Willisau am 29en April
1835.
Gott zum Gruß
Euch allen:
Dir, den lieben Frauen, unsern Pfleglingen und den
Hausgenossen.
So eben habe ich Deinen
lieben Brief vom 26en d. M. erhalten. Ich hoffe
der meinige vom
gleichen Tage, mit Nachrichten aus Keilhau, wird
nun bey Dir eingegangen sein; so
wie Dir ohne Zweifel gestern
oder heute ein thüringscher Landsmann (aus Meuselbach)
einige
grüßende und empfehlende Zeilen von mir überbracht haben wird.
Nun sogleich zur Beantwortung des HauptInhaltes Deiner Zuschrift.
Du weißt
daß ich mir mein Leben und das unsrige in all seinen
Beziehungen Zwecken, Ziel und
Mitteln lang vorher klar zu machen
suche ehe die entscheidenden schnell fordernden
Lebensbestimmungen eintreten und so bin ich denn auch im Stande
Dir sogleich und mit
Festigkeit und Klarheit auf Deinen Brief zu
antworten im Stande.
Erstlich ist
mein Entschluß fest oder vielmehr der Gedanke mit mir Eins, daß
zunächst
mein eigenes Gesammtleben, mein innerer und äußerer
Lebensberuf und - in so
weit es von mir abhängt - auch das
Ganzleben und der Doppelberuf aller mit mir
wahrhaft Einigen und
somit Meinigen der, ächter Menschenerziehung, entwickelnder
Menschenerziehung sey; die hervorfördernde Ausübung und
Begründung der Erziehung des Menschen
ist, welche in seinem Wesen und zugleich mit seinem Erscheinen
als Geschöpf und
als Erdner in aller Nothwendigkeit und Klarheit
u.s.w. gegeben ist.
Zweytens ist
aber auch ebenso unwandelbar fest und klar mein Vorsatz, daß ich
schlech[-]
terdings von nun an keine Unternehmung mehr beginne,
in keine Wirksamkeit ein[-]
trete, in und durch welche ich nicht
nach einer sich in mir so klar als lebendig aussprechenden
Überzeugung mit Sicherheit und stetig wenn auch noch so langsam
zu dem so eben
angedeuteten Ziele gelange. Mein Entschluß ist in
mir ganz unwiderruflich daß ich von
nun an nur dem
klaren Grundgedanken meines Lebens
dessen klaren Entwickelung
einfachen Darlegung und vollkommenen
Ausführung desselben angehören, nur
einzig ihm leben will, darum
geht mein ernstes unausgesetztes Streben dahin
mich immermehr
von jeder hemmenden Äußerlichkeit wie sie auch nur immer Na-
men
haben mögen gänzlich frey und ledig zu machen. Wie ich in mir frey
bin
will ich auch äußerlich in meinem Leben frey seyn. Mein
Streben geht größten Ernstes
dahin die Widersprüche zwischen
meinem Seyn und meinem Erscheinen zwischen meinem
innern und
äußern Leben nach und nach aufzuheben, nicht als Werthlegung auf die
oberflächlichen und einseitigen Beurtheilung[en] sondern um das
mir in meinen Jünglingsjahren
mit klaren bestimmten Worten
Ausgesprochen:
"nur in der Vollendung liegt
mein Ziel" /
[11R]
mindestens anstrebend zu
erfüllen und so mein Wort gegen Verstorbene zu lösen.
Bist Du
nun hierinn ebenso mit mir einig als Barop welcher schon im vorigen
Jahre von Keilhau aus mir aussprach; ["]all unser
Streben müsse nur dahin gerich-
tet seyn nur etwas Gründliches
und Vollkommenes auszuführen" - so müssen wir
beyde
gemeinsam die ausgesprochenen beyden Punkte als ein unveräußerliches
Gemeingut festhalten und das möglichst innige Gleichdenken und
Gleichhandeln
muß in dieser Beziehung zwischen uns stattfinden.
Ein Schwanken hierinn wäre
in Beziehung auf die endliche
Verwirklichung rein entwickelnder Menschenerziehung
nachtheiliger als selbst Trennung, ja nachtheiliger als selbst
Trennung in und mit Opposition
denn endlich muß auch die
Ausführung wahrer Menschenerziehung in des Menschen
und sey es
auch zu allernächst nur eines Einzigen freyen Willen,
Selbstbestimmung
und so Macht der Ausführung kommen. Verstehe
ich aber die Erscheinungen der Zeit
anders recht zu lesen so
vereinigen sich hierzu jetzt nicht nur die Umstände für
Einzige,
sondern für Einige d.h. für solche, für alle solche welche in sich
einig sind.
Diese Zeit muß pflegend beachtet werden, jetzt oder
nie d.h. für
uns nie oder we-
nigstens
in langer Zeit nicht wieder. Und somit das Vorstehende die Grundlage
unseres Handelns in Beziehung auf die Theilnahme an den
abzuhaltenden Wie-
derholungscursus in Burgdorf. Dieß nun
bestimmt mich auf den Antrag des
Erz.Dep. durch He. H. M.
einzugehen nicht aber eine Äußerung
en
wie die d[es] He.
Pf:
Bitzius; denn dem He. Fbrg auf HW [sc.:
Fellenberg auf Hof-Wyl]
Spielraum geben wäre in der Hand der Vor-
sehung noch keinesweges
ihn den Sieg über Güte und Wahrheit in die Hand geben,
vielleicht nur um sich so unbedachter und schneller des Ruhmes
und des Wirkens
Grab zu graben.-
Also unter der
ausdrücklichen Bedingung: daß man es sich zum ernsten Ziele
mache bey dem dießjährigen Kursus in Burgdorf möglichst das
Beste und Tüch-
tigste zu leisten, werde ich mich dazu verstehen
und bestimmen an der Ausführung
desselben Antheil zu nehmen; ja
ich bin unter Erfüllung dieser Bedingung es ent[-]
schlossen, in
Gemeinsamkeit mit Dir zu thun.
Um nun diesem Bildungskursus
die möglichste Vollkommenheit zu geben - (:was ich
doppelt
nöthig achte weil man sagt daß sich wegen des neuen Schulgesetzes so
we-
nige besonders angestellte Schullehrer dazu melden würden:) -
halte ich nachsteh-
endes für wesentlich zu bestimmen für
nöthig.
1. der Bildungskurs muß nothwendig in sich in zwey
Abtheilungen zerfallen;
(auch wenn sich blos schon angestellte
Lehrer melden sollten) wovon die eine
Abtheilung mehr einem
Vorbildungs- und die andere aber einem
eigentlichen
Fortbildungskurs
entspreche. Dieß ist aus doppelter und mehrfacher /
[12]
mehrfacher [2x] Rücksicht nothwendig einmal da unter den
schon angestellten Lehrern der Bildungs[-]
grad sehr verschieden
ist und darunter sehr sehr schwache Subjecte sind, die man doch
unmöglich zurückweisen kann; dann weil sich noch sehr wenig
gebildete junge Menschen
die sich erst dem Schulwesen widmen
wollen melden werden, welche man eigentlich
(um endlich Einheit
in das ganze Schul- und Unterrichtswesen zu bringen diesen Grund
behalte aber zunächst für Dich) - auch nicht
zurück weisen
sollte und wovon mehrere viel fähiger als die schon angestellten
Schullehrer
sind; dann könnte es wohl möglich seyn daß sich auch
zu diesem Kursus wieder mehrere
Schullehrer meldeten welche
schon dem vorigjährigen Kursus mitgemacht haben und
welche eine
besondere Berücksichtigung nöthig machen und wohl auch fordern
würden.
Um nun für diese so weit verbreitete Thätigkeit die
nöthigen Kräfte und Mitarbeiter
zu gewinnen halte ich es für
nöthig, daß außer den mir angedeuteten Lehrern,
eben für die
Abtheilung der eigentlich erst Vorzubildenden Staub
und Lehner als Lehrer
bey diesem
Cursus unter der klaren und festen Übereinkunft angestellt würden,
daß sie
ihren Unterricht in klarer voller Übereinstimmung mit uns
betrieben. Ohne diese Be-
stimmung lieber Langethal arbeiten wir
uns beyde entweder müde und wirklich zu-
nichte oder wir müssen
bey der Aufnahme sehr streng wählend seyn, was zu Irrthü-
mern
und Mißgriffen führt und auch die Theilnahme an den Kursus zu sehr
beschränkt.
Im Gegentheil sollte man das ganze zu seiner innern
Entwickelung, mehr erweitern als
beschränken, Du solltest dazu
den Gedanken aufnehmen, welcher in einem der letzteren
Stücke
des Volksfreundes stand und welchen ich Dir schon mittheilte:
"man vermuthe-
te oder erwartete daß dieß Jahr
wieder ein Bildungskurs in Burgdorf allein ausge[-]
führter als der vorigjährige
gegeben werde.["] Diesen Gedanken solltest Du als in der Sache
selbst
liegend aber als einen fremden
Gedanken besonders hervorheben und Anerkenntniß verschaffen.
Wenn dieser Punkt klar bestimmt ist, so muß
2, nach
gemeinsamer Rücksprache im Allgemeinen ein klarer Plan entworfen
werden
so wohl in Beziehung auf die Lehrgegenstände als als
[sc.: auf] die Lehrer. Dieser Plan muß
möglichst bald
ausgefertigt und zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden, damit
die sich Meldenwollenden wissen was sie zu erwarten und was sie
zu wählen haben.
3. darf die Beendigung des Kursus nicht zu
früh festgesetzt werden.
Dieß in Beziehung auf das Allgemeine.
In Beziehung auf das Besondere nun
4. daß Du den
Gesangunterricht übernehmen würdest freut mich sey's allein oder mit
He. <H. / G.>
gemeinsam, was zum Vergleich auch sein Gutes
hätte.
5. Ebenso hätte ich auch gar nichts dagegen wenn Du
eine elementarisch (methodisch) geogra-
phische Klasse
übernehmest z.B. das Emmegebiet, oder Aargebiet.
6. Auch für
das Lesen und gelegentliches Erklären der
biblischen Geschichten bin ich; allein
7. für allen positiven
und kirchlichen Religionsunterricht, Catechisation rc. da hüte
Dich wie für das Feuer; das überlasse den hierinn Eingeweihten.
Ich wünsche
<Steinhäusling> käme /
[12R]
wieder, dieser ist hier ganz an seinem Platze. Nochmals hüte
Dich für eigentlichen Religionsunterricht das
ist Scylla und
Charybdis zugleich. Könntest Du Dich dafür bestimmen, so könnte es
mich bestimmen
gar nicht an dem Kursus Antheil zu nehmen. Das
Wagniß ja die Gefahren eines solchen Un[-]
ternehmens sind zu
groß, ja ehe es noch beginnt ist schon viel verlohren.
8. Wegen des Sprachunterrichtes würden wir uns beyde verständigen,
Du äußerst
vor der Hand über diesen Gegenstand ebensowenig
etwas, als ich jetzt etwas darüber
bestimmen kann. Wir wollen
uns ernstlich darüber berathen, denn ich wünschte wohl
das Ganze
endlich zu einem bestimmten Abschluß zu bringen.
9. In die
Bestimmung auf das Mathematische, worunter hoffentlich auch das
Zeichnen
begriffen seyn wird gehe ich ein[.]
10. In
Beziehung auf die eigentlich Fortzubildenden wäre dann eine bestimmte Zeit
für allgemeine Übersicht des erziehenden Unterrichtes zu
bestimmen.
11. Mein völliges Wohnen
auf dem Schlosse ganz wie im verflossenen Jahre müßte
ich mir
ganz ausdrücklich vorbehalten, nur einzig unter dieser Bedingung kann
ich
das mich zur Theilnahme an
dem Ganzen verstehen, denn ich werde viel zu leicht von
dem
häuslichen Leben und Erscheinungen ergriffen und gestört, so daß ich
mich lieber
gleich vom Anfange an, wenn ich mich nicht an Geist
Gemüth und Körper zerbrechen
will, für diese Arbeitszeit davon
lossagen muß. Ich werde bey dem dießjährigen
Kursus in mir noch
bey weitem mehr erregt als bey dem vorjährigen seyn, weil die
[sc.: das]
Ganze der Menschenerziehung im Allgemeinen und im
Besondern in mir vor- und angeregt liegt
und ich es sowohl im
Allgemeinen als Besondern gern nun einmal außer mir vollständig
und klar darlegen möchte. Denn wie Du weißt, ist mein nächster
Lebenszweck mehreres wenn auch nur in Umrissen auszuarbeiten. Darum
wäre ich äußerlich schon so frey als ich wünschte und eigentl[ich]
für mein inneres Leben bedarf, so könnte man mir für diese
wenigen Monate Tausende
biethen ich würde sie nicht annehmen um
mich wieder in eine solche par force Schule
und
Treibhausbildung zu versetzen welche noch überdieß ohne alle
organische Lebensverknüpfung
ins Leben fällt wie ein Meteorstein
auf die Erde und in dieselbe.
Vertraute ich jedoch Gott nicht
der alles fügt und verfügt so könnte selbst keine äußere
Forderung des Lebens stark genug seyn mich zu bestimmen wieder
an einer so zerstückelten Wirksam-
keit Antheil zu nehmen als die
seyn wird welche mich dann nächstes ¼ Jahr wieder
erwartet. Ich
bedarf u suche endlich wenn auch eine noch so kleine allein sich in
inniger Lebens[-]
einigung mit mir fortentwicke[l]nde
Wirksamkeit. Doch wenn diese Wirksamkeit mir wieder
vom
Schicksal bestimmt ist, so wird es mir ja auch Kräfte pp geben solche
durchzuführen.
Eine Hauptsache ist aber noch diese
Welches ich Dir auf das höchste mindestens von meiner Per-
son anempfehle: Ehe Du weißt
ich habe jetzt Pflichten gegen eine Gemeinsamheit übernommen. Ehe Du
also
weiter mit He. M. sprichst mußt Du vor allem mit einem der
beyden He. Schnelle [sc.: Schnell] sprechen und sie
gerade zu
fragen: ob die betreffende Behörde es gestatten würde, daß ich auf den Antrag
des
Erziehungsdep: unbeschadet des Waisenhauses
eingehen dürfe pp[.] Fast wollte ich man schlüge
es mir ab. /
[13]
Meine und unsere Theilnahme an
dem Bildungskurse muß mindestens mit freudiger Zustimmung
von
Seiten der betr. Waisenhaus behörde in Burgdorf geschehen, lieber
Langethal! sollte
sich von dieser Seite die
leiseste Trübung oder Abgeneigtheit zeigen, so
trete ich mit
wahrer Freude sogleich
von der Theilnahme an dem Schullehrerbildungskurse zurück und suche
dann von dem kleinen Punkte der Waisenhaus Wirksamkeit aus ein
stetiges Erzieh-
ungsleben zu
entwickeln. Wie ich Dich nochmals verpflichte mit einem der Herrn
Schnell, am
besten mit
d[em] He[rrn] Prof[essor] hierüber Rücksprache zu nehmen, so erlaube
ich Dir auch von dem
hier von mir Ausgesprochenen Gebrauch zu
machen.
Meine Grüße an He. Helfer Müller, an die Herrn pp
Schnell,
Stähli u.s.w.
Auch von unserm Leben wünscht Du mehreres zu hören[.]
Verflossenen Montag hat eigentlich unser Halbjahr hier
begonnen.
Die Zahl der Zöglinge und Schüler welche jetzt
eingetreten sind mögen [sc.: mag] 33 bis 34 seyn[.]
Unter den
Abgegangenen befinden sich die beyden
Siedler, Spöri, wie es scheint auch
Lisibach
Xaver Walther - Joh Kaiser,
Vinzenz Hecht - der kleine <Niffler> und - Heinrich
Weber.
Dann die 4 Mädchen pp.
Stürty und Bugy
rc[.]
Ins Haus ist eingetreten wie Du weißt
Joseph Haber.-
Bärembold wohnt auch im Hause.
Die französischen Anzeigen der hiesigen Anstalt sind im
Nouvellist Vaudois und in
der Gazette
de Lausanne erschienen.- Heute haben wir aus der Gegend
von
Lausanne eine Anfrage
wegen eines 13jährigen
Knaben erhalten.- Die Anstalt von
Kullm in Kornthal
bei Stuttgard hat sich
aufgelöst; daher kam an uns gedachte Anfrage.-
Im Hause hier
ist alles wohl.- Heute hat der He. Dr mir seine
sehr billige Rechnung einge[-]
reicht welche durch Abrechnung
berichtigt ist - Der kleine Raimond sagte für sein
Baseler Weckely schönen Dank.- Der Herr Dr
liefert von nun an die Milch ins Haus.
Wir nehmen jetzt das Brod
aus dem Stern.
Titus hat
von Zürich an Karl in Begleit von Grüßen geschrieben, daß der
russische
Gesandte nicht zu bestimmen gewesen ist seinen Paß zu
unterschreiben, er soll ihn
in Dresden unterschreiben
lassen.
Wir sind hier wieder ganz im Winter.- Dieß ist wohl so
ziemlich von hier alles.
Noch eins wegen des Bildungskursus.
Künftigen Sonnabend werde ich nach Keilhau
schreiben. Will und
kann
Middendorff noch kommen wo
wäre es gut wenn er spä[tes]tens
vor Beginn des Kursus käme, er
könnte dann uns in Burgdorf wenigstens
beauf-sichtigend unterstützen. Doch
nochmals, sieht die Behörde unsere Wirksamkeit an dem Kurse
nicht gern fühlst Du
leise daß sie
lieber das Waisenhaus als Erziehungshaus gepflegt und
gehoben
wünsche so giebt [sc.: gieb] diesem Wunsche sogleich nach und gieb
die Theilnahme an dem Kurs
wenigstens von meiner Seite auf.
Herzliche Grüße von allen hier im Hause an Euch alle.
Besonders
herzinnige Grüße meiner lieben Frau und der Deinen von Deinem
FriedrichFröbel. /
[13R/14V]
[leer]
/
[14R]
[Adresse:]
Herrn
Heinrich Langethal
Erzieher,
in
Burgdorf,
Kanton
Bern.