Keilhau ohnweit Rudolstadt am 13en Septbr 1817.
Wohl
weiß ich, daß alle höchsten Zwecke des Lebens,
so mannichfaltig
auch die Richtungen dahin seyn mögen,
und so verschieden sich
auch der Lebende darüber
aussprechen mag, mir in einem einzigen
Punkte
zusammenfallen; Ruhig kann daher der,
dessen
Lebensziel das höchste ist, bey jeder Prüfung
seines
Thuns und Wirkens seyn, von welcher Seite sie
auch
kommen, wie sich auch der Prüfende darüber
äußern, aussprechen
möge; wenn nur derselbe
diesen einen höchsten Punkt mit klarer
Einsicht,
mit wahrhaft unbefangenem Gemüthe, mit
wan-
delloser Festigkeit in die Augen faßt.
Wohl könnte
ich mich daher bey Ihren Mittheilungen
als Antwort genügen, und
ruhig der fernern Ent-
wicklung in Ihnen, nach Ihrer Seite der
Prüfung,
entgegen sehen, gewiß überzeugt, daß das von
mir als
Höchstes ausgesprochene, sich, wie auch
Ihr Weg dahin seyn möge,
auch Ihnen als das
Höchste, so wie der vorgezeichnete Weg, als
der
nothwendig einzige und unfehlbare dahin, sich
auch Ihnen
zeigen werde; wenn nur jene Be-
dingungen dieser Prüfung
ausschließende Eigen- /
[10R]
schaften sind. Aber es ist
eben so wahr, daß die
Sicherheit der Prüfung gewinnt, daß
Klarheit,
Unbefangenheit und Festigkeit daraus hervor
gehen,
wenn die Prüfung auch nach der andern Seite hin,
bis
zum Endpunkte verfolgt wird. Deßhalb er-
kenne ich es in mir -,
weil es mir um nichts
andere als um die reine Erkenntniß des
Wahren
und nur um ein Leben nach und im Geiste
dieser
Erkenntniß zu thun ist - als Pflicht, Ihnen auf
Ihren
Brief Nachstehendes zu antworten; denn
der Mensch "so schreiben
Sie wahr", meint oft sein Streben zu erkennen,
aber gewöhnlich
erschrickt er vor der Größe, vor
den außerordentlichen
Fo[r]derungen desselben, daß
er leicht das, was nur ausschließend
höchster
Lebenszweck ihm seyn sollte und kann, aus dem
Auge
verliehrt und sich mit einem weniger
schwierig zu Erreichenden,
Untergeordneten,
mit weniger Verleugnung und
Aufopferung
Verknüpften begnügt, sich - eigentlich nur
seiner
Schwäche schmeichelnd - glaubhaft machend, so
handle
er gerad Recht.
Als Entgegnung meines Briefes kann ich in
den
Ihrigen nicht einen gültigen Grund finden, auch nicht /
[11]
einen; in keinen, auch von der Seite des Herzens,
das
ich so gern innig, und seine zarten Blüthen und
seinen
erquickenden Früchten, sorgsam pflegend achte,
in
keinem, so fordert die Wahrheit, daß ich es
ausspreche
erkenne ich Haltbarkeit.
Ihr Brief, Ihre
Beantwortung des meinen, mag
für mich diesen Ausdruck nun wohl
dadurch erhalten
haben, daß beym Niederschreiben meines
Briefes,
obgleich in demselben nie ausgesprochen, mir
das
Streben nach Darstellung des höchsten
menschlichen
Verhältnisses als Zielpunkt in der Seele,
vor
dem Geiste lag. Klarheit meines Zweckes be-
stimmten
mich, diesen Zielpunkt nicht auszusprechen,
ja mit Vorsicht jedes
Deuten dahin zu vermeiden;
allein ich wünschte in Ihnen die
Überzeugung
hervorzurufen, ich wünschte, daß sich Ihrem
un-
befangenen Gemüthe als reinster Einklang aus-
sprechen
möge: - daß, wenn es mir mit meinem
innern und höchsten Streben
und Lebenszwecke
Ernst sey, daß, wenn ich das, was ich
zu
wollen vorgebe mit und in Wahrheit wirklich
wolle, daß ich
alsdann auch die Form, in und
durch welche jenes Streben und
jener Zweck in /
[11R]
seiner Vollkommenheit und Reinheit
nur einzig und
ausschließend zu erreichen sey, wollen
müsse,
sie nicht umgehen möge.
Einigung des Geistes mit
dem Geiste, oder erfassender:
Einigung des klar bewußten
durchdringenden Geistes
mit dem rein empfindenden, schaffenden
Gemüthe
für möglichst reine Darstellung des
Menschheit
Lebens, das ist, das war unausgesprochen
die
einzige unerläßliche Bedingung zur Erreichung
des Lebens
höchsten Zweckes. Der sichtbare, noth-
wendige Ausdruck dieser
Geistes- und Gemüths-
Einheit ist - Ehe.
Daß eben diese
Überzeugung Ihrem Gemüthe
klar und lebendig werden möge, das
wünschte,
das hoffte ich.
Vollendete Übereinstimmung des
Innern und Äußern,
des Denkens und Handelns, des Empfindens
und
Thuns, das ist das Höchste wornach der Mensch
als
Erscheinung zu streben hat. Dieses höchste Daseyns-
Ziel
kann der Mensch schlechterdings nur auf die
gedachte Weise
erreichen. Mir aber ist, nur jene
Übereinstimmung, jene Einigung,
jene Einheit
des Daseyns höchster Zweck, folglich muß ich /
[12]
auch die Form, die äußere Bedingung desselben
in
ihrer ganzen Wichtigkeit und Würde erkennen
und
anerkennen, sie - Ehe muß das letzte sichtbare
Ziel
meines persönlichen Handelns seyn, und
sie ist es.
Nur bey
der Festhaltung dieser meiner, aus
klarer Einsicht
hervorgegangenen Überzeugung
ist das Nachstehende, was ich über
Ihren Brief und
als weitere Ausführung des meinen zu sagen
habe,
verständlich. Die Sicherheit mit der ich es
ausspreche,
die Bestimmtheit und Stärke hat ihren Grund
in
der Sicherheit, Bestimmtheit und Größe meines
Lebens-
zweckes; in der Klarheit und dem deutlichen
Bewußt-
seyn mit welchem ich die Mittel zur
Erreichung
desselben schaue. Etwas als Entschuldigung
darüber
sagen zu wollen, wäre eben so so gut, als wollte
ich
mich darüber entschuldigen, der Menschheit
höchsten, einzigen
Zweck zu meinem Zwecke zu machen,
was ja eigentlich jedes
Menschen nur einzige Pflicht
ist.
Meine Sprache scheint
Ihnen einigen Anstoß ge-
geben zu haben. Wohl hat jeder
Gegenstand
der Mittheilung nur eine einzige ganz erfassende /
[12R]
und entsprechende Sprache, folglich muß es auch
für
solche Mittheilungen, die des Menschen höchsten
Zweck zum
Gegenstand haben, es auch nur eine,
diesen Gegenstand ganz
erfassende und entsprechende
Sprache haben. Nun kenne ich wohl
eine Sprache die
man für diese ausgiebt; allein mir ist unter
denen
die sie reden, noch keine auch nicht eine
Person
vorgekommen, die diese Sprache wahrhaft und
klar,
deutlich verstanden hätten; wohl glauben, wohl
meinen,
ja wünschen sie dieselbe zu verstehen,
aber darum verstehen sie
solche noch nicht; vielmehr
habe ich noch immer und bisher ohne
Ausnahme
gefunden, daß diejenigen, welche jene Sprache
reden, entweder zu den Getäuschten oder
Täuschenden,
zu Betrogenen oder Betrügern gehören; denn
auch
zu den letzten Gehörige habe ich gefunden, es
sind
diejenigen, welche in sich wohl wissen und
empfinden,
daß sie diese Sprache nicht verstehen, aber
doch
andere glaubend machen möchten, sie verstän-
den sie. Zu
keiner aber jene Sprache
redendenParthey, darf der nur mit
Einsicht handelnde und
redende Mann also gehören, noch viel
weniger
der, wahre Mann und wahr zu seyn muß des /
[13]
Mannes höchstes persönliches Ziel und Streben seyn.
Religion ist, bey klarer Einsicht, bey reinem Em-
pfinden
dessen was sie ist, des Menschen Höchstes.
Es muß daher auch des
Kindes, muß frühe des
Kindes Höchstes seyn. Religion und Leben,
dieß
in seinem wahren Wesen erkannt, sind aber Eins.
Von
einem Menschen dessen ganzes Leben nicht
Religion ist, mag ich
als Menschen gar nichts hören,
dessen Religion kann ich nie als
die reinste und
höchste erkennen und nach der reinsten und
höchsten
Religion soll der Mensch ringen. Wohl gelangt
der
Mensch und besonders das Kind, durch ge-
offenbarte Religion zur
Einsicht in das Wesen
der, und zur Befestigung seiner
Religion,
aber zunächst durch die Religion, wie sie sich
ihm
zunächst im Leben der es Umgebenden, seiner Eltern
und
der, welche an deren Statt da stehen, offenbart.
Hierinne sind
also die Pflichten der Eltern, derer
die Eltern werden oder sich
an Eltern Statt hinstellen
wollen angedeutet: für die Wahrheit
uns auf-
bewahrter Offenbarungen, soll das Kind im /
[13R]
Leben seiner Eltern Zeugschaft finden. Hiermit
ist auf
das höchste Verhältniß zwischen Eltern
und Kindern hingewiesen;
allein es liegt auch
darinne das Wechselverhältniß der in Ehe
Ver-
bundenen selbst in Hinsicht ihres höchsten
Gemeinzweckes
selbst angeregt,
wovon mir hier nur die Resul-
tate auszusprechen vergönnt ist;
die Wahrheit
derselben in dem Wesen des Menschen
nachzu-
weisen, muß jetzt einer andern Thätigkeit
überlassen
bleiben.
Die Religion des Weibes geht durch Religion des
Mannes
hindurch und aus derselben befruchtet hervor.
Die
Reinheit, Lebendigkeit, Thätigkeit und Sicherheit
der
Religion des Weibes hat ihr Fundament in der
Klarheit,
Festigkeit, Einsicht und Gewißheit der Reli-
gion des Mannes. Der
Glaube des Weibes kehrt
geläutert, erhöht, gestärkt aus dem
Wissen des Mannes
damit er Früchte bringe, in des Weibes
Gemüth
zurück. Nichts, nichts stöhrt den bildenden und
pfleg-
enden Seelenfrieden, des so verbundenen Weibes;
denn
die Wahrheit dessen was sie glaubt, er-
kennt und schaut der
Mann; von der Wahrheit /
[14]
die sie glaubt, ist der
Mann überzeugt. So wie die
Eltern und das Leben der Eltern dem
Kinde die
sichtbare Zeugschaft der geoffenbarten Religion
sind,
so ist der Mann und dessen Leben der sichtbare
und
truglose Zeuge für die Wahrheit dessen was sie
still
glaubend im Gemüthe bewegt. Deßhalb und aus
diesem
höchsten religiösen Grunde findet das Weib
höchste Befriedigung
ihres Wesens und Strebens,
findet ihre Würde und Ruhe darinne
einem solchen
Manne anzugehören, sie giebt sich ihm in der
höchsten
Unbefangenheit ihres Gemüthes ganz und
uneinge-
schränkt.
Die Worte des Mannes sind die Rede
ihres Ge-
müthes. Über Religion spicht das Weib selbst
nie;
ihr Leben, ihr Wirken, ihr Thun ist die Sprache
ihres religiösen
Gemüthes. Nur dem klaren Geiste
des Mannes ist es ausschließende
Bestimmung
von und über die Wahrheit der Religion klar
zu
reden, durch klare Rede Zeugschaft von ihr
zu geben; so wie es
dem reinen Gemüthe des
Weibes ausschließende Bestimmung ist
die
Wahrheit der Religion rein zeigen, von der Wahr-
heit der
Religion, so wie sie sich in der Tiefe ihres /
[14R]
Gemüthes ewig still bewegt, in dem reinen Thun
Zeug-
schaft zu geben. Durch den Mann gelangt das Weib
zur
klaren Einsicht des Lebens, erlangt die Festig-
keit dieser
Einsicht gemäß und getreu zu handeln;
so weiß und empfindet das
Weib, daß es nur
durch den Mann seine Bestimmung ganz
erfüllen
konnte und kann; sie weiß und empfindet es
innigst,
daß nur der Mann sie zum Weibe schuff; daß der
Mann
das Weib, damit die von ihm in lichter Glorie
erkannte
Menschheit, sich im Leben zu edlen, reinen
Gestalten bilde, sich
selbst zum Weibe schaffe. Nur
für dieses Gestalten und Bilden
bedarf der Mann
des pflegenden, bildenden, sorgsam ordnenden
Weibes
aber es ist ihm auch hierzu unerläßliche
Bedingung
unumgehbares Bedürfniß, damit seine
Wahrheit,
Weisheit; seine Lehre, Leben; für die Einsicht
das
Beyspiel, so die Menschheit zu Menschen werde.
Darum sind
beyde ein ungestücktes Ganzes, ein
untheilbares Ein und sollen es
seyn und dieses Ein
ist der Hüter und Pfleger der Menschheit,
der
Menschen einzigem Kleinode.
Warum andere die Einigung
mit dem Weibe
suchen, dieser Grund kann für diesen, dieses /
[15]
Streben habenden Mann nie bestimmend seyn,
für
einen Mann von dessen Streben eine Seite - (:ich
sage, eine
Seite, weil der Mensch ganz entfremdet
ist, in jedem Theile das
schlechthin Ganze, in jedem
Einzelnen das höchste Allgemeine zu
finden:) -
die Erforschung der Natur ist; denn wer die
Natur
erforschen will muß sie beherrschen, wer
die Natur begreifen will
muß sie ergreifen, sich
aber nicht von ihr ergreifen lassen.
Ihren Brief an mich habe ich Herrn
Middendorffnicht mitgetheilt, warum? - weil
das, was
dessen Gegenstand ist von ihm noch nicht in
seiner
ganzen Tiefe und Umfassendheit, so wie über-
haupt
ganz und gar nicht von einem dritten, wer
es auch sey ganz
beurtheilt und richtig auf- und
erfaßt werden kann; denn es müßte
dieses Dritte
um dieses Beurtheilens willen sich ganz in
die
Persönlichkeit eines von uns beyden versetzen
können, was
aber rein unmöglich ist, sonst ist
jedes Urtheil schief, seicht,
und jede Aufforderung
dazu fehlerhaft. Mein, und so ohne
Unterschied
jedes Menschen eigentstes Leben, kann nur /
[15R]
denen zugänglich seyn, die es mit mir, mit ihm
leben und
dieß kann wieder nur Ein Wesen seyn.
So ist mir auf Ihren
lieben Brief nichts
mehr zu sagen übrig.
In meinem vorigen
Briefe suchte ich Ihnen mein
Leben und meinen Lebenszweck
anzudeuten und
Sie um Mithülfe für denselben zu bitten; in
diesem
wünschte ich Ihnen meine Persönlichkeit und
mein
Selbst klar zu machen; und stößt diese meine
Per-
sönlichkeit, dieses mein Selbst Sie nicht zurück, so
wie
äußere Lebensverhältnisse sie früher abzogen,
so reiche ich Ihnen
nochmals mit demselben voll-
endeten Vertrauen als dortmals, mit
derselben
wahren Innigkeit die Hand mit mir, als die
zweyte
Hälfte Eines Ganzen das noch zu lebende Leben
zu
leben. Nur in Ihrem eigentsten
Selbst können Sie die Bestimmung
für, oder wider
meine Bitte finden. Alles das was Sie als
Ein-
wurf mir aussprachen, ich muß es nochmals
sagen, kann
ich nicht als Hinderniß erkennen;
sobald Sie mit Sich im Klaren
sind, daß Ihre
Persönlichkeit in der meinen und in deren
Festheit /
[16]
und Wandellosigkeit kein Hinderniß der
Erfüllung
meiner Bitte finde, so erkenne ich unter dem
was
Sie mir als solche aussprachen auch keines. Theilen
Sie
mir Ihren Entschluß mit, sobald Sie ihn gefaßt
haben, und erlaubt
mir es derselbe, so werde ich
mir Sie alsdann auch, noch gern von
Ihren lieben
und theuern Eltern erbitten. Schreiben Sie mir so
bald, als möglich.
Es trübe Ihnen nie etwas der Seele reinen
Frieden!