Willisau am
Sonntage nach dem heiligen Christfest 1833.
Am 29en des
Christmonats.
Mein
lieber Bruder, meine theure Schwägerin und lieben Nichten
meine
geliebte Großnichte und Pathe, meine lieben Großneffen,
meine
theuren Freunde und Freundinnen, meine geliebten
Pflegesöhne und
Pflegetöchter meine lieben Kinder, Euch allen
Groß und Klein
Jung und Alt einem Jeden einzeln und namentlich
allen zuvor
den schönsten und frohesten
Christfestgruß!-
Die beglückende Feyer des
seegensreichen Festes ist vorüber, ist vorüber
für Euch für uns
für mich; ich sitze und übersinne die Gaben die es
brachte und
die es vorenthielt ich sitze und vergleiche die
Christfestfeyern
in Willisau und Keilhau, denn so verschieden
diese beyden Feyern nur seyn
können so verschieden waren wohl die
Feyern dieses Festes dieß Jahr hier
in Willisau und bey Euch in
Keilhau; ob sich gleich unser Leben nach
und nach auch einem
sinnigen stillen häuslichen Leben nähert; so ist
jetzt indem ich
dieß schreibe fast alles in stiller Selbstthätigkeit
in der
allgemeinen Wohnstube um mich versammelt:
Langguth besorgt die Bücher für
seine nächste Schreibstunde
Titus schreibt mir einen Plan für unsern He. Pfarrer
in Hutwyl ab
Karl lieset
in einer Reisebeschreibung nach Amerika
die treue
Hausmutter besorgt das Nöthige
zum Vieruhrbrod
Ludowika
welche bis jetzt nähet setzt sich an einen, schon seit
mehr-
reren Tagen begonnen Briefe zu schreiben.
Anton der
älteste Zögling im Hause spielt in einer der hinteren
Stuben
Guittarre, Heinrich und Georg ebenfalls Zöglinge im Hause
sind
in der nächsten Stube bey mehreren anderen Zöglingen welche
häufig
Sonntags hierher zum Arbeiten, Lesen und Spiel kommen.
Unsere Fenster sind gegen Regen und Sturm durch Doppelfenster
ge-
schützt zwischen welchen Blumenäsche mit blühenden
Geranien
den feuerrothen, mit knospenden Rosen, keimenden
Hyazinthen
und herrlich blühenden Maasliebchen welche ich mir zum
Christ-
geschenk auf dem schönen Festanfangspaziergang von einer
unserer
schönsten Anhöhen wir in Keilhau müßten sagen Berge
mitzurück-
brachte. Der Himmel ist mit einer einzigen lichtgrauen
Regendecke be-
deckt; die Fenster gehen 2 gegen Mitternacht und
durch das linker Hand /
[1R]
sieht man den Thurm und das
Dach der Stadtkirche und über die letz[t]ere
sieht man die gegen
überliegenden waldigen Anhöhen, ohngefähr
wie man über Biebers
Haus und das des Hänoldt nach den waldigen
Anhöhen des
Kirschbergs schaut; die Aussicht durch die Fenster
nach Westen
ist den ähnlich durch die Fenster in dem Stübchen
Middendorff[s]
hinter der großen Lehrstube;
Ferdinand und
Gnüge spielen eben
das
Duett von
Wilhelm
Carl für Flöte und Pianoforte, wenn Ihr nun
das erstere
Euch ausmahlt und das letztere wieder hört wie Ihr es
früher so
oft
oft hörtet so habt Ihr ein treues
Bild der äußeren
Umgebungen unter welchen ich Euch dieses
schreibe und Eurer
gedenke. Es ist überdieß die Zeit kurz vor
4 Uhr Nachmittags welche
uns so oft in Keilhau an Sonn- und
Festtagen zum Lebensaustausch und Lebenseinigung zusam-
menrief.
Und so möge sie es denn auch
jetzt thun wenn auch dem Körper nach
durch einen Erden- und Länder-
raum von fast 150 Stunden
getrennt.
Also die Feyer Eures oder die der Keilhauer
Christfeste überhaupt
und die Feyer des ersten Willisauer
Christfestes waren es welche
mich von Beginne dieses Briefes
beschäftigte; die Austauschung
beyder Feyern gegen einander
sollten der Zweck dieser Zeilen an Euch
seyn. Vielleicht sitzt
oder saß schon heute einer von Euch auch in der Ab-
sicht an
seinem Schreibtische um mir und uns Kunde von Eurer
dießjährigen
Weyhnachtsfeyer zu geben.
Mit dem heiligen Abend hatte ich
eine der unangenehmsten Ar-
beiten welche mir zum Schluß dieses
Jahres noch übrig war und deren
Nothwendigkeit mir seit Langem
wie eine Krankheit in den Gliedern
lag - einen Brief offener
Erklärung an
Madame Amberg
beendigt -
Am heiligen Abend selbst machten unsere Musiker - Herr
Gnüge,
Ferdinand - Langguth - unser Herr Amtsschreiber
(Violoncellist)
und der älteste unserer Zöglinge Anton Brunner:
Quardett, Quin-
tet und Gesang Musik. Spät am Abend wurde
geendigt und
später als selbst die letzteren die Gute Mutter und
ich zu Bette ge-
gangen waren; denn Langgut[h] und Ferdinand
wollten mit
dem Herrn Amtsschreiber um 12 Uhr Mitternacht in die
Christ-
mette gehen und sie gingen dahin. Kerzenlicht,
Glockengeläut
und Orgelklang drangen von der nahen Kirche dicht
am Fuße
des Schloßhügels in unsere Schlafstube herein, doch
mich
vermochte es nicht die Lust zu erwecken die Christmette
zu
besuchen, meine Gedanken dagegen waren bey Euch, wie Ihr
jüngsten
und jüngeren Euch schon längst in froher freudiger
Erwartung auf
den nächsten Morgen Euch zu Bett gelegt und jetzt
ruhigen Schlafes, /
[2]
vielleicht durch heitere Träume
verschönt den nächsten Morgen entge-
gen schlummert und wie
dagegen Ihr älteren und besonders Ihr
väterlichen und
mütterlichen Freunde und Freundinnen in froher
freudiger
Thätigkeit jetzt sorglich beschäftigt seyd die
kindlichen Hoffnungen und frohen
Erwartungen jener, so viel als
Euch durch die einzelnen und gesamten
Verhältnisse möglich ist,
zu erfüllen. Ich gedachte der Zeit und der Zeiten
wo ich gleich
und ähnlich Euch gewesen war, ich dachte dessen
was ich in diesen
Zeiten gereicht, was ich dadurch gewollt, was ich damit
erreicht
hatte; ein tiefer Seufzer preßte sich aus meiner Brust,
wie er
sich jetzt in derselben wiederholt, denn ich fühlte tief und
mußte
mir klar gestehen wie so sehr schwierig es sey von der
einen Seite in der
Gabe die Gesinnung in der Sache den Geist und
in der Form den Zweck kund
zu thun und von der andern Seite alles
dieses zu empfinden zu lesen,
wahrzunehmen. Ich dachte mit
Trauern wie weit wir Erwachsenen
doch schon aus und von dieser
geistigen Welt entfernt seyen und wie
so sehr nahe sie doch dem
Kindes[-], dem kindlichen Gemüth läge
und wie so sehr wenig es
für dieses bedürfe um es zu erfreuen zu beglücken
das heißt die
Nähe und die Wirksamkeit, das Leben des Geistigen zu
empfinden
wahrzunehmen. Es ist merkwürdig gewiß auf das Höchste
belehrend
merkwürdig daß dieß, diese Geistes Wahrnehmung, diese
Lebens
Empfindung dem Menschen leichter viel leichter in dem Klei-
nen
und Wenigen als in dem Großen und Vielen wird. Ich ge-
dachte des
Vaters welcher sein Kind hoch dadurch beglückte als er ihm
vom
muschelreichen Seeufer ein Paar farbige glänzende
Muscheln
mitbrachte, als er aber um es recht hoch zu erfreuen,
das Kind selbst
zum muschelreichen Meerufer führte, dieß nur
Übersättigung, Leere
Langeweile ja Überdruß bewirkte.- Wie so oft
habe ich dieß unter
Euch und mit Euch, wie so oft haben wir dieß
gemeinsam empfunden
O! wie so tief, geistig tief begründet ist
der Ausspruch
den Armen ist das
Himmelreich
die an äußeren Gütern ärmsten können die an geistigen
Gütern
Reichsten seyn
O! die Erforschung dessen was
uns und andere reich macht ist noch we-
nig bearbeitetes,
wenigstens wenig durcharbeitetes Feld.
Als ich wenig sehr
wenig reichte ja ich darf es sagen da machte ich viele
und oft
sehr glücklich und reich, da ich dagegen viel, da ich das Höchste das
Beste <aus / von> dem
was ich besaß, <da ich es>
reichte, da wurde es um mich kalt,
leer ja ich muß sagen arm, oft
um so ärmer als ich Bedeutsam-
keit und Fülle reich machen
wollte. Ja groß und klein, alt und jung
alle im lieben Keilhau
die Ihr durch Gaben, welcher Natur sie auch /
[2R]
immer
seyen glücklich machen, glücklich werden wollt merket Euch
nicht
nur die Erzählung der Muschelgeschenke, beachtet nicht nur
die Erfahrungen
die tief ergreifenden Lebenserfahrungen Eures
väterlichen Freundes, son-
dern laßt Euch durch das alles und
Eure eigenen Lebenserfahrungen
zur Lösung der Frage hinführen; -
wie wird der Mensch durch
Gaben wahrhaft glücklich und welche
Gaben machen ihn glücklich
wie macht der Mensch durch Gaben
wahrhaft glücklich ja seelig und
durch welche Gaben und durch
welches Geben erreicht er dieses?-
--- Ich gedachte ferner der
Gabe welche die Menschheit in dieser
Nacht in dem Kinde Jesu
em-
pfangen und wie sie es em-
pfangen habe; ich hatte
ge-
wünscht daß dieser Gedanke,
ihn aus und
durchzudenken
den Schlaf verscheuchen möchte
doch - ich
entschlief --
Es schlug 6 Uhr und ich
erwachte. Wie
gestern meine letzten
Gedanken bey und
mit Euch gewesen waren, so waren
es jetzt
gleich wieder meine ersten.
Alle sind sie jetzt in Keilhau
nun
wach sagte ich mir, die einen er-
wartungsvoll der Gaben
die sie
empfangen werden, die anderen
erwartungsvoll wie die
Gaben von jedem einzelnen empfangen
werden - denn so wenig es
auch sey so wußte ich doch jedem wird
etwas gereicht, jeder
empfängt etwas! Anders war es in mir und
um mich, denn ich hatte
nichts zu empfangen wie ich nichts zu geben hatte
indem auch
nicht eine von den kleinen Gaben die zum Theil doch schon
früh
genug bestellt hatte angekommen war. Ich war unschlüssig ob
ich
etwas darüber sagen wollte oder nicht, doch entschied ich für
das
letzte denn dachte ich: - was und wie du es auch sagst so
versteht
man dich doch nicht oder will dich nicht verstehen und
so schwieg
ich.
Die sorgliche Hausmutter hatte uns nach
schweizerischer Weise Birnwecken
nach deutscher Keilhauer Weise
die bekannten Brezeln gebacken und diese er-
warteten uns nun
beym gemeinschaftlichen Frühstück als Festgabe.
Doch bald
erschienen verschiedene Zöglinge aus der Stadt und brachten
allen
lehrenden Gliedern mir und der Hausmutter nach schweizer
Weise
sogenannte Honigkuchen runde Scheiben Lebkuchen ähnlich
von
6 Zoll an Durchmesser und 1 guten Zoll Dicke. Nun hatte so
der Tag
auch seine äußere Bedeutung seinen äußeren Charakter:
Gaben
wie Empfangen bekommen. Kurz vorher hatte ich ihm
seine
innere Bedeutung zu geben gesucht. Ich hatte uns alle,
was
ich bisher in Willisau noch nie ich muß wohl sagen
gewagt
hatte - ich hatte uns alle zu einer gemeinsamen
Festbetrach-
tung, welche ich vorlas - versammelt. Das
wiederkehrende /
[3]
(Regenwetter hatte nemlich uns
sämtlich verhindert in die fast 3 Stunden
weit entfernte
Evangelische Kirche - Hutwyl - zu gehen. Das Bedürf-
niß
kirchlicher, religiöser
gemeinsamer
Sammlung war wohl im
Kreise ganz allgemein und lebhaft und so
schien dieser erste Versuch
jedem willkommen und wurde mit Ruhe
und Sammlung so weit mir
es erkennbar war, aufgenommen. Der Tag
hatte nun auch seine innere
Weyhe und mir erschien es, als wirkte
es auf die Stimmung des ganzen
Tages über.-
Nach Tische
brachte eine Schülerin aus einem der nächsten
Thalgehöfte
außerhalb dem Städtchen dem allgemeinen ein
Christkindchen
wie sie sagte bestehend aus Honigkuchen,
Birnwecken und gebrann-
ten Wasser, wie alles dieß Schweizersitte
ist. Nun wurden auch
die Christtagsfreuden reger und lauter. Nach
dem Vieruhrbrot trat
der Männerchor das ist alle jungen Leute und
Lehrer des eigenen häuslichen
Kreises zu allgemeinem Gesange
zusammen und gar manche der schönen
Gesänge aus dem Orpheus
u.s.w. die Euch alle bekannt sind wurden ge-
sungen und so wurden
wir alle recht in unser altes Keilhau und dessen
sinnigen stillen
eigenen Leben versetzt. So wurde denn auch beschlossen
Abends
nach Tische das alte bekannte Festtagsspiel "Schimmel" zu
spielen.
An Äpfeln und Nüssen dazu fehlte es nicht der hand- und
fingerfertige
Ferdinand,
welcher schon kürzlich ein Schachspiel geschnitzt hatte,
schnitzte
und bezeichnete uns schnell die Würfel und
geschriebenen Wörter
mußten uns die mangelten [sc.: mangelnden]
Bilder ersetzen. So ausgerüstet wurde
froh bis gegen Mitternacht
gespielt. Zwey große zu einem großen
Gevierttisch durch
Zusammenstellung der Längsseiten gebildet, ver-
einigten uns
schön zu einem Ganzen die Hausmutter und ich wir alle
spielten
schön zusammen. Ich hatte so Ursache mich mehrseitig den
heutigen
Festtagserscheinungen selbst herab bis zum frohen
freudigen gemein-
samen Spiele zu erfreuen. Und so schieden wir
froh und freudig
jeder zur Ruhe.-
Der zweite Festtag
begann wie der erste. Leicht versammelten wir
uns alle zu
gemeinsamer religiöser Betrachtung desselben da uns
gemeinsame
kirchliche Feyer nicht vergönnt war.
Franken-
berg und
Langguth hatten sie in der Stadtkirche gesucht,
waren
aber ebenso wenig befriedigt worden als in der Mette in
der
Christnacht.
Unser
Emmerich
war es welcher uns heute erbaute. Der Text war
Luc. 2 13-14 der
Lobgesang der Engel: "Ehre sey Gott in der Höhe" und
er zeigte
uns nun, daß wir dadurch wüßten "Himmel und Erde sind
ein
versöhntes Ganze", denn /
[3R]
in der höhern Geisteswelt
wird Sorge für uns getragen. Dieß zeigt
uns das Herabkommen des
Heilandes
in der höheren Geisterwelt ist Freude über Heil der
Menschen: dieß
lehrt uns der Lobgesang der himmlischen
Heerschaaren.
Auch die Erde und unsre menschliche Natur vermag
das ewige und göttl[iche]
Leben in sich zu fassen und
darzustellen: dieß lehrt uns die Erscheinung
des Gottes Sohnes
auf Erden und mit menschlicher Natur bekleidet.
Was konnte uns
in all unsern Verhältnissen und in unserm Berufe
und Streben
willkommener und beruhigender ja erhebender seyn
als der Gedanke
die Wahrheit welche uns diese Betrachtung ans Herz legte.
Und so
schien sie denn auch wirklich allgemein erhebend und sammelnd
zu
wirken und dem ganzen übrigen Tag wieder einen
Festtags-
charakter zu geben. Überdieß war heute ein schöner
sonniger und
wahrer Frühlingstag - es war am 2en Weyhnachtstag - wir
machten einen Spaziergang
nach einer der schönsten Anhöhen (Berge)
im Nordwesten des
Schlosses, wir: Frankenberg - Ferdinand - Karl
Titus, Anton und
ich, gingen erst nach Norden, wo wir eine
reizende Ansicht
unseres, Euch gewiß schon viel genannten Wasser-
falles, des
Falles der Wigger hatten. Der Fall war durch das
häufige
Regenwasser besonders groß und wie blitzende
Silberstreifen im
Sonnenglanz glänzten die verschiedenen
Wasserbänder um ihn her -
die Vögel hatten einen wahren
Frühlingsruf und selbst die so
hohen Berge wie die Rigi und der
Pilatus waren fast schneelos.
Nun zog sich der Weg bald
durch dichten Wald ähnlich wie auf dem
Dissau, aber statt
Kiefern hier Tannen und Fichten von
beträchtlicher Höhe und Um-
fang zur Rechten und zur Linken, der
Waldboden wie ein
grüner sammtner Teppich von dem frischesten
grünen Brom-
beerlaub wie mit frischem Weinlaub überranket.
So ging es auf unsere
sich uns zum
Ziele gesetzte Höhe - meine
Maasliebchen Höhe - dieselbe von der
ich schon einmal schrieb
wie wir Allwinens Geburtstag feyerten,
und von welcher
Euch
Barop
meine Festgrüße auf
Bergpalmenblättern mit-
bringen wird. Auch heut bewährt sich mir
der schöne Berg
frisch und lieblich blühende Maaslieblichen
Familien begrüßten
mich und jetzt blühen so mir Eure Festgrüße in
den Fenstern
es sind die Maasliebchen von welchen ich Euch am
Eingang dieses
Briefs schrieb. Und alle die vielen und schönen
Maasliebchen-
stöcke welche ich <ja / je> von Euch in
Keilhau bekommen habe blühen
mir von neuem in denselben auf und
entgegen.- /
[4]
Diese lieben Blumen und die vielfachen
lieblichen Gaben und sinnvollen Geschen-
ke durch die dieselben
hatte mir der gestrige Tag recht lebhaft ins Gedächt-
niß zurück
gerufen. Ich habe nemlich vorhin oben durch
Besuchsunter-
brechungen vergessen, Euch meine Feyer des hohen
gestrigen Festtags
und [sc.:
und]
nach der Festbetrach-
tung
und zwischen
dieser und dem
Vieruhrbrod zu-
beschreiben
und
der vielen Gaben und Geschenke zu
beschreibengedenken welche ich dann
noch von Euch empfing.
Es war nemlich am ersten Festtag, weil er
auf
den Mittwoch fiel unser Posttag. Doch aber eben
weil es
strenger Festtag war wurden die Briefe
erst nach der Kirche
welche erst gegen 11 Uhr beendigt war ausgegeben.
Von Euch das
wußte ich da konnte ich keinen Brief erwarten; auch
sonst durfte
ich keine Ewartungen heegen; aber einen Brief, ein Fest-
geschenk
empfing ich doch es war ein Brief von unsern Gesandten
Barop aus Freyburg im Breisgau
vom 20
en des Christmonats, kurz vor
seiner
Weiterreise nach Carlsruhe und Heidelberg
ge-
schrieben. Dieser Brief nun war mir schon an sich eine wahre
Fest-
gabe auch seinem sonstigen Inhalte nach sehr wert,
besonders wegen
der Bestätigung von Barops sich befestigten
Gesundheit, so daß ich gar
nicht sagen kann wie lieb mir dieser
Brief war. Dieser Brief vom
treuen Barop war mir wie ein
thautropfenheller Diamant in der
Einfassung des Tages, da aber
weder das Schöne noch das Gute gern
allein steht sondern jemehr
es schön und gut ist um so mehr das Gute
und Schöne um sich her
versammelt und so sollte denn auch der heutige
Tag und diese
ganze Festzeit eine rechte Zeit der Versammlung hoher Fest-
gaben
um mich seyn und was war nun natürlicher als daß ich alle
Fest-
und Christgaben früherer Zeiten und so zunächst die Fest- und
Christ-
gaben des vorigen Christfestes, des letzteren vielleicht
für immer
des letzten Christfestes in Keilhau hervorsuchte und so
vor allem
mit der Lesung des vieldeutigen und vielsinnigen
Festgeschenkes vorigen
Jahres, des
FestJahres 1831 begann; wozu sich mir bisher
immer
noch keine ruhige Zeit gefunden hatte.
Frankenberg theilt,
schätzt
und liebt unser Leben, trägt es pflegend und fortrankend
in sich wie
ich keinen weiter kenne und was war natürlich daß ich
ihm der
so gern und so treu das Leben theilt, auch gern die
Freude mit ihm
theilte welche die verschönte - (den[n] der
Widerspiegel verschönt ja
immer alles) Darstellung des schon an
sich so schönen und lieblichen Fest-
jahres mir wiederkehrend
brachte; denn getheilte Freude ist ja
verdoppelte Freude. Und so
theilte ich ihm neben mir sitzend Bogen
für Bogen des Festjahres
mit wie ich solche gelesen hatte, und das
tiefe Atmen aus
gehobener Brust beym Lesen zeigte mir daß ich /
[4R]
das
was ich gegeben hatte keinem Antheilnehmenden
mitgetheilt
hatte.
Nach Tische knüpfte sich daran der
Wunsch auch die anderen Fest-
gaben und Geschenke der Keilhauer
Söhne und Töchter zu sehen. Ich
hielt es für gut hier mit den
ältesten zu beginnen welche ich von
dieser Art und Allgemeinheit
hier hatte. Es waren dieß die
Gaben der Farben und der Formen und
die Briefe welche ich in
Frankfurt a/m 1831 empfangen hatte als
ich vergeblich in Keilhau
erwartet worden war.
Die
Betrachtung dieser schönen Gaben na[h]men nun den Nachmittag
bis
zum Vieruhrbrot ein und die schönen Farbengebilde mußten
doch
wegen Dunkelheit bis zum folgenden Tage zum großen Theil
verspart
werden.
Dieß also noch zur wesentlichen Ausfüllung der reichen
und vielge-
benden Feyer des ersten Christfestes.
Nun
fahre ich in der Beschreibung der Feyer des zweiten
Christfestes
fort wo ich oben geblieben bin.
Unter
vielfach verschlungenen Blumengesprächen mit Frankenberg
wurde
nun von der Maasliebchenhöhe zur Eichenhöhe, dem schein-
baren
Spitzberge des hiesigen Thales (von unseren Fenstern nach
Westen
zu geschaut) gestiegen, von da zurück ins Thal und her-
auf in's
nun bald heimatliche Schloß.
Hier wurde da begonnen wo gestern
aufgehört
worden war mit Betrachtung und Vorführung der früheren
Geschenk-
und besonders Christgaben in Farben und Formen. Titus
er-
klärte viele mit dem Beysatz: - ["]Der oder
diese hat sich dabey
viele Mühe gegeben". Und wie freute es
mich dieser Zeugschaft
daß sich meine geliebten Kinder bey
Geschenken für mich ihren
treu sorgenden Vater auch sorgliche
Mühe gegeben hatten.
Andere begleitete Titus wieder mit den
Worten: ["]Der oder
die macht seine Sache jetzt viel
schöner" Wie freute auch dieses
wieder denn ein braver Sohn
eine <wache / wacke[re]> liebe Tochter bleibt
nie stille
stehen. Noch sagte er dieser hat mich
gesagt gefragt
Sage was würdest du
thun würdest du die Farbenübungen noch
einmal beginnen und da ich
ja sagte, gleich hat er frisch be-
gonnen und ist schon wieder
wacker fortgeschritten. Was
konnte mir erfreulicher seyn als zu
vernehmen wie der
junge Freund gern den Rath des wenn auch wenig
älteren
doch in der oder jener Sache erfahreneren Freundes
höret
und ihm rüstig und ohne Zaudern und mit Ausdauer
folgt.
Solches Handeln führt einst zur Erreichung des schönen
Menschheits Zieles nach dem
wir alle streben. Sehet so und hier
die Richtung die Größe und die Bedeutung meiner dießjährigen
Christgaben, /
[5]
wir ja alle streben.- Sehet so und
hier die Richtung, die Größe und
die Bedeutung meiner
dießjährigen Christgaben [2x]. Der Christgaben
abermals wenn Ihr
auch gar nichts davon wußtet von und durch Euch.
Ihr könnet
daraus, wir alle können daraus die tröstliche und
beruhigende
Erfahrung abnehmen: daß wenn auch unsere Handlungen,
die Ergebnisse,
Früchte unserer Gesinnung unseres Denkens in der
Zeit ihrer Erzeugung
und lange noch gleichsam vergessen
erscheinen, dennoch eine Zeit kommt,
wo sie dann um so schöner
ihre Anerkenntniß und nun ihre um so eingrei-
fendere
fortbildende Wirkung im Leben erhalten.
Nun zurück zur Feyer
des zweyten Festtages: Wir kamen früher als
wir erwarteten von
unserm Spatziergang zurück, und noch war Zeit bis
zum
Vieruhrbrod. Es wurden dafür die gestern Abend wegen Dunkelheit
zurück-
gelassenen Farbengebilde in ihrer Schönheit zuerst
betrachtet, und dann zur
Wiederbetrachtung der Gaben des
Weyhnachtsfestes 1831 fortgeschritten. Doch
auch hier setzte die
einbrechende Dunkelheit und das aufgetragene Vieruhr-
brot wieder
die nothwendige Grenze.- Nach dem Vieruhrbrot erfreuten
uns
unsere Euch oben namentlich vorgeführten Musiker wieder mit
ihren
musikalischen Darstellungen. Unsern alten ehrwürdigen, aber
noch sehr
jugendlichen Herrn
Sextar Hecht hatte Ferdinand dazu
heraufgeholt, weil
er Musik sehr liebt, uns dabey
dur gleich vom ersten Anfange an
durch viele
Gefälligkeiten sehr unterstützt und längst gewünscht
hatte, wie schon früher
wieder an einer musikalischen
Unterhaltung Antheil zu nehmen. Mehrere
der Zuhörenden
beschäftigten sich mit Bret[t]spielen. Herr
Frankenberg der mich
gehörig
in die Enge getrieben hatte machte mich endlich matt nachdem ich
vorher
geglaubt hatte ihn zu besiegen würde mir keine zu schwere
Aufgabe seyn. Es
ist mir dieß, so mußte ich mir gestehen, oft im
Spiel wie im Leben geschehen;
nie sollte der Mensch eine
Entgegnung zu gering und zu schwach, zu leicht
zu beseitigen
achten. Eine Vernachlässigung von unserer Seite schwächt
uns
stärkt überdieß die Entgegnung, und oft kann darum durch
doppelt und
dreyfach entwickelte Kraftanstrengung das
Vernachlässigte wieder gut ge-
macht werden. Unsere Erziehung und
Ausbildung für das Leben ist noch
furchtbar einseitig und
getrennt, noch immer will sich Geist und Körper,
Körper und
Geist, That und Einsicht, Einsicht und That schwierig zu
einem
Leib zu einem Leben durchdringen und doch ist dieß die
höchste Aufgabe
fürs Leben, denn auch die klarste Hinstellung der
Einzelthat kann ohne minde-
stens die Ahnung des Zusammenhangs
mit dem Ganzen nach und auf der
jetzigen Stufe der
Menschheitsentwicklung, etwas wesentliches fördern
ebenso wie der
schönst
e bearbeite[te] Baustein nur
dann wahrhaft nützt wenn
er mit Übersicht des Baues an der
richtigen Stelle eingefügt wird, oder
der bestgezogene Baum nur
dann die meisten und besten Früchte bringt und
die schönste
Zierde der Pflanzung wird, wenn er seine rechte Stelle erhält.- /
[5R]
Mittheilungen von unserm würdigen Greis zeigten mir
wieder wie so noth-
wendig es bey einem Streben wie das meine und
unsere sey, sich von
Einzelzwecken und vor allem von politischen
und überhaupt Meinungsparthei-
ungen frey zu enthalten, sonst ist
an gar keine sich stetig fortentwickelnde
Wirksamkeit zu denken.-
Der Abend wurde von der Gemeinsamkeit
d.h. die Zeit nach dem
Abendtisch wieder zum Schimmelspiel bestimmt.
Karlhatte heut die
Gesellschaft mit kunstreich gemalten Blättern dazu beschenkt;
der
Schimmel sprang in so zierlichen Setzung der Füße und Haltung des
ganzen
Körpers daß man meinte er sey bey einem französischen
Tanzmeister
in die Stunde gegangen.
Ich hatte mich gleich
vom Anfang des Spieles heute davon losgesagt, es
war ja der
26
Decbr und so wollte ich mich recht mit Muße der
Beachtung der
heutigen totalen Mondfinsterniß hingeben. Es war
der bestimmte Gedan-
ke welcher mich lebhaft dazu antrieb war:
daß unsere Blicke jetzt zu
einer Zeit an und auf einem Gegenstand
sich begegneten, daß gleiche
Beobachtungen also in gewißer
Beziehung immer verwandte Gedanken uns
zu gleicher Zeit
beschäftigten; es war doch etwas tief erregendes und
hoch
erhebendes den doch nicht ganz kleinen Weltenkörper in
seiner grünlich
gelbrötlichbraunen durchscheinenden Färbung als
vollkommene Kugel
im Weltenraume schwimmen zu sehen. Wie freute
ich mich gleiche
Anschauungen bey Euch zu wissen gleiche
Empfindungen Gefühle und Gedan-
ken in Euch zu ahnen, mit Euch
gemeinsam gegen das Schützthal zwischen
den Dissau und Uhu, mehr
jedoch eigentlich gegen und über den Uhu zu schauen.
Auch die
Eurer Aller stets in Liebe und Sehnen gedenkend sprach aus:
Wäre
es doch öfterer im Leben wo der Mensch mit den
entfernten
Befreundeten in gleicher Zeit denselben betrachtenden
Gegenstand
habe!- Aber kann dieß der Mensch wenn er nur fest und
treu
in Vorsätzen ist nicht zum öfteren haben? bietet der Himmel
in
seinen leuchtenden festen Erscheinungen nicht Gelegenheit
genug da-
zu dar?- O! der Mensch ist viel reicher als er wähnt
wenn er
nur in der Beachtung des Kleinen sorgsam und in der
Zeitanwendung
treu ist und sorglich wahrnimmt die Wirkung der
äußern Erscheinung auf das
innere Leben. Auch die Blicke unseres
Reisenden,
Barops, nun schon
nahe
dem mütterlichen Hause hatten wohl wie seine Gedanken an
diesem Abend
und in dieser Nacht mit uns oft einen und
ebendemselben Gegenstand.-
Der nun gekommene Freytag der 27
e hatte für
Frankenberg und mich mit
den beyden
letztverflossenen Tagen am Vormittag noch gleichen Gegen-
stand
der Beschäftigung, theils die Lesung des Festjahres, theils die
Betrach-
tung der Festgaben.-
Das schöne Wetter rief am
Nachmittag wieder mehrere zu einem
größeren Spatziergang ins
Freye. Frankenberg, Ferdinand, Titus, ich /
[6]
und unsere
drey Euch nun schon zum öftern genannten Zöglinge Anton
(Brunner)
Heinrich (Weber) und Georg (Rüegger) gingen zu der Euch
auch nun schon
vielbekannten Alpe:
Oberlehen, wo wir
nach 2½ bis 2 3/4 Stunden wohl höher
und mehr über der
Meeresfläche erhaben waren als auf allen Bergen
welche wir bisher
in Deutschland gemeinsam bestiegen haben; höher als
auf dem
Inselsberg,
Bl Brocken und den Bergen
des Fichtelgebirges. Ob-
gleich die Aussicht nach den
Schneebergen des Berneroberlandes, nach der
Euch nun auch schon
oft genug genannten Jungfrau, dem Mönch, der Eiger
der Vischer
oder Wilscher und den Wetterhörnern (von Westen aus
gegangen)
sehr hinter Grau verschleyert war so war doch die
Aussicht von
Südsüdost bis Nordost, also zwischen dem
Pilatus und der
Rigi und
von da bis zum hohen Sentis (im
Appenzellerlande?) um so schöner
der verschiedene Stand der
Sonne, die verschiedene Lichtbrechung
zeigt die hohen Alpen und
Schneeberge immer in neuer Gestalt und so
oft man sie siehet
immer zeigen sie Neues. Ihr könnt Euch dieß recht
deutlich
vorstellen, denn unsere in ihren Formen und Abwechselungen
so
einfachen Hügel und Anhöhen um Keilhau und selbst unser
so
einfach geformter Thüringer Wald, welche Abwechselung und
Ver-
schiedenheit zeigt er doch in verschiedenen Jahreszeiten bey
ver-
schiedenen Lichtbrechungen!- Wie vielmehr also die so
wunder-
bar und vielgestaltigen hohen Schweizer Alpen!- Heute
zeigte
sich mir der Glärnisch an der Grenze von Schwiz und im
Kanton
Glarus (?) in seiner halbmondförmigen Gestalt so schön
und
klar wie ich noch nie gesehen hatte. In Südost bemerkte ich
eine schnee-
weiße fast senkrechte und wa[a]grechtrückige
Bergwand - Ferdi-
nand sagte sie hieße die Scheibe. Ob es uns
gleich wegen Verspätung
nicht möglich geworden war bis zur
höchsten Höhe zum Kreuz
hinter Oberlehen zu gelangen, so kehrten
wir doch befriedigt zu-
rück. Was sagt ihr dazu daß wir in
solcher Höhe am 3
en Weyh-
nachtsfest
Schaafe im Freyen auf der Weide
trafen?-
Auf dem Rückweg drängte sich noch der Mond hinter
dunkeln Wolken
zur [sc.: zum] freundlichen Gruß und gleichsam zum
Dank für seine gestrige
treue Beachtung feuerleuchtend
hervor.
Abends nach Tische war zu einer Generalprobe der
Glokke von
Schillerund
Romberg, welche jetzt eingeübt wird, bestimmt. Vor
und nach-
her wurde nach allgemeiner Beystimmung
Dudens
Reisebericht
vorzulesen begonnen. Wir haben das Buch von dem
Vater einer unserer
Zöglinge, dem Schlosser Steiner nebst einer
sehr schönen Generalkarte
der vereinigten Nordamerikanischen
Staaten und 3 Spezialkarten
sämtlich in
Waimar erschienen - bekommen. Dieser Mann
beschäftigt sich
viel mit Übersiedelung nach Nordamerika, man
sagt er würde sie ernstlich schon /
[6R]
ausgeführt haben
wenn ihn nicht die Ausführung der hiesigen Erziehungsanstalt
und
die ihm dadurch möglich gewordene Erziehung seiner noch
jüngeren
Kinder davon abgehalten hätte. Man sieht dadurch doch
daß das Erziehungs
Interesse auch den einfachsten Mann mit
unverdorbenen [sc.: unverdorbenem] natürlich[em] Verstande
zu
erfassen im Stande ist.-
Dudens Reisebericht ist sehr anziehend geschrieben,
bekommt Ihr ihn einmal zu
lesen so zweifle ich nicht er wird Euch
ma[n]chen angenehmen Abend ver-
schaffen, wenn es Euch auch garad
[sc.:gerade] nicht wie unserm
Frankenberg gehen
sollte welcher das Leben
lieber gleich in Amerika selbst lebte als uns hier
die
Beschreibung davon vorzulesen. Wir sind jedoch in der
Beschreibung
erst bis zu Seite 66 vorgeschritten. Ihr werdet Euch
vielleicht wundern
warum ich Euch dieß so weitläufig schreibe
einmal weil ich denke es
mögte Euch doch lieb seyn zu wissen
welcher Gegenstand der Unterhaltung im Kreise
das mehr allgemeine
Interesse habe, dann weil ich denke
Barop lieset doch später wohl
auch diesen Brief. So wurde der dritte
Festtag verlebt.
Sonnabends trennten die Einzelbeschäftigungen schon wieder mehr.
Ich
setzte mich einen Plan zur Ausführung des
Armenerziehungswesens in
dem nächst gelegenen bernschen Amte
Trachselwald, für unsern
Herrn
Pfarrer Stähli in Huttwyl nieder zu schreiben.
Huttwyl
liegt nämlich im Amte Trachselwald. Späte Nachmitternacht
wurde
ich Sonnabends oder vielmehr schon Sonntags damit fertig;
ich war
so eifrig im Beendigen des Ganzen weil ich hoffte
{nächsten Sonntag / den morgenden[}]
das Ganze zu überbringen,
doch das schlechte
Wetter hielt uns wieder vom Kirchgang
zurück.
Die Feyer des Sonntags nach Weyhnachten.- Nach dem
Frühstücke
versammelte ich durch unsern Emmerich wie an den Festtagen wie-
der alle
zu gemeinsamer Betrachtung in unserer Wohnstube[.]
Durch ein
Morgengebet von
Witschel hatten
wir uns gesammelt zu der Betrach-
tung über Lucas: 2.41.
"Wisset Ihr nicht daß ich seyn muß in dem was
meines
Vaters ist" die Betrachtung selbst zeigte nun:
die Wohnungen
unseres Vaters findet der
Fromme 1. in den Tempeln, die der Gemeinschaft
der Gläubigen
gewidmet sind; er findet sie 2. in der stillen Kammer der
ein-
samen Andacht, 3) in dem großen Tempel der Natur 4) an
jeglichem
Orte wohin sein Beruf ihn fordert und endlich 5 im
häuslichen freundschaft-
lichen Kreise. Denn weil der Keim der
Unendlichkeit in jeder wahren
Liebe verborgen ist, so ist auch
der Unendliche nahe den liebenden Herzen.-
So vorbereitet und
mit diesen Gesinnungen begann ich diesen Brief an Euch
in diesen
Gesinnungen lebte ich ihn und schrieb ihn an Euch; damit unser Leben
obgleich
durch Raumesstrecken getrennt doch im Geiste und durch
den Geist ein einziges bleibe
und Ihr
so wirklich einige Tage meines
hiesigen Lebens mit mir und uns verlebtet.
Heute /
[7]
Es sind dieß
überdieß die letzten Tage eines gewiß sehr folgenreichen
Jahres.
Heute da ich das Vorstehende niederschrieb ist Mondtag
der 30
en des Christmonats schon geht es wieder gegen
Mitternacht
denn am Abend las uns
Frankenberg wieder aus
Dudens Reise-
bericht wo wir bis zu der oben
bezeichneten Stelle kamen. Heute
während des Tages hatten wir von
8½ Morgens bis 7 Uhr Abend
vollständigen Unterricht; morgen sogar
haben wir wieder eben-
falls von Morgens 8½ Uhr bis 4 Uhr
Nachmittags Unterricht. Ihr
sehet daß hier das Leben in mancher
Beziehung noch strenger als bey Euch
ist, so hatten wir am
Christfestheiligen Abend ebenfalls bis 4 Uhr
Nachmittags vollen
Unterricht. Doch Gott sey Dank wir Lehrenden waren
wäh[rend]
dieser 3/4 Jahre hier fast durchweg gesund; ich, wenn
auch
sehr ermattet doch nie eigentlich krank. Was hätte wohl auch
wer-
den sollen wenn Gott mich auf mehrere Tage oder gar Wochen
auf
das Krankenbett gelegt hätte?- Nochmals darum: Ihm sey Dank
und
Preis daß es nicht geschahe!- Gott sey Preis und Dank! der
auch Euch
allen zu Eurem schweren Lebensberufe im Ganzen so viele
Gesund-
heit, so viel Körper- und besonders Geisteskraft
gab.-
Von dem außerhäuslichen
Leben und Stehen kann ich Euch gar nichts
neues sagen; alles
steht noch so wie Ihr es aus den jüngsten
Mitteilungen von mir
und besonders von Barop kennen werdet.
Nur eine Äußerung ist
es, wenige Zeilen sind es, (auch Barop
kennt sie natürlich noch
nicht) welche der wohlerfahrene aufrichtige
Schweizer Bote in
seiner 52sten No. Donnerstag am 26en Decbr
1833 unter der Überschrift
"-Ein Rückblick auf die Begeben-
heiten des
Jahres 1833 im eidgenössischen Vaterlande bey Vorfüh-
rung
der Begebenheiten im Christmonat["] enthält, es heißt
daselbst
"Luzern's Großer
Rath rettet die Glaubensfreyheit
"durch Erhaltung des Fröbelschen
Instituts."
Mich dünkt der
schönste Denkstein meiner Übersiedelung aus
Deutschland
nach der Schweiz, aus Keilhau nach Willisau und der
schönste
würdigste Schlußstein meines
(seit 1816 9br 13) 17en Erziehungs
Jahres,
des Jahres 1833.
---x---
[8]
Der
Neujahrstag
wie er von uns hier in Willisau
verlebt worden ist, werdet
Ihr gewiß vernehmen wollen, Hier habt
Ihr eine Skizze desselben[.]-
Der gewaltige Sturm welcher nun
seit fast Monaten abwechselnd
Regen hier, wie gewiß auch bey Euch
geherrscht hat, besonders wäh-
rend der Nacht und am Morgen hielt
uns heute abermals ab die
Kirche in Hutwyl zu besuchen. Es gieng,
wie des Sonntags gewöhnl[ich]
später zum Frühstück, was mir sehr
lieb ist, weil ich gern am Sonntag
Morgen meiner stillen ganz
ungestörten Sammlung lebe. Unsre ka-
tholischen Hausgenossen
frühstücken schon früher weil sie ziemlich frühe
zur Kirche und
Messe gehen. Ehe wir uns heute zur gemeinsamen Betrach-
tung
sammeln konnten war jedoch die Stadtkirche schon zu Ende ein
benachbarter
der Anstalt wohlgesinnter Müller besuchte uns, und
katholische Hausgenossen
waren auch zurück gekehrt. Nach
Beendigung des Besuches fand sich alles bald zur
Betrachtung
zusammen auch der älteste unserer Zöglinge blieb dabey
gegenwärtig.
Ich begann mit einem Neujahrsgebet aus dem
Witschel, woran sich eine
Neujahr-
betrachtung aus [sc.: von] unserm {Witschel /
Emmerich} knüpfte Text: 1 Corinther
3,21-23[.] Er zeigte wie
das Loos des ächten Christen, bey dem
welcher durch Christus Gottes
geworden ist, und durch diese
Vereinigung mit Gott in Jesu Christo das ewige
unwandelbare Leben
schon hier in der Zeit empfangen hat. Er ist nicht mehr Skla-
ve
der Zeit, sondern die Zeit muß ihm dienen, es ist nach dem
Ausdruck
des Apostels, Alles seyn es sey Gegenwärtiges oder
Zukünftiges, es sey das Leben
oder der Tod, es ist Alles sey[n],
denn die Zeit kann ihm 1) nichts Anders brin-
gen als Seegnungen,
sie kann ihm 2) nichts Anders bringen als
Seegnungen was er schon jetzt will, und
muß seinen Willen
ins Werk setzen und vollenden; sie kann endlich
3) seinen Frie[-]
den nicht stören, sondern muß nur dazu dienen
diesen Frie-
den zu befestigen und zu vermehren. Ungestört war
die Betrachtung.
Bis zu Tische und die Stunden nach dem
Mittagstisch widmete ich dem
Lesen des Festjahres 1831. Ich stand
bey meiner Reise nach Frankfurt den Schwie-
rigkeiten welchen der
Hochzeit Emilien u Barops sich entgegengestellt hatten
ich
erkannte Mdff [sc.: Middendorffs] dabey ausgesprochenen
Lebensansichten wahr und freute
mich daß auch der Erfoll
[sc.: Erfolg] sie Gott sey Dank gerechtfertigt hat. Besonders ist es
wohl
höchst wichtig den dort wiederkehrenden Satz viel im Leben
klar zu machen und
lebenvoll ins Leben einzuführen: daß der
Mangel oder vielmehr das Vor-
enthalten äußerer Mittel nicht als
eine Weisung der Vorsehung angesehen
werden soll, als die
Ausführung des völlig Wahr erkannten ganz unter-
bleiben, sondern
vielmehr de zur Mahnung der
mangelnden äußern Mittel
gänzlich zu entsagen und die Bedingungen
dazu durch innere Kraft zu erringen.-
Zwischen 3 und 4 Uhr
begann das sehr lebendige Spiel der Lehrer und vieler
gegen[-]
wärtigen Zöglinge woran wie gewöhnlich auch einige
andere junge Leute aus dem Städt- /
[8R]
chen Antheil
nahmen. Mich fesselte der
Duden
über Amerika nach dem
Vieruhrbrot. Das gemeinsame Spiel dauerte
bis gegen 7 Uhr. Festgaben bildeten
unser sonst einfaches
Nachtbrot. Unser Bäcker hatte
nämlich zum Neujahr einen Butter-
oder Eierkringel geschickt und die
Tochter des Apothekers, auch
eine Pflegetochter hatte Mittags ein Päcklchen Schoko-
lade
gebracht; Beydes vereint war nun unser Nachtbrot; es wurde
heute
früh eingenommen und bald beendigt, denn schon - füllten sich
die
Zimmer wieder von Zöglingen, deren Eltern und Freunden der
An-
stalt, es wurde nemlich nachdem die ganze Gesellschaft
versammelt
war -
Schillers
Glocke von
Romberg - von den
musika-
li[s]chen Gliedern der Anstalt aufgeführt. Nach den
musikalischen
Kräften und Anlagen der Ausführenden, nach der Zeit
welche zu ihrer
Einübung hatte verwandt werden können, war die
Ausführung
recht gelungen und erwarb sich allgemeine
Zufriedenheit; man
war erfreut in so kurzer Zeit schon so viel an
den Zöglingen und durch
dieselben erreicht zu sehen.- Nun hätte
eigentlich Quartettmusik
folgen sollen doch der Violoncellist
hatte nicht erscheinen können. Zum
Ersatz spielte Herr
Gnüge mit einem seiner Schüler
ein Violinduett.
Vorher ließ
Ferdinand zweyen seiner Flötenspieler ein Duett
blasen
dann ließ er einen seiner Flötenspieler den besten das
bekannte Notturno
spielen wozu er die Guittare und Gnüge die
Viola spielte. Als dazu die
Vorbereitungen gemacht wurden trat
ich zufällig in das Nebenzimmer und
sieh ich sehe einen gedeckten
mit sogenannten Kringeln, Käse Brot und Wein
besetzten Tisch. Der
Vater mehrerer unserer Zöglinge, auch Vater des Flöten-
spielers,
Joseph Wechsler, Mitgründer der
Anstalt; hatte alles dieß
zur Erfrischung der Musiker gesandt.-
Mit dem Ende der Glocke
waren schon viele der Anwesenden
gegangen[.]- Im Ganzen können wohl
alles uns und die Kinder
eingeschlossen, über 60 Personen gegenwärtig
gewesen seyn. Nach
beendigtem Notturno ging alles, nur die Sänger
und Sängerinnen
und einige andere blieben so besonders der schenkende
Vater.
Jetzt wurde der besetzte Tisch in die Wohn-
ebengewesene
Musikstube getragen die Hausmutter hatte noch Äpfel
für die Kinder mit hinzugefügt;
alt und Jung darum
geordnet und eine
kleine Singtafel für das Männerchor
eingerichtet. Laut erschollen
nun frohe Gesellschaftslieder.
Freyheit die ich meine, das schöne Lied
machte einen gewissen
Abschluß, denn nun ging alles fort was nicht
zum Haus gehörte.
Die singende Hausgenossenschaft setzte sich nun
dichter um die
allgemeine Tafel. Ferdinand machte seinen Bas als Gesang
führend
geltend, und so rief erst die Mitternacht alle zur Ruhe.-
So
feyerten wir hier in Wilisau unser erstes Neujahr gebend und
em-
pfangend, geistiges gebend leibliches empfangend.- Ich hatte
in der Festzeit
mehrmals daran gedacht, einige Flaschen Wein für
die Lehrer kommen zu lassen; doch
[8V]
[Briefschluß am Rand:]
schien mir es der
ökonomische Stand nicht zu erlauben, und nun erschien es reichlicher
als ich es würde haben geben können.-