreiberey aber theils war mein Blut zu sehr in Wallung, theils
konnte ich nicht so schnell schreiben als sich die Gedanken bey mir
häuften.
Grüße Deine Liebe Frau recht herzlich und brüderlich
von mir, und wenn ich Dich bitten darf überlege das Wohl eines
Menschen der sich mit Gefühl und Empfindung nennt
Deinen
Dich
aufrichtig liebenden und
rechtschaffenen Bruder
Friedr: Fröbel. 3