Willisau am
1en Tage im Monat des Doppelblickes
1835.·.
Gottes
besten Lebensseegen Euch zu gleichem Menschheitsziele in Gott
Geeinten
auch im neuen Jahre des Heiles.
Wie ich und wir alle, besonders auch Eure Euch allen mit
unaussprechlicher inniger Liebe
Euch zugethane Mutter, Eurer
aller mit der seelenvollsten Liebe gedacht Eure Nähe
an unsern
Herzen gefühlt und uns des Bewußtseyns hoch erfreut haben, daß Ihr
am Schlusse des alten und beym Beginne des neuen Jahres unserer
in Liebe und Treue
gedacht habt, so komme ich auch jetzt mit dem
schönsten Gruß des milden Neujahrsmorgens
zu Euch ob ich gleich
schon seit der frühen Morgenstunde im Geist und Gemüth
nur mit
Euch gelebt habe.
Ich habt mir am Schlusse des nun
verflossenen Jahres besonders mittel- und un-
mittelbar viel
freundliches und liebes, Inniges und Einiges als Ausdruck der
Gesinnungen
Eures Herzens und Gemüthes zukommen lassen; gern
gestehe ich es daß es auch in meinem
Herzen und Gemüthe die
wohlthuende beglückende Morgendämmerung eines so tief
begrün-
deten als alldurchdringenden menschenwürdigen, gotttreuen
und so naturgemäßen Lebens
zunächst unter und von uns allen,
heraufgeführt hat. Zwar sind mir auch die Nebel
nicht unbekannt
geblieben, die für manche Eurer Blicke noch auf meinem Leben
be-
sonders in Beziehung auf die erste und mittlere Zeit unseres
gemeinsamen Zusam-
menwirkens zu einem Ziele, zum Ziele der
Menschheit ruhen; was mich betrifft
freue ich mich ja ich bin
dadurch beglückt Euch sagen zu können, es sind Nebel die sich
auch für Eure Blicke zerstreuen werden, wenn die allerleuchtende
und erwärmende /
[1R]
Sonne höher steigen wird und wir
Höhen mit größern Um- und Fernsichten erreicht haben werden[.]
Ich spreche dieß nicht um meinetwillen, ich spreche es um des
Gesammtwohles, um Eures innern
Friedens um das Wohl und des
Seegens der Euren willen aus; denn warum sollte ich es denn
aussprechen, wenn es nicht wahr wäre denn nun würde mich ja die
Zukunft erst noch Lügen
strafen, während wenn ich schwiege in
der Zukunft alle Seelenleiden überstanden wären.
Allein die
Folgen eines unbegründeten aber doch den Charakter und so die ganze
Wirksamkeit
eines Menschen in seiner Quelle und Keim
vernichtenden Urtheil sind für jedes einzelne
Glied und die
Gesammtheit eines so innig geeinten mindestens vielfach
lebensverschlung[-]
enen Kreises wie der unsere ganz
unberechenbar. Ihr wißt nicht was Ihr Euch, jedem Ein-
zelnen von
Euch und Euch als Gesammtheit vernichtet wenn Ihr das Zutrauen, das
Vertrauen
zu mir Euch vernichtet. Wer wird einen besäeten Acker
gleich niedertreten, wenn die Saat nicht gleich aufgeht?-
G Das Schicksal, die Vorsehung, Gott,
nennt es wie Ihr wollt alles
gleich hat mich nun einmal in die
Mitte Eures Kreises unseres Kreises wie den Stamm
an einem Baume
gesetzt. Nehmt, obgleich er selbst keine Blätter, Blüthen und Früchte
bringt, für
die äußeren Güter die er Euch verzehrt und seine
Wurzeln in Nacht gezogen haben, die
innern Güter die er Euch
dagegen reicht vertrauend auf, warum zweifelt Ihr daß
die Säfte
der nächtlich liegenden Wurzeln und des rauhen Ast- Blätter- Blüte-
und Früchte[-]
losen Stammes Fülle des Laubes, duftige Blüthen
und reiche Erndte der Früchte reichen werde?
Nehmt die höhern
wenn auch einfacheren unscheinbaren Stoffloseren Güter und gestaltet
sie
zu Laub, Blüthen und Früchten, warum vernichtet Ihr durch
gestörtes Vertrauen ihre Umwand-
lung?- Jede Zeit jede
Menschenentwicklungsstufe hat Ihre eigene Lebensaufgabe zu lösen,
ich habe es Euch oft gesagt und darinn oder daran zweifelt Ihr
hoffentlich so wenig als ich.
Die Aufgabe der jetzigen
Menschheitsentwickelungsstufe ist, daß alles was für die, von der und
durch
die Menschheit und ihre Glieder die Menschen geschehe mit
klarem Bewußtseyn nach sichern
einfachem Gesetze geschehe.
Unbewußt nach Art der Stoffe, Steine, Pflanzen und Thiere
soll
von dem Menschen von nun an so wenig als möglich geschehen, er soll
frey seyn we-
nigstens stetig immer mehr frey werden d.h. er soll
das an sich Gute mit Selbstbe-
stimmung wählen. Jene Gesetze
finden sich nicht leicht, jenes Bewußtseyn wird nicht
schmerzenlos errungen; es sind geistige Empfängnisse und
geistige Geburten, meynet
ihr [sc.: Ihr] etwa sie seyen an
minder lebensgefährliche Bedingungen geknüpft als die leiblichen[?]
Ihr irrt dann sehr, ununterbrochen fast in einem unnatürlichen
Zustande lebend, sind
die Geistes- und Seelenleiden fast
unaussprechlich und ein höheres als leibliches Leben
ist dabey
oft auf dem Spiele. Wie so, da Ihr wenig davon vernehmet?- Habt Ihr
je
eine Mutter über Schmerzen der Geburt und bis zur Geburt pp
laut klagen gehört?-
- Doch das war es nicht was ich Euch
eigentlich heut sagen wollte, wenigstens nicht so ausgeführt
die
weitere Entwickelung des Tages - wie es oft geschiehet unerwartet ein
eigen schmerzvolles Neujahr führte es so herbey. Was ich Euch
dagegen
tlich eigentlich mittheilen
wollte waren die ganz einfachen Andeutungen /
[2]
des
Menschenlebens als eines zum Ziele der Menschheit erziehenden[:]
1. Die Schöpfungs- und Entwickelungs Gesetze der Welt, Erde und
der Menschen, insoweit sie
unser Gemüth und
Geist in ihrer Nothwendigkeit erkennt, sind auch, allgemein gültig
und all-
gemein verständlich ausgedrückt, die
Entwickelungs- und Erziehungsgesetze des Menschen
zum Menschheitsziele.
2., Ehe Gott
Menschen schuf, schuf er Stoff, Pflanzen, Thiere; den zum Ziele der
Menschheit zu Er-
ziehenden soll zur
Umwandlung Stoff zur Pflege und Lebensentwickelungs Beachtung
Pflanzen
und Thiere umgeben.
3., Wie
Gott darum den ersten Menschen gleichsam in eine Gartenartige Natur
setzte, oder
der erste Mensch sich von einer
solchen umgeben fand, so soll auch der zum Ziele der
Mensch-
heit zu Erziehende in den
verschiedenen Graden und gleich im ersten Beginne seines
Bewußt-
werdens von Gartenartigen Umgebungen
umgeben finden. Wie auch die heiligen Orte
der Naturvölker von heiligen Bäumen, heiligen Hainen umgeben waren,
denn der
Erziehungsort des Menschen zum Ziele
der Menschheit ist ein heiliger Ort.
4. Schon der Anblick der
reinen klaren freyen Natur erhebt und veredelt den Menschen
darum soll der sich dem erziehende[n] Orte
nähernde beachtende pp Mensch schon durch den
Anblick und die Wirkung der reinen frischen kräftigen Natur,
besonders der Pflanzen-
welt für
Menschheitserziehung gewonnen, dafür empfänglich gemacht u entwickelt
werden.
Denn auf den Menschen als ein
selbstschaffendes, selbstschöpferisches Wesen, macht die
Kunstwelt, namentlich die räumlich
(plastisch:) gestaltete lebenvolle besonders Eindruck
weckt und entwickelt so seine eigene
schaffende, schöpferische Kraft, und führt ihn
so still und sich selbst unbewußt also ohne
innere Entgegnung dem Menschheitsziele entgegen.
[Am Rand neben Nr. 4:]
Die Natur
soll, wie von Gott zur
ersten und Miterzieherin - gleichsam
als unser aller Mutter - bestimmt so
vom
Menschen wieder mit Bewußtseyn als solche erkannt, geachtet
u geliebt werden, dazu mit
Bestimmtheit wieder erhoben werden.
5. Wie der Mensch, so soll
auch die Natur ein höheres bewußtes Kunstwerk werden
d.h. es soll alles für Entwickelung,
Gestaltung und Durchdringung, Erfassung des Lebens geschehen.
6., Der Mensch erscheint sogleich dadurch - weil so zugleich sein
Unterhalt gesichert ist - weniger
ein
bedürfnißvolles, von der äußern Natur abhängiges, sondern vielmehr
ein freyes
also ein edleres Wesen. So wird
also auch der Mensch nicht nur von und für die
Erziehung zum Ziele der Menschheit angezogen,
sondern auch durch die Anschauung und
Einwirkung intuidiv [sc.: intuitiv] dafür gewonnen und
festgehalten.
7., Jede ächte Familie, die unsrige muß dieß mit
klarem Bewußt[sein] auf sich und im
Einzelnen
anwenden; dadurch wird sie erst zu einer Erziehungsanstalt zu einer
bewußten also kunstmäßigen Veranstaltung zur
Bildung und Erziehung des Men-
schen, zum
Ziele der Menschheit der entgegen.
8., Wie so [{]der Mensch
für seinen / die Familie für ihren[}] Zögling für sein Bildungs- und
Erziehungsgeschäfte zum
Ziele der Menschheit
allem zuvor gleichsam die ihn umgebende Natur erzieht, wodurch
er eigentlich als Zugabe, und nicht als
Haupt- sondern als Nebensache seinen Unterhalt bekommt /
[2R]
so soll auch jede Familie und so vor allem auch unsere
Familie für die ihr besonders zum Ziele
der Menschheit zu
führenden eigenen Zöglinge, Kinder zugleich die mitumgebenden
Menschen
und so vor allem zuerst die mitumgebenden ohngefähr
gleichaltrigen besonders die eben als eine Art
Muster und
Vorbild durch Alter vorstehenden dem Ziele der Menschheit entgegen
erziehen.
(:Vergleiche damit die Briefe besonders einen Brief
an d[en] He. v. Wedemeyer in Beziehung auf
seinen Sohn welcher
sich unter meinen zurückgelassenen Papieren finden und wohl der
letzte an ihn sein wird.[)]
9. Ich meyne also gerade zu daß es
höchst ersprießlich und weit verbreitend und zunächst es
see-
gensreich wäre wenn man einige Kinder aus
dem Dorfe z.B. von den Dienenden des
Hofes so
heranziehen könnte, daß sie kleine hauswirthschaftliche und ländliche
Arbeiten
besonders zur Erhebung und
Veredelung des umgebenden Naturlebens (Steine ablesen,
Unkraut ausjaden [sc.: ausjäten], Hof- und
Gartenreinigen, Holztragen, rc rc. rc.) verrichteten, und zwar
unter solcher Begleitung und Aufsicht, welche
den zu bearbeitenden Gegenstand zugleich
mit
als Lehrgegenstand als Bildungs- und Erziehungsstoff und Mittel
behandelte.
Diese geistige Darreichung wäre
der eigentliche Lohn doch könnten auch einige Kreuzer
nach Umständen verabreicht, oder vielmehr
gesammelt werden um dagegen später
ein
Kleidungsstück oder ein Lehrmittel anzuschaffen. Man müßte ganz im
Kleinen
beginnen und fast ohne daß man es
selbst geschweige denn andere wüßten. Sollte
man nun meynen daß hiermit, das heißt mit dem nächsten Ergebniß und
Folge ja
der Aufwand an Zeit und Kräften in
gar keinem Verhältnisse ständ, so muß man bedenken
und berechnen, welches Unschätzbare dadurch
gewonnen würde, wenn nur eine wie vielmehr gar
einige <G? > Kräfte aus der schaffenden
Klasse als künftige schaffende und wirkende Genossen
dem Zögling der Familie in der umgebenden
Welt gebildet würden; wer weiß nicht
wie nur
schon das gleichaltrige zusammenheraufwachsen ohne besonderes und
höheres
geistiges Lebensband Menschen,
Gemüther und Geister festzusammenknüpft.
So könnte endlich
eine lebenvolle, vertrauens[-] und liebe- muth- und kraft- so wie
mittel-
volle Gemeinsamheit für Erziehung zum Ziele der
Menschheit heraufwachsen;
Ja eine solche Erziehungsanstalt würde
wie ein Leuchtthurm da stehen zu leuchten beym
Sturm und Dunkel
während der Schifffahrt auf dem Lebensmeere. Eine solche
Erziehungs[-]
anstalt würde wie ein von heiligen Heinen
[sc.: Hainen] umgebener heiliger Ort seyn, welcher erhebet,
veredelt, weyhet, begeistert indem man in ihn tritt; Eine solche
Erziehungsanstalt
würde wie ein heiliges Kunstwerk seyn, welches
dem Menschen die Würde seines
Wesens im Bilde zeigt und ihn
begeistert ermuthiget und bekräftiget solche auch durch
eigene
Kraft zu erringen. Eine solche Erziehungsanstalt würde endlich nicht
nur
ein Mittelpunkt ächter Volks- sondern Menschheitsbildung für
Geschlechter u Zeiten seyn.
Dieß war es was ich Euch Ihr
Geliebten als eine jener höheren und unscheinbaren Geistes
Gaben
zum 1' Tage des Neuen Jahres zur Beachtung für Bildung zu Holz, Laub,
Blüthe und Frucht mittheilen wollte.
Auch sollen wir ja unserm
Vaterlande treu zu seyn und für dasselbe so anspruchs- und
[Briefende auf
2R/1R/1V:]
geräuschlos zu wirken suchen als möglich. Denn
wenn der Edle und der Edelmuth das Vaterland verläßt, woran soll es
sich halten?-
Aus all diesen Rücksichten dünkt mich werdet Ihr
in Beziehung auf Keilhau die Überzeugung mit mir theilen: Nicht
leicht ein Stück zum Ankauf mögliches Land, weggehen zu lassen, wenn
man nemlich mit Bestimmtheit sieht, wie es
sogleich verbessert werden kann; denn nicht der
Besitz, sondern der
Gebrauch giebt den Werth; dieß gilt von äußern,
wie von den Gemüths- und Geistes Gütern[.]
Vielleicht ist auch
in dieser Beziehung
Adolph
Schepsens längeres Verweilen bey uns nicht bedeutungslos; und
er, eben in seiner großen Unscheinbarkeit
ein Mittel und Band
für Höheres.- Nun zum Anfang zurückgekehrt wünsche ich Euch Allen und
Allen ein glückseeliges neues Jahr. Euer FriedrichFröbel.