Auf der Öde am
5ten Juni
1808/.·.
Mein
theurer Bruder!
Ich freue mich sehr darüber,
daß ich durch Zufall aufgefordert werde, Dir wenigstens ein paar
Zeilen zu schreiben. Die
Frau v.
Holzhausen, in einigen Tagen Deinen Rath: eine Haushälterinn
durch den R. Anz: zu suchen, befolgen werdend, läßt Dich durch mich
bitten: beiliegenden Dienstantrag in dem Rudolstädter Wochenblatt
abdrucken zu lassen. <
>
Die Ursache dieser Bitte ist der Wunsch: unter
mehreren tauglichen Subjecten für diese Stelle,
die Wahl zu haben, um nicht genöthigt zu seyn eine Person wählen zu
müßen; welche den Forderungen dieser Stelle nicht wenigstens in den
Hauptpunkten entspräche. Ob ich nun gleich
nicht
glaube, daß diese Einrückung Nutzen bringen wird, so habe ich
doch keine
Gründe dafür, die Möglichkeit
eines guten Erfolges zu widerlegen[.] Dieß ist der Grund warum ich
die Bitte der Fr[au] v[on] H[olzhausen] erfülle und auch Dich bitte
ersuche diese Bitte nicht übel zu nehmen.- Du brauchst ja nur den
Antrag mit den Worten: - den Betrag der Einrückungs-Gebühr welchen
sie mir - an die Exped: des Wochenbl[attes] zu schicken, so hoffe
ich, daß Du wenig mit dieser Bitte beschwert wirst. Den Betrag der
Einrückungsgebühr und das Postgeld zu berichtigen lege ich hier 3
<?> bei, was Du mehr zu bezahlen hast melde mir.
Ich
wünsche nicht, daß dies, außer der Exped: des W[ochenblattes] jemand
als Besorger jenes Antrags kennte; noch weniger wünschte ich, daß
sonst durch meine Bitte Geschichte und Beschwerden auf Dich
fielen.
Jetzt zu uns.
Von Dir wünschte ich eine Menge
Fragen beantwortet: Wie ist die Gesundheit von Dir und Deiner
Familie? - Was macht besonders Dein jüngster Knabe? Dessen Namen ich
wohl wissen mögte, den Du aber mir zu schreiben vergeßen hast. Ist
meinem Pathchen - dem lieben < > Dorchen der
<Afterdaum> abgelöset? - Besonders aber ist Bruder Traugotts
Hochzeit noch nicht gewesen? - Kurz die Summe meiner Wünsche faßt der
sehr herzliche Wunsch in sich, daß ich < > sehr gern einige Tage bei
Euch Brüdern und mit Euch leben mögte. Aber zur Erfüllung dieser
Wünsche sehe ich keine Aussicht. Ich hatte den sehnl[ichen] Wunsch
diese Pfingsten mit meinen Knaben nach Schnepfenthal zu reisen, und
dann wollte ich auch Dich wenigstens auf einen Tag besuchen, aber
auch dieser für mein ganzes Wirken so heilbringende Wunsch blieb
unerfüllt und ich sehe leider, < > um meiner Knaben willen
leider keine Hoffnung daß er je erfüllt werde.
Was mich
persönl[ich] betrifft so wird mein Leben mit jeder mehr abgezogner
und einfacher, alles mein Wirken <
> muß sich blos unmittelbar
auf meine Knaben beziehen, auf mich darf ich gar keine Rücksicht mehr
nehmen. Alles mein Denken alles mein Handeln hat einen einzigen
Brennpunkt - die Erziehung, Pflege Unterricht meiner
Kind Zöglinge. Ich bin vom Aufstehen
bis Niederlegen angestrengt beschäftigt. Und doch - leider <
kenne> ich beinahe gar
nichts. Glaube mir ich biete auf was ich nur kann, handle
gewissenhaft und streng, lege mir so viel auf als ich kaum ertragen
kann. Aber großer Gott da ist keine Frucht die das Herz erfreut die
den Geist stärkt, mein ältester /
[1R]
Zögling wird in 10
Tagen 14 Jahr alt. Dieser kritische Zeitpunkt ist für mir eine Zeit
der Angst und des Schrekkens, alles mein Hoffen mein Handeln scheint
<
wie Ein> umsonst zu seyn, er
entwickelt sich zum bemittleiden erbärmlich - Gemeinheit Niedrigkeit
nur lebend an dem Thierischen des Menschen, Oberflächlichkeit und
dabei abbrechendes Urtheil mit Eigendünkel, Herzlos für alles hohe
heilige im Menschen und in der Natur, keine Ahndung etwas bessern im
Gemüth - alles blos als Sache des schneidenden Verstandes
betrachtend. Dieß sind die Hauptzüge seines Seyns und Wesens.- Und
dabei hilft kein Bitten, keine Vorstellung, kein Ernst keine Strafe,
alles gleitet wie über Kiesel hin. Aber wie soll es wirken - der
Knabe hat keinen Vater, aber eine Person in Manns Gestalt steht da
die sich Vater nennt, und laut der Vollmacht die dieses Wort giebt -
heimlich ohne daß ich es oft ahne, und weiß alles niederreißt was ich
baue, und - mit lachendem Mund mit - Perßflange ach mit Witzelei,
einem Vater der spottet über dasjenige was mein bestes im Herzen mir
zu thun befiehlt mein Verstand - der sich nur
einzig mit dem beschäftigt was das Wohl
seiner Kinder befördern begründen kann, -
als das beste erkennen läßt.- <
> Zwar
eine Mutter:) aber eine Mutter der es nicht erlaubt ist Mutter zu
seyn, das zu thun was ihr ihr Muttergefühl zu thun befiehlt.- Wie
soll ich unter diesen Umständen auf einen Knaben wirken können der
schon, da ich ihn im 11
ten Jahre erhielt
so verdorben war, daß er seine
Verdorbenheit
so tief in sich verbarg, daß
sie in diesem Umfange <
> zu ahnden, mir
unmöglich wurde. Doch diesen Knaben wollte ich wohl noch ertragen,
wenn er nur nicht gleich dem Krebs an den Menschen auch <
>
das Wohl seiner jüngern Geschwister untergrübe und ihr Herz
vergiftete. - <
Oft denke> Du
kannst vielleicht mit mir meine Empfindung nach fühlen kannst ahnden
was ich meine wenn Du
daß Dich des
<
> H.
v. Cl. in <E> und seiner Thaten erinnerst. Oft denke ich an
jenen und frage mich, was soll aus Deinen Zöglingen werden? - Gott
mag es wissen ich will thun was ich kann; aber unter
solchen Umständen, Umgebungen, Hindernissen
als Erzieher zu handeln, Du wirst einsehen welchen unbeschreiblichen
Kampf welche Aufopferung es kostet, Du wirst es wahr finden wenn ich
Dir sage daß ich oft <
>
kaum mehr wirken kann.
Doch ich will aufhören Dich mit
<
meinen> den Wirkungen meines
Strebens bekannt zu machen. Frage nicht warum mir dieß? - Siehe Du
bist der Einzige Mann, - bedenke und fühle es, der
einzige Mann gegen den ich mich aussprechen
kann. - Sage mir nicht es ist unmännlich zu
klagen, siehe ich klage nicht nur theile ich
Dir mit was tief mich bedrückt. Und Mittheilung fordert ja das Herz,
und Forderung des Herzens muß es seyn es war
nicht Vorsatz von mir, Dir dieß zu schreiben;
mein Herz sprach blos zu Dir. Hauptsächlich bedenke, daß ich keinen
Menschen kenne der über mich mein Handeln und Wirken als Richter
<
> auftreten könne
- als Dich. Und eine solche Person muß, so glaub ich, der Mensch
haben. Wirst Du nicht einst mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, so
wird mich die Zufriedenheit keines Mannes krämen. Möge Gott einst
geben, daß Du in meinem Handeln einen Mann siehst der seine
Pflicht Würde als Mensch erkennt, und
die Kraft /
[2]
die ihm Gott u. Natur gab Pflicht getreu
zum Wohl seiner Brüder zur Pflege des Heiligen - göttlichen was im
Menschen lebt anwende. Möge mir da kein glücklicher Erfolg mein
Wollen mein Streben bezeugt - möge mir einst Gerechtigkeit vor Gott
werden.
Mein Körper ist gesund, mein Geist wünscht kraftvoller
außer sich zu wirken als es ihm zu thun erlaubt ist.
Du bist
wohl in Verlegenheit mir auf meinen letzten Brief eine kahle
verneinende Antwort zu schreiben?- Du hast recht unzufrieden mit mir
zu seyn und ich mache mir selbst Vorwürfe, daß ich mich immer mit so
unangenehmen Bitten an Dich wende.
An den Schwager in Kochberg
habe ich seit 1 Jahr u an den Bruder in Oster[ode] seit Weihnachten
nicht geschrieben. Allein die Zeit erla[ubt] zu beiden fehlt mir.
Ich
habe mir ein Mineralien Kabinet - (:wozu? - zum Besten meiner
Zöglinge!:) von mehr als 580 Exempl[aren] gekauft, kannst Du mir
vielleicht von Ilmenau - Reichmannsdorf oder sonst Beiträge
gelegentlich dazu sammeln so geschieht mir ein Gefalle[n], wenn ich
sie ja nur in Jahren erhalte[.] Schreibe mir immmer den FundOrt und
die Art des Vorfindens dazu. Versteinerungen aus der Gegend Stadtilms
sind mir auch lieb. Gelegentl[ich] will ich diese Bitte auch nach
Osterode schreiben.
Behüte Dich Gott! - grüße Deine Frau,
küsse Deine Kinder von mir[.] Sage dem Br[u]d[e]r Traugott daß ich
mich nach Nachricht von ihm sehne, daß ich ihn liebe u. grüße.
Möchtet ihr einen so herrlichen Frühling gehabt haben u noch haben
als wir hier, mögte er Freude und Wonne über Dich u. Deine Familie
verbreiten. Der Landmann nennt das jetzige Wetter wo es abwechselnd
feucht u. warm ist, ein sehr fruchtbares Wetter. Die Baumblüte war so
lieblich so schön, daß ich nie etwas schöneres etwas herrlicheres
sahe. Oft habe ich Dich recht oft zu mir gewünscht. Die hiesige
Gegend ist fruchtbar und liebl[ich], lieblicher als jede Gegend die
Du kennst.
In dieser schönen Gegend denke ich recht oft Deiner
und immer tiefer gräbt sich meine Liebe zu Dir und Deiner Familie in
mein Herz[.]
Dein Bruder August
Fröbel