Ihre
ehrende Zuschrift vom 9
ten d. M. habe ich erst
gestern hier in Wartensee empfangen, wohin
ich, als meinem ersten
Wirkungsorte in der Schweiz, mit meiner Frau eine kleine
Erholungsreise
gemacht habe; sonst würde ich dieselbe ihrem [sc.:
Ihrem] Wunsche gemäß gewiß früher beantwortet haben.
Bei diesem
Anlasse will ich Ihnen doch gleich bemerken, daß die Briefe aus dem
Bernschen mit der
Post einen langen Weg zu mir hin nach Willisau
machen, indem sie alle erst bei Willisau vor-
bei u nach Luzern
gehen, dann erst von dort nach Willisau, nach der bestehenden
Postordnung zu-
rückkehren müssen. Sollten Sie also irgend einmal
eine baldige Nachricht von mir wünschen,
so würde ich Ihnen
vorschlagen die Briefe unter Couvert an den H[er]rn
Pfarrer Stähli nach
Hutt-
wyl zu schicken, mit der Bitte, mir solchen durch einen
Knaben, der sich wohl um Billiges fin-
den würde, zukommen zu
lassen; dieß jedoch natürlich nur in dem angeführten Falle.
Nun
zur Beantwortung Ihrer vertrauenden Zeilen selbst.
Wie jetzt das
Ganze steht, so glauben wir, daß am 28
ten dieses
[Monats] die Unterrichtsstunden der An-
stalt ihren Anfang nehmen
werden; auf das Höchste könnte es sich auf 8 Tage weiter hinaus
schieben.
Nach dem, wie ich mir nach meiner jüngsten
Anwesenheit in Bern zu urtheilen erlauben darf,
so dünkt es mich,
daß Ihr Vorschlag Herrn Lehnherr eine längere Zeit auf Kosten des
Ber-
ner Staates in die Willisauer Erziehungsanstalt zu schicken
in dem Erziehungsdepartement
von Bern wohl beifällige Stimmen
finden möchte; ja, habe ich anders die mir gemachten
Mit-
theilungen recht verstanden, so hatten, so haben noch
verehrliche Glieder des gedachten Depar-
tements den Gedanken,
daß für dieses Winterhalbjahr sogleich
einige oder
mehrere
junge
Männer, die sich theils dem Schulwesen, bis jetzt schon
gewidmet haben, theils eben jetzt zu
widmen im Begriffe stehen,
zu ihrer Ausbildung meiner Leitung in Willisau anver-
traut
werden könnten und sollten.
Wollen Sie mir nun erlauben, daß ich
Ihnen, geehrtester Herr Pfarrer! ganz offen meine Über-
zeugung
darüber aussprechen darf, so glaube ich, daß dieß ganz wesentlich
vortheilhaft für den Zweck
des verehrlichen
Erziehungsdepartements sein würde; denn erstlich wirkt das Leben in
und
mit einem jungen frischen, wenn auch mit unter kämpfenden
Erziehungsleben wie jetzt
das der Willisauer Erziehungsanstalt
ist, auch ganz wesentlich weckend, erhebend, stärkend u
bildend
auf junge Männer, welche sich dem erziehenden Lehrfache, der
Volkserziehung wid-
men; zweitens, wenn nur ein einziger junger
Mann für einen umfassenderen Zweck sich
einem solchen
Verhältnisse hingiebt, so ist selten vorauszusetzen, daß ein u
ebender-
selbe junge Mann nach verschiedenen Seiten hin z.B. der
Mathematik und Sprachseite hin gleich
reges Interesse, wenigstens
gleich lebhafte Auffassungsgabe habe; drittens kann selbst
auf
den Fall, daß dieses wäre, ein einziger, besonders bei beschränkter
Zeit, nicht alles
nach mehreren Seiten hin gleich um- u erfassend
auffassen u betreiben, wenn dieses
anders bis zu der Stufe des
völligen Überblickes u bis zu der Kraft u. Gewandtheit der
frei-
en, selbstthätigen Segreduction aus sich geschehen soll.
Bis zur Erlangung dieser Bildungs-
stufe sollte eigentlich nie
ein Erziehungs- u Lehrkursus mit Bildlingen für das Schulwe-
sen,
besonders für das Land- u Volksschulwesen abgebrochen, oder vielmehr
als beendigt
angesehen werden; weil diese jungen Männer in ihrem
oft beschwerlichen Berufe zu ihren
fernern Fort- u Ausbildung
keine wirksamere Triebfeder haben, als das tief geweckte /
[1R]
Plan
geordnete u mit den Mitteln begabte Knaben zur eigenthätigen
Selbstanziehung, Selbstbelehrung
kurz Selbstaus- u Fortbildung.
Mir wills fast scheinen, als wäre es in dem Mangel der
Beach-
tung dieser Andeutung, warum das Land Volksschulwesen an
verschiedenen Orten, bei doch
wirklich so großen Aufopferungen
mehrerer Staaten, doch eigentlich so wenig wahrhafte, ächt
ge-
diegene innere u stetige Fortschritte <welche>
Viele halb- u weniger als halbgebildete
können
nicht bewirken, was
einige
ganz u durchgebildete, ja! ein Einziger
vollendet u durchgebilde-
te muß dann oft wieder gut machen, u
alle jene verderben. Viertens bringt das gemein-
same, zusammen
wirkende Streben wenigstens einiger zu dem einen Ziele u für den
einen Zweck
des erziehenden Lehr[-] u Schulfaches mehr
W[et]teifer in die Thätigkeit aller, eben wenn der eine
durch
Anlage u Neigung mehr nach der eine[n] die andere aber nach
einer anderen Seite hingezogen
oder getrieben wird. Wegen dieser
<früher> angedeuteten Rücksichten nun, dünkt es mich,
wäre
es gut, wenn gleichzeitig wenigstens einige junge Männer, versteht
sich übrigens von
wirklich innerm Berufe für das erziehende
Schulfach, einen Kursus dafür, auf Kosten des
Staates beginnen u
durchführten. Soll dann das verehrliche Erziehungsdepartement der
Re-
publik Bern den Vorsatz haben u festhalten später vielleicht
in den Staate selbst eine Muster-
anstalt zu erziehenden Lehrern
für das Land[-] u Volksschulwesen auszuführen, so könnte
dann
einer, oder einige derselben, oder nach Umständen alle
sogleich bei dieser Anstalt als lehrend u er-
ziehend angestellt
werden u so zugleich sich selbst noch unter der Leitung, dem Leiter
dieser Anstalt
weiter u ganz ausbilden; wo es dann mög[lich]
wäre, daß eine solche Musteranstalt eine stets u stetig
zum Wohle
des Landes fließende Quelle werde, indem sie denn fast ganz allein
durch junge Berner,
an Körper u Geiste kräftig, berufsfähig
berufstreu aus dem Kerne des Volkes u Landvolkes
selbst aus- u
durchgeführt werden könnte, was ich für wesentlich vortheilhaft
halte, denn eine solche An-
stalt soll sie wirklich ins Volk
wohlthätig, segensreich eingreifen, muß nothwendig auch ächt
volks-
thümlich sein- und werden, sie muß eigentlich aus dem
Volke, ihm selbst verständlich u einsichtig her-
vorgegangen
sein, denn der menschliche Geist erträgt nun einmal auch als
Volksgeist das Fremd-
artige nicht u wirft dann früher oder
später <mit> dem unpassenden Fremdartigen, auch das gute
Eigenartige ab
u weg. Allein ächt volksthümlich kann eine solche
erziehende Musteranstalt werden, wenn der höhe-
re allgemein
menschliche, erziehende u lehrende Geist sich in der Besonderheit u
Eigenthümlichkeit
des Volksgeistes kund thut. Ich meine näml[ich]
so: man muß den höhern allgemein menschlichen Erzie-
hungs[-] u
Lehrgeist aus dem besondern u eigenthümlichen Volksgeist, d.h. aus
seiner
nothwendig ganz
eigenthümlichen
Lebensanschauung u Lebensfassung entwickeln u so den sich schon
vorfindenden
Volksgeist wahrhaft empor heben u f[or]tbilden,
nicht aber dem besonderen u eigenthümlichen
Volksgeist – selbst
nicht einmal den <ihren> u höchsten rein menschlichen Geist u
allgemei-
ne menschliche Bildung auf
drücken u ein[p]rägen. Dieß ist ein Mißgriff,
der leider nur zu oft,
zum größten Nachtheil der ächten
Volksbildung gemacht worden ist; von einigen u mehreren, die
es
seelengut u menschlich rein mit dem Volke u der Volksbildung meinten,
ich darf fast sagen,
gemacht werden mußte, weil sie von den
Vätern des Vaterlandes, in deren Hand, wie immer
in der Hand des
Vaters die Erziehung d Familie liegt, die Erziehung des Volkes lag –
bei
Ausführung ihrer reinen Absichten in Stiche gelassen wurden.
Achtung des Individuellen,
Landschaftlichen, Volksthümlichen,
aber Erhebung und Ausbildung desselben zum reinen allge-
mein
Menschheitlichen, dieß ist mir der erste Grundsatz meiner angewandten
u ausübenden
Erzieherwirksamkeit. Aber nochmals [ge]sagt, die
Väter des Vaterlandes wolle[n] mir u uns
über diesen Punkt gleich
denkenden <Führern>, gleich den einzelnen Vätern se<l>ten
zu dieser
Erhebung u Ausbildung durch Entwicklung die nöthige
Zeit lassen, u doch ist ohne dieß das
Heil u der Preis, wonach
mir doch alle Einzelne u Völker, so sehnsüchtig streben, nicht
zu
erreichen; die Geschichte spricht mit <Kampf>schrift u
Schmerzenswort, doch unsere Ohren
sind für die Laute des
Schmerzes unzugänglich u unser Gesicht für diese Schrift zu
beisichtig.
Eins noch will ich Ihnen, hochgeehrter Herr
Pfarrer! in Beziehung auf den in Ihrem /
[2]
Briefe
berührten Gegenstand unumwunden aussprechen, indem ich fest überzeugt
bin, daß Sie
wenn einmal etwas geschehen soll, oder wirklich
geschieht, ebenso wie ich lieber gleich das Ganze u Tüch-
tige,
als das Halbe und das Unvollständige wünschen. Meine Erfahrung sagt
mir nun: der Mensch wird
selbst bis zu einer bedeutenden Stufe
seine Entwickelung nicht sowohl u allein durchs Wort, sondern
über-
wiegend u vorwaltend durch das Leben, im Leben, in einem
bestimmten Leben selbst, durch den Geist des
Lebens, u dieses
bestimmten Lebens, belehrt u gebildet. Darum halte ich es für ganz
wesentlich heil-
sam, ja nothwendig, daß junge Leute, wenn sie
sich einmal einer erziehenden Lehre für einige
Zeit widmen, sich
dieser dann, während des Laufes dieser Zeit ganz, stetig u ungetheilt
hinge-
ben. Ich meine, daß solche junge Leute während dieser Zeit
ihrer Bildung dann auch ganz u gar
in dem erziehenden u Lehrkreis
u von demselben umgeben leben. Die Kosten deßhalb sind
nicht
bedeutend größer u der Gewinn davon doch wesentlich; denn
dann kann ein Wort zur rechten Zeit gespro-
chen, eine Sache zur
rechten Zeit, wenn das Gemüth dafür geöffnet ist, vorgetragen und
gezeigt wer-
den. Der Gewinn solcher Lehre, eben nicht an den
Glockenschlag gebunden, überwiegt nach meiner Er-
fahrung jede
deßhalb vergrößerte Ausgabe, besonders wenn ein Staat, - der als
solcher nur das Beste
wollen soll – schon einmal das Gute
will.
Wollen Sie nun, geehrtester Herr Pfarrer! als erfahrner
Schulkommissarius von diesen Andeu-
tungen vielleicht bei dem
hohen Erziehungsdepartement der Republik Bern Gebrauch machen,
so
glaube ich, es wird günstig für Ihren Zweck, heilsam für das Ziel des
Erziehungsdepartementes, so
wie zum Wohle für das Ganze sein.
Ihre gütige Theilnahme wünscht etwas Näheres von der gegenwärtigen
äußerlichen
Lage der Willisauer Erziehungsanstalt zu hören. Diese
ist bis jetzt noch so, wie sie bisher immer
war u scheint auch so
zu bleiben, d.h. auch das äußere materielle Bestehen derselben ruht
noch
bis jetzt einzig u allein in ihrer innern Kraft u eigenen
Hand: Der Erziehungsrath u die hohe
Regierung des Kantons Luzern
dünkt mich wohl das Fortbestehen dieser Anstalt eben so sehr
zu
wünschen, als sie in demselben gern zu dulden. So höre ich soll jetzt
von Seite des Erziehungs-
u des Kl- Rathes eine gründliche
Widerlegung sämtlicher Petitionen gegen die Erziehungs[-]
anstalt
ausgearbeitet u gedruckt u dem hohen Gr Rathe bei seiner nächsten
Sitzung im
Monat Dezember zur Entscheidung übergeben werden, u es
scheint den betreffenden Behör-
den keinem Zweifel unterworfen zu
sein, daß die Entscheidung dann zu Gunsten der Erziehungs-
anstalt , d.h. der Beschluß zum ungehinderten Fortbestehen
derselben ausfallen wird, jedoch
scheint es nicht in der Absicht
der betreffenden Behörden des Kantons Luzern zu liegen,
die
Erziehungsanstalt zu ihrem u für ihr äußeres Fortbestehen
materialiter zu unterstützen;
vielleicht scheint diese
Unterstützung gar nicht in der Macht der betreffendenden Behörden
zu
liegen, indem man die Anstalt immer nur als Privatunternehmung
betrachtet, eine solche
aber zu unterstützen gegen die
bestehenden Kantonalgesetze ist, welche um so mehr
streng
beachtet werden müssen, weil unter dem Personale den betreffenden
Behörden
selbst Gegner der Anstalt sind. So scheint es mir darum
weiter, daß wenn sich die Anstalt
nicht
durch ihren Geist, ihre Wirksamkeit u ihre Leistungen, u so also
durch die geweckte Er-
ziehungstheilnahme, die Mittel ihres
Fortbestehens von außerhalb des Kantons erreicht,
so kann sich
die Erziehungsanstalt, wenn auch mit Festigkeit u Ausdauer durch u in
dem Mei-
nungs u Parteikampf, doch nicht ökonomisch durch die
alleinige Theilnahme des Kantons
oder in dem Kanton Luzern
erhalten, denn man scheint hier noch gar keinen Maaßstab
für die
Kosten zu haben, welche eine solche Anstalt, soll sie anders gesund u
freudig
bestehen, fordert. Ja es will sogar den Anschein haben,
als wenn unter der Maske der
Erreichung u Ausführung einer
tüchtigen u vorzüglichen Kindererziehung eigennützige
Specu-
lation in einigen bei Stiftung des Vereins für die
Errichtung Erziehungsanstalt vor-
züglich wirksam gewesen ist. –
Mit einfachem kurzen Wort: ich muß nach meinen Wahr-
nehmungen u
Erfahrungen bis diesen Augenblick glauben, daß Partei- u
Meinungskampf /
[2R]
nicht
stark genug sein mögen, die Willisauer Erziehungsanstalt hinunter zu
arbeiten, daß aber
Eigensucht u Eigennutz u ein drittes was
daraus folgt, der Krebs, das Gift sein werden, was
die Herzwurzel
dieser jungen Pflanze nur zu schnell abnagen wird. Leider sind dieß
Äuße-
rungen von Gedanken, welche einer Wirksamkeit, wie die
vorliegende, ganz fern sein sollten,
wenigstens mir bisher auch
in meinem Handeln ganz fremd waren u immer fremd bleiben
wer-
den.
Ihre aufrichtige freundschaftliche Theilnahme,
hochgeehrter Herr Pfarrer! an der Gesamtwirksam-
keit der
Willisauer Erziehungsanstalt macht mich so frei frei Ihnen auch das
Ganze, nach dem Wun-
sche Ihrer gütig anfragenden Zeilen so offen
vorzulegen, als es vor mir selbst daliegt. Machen
Sie nach Ihrer
besten Einsicht u dem Kreise Ihrer Wirksamkeit nun davon den
würdigsten zielerreichenden Gebrauch.