Schloß Burgdorf
am 16n Tage des Lilienmonats 1834,
Abends 9½ Uhr.
Euch allen meinen
Geliebten in Keilhau meinen vollen Seelengruß
zuvor.
Eben komme ich von der Feyer eines
Abends eines Sonnenunterganges zurück den nicht nur ich Euch
nicht
beschreiben kann, sondern schwerlich auch ein
Anderer genügend würde beschreiben können. Schon der junge
Tag
erschien heut früh in einer Heitere und Frische wie sie nur den
höherliegenden Gegenden der Schweiz eigen ist, und
wie ich sie
bey uns besonders in Keilhau gar nicht kenne; als ich das Fenster zum
Morgengruß des Tages öffnete
blickten mir die pyramidalen Fels-
und Bergcolosse des Berner Oberlandes (Ihr kennt ihre Namen) in ihrem
Lilien-
gewande in einer solchen Klarheit und ich möchte sagen
fühligen Ruhe entgegen wie man sie auch in der Schweiz
selten
siehet. Dennoch mußte ich noch vor 6 in meinen Rittersaal
und erst 2 Stunden (6-8) dann wieder 3 Stunden (9-12)
und
Nachmittags wieder 3 Stunden (3-6) Unterricht geben; weil keiner
meiner Mitarbeiter heut anwesend sein konnte.
Mit welchem
sehnenden Herzen nun die Blicke der hehren Gestalten welche mir
dieselben durch die bekannten Burgfenster
entgegen und herein
winkten aufgenommen wurden könnt Ihr Euch wohl denken, wenn Ihr Euch
vorstellt, daß diese herr-
lichen Gestalten wenn auch viel viel
weiter, doch dem Auge so klar vorliegen, wie der Uhu oder der
Kirschberg
dem Auge im großen Lehrzimmer.-
Jetzt aber
schlug es Abends 6 Uhr. Schnell wurden nun noch der treuen, geliebten
Frau in Willisau Nachrichten von
mir und Eure jüngst erhaltenen
Briefe zugesandt und nun ging es zu der bekannten Anhöhe mit dem drey
mal
dreysäuligen Tempel mit seinen drey geeinten Rundbänken und
seiner Rundsicht nach dem Jura- nach der
Stadt und dem Schloß und
nach den Schneebergen des Berneroberlandes im Hintergrunde des hier
breit
geöffneten Emmathales [sc.: Emmethales]. Von der Schönheit
des Abends, von seiner Frische und Klarheit und doch von seiner
Milde
und Beseeltheit, von der Rosigen Umschleyerung der
Lilienberge und der und von der feurigen Glut welche in ihrer
goldenen
Pracht auf dem dunklen Jurawall ruhet und hinter
demselben heraus ströhmt,- davon laßt mich schweigen.
Nur einen
Gedanken laßt mich Euch mitteilen, den ich in meinem Leben sehr oft
gehabt, auch glaube ich Euch schon
ausgesprochen habe; daß ich
nemlich nicht begreife wie man uns immer von der Schönheit anderer
Welten über-
haupt des Himmels vorsprechen kann und mag, statt
uns für die unendlichen Schönheiten unserer Erde empfänglich
zu
machen und auszubilden. Ich weiß nicht und es wollte mir schon als
Knabe von gepriesenen Gedichten
nicht gefallen wie sich oft die
Dichter abmühen uns Schönheiten vorzumalen welche doch lang hinter
den einfachen
ruhigen Schönheiten unserer Erde zurück bleiben.
Ich denke immer und habe mir schon als Knabe gesagt:
wenn wir uns
nicht bemühen die Schönheiten unserer Erde recht wahrzunehmen und zu
empfinden, werden
wir auch nicht vollkommen geschickt werden die
Schönheiten eines kommenden Lebens zu erkennen zu empfinden.
Ich
denke dabei immer der Schule wer auf der untern Bank und in der
ersten Klasse nicht tüchtig lernt
ist auch ein Stümper in der
Folge.
Nach dieser Abendfeyer komme ich nun nach Hause und was
duftet mir entgegen was finde ich auf mein[em]
Tisch? - einen
reichen, reichen Blumenstrauß eine Nelkenfülle wie sie sich bey uns
nur auf das
seltenste findet. Blatt drängt sich hervor aus Blatt
und an Blatt auch der große starke Kelch ist kaum fähig sie alle zu
fassen,
Blume drängt sich hervor an Blume, jede an Farbenpracht,
Sammet und Schmelz die andere übertreffend, und dahinder
prangt
in in sanfteren ruhigeren Leben wie mit sanfteren Farben
die rötliche Leukoja mit ihrer hoffnungsfarbigen Mitte, und
die
Lilienweise beyde mit ihrem süßen Duft. Die Menge der übrigen Blumen,
so verschieden an Form als an Farbe,
sind gleichsam das Gefolge
nur um die Schönheit die innere und äußere, doch im Innern bedingte,
jener zu erhöhen.-
Doch ich will schweigen von meinen Blumen,
denn Ihr dagegen würdet mich zu Euren Stuben- und Fenstergärten
führen,
in den Verbindungsgarten, in den Garten vor dem Saale, zu
meiner Bank am Kolm unter der Linde, von welcher
Ihr mir schreibt
daß Baum- und Blumenfülle sie gleich froh umgeben und besonders in
Eure lieben und lieblichen
Gärten ihr geliebten Söhne und
Töchter, und jedes von Euch würde mir eine Blume zeigen, wenn sie mit
den meinen
meinen auch nicht an Fülle und Pracht doch [{]in /
an[}] einfacher Schönheit, Klarheit und reinem schön geordneten Leben
u.s.w.
wetteifern würde; ich wollte Euch dieß auch nur schreiben
um Euch zu zeigen und zu sagen, daß immer Stellver-
treter,
gleichsam Abgeordnete Eurer lieben Pfleglinge bey mir vor[-] und
einsprechen, mir Eure und Eurer Blumen
grüße [sc.: Grüße] bringen
und zwar auf eine ihrer und Eurer würdigen Weise.
Am 17n July. Ich habe am 12en
dieses meine Feyer des 11en an Euch mit der
Fahrpost abgeschickt; ich hoffe daß
sie bald nach diesem Briefe
bei Euch eintreffen wird; wenn ich nur nicht etwa durch eine
unbeobachtete Handlung die
Freude vernichtet habe.- Es lag
nemlich eine Flugschrift vom Buchhändler bey mir, ohne sie eigentlich
zu kennen
legte ich sie als eine Art Emballage dem Ganzen bey.
Später wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß man viel-
leicht
wegen diesen Blättern auf der Douane das ganze Packet unterschlagen
könnte, oder gar noch Euch durch die
Übersendung Unannehmlichkeit
zuziehen. Sollte nun das Packet nicht zur rechten Zeit bey Euch
ankommen, so erkundigt
Euch nach demselben und erkläret, daß die
Beylage ganz unschuldige Ursache habe. Hat man aber wirklich für ein
paar
Blätter jetzt so große Furcht, so vernichtet sie ja das
Feuer leicht, wenn sie wie ich hoffe mit dem Packet
wohlbehalten
zu Euch kommen.-
Heute habe ich von meiner
lieben Frau einige Zeilen aus Willisau 16en
bekommen, sie schreibt mir, indem ihr
Befinden leidlich sey,
würde sie mich in Begleitung Langethals künftigen Sonntag besuchen.
Sie wird dann
nach Umständen 8 Tage oder länger hier bei mir
bleiben; ich gönne ihr vom Grund meines Herzen die Erfrisch-
ung
an Geist und Körper, als Leib u Seele, die Erholung für Kopf und Herz
welche ihr der Aufenthalt in der
wirklich schönen Naturumgebung
gewähren wird.-
Weiter schreibt sie mir: "Herr pp
Kasimir Pfyffer hat uns vergangene Woche einen Besuch geschenkt;
er
"wohnte einigen Lehrstunden bey und auch - es war gegen Abend
- der Turnstunde. Selbst nach dieser ver-
"weilte er sich noch
ziemlich lang viel mit
Langethal, auch mit den andern Lehrern sprechend und
seine große
"Zufriedenheit ausdrückend indem er noch hinzufügte,
daß er alles, was er vermögte thun würde, die
"Anstalt zu halten
und zu heben."
Weiter schreibt meine Frau: "Herr D
r Hollmann aus Langenthal ist
seit gestern auch hier bey uns oder
vielmehr bey
Langguth - dessen Wünschen er
wohl auf alle Weise sich nachzukommen bemühet."--
Du Barop
kennst schon sein Betragen vom vorigen Jahre. Der Herr Dr Hollmann
kommt mir besonders wie
Micha-
elis, so wie das aller derer vor, welchen
man aus einer gewissen Theilnahme an ihren Lagen, die Hand
reichte.- /
[1R]
Hier in Burgdorf geht noch alles in
demselben frischen Geiste fort von welchem ich Euch schon in meinen
beyden
Briefen von hier aus schrieb. Genug, ich höre von allen
Seiten wie man zu sagen pflegt nur Liebes und Gutes,
d.h.
Zufriedenheit. Wir geben uns alle Mühe ohne uns Mühe geben zu wollen
d.h. es liegt in der Natur der Sache
das [sc.: , daß] alles
frisch ernst, froh u mit Leben getrieben wird. Die durchgreifende
lebendige Einheit - welche nachzuweisen
mir immer mehr alles
zufällig aber immer schlagend entgegen tritt, ergreift auch ihr Leben
und belebt und hebt es
immer mehr. Durch dieses freudige
gemeinsame Zusammenarbeiten ist freylich das Ergebnis des Cursus noch
nicht ge-
geben und bestimmt, denn wir schreiten nicht nur
langsam vorwärts, sondern das eigentliche Verständniß
der Sache
kann auch nur schwierig kommen, so oft es mir auch mit den bekannten
Worten "es bessert alle Tage"
versichert wird; doch ist doch
immer noch nicht nur freudige sondern auch gegründete Hoffnung; auch
das Ende werde
dem Anfange und dem Fortgange entsprechen.
Aber Du hast auch Recht.
Fellenberg scheint auch wirklich wie ein Goliath
aufzutreten, und wenn
ich auch
sonst
hinter dem David dem Dichter der - "Die Himmel erzählen die
Ehre Gottes" zurück stehend, so glaube ich ihm we-
nigstens
darinne zu gleichen, daß mich Fell[e]nb[er]gs Rüstung nicht schreckt,
ja daß vielmehr in meiner Beachtung we-
der sie noch
Herr Fellenberg selbst gar nicht da ist; d.h. in [sc.: ich] suche nur
täglich wie ich das Wahrste erkennend
auf die einfachste und
zugänglichste Weise in meinem Schullehrern wecke, nähre und
bilde[.]
Wie ich höre rüstet sich Fellenberg wirklich oder ist
vielmehr schon gerüstet, freylich nicht so wohl gegen mich als
gegen
das Erziehungsdepartement und
Langhans, mich treffen seine Schüsse und Kugeln nur,
weil ich ihm ein Organ
des Erziehungsdepartements erscheine.
Früher schon soll Fellenberg gesagt haben, daß er in dieser Sache den
Sieg
erringen wolle und wenn es ihm 100,000 Frken kosten solle.
Heute hörte ich er solle gesagt haben,- sein ganzes
Vermögen
würde er daran setzen in dieser Sache Sieger zu seyn. Und wirklich
soll ihm dieser Streit mit Lang-
hans oder vielmehr
gegen der Kampf gegen das
Erziehungsdepartement und Langhans 40.000 Frken kosten.
Denn er
läßt es nur allein in dieser Sache ungemein viele kleine Schriftchen
drucken und unentgeldlich vertheilen.
So soll er den Schnellschen
Bericht den Du Barop kennst unentlich viel verschicken und verteilen
und <Du> [sc.: zu ?] diesem Ende
schon die dritte Auflage
davon haben machen lassen.- Jetzt hat auch er wie ihr wißt einen
WiederholungsCurs
gegen 50 sind bey ihm.- Heute hörte ich
wiederholt daß er jedem der entfernten Schullehrern welche
besonders
Familie haben außer der freyen Station und freyen
Unterricht während des Cursus noch 4 bis 5 Thaler nemlich
10 bis
12 Frken
monatlich Unterstützung für dessen
Familie verabreichen soll.
Ich schrieb Euch doch letztlich von
einem Besuche des Herrn
Doctor phil: Gensler, jetzt
Lehrer bey Fellenberg. Von diesem
Besuche wenigstens von den
Gesinnungen welche diesem Besuche zum Grunde lagen habe ich jetzt
auch näheres gehört.-
Der Herr
Michaelis der mich kürzlich in Willisau, - nemlich
gerad in den Tagen wo ich von hier nach Willisau gegangen
war -
besuchte hat mir nachstehendes von Herrn Dr Gensler erzählt was ich
gleich mittheilen werde.- Herr Michaelis
ist nemlich noch immer
in
Aarau, aber in einer mit jedem Tage
mißlich werdender Lage, eigentlich ohne alle Mittel und
was das
übelste ist ohne alle Arbeit. In dieser wirklich verzweifelnden Lage
in welche er, wie er sich mir ausdrückt
nur von der Unterstützung
der Armer lebt hat er sich nun
wiederkehrend an Fellenberg persönlich, so wie von dort
nach Bern
gewand; von Bern aus abermals über Hofwyl kam er nun zu mir nach
Keilhau (ich habe es Euch doch
noch nicht
geschrieben?-) in der Absicht ihn als Preus[s]en in Bern,
hinsichtlich der Reinheit seiner Gesinnungen zu vertreten.
Im
Laufe der Mittheilungen erzählte er mir denn auch daß er den D
r phil. Gensler getroffen, daß dieser
ich glaube
bey Tisch über mich zu schimpfen begonnen[.]- Worauf
er Michaelis, wie er mir sagte dem D
r Gensler den
Mund gestopft
Worauf aber Fellenberg zu ihm dem He. Michaelis
sich fragend gewandt: Was ist denn zu diesem Manne, (nemlich
zu
mir) u.s.w. Genug fast unmittelbar darauf, ich glaube
sogleich, beehrte mich d[er] He. D
r phil. Gensler gehörig ge-
schmückt
mit besteinten goldenen Fingerringen und gleicher Busennadel, ich
weiß noch nicht warum? hier in Burg-
dorf. Zum guten Glück oder
Leider! war ich eben im Begriff nach Willisau zu gehen; genug! Ich
erfuhr nichts von
seinem eigentlichen Zweck des Besuches. Sehet
so verfahren die Herren
Doctoren philos. mit mir, und es
scheint
fast daß sie sich erst zu
Doctoren dieser
Art machen lassen um gleichsam ein Recht oder Beruf zu bekommen
gegen
mich aufzutreten oder später ihr früheres Betragen gegen
mich zu rechtfertigen; Wenn ich die beyden
jüngsten
Herrn
Doctor G. dazu rechne wieviel sind es
denn nun dieser Herren
Doctor[en] philos: die gleichsam
ihre
Doctoren Würde
an mir bewahren wollen und
wollten?- Es sind deren mit dem auf umstehender Seite genannte[n]
eine ominöse
Zahl nemlich 7.- Es ist zwar eigentlich nicht der
Mühe werth sich bey dieser Sache so lange aufzuhalten; allein
es
ist diese Zusammenstellung um der historischen Wahrheit und der
geschichtlichen Einheit willen wichtig.- Bey dem
He. Gensler sehe
ich doch wirklich warum er gegen mich und sogar schimpfend auftritt
keinen andern Grund als weil er
D
r philos: ist.- Denkt Euch nun: bey
diesen Gesinnungen im Herzen hatte D
r phil: G[e]nsler doch die Keckheit den
Ferdinand zu sich zu laden.
Von der
beabsichtigten politechnischen Schule in Frkfurt a/m hörte ich bey
dieser Gelegenheit durch Gensler, daß die Ausführung derselben erst
von österreichischen
Beschlüssen abhänge; was man dabey mit dem
Geiste unserer Lehrweise machen will verstehe ich nicht.-
In
Beziehung auf Herrn Michaelis muß ich noch erwähnen daß ich, als ich
seine verzweifelte, und verzweifelnde Lage
sahe, in
Beziehung Rücksicht auf eine frühere
briefliche Äußerung von Dir, Barop, und zugleich wirklich aus ächten
Gutmeynen
mit ihm ihm den Vorschlag that sich fragend nach
Keilhau zu wenden; aber da hätte mich Herr Michaelis im
Eifer
seiner Opposition bald verbrannt, wenn ich nicht eben sehr kaltblütig
gewesen wäre.- So sind die Herren.
Sie wenden sich wie
Clienten an ihre
Patrones und dennoch soll
man es sich zur Ehre schätzen sich nach ihrer Bestimmung zu
fügen.
So hat auch Michaelis seit wir uns jüngst in Willisau
sahen wieder hierher an mich geschrieben, Nennt mich -
["]ver-
ehrter Freund", und unterzeichnet sich: "mir von Herzen
ergeben["] u.s.w.
Langethal fiel
wie mir gleichzeitig
die große Ähnlichkeit im Betragen -
Lebenszuständen - und Redensarten mit
L. Bauer in
B- auf. In dieser frap-
panten Ähnlichkeit mag es
vielleicht seinen Grund haben, daß sie sich als sie in Keilhau waren
beyde einander nicht
leiden konnten. Eben so sind sie beyde jeder
in seinem Fache gleich kenntnißreich und gleich
strebend.-
Von meinen Schulmeistern muß ich noch sagen, daß
sie mich fast täglich an die von mir gewünschten Bücher: die
Erzieh-
ungskunst erinnern; - schon daraus geht hervor daß sie
viel in der Sache leben.- Die Bücher sind doch schon
abgegangen?
auch habt Ihr doch baldige Besorgung von dem
Spediteur gefordert?- Schreibt mir ß
deßhalb bald.-
Noch muß ich sagen, am 31
n d. M. wird der Jahrestag der Bernschen Verfassung
gefeyert und gefeuert werden.
Auch unsern Schullehrern wird ein
Fest gegeben werden; die ersten Bürger der Stadt werden sie mit in
ihren
Kreis ziehen selbst von der Behörde in Bern werde[n] ohne
Zweifel Glieder erscheinen. Du Barop erkläre
doch um Dich her den
oder jenen den Geist eines
solchen
Festes, und frage was Keilhaus Leben
Gleiches zeige. Ich dächte doch, selbst /
[2]
einem Herrn
Leizmann, wenn er nicht eben zu stark auf seinen
D
r philos. beharrte, müßte so etwas
einleuchten
und daß man zunächst wenigstens noch hier die Ahnung
und Hoffnung eines Ganzlebens, d.h. eines historisch
classischen
Lebens habe. Daß darum auch die Pflege unserer
hiesigen Leben uns größte Pflicht und Sorge seyn müsse.-
Freytags am 19
en [sc.: 18
en]. Es war gestern mein Vorsatz diesen Brief heut
Mittags an Euch zur Post zu geben; zwar schien mir
noch das
Wesentliche zu fehlen doch hatte ich nichts mehr hinzu zufügen. Heut
habe ich Euch nun folgende weitere Fort-
entwicklung
mitzutheilen.- Während meiner letzten Stunde kam der
Herr Seckelmeister Meyer aus Burg-
dorf zu mir, nemlich
Seckelmeister der Commune Burgdorf, und nach Beendigung der Stunde
folgte er mir aufs Zimmer.
Der Grund seines Besuches war[en]
ernste Unterhandlungen wegen des hiesigen neuerrichteten
Waisenhauses, d.i.
wegen der Leitung der hiesigen Waisenerziehung
anzuknüpfen. Als Grund der Verhandlungen (:denn ich darf bey meinem
und
unserm Lebenszwecke jetzt noch an keinen festen Lebenspunkt
denken:) - daß die Verabredung vorläufig auf ein Jahr
mit ¼ oder
½ Jahrjähriger Aufkündigungszeit geschähe.- In Hinsicht meines
ökonomischen Verhältnisses zur Anstalt
wurde erst gefragt ob ich
Erziehung und Unterricht (indem die Waisenkinder bisher in der
Stadtschule Unterricht erhal-
ten haben:) zugleich übernehmen
würde. Ich erklärte natürlich nur das Letztere. Dann wurden zwey
ökonomische Verhält-
nisse vorgeschlagen erstl. das [sc.: daß]
mir eine Runde Summe jährlich für das Ganze oder jedes Kind bezahlt
würde und
ich dann die Besorgung des Ganzen und die Verpflegung
der Kinder nach jeder Seite hin übernehme oder: - daß das
Ganze
von einem betreffenden Ausschuß auf Rechnung der Stadt geführt, also
auch das ganze Haus in jeder Hinsicht
Möbel, Weißzeug, Bette,
Küchengeräthe u.s.w. völlig auf Kosten des Staates übergeben mir
dagegen für meine und
meiner Frau Leitung u.s.w. ein bestimmtes
Jahrgehalt bezahlt würde.- Natürlich zog ich das letztere vor;
doch
waren alles dieß nur ganz vorläufige Bestimmungen. Künftigen
Sonn
abendtag ist Zusammenkunft der
Armen-
commission wo auch
Friedrich Stähly gegenwärtig seyn wird. Der
Präsident derselben,
Professor Hans Schnellist leider abwesend
nemlich zu Zürich auf der Tagessatzung; doch wird alles nur
provisorisch bis zu dessen Rückkunft be-
sprochen.- Allein bis zu
Ende des Monat Oktober soll das Waisenhaus in völlig wohnbarem Stande
seyn und dann
auch die Eröffnung des neuen Waisenhauses,
geschehen. So könnte es also nun wohl seyn, daß noch in diesem
Jahre
meine erziehende Wirksamkeit im Berngebiet für einige Zeit
Wurzel faßt.- Auch die Ausführung der
Cantonal-
MusterArmenerziehungsanstalt auf dem schön gelegenden
Gute ½ Stunde von Burgdorf, dem Waisenhaus gerad im
Angesicht
gegenüber, wird mit Ernst betrieben. Möglich wäre es
wohl daß ihre Eröffnung noch in diesem Jahre
Statt fände. So
könnte sich also wohl auch nach dieser Seite hin meine mittelbare
Wirksamkeit durch irgend einen
anderen von uns erstrecken.- Du
lieber Barop mußt mir nun in der Kürze und mit ganzer Bestimmtheit
schreiben
a) Ob Du den Gedanken pflegend in Dir trägst mit
Deiner Familie einst und
wann nach der Schweiz zurück
zu-
kehren und
b., Ob Du es überhaupt -
nach Rücksprache mit der ganzen Keilhauer Gemeinsamheit, welche jetzt
nur aus einer
einzigen Familie bestehet - für
möglich hältst, und unter welchen Bedingungen; vielleicht dann wenn
es aus-
zuführen wäre daß
Frankenberg - den Du Barop ja
kennst - auf einige Zeit nach Keilhau gienge.
Könnte ich dem
Ferdinand die Erziehungsanstalt
in Willisau ganz übertragen, hätte er nicht allein die nötigen
Er-
fahrungen dazu, erschien er mir den übrigen Lehrern gegenüber
schon ruhig gesetzt und abgeschlossen männlich genug, könnte
ich
also in ihm schon den ruhig besonnenen ernsten Hausvater den
überblickenden sehen und hoffen daß er dazu auch bald
eine
erfahrene durchblickende Hausmutter <freyen> und bringen würde,
so wäre ich bald mit dem Ganzen im Reinen[.]
Dann wollte ich Euch
nicht lang mit Berathungen behelfen, so muß ich Euch also mit
Bestimmtheit bitten daß
Ihr mir wenn auch nur einstweilen
vorläufig Eure Ansichten entweder einzeln oder als ein
Ganzes
mittheilt.- Meynst Du Barop, der Du die Verhältnisse hier
so wie dort in Keilhau kennst, meynst Du
Du man könne
Frankenbergen und
Ferdinanden, wenn ich vielleicht Gelegenheit
hätte ihnen einen guten Hülfs-
lehrer einen jungen Schlesier an
die Seite zu geben - Willisau übertragen?- Aber Ferdinand erklärt den
Franken-
berg selbst als leicht ersetzbar. Ich hoffe freylich
Frankenberg würde sich kräftiger entwickeln.
Nun überlegt das
Ganze ich will Euch es völlig in Eure Hand legen; ich will persönlich
ganz zurück treten und mir
die Sache ,
E reden, Euch nur in derselben lesen und nach derselben
entscheiden zu lassen.
Keilhau ist wichtig - Willisau ist
wichtig - Burgdorf ist wichtig.-
Schön wäre es, wohl sehr,
sehr ersprieslich, und gewiß recht begründend wohltätig für das
Ganze, wenn wir
Keilhau nicht eher aufzugeben genöthigt würden
als wir irgendwo z.B. in der Schweiz, vielleicht gar in dem
Canton
Bern wieder einen eigentlichen Sammel- und Einigungspunkt
fänden.
Außer dem Waisenhaus - und außer der
Muster-Armenerziehungsanstalt, schießt auch wie Blitze von
mehreren
Seiten der Gedanke hervor, daß sich im künftigen Jahre
der Normalkurs wiederholen durch mich wiederholen möchte.
Ja auch
noch andere Richtungen der Entwicklung könnten vielleicht in des
Schicksals dunklen Schoose liegen. Jetzt scheint
mir schon so
viel wahr daß mein dem
Großrath Stähli überschickter allgemeiner Plan in
Beziehung auf Burgdorf
sich wohl verwirklichen könnte. Theilt
Euch, ich bitte besonders darum auch namentlich in einem eigenen
Briefe
berathend an Langethal mit, denn
nochmals ich wünsche schlechterdings nicht daß man glauben könne mein
Herz mische
sich etwa mit Wünschen unstatthafter Weise in die
Entscheidung der Berathung; denn mir ist ein Menschenleben,
ein
Halbes Jahrhundert eben kein so bedeutender Zeitraum nur
wünsche ich daß zum Wohle des Ganzen und so gewiß auch zum
Wohle
des Einzelnen das Beste gewählt werde.
Wenn sich das
Burgdorfer Waisenhaus Verhältniß noch ordnet, so hätte ich wohl
meiner Frau und Mathilden die Freude
gewünscht gemeinsam zu
wirken, denn eine
erziehende Gehülfin für meine Frau muß
ich wünschen; und die Wirk-
samkeit muß schon werden, denn es
werden höchstens Anfangs 16-20 Kinder mit überwiegender
Mädchen-
zahl seyn. Ist Mathilde völlig an die
Fr v. Armin gefesselt auch wenn
sie ihr Schwester- oder Bruderkind mit sich nehme?-
Soll ich
Herrn
Michaelis eine bestimmte
Lehrerstelle in Keilhau oder in Willisau antragen und unter
welchen
Bedingungen könnte das erste geschehen?-
Wegen dem
Herrn
Dr Leizmann Euch zu
schreiben war mir längst Vorsatz doch jetzt ist mir der Papier-
und
Zeit-Raum dazu zu kurz. Ich wünschte daß Ihr das Verhältniß
jetzt schonend behandelt; die Frauen sind ja
besonders hierinn
Meisterinnen, ich wünschte, daß sie sich nicht die Mühe verdrießen
ließen es in diesem Falle
mit Sorgfalt zu thun, selbst auch die
sonst wohl sehr ernste Albertine, es handelt sich ja um das Wohl
aller derer
die ihrem Herzen theuer sind. Von mir wird doch die
geliebte theure Albertine nicht erst hören wollen, daß
Frauenmilde
eine wunderbare Kraft besonders im Gebiete der
Männerwelt ist.
Jetzt muß ich schließen. Ich war heut Abend so
müde wollte schon vor 2 Stunden zu Bette gehen und bin nun noch
auf[.]
Und morgen Vormittags habe ich schon wieder
5 Stunden nach einander zu geben.- Lebet
wohl lebe wohl lieber
Middendorff
[2R]
Am 19en July. Meinen Brief worinn ich Euch um
baldigste Übersendung von 30 Exemplaren
meiner Erziehungskunst
durch Frachtfuhre bitte so wie Euch den Betrag dieses Geldes
zusichere
werdet Ihr erhalten haben.- Ich hoffe daß die Absendung
schon geschehen ist und daß Ihr besonders
den Spediteur in Gotha
um baldigste Besorgung gebeten haben werdet, so wie daß diese Bitte
in jedem
der folgenden Avisbriefe aufgenommen werde. Sollte
jedoch die Absendung dieser Schriften noch nicht ge-
schehen
seyn, so wäre es wohl zweckmäßig noch 10 bis 15 Exemplare beyzulegen,
indem von den 60 gen
bis jetzt schon 30 bey mir wirklich auf das
Buch unterzeichnet haben, und da es scheint als würden am
Ende
wenn das Buch, die Schrift in der Hände [sc.: den Händen]
vieler ist, sich auch von den Übrigen noch mehrere zum Ankauf
desselben
aufgefordert fühlen.
Auch nach den kleinen
Schriften fragen sie sehr häufig, ob ich ihnen gleich immer wie auch
bey dem größeren Werke mit
dem Einwurf entgegen treten; ob sie
denn solche auch verständen?- Nun der Unterricht, wie auch
der
Wunsch, die Hoffnung, und der Glaube, sowie also im Ganzen
das Streben sie zu verstehen mag wohl auch dazu
beytragen.- Ihr
sehet ich bin wirklich von einer wunderbaren Welt umgeben. Könnte ich
mich nur
verdrey- oder vervierfachen, ja auch nur verzweyfachen
ich hoffte fast zum Ziele zu kommen, d.h. höheres
Menschenleben,
Menscheitsleben in einem gewissen Grade allgemeiner zu machen. Gott
erhalte mir nur zu-
nächst meine Brust[.] Und wenn es mir nur
bald möglich wird, das mir in Keilhau gewordene materielle
Vertrauen
etwas zu rechtfertigen. Es dämmert dazu jetzt
wenigstens eine bestimmte Hoffnung herauf.
Ich könnte sehr,
sehr viel auch in dieser Beziehung leisten, wenn man nicht alle
Verhältnisse sich auf dem Wege der
unbewußten Naturentwickelung
sich gestalten lassen müßte; Es ist wunderbar aber gewiß wahr, man
muß
sich ordentlich hüten als ein einsichtiger durchsehender
bewußter Mensch zu handeln. Sobald man es thut hat man
das
Schicksal des Tanzbärs in der Fabel und so muß man anstatt auf
2 Füßen zu gehen auf 4 Füßen kriechen.
Darum Menschen und Freunde
und Geeinte und Einige versteht mich - macht daß wir mit Jahrfünften
und mit
Jahrzehnten wie mit Monaten und mit Jahren wie mit Tagen
umgehen können.- Euer FrFr -
[Adresse:]
Herrn
Wilhelm Middendorff
in
Keilhau
bey
Rudolstadt in
Thüringen