Blankenburg bey
Rudolstadt am 1sten Ostertag 26/III.
37.·.
Alles Leben ein
Einiges.-
- Der Mensch ein Schöpfer.
Des Lebens und des
Schaffens - (:nicht Machens:) Gruß Dir und durch
Dich den
Deinigen.-
Welches ist der Unterschied
zwischen Leben - und Leben[s]erscheinu[n]g?
Welches ist der
Unterschied z[w]ischen Schaffen - und Machen; Schöpfer
und
Macher?- Dieß sey zunächst am heutigen Lebensfeste der
uns
einigende Grundgedanke.--
Ich habe vorhin Deinen Brief,
welchen ich zwar vorgestern am 24ten
schon in
einer Beziehung beantwortete, vorhin noch einmal recht
ruhig
durchgelesen und mir vorgesetzt denselben, was ich sonst nie
thue
Punkt für Punkt zu beantworten.
"....... und ein
stiller klarer Gruß von einer klaren stillen Knospe,
"die mächtig
hervor aus dem dunkeln starken Schafte sich drängt -"
Ich
wollte Dir zu Anfang meines vorigen Briefes Dir gleichen
Gruß
zurück geben wurde aber nachher irre ich nicht durch
Einwirkungen
davon abgehalten, denn mein Callastock, eigentlich
wie ich schon früher
sagte Ernestinens hat eben in diesen Tagen
so seine dritte Knospe und Blu-
me schon in diesem Jahre geboren.
Und in welch einer Klarheit!-
In Lilienweiße und solcher Klarheit
trat sie aus dem Schafte, den
von Hoffnungsvollem Grüne
schwellenden hervor. Noch nie habe ich dieß
früher von einer
Knospe dieser Art bemerkt; immer sehe ich sie An-
fangs erst mit
mehr oder minder Grün gefärbt und nach und nach erst
später sich
entfärben. Es erschien mir diese immer als eine
Unvollkommen-
heit der Blumen; gleich in ihrer reinen Weiße
müßten sie geboren
werden so meynte ich und ich freue mich mich
nicht geteuscht zu haben.
Es hängt dieß auch ganz mit dem
zusammen was ich Dir in diesem
Briefe weiter unten noch zu sagen
gedenke. Auch die Stelle aus welcher
die Blume hervortrat war
anders als ich sonst bemerkt habe geformt,
freyer, off[e]ner, so
daß die Blüthe ohne Zwang und Drang gleichsam
wie aus einem Thor
hervor kam. Den Grund finde ich darinn, daß
ich die Blume bey
mäßiger Temperatur und fester Stell[un]g immer mit
der nöthigen
Nahrung - Wasser - versehen hielt. Es konnte dieß
leicht mein
Lieber Langethal der sinnbildliche Anhalt für eine
lange
Erziehungsepistel geben. Doch Dein Brief ist lang und er
hält noch ma[n]chen
Merk- und Denkstein welchen ich ja nicht
unbeachtet vorbey gehen lassen
will, so muß ich Dir die
Schreibung dieser Epistel schon selbst über-
lassen. Später unten
werde ich wie gesagt, so zu diesem Bilde zurück kehren[.]
- Ja
am 5
en Tage muß jeder Brief von
Rudolstadt in Burgdorf u /
[67R]
in
Rudolstadt und wenn sogleich Gelegenheit da ist in
Keilhau oder
Blankenburg eintreffen. Die Posttage von (hier) nach
Burgdorf sind
Mondtag und
Freytag vor 6 Uhr Abends v.
Rudolst: Mittwoch und
Sonntag vor 11 Uhr Vormittags.
"........ da fiel mir aber plötzlich ein: allein wenn
<Schar> die Zuschrift
"nicht für nöthig findet, so
darfst Du dann keine schicken."-
Ja, so ist es: unzeitig Hülfe von andern erwarten wie unzeitig
die
Hülfe anderer in Anspruch nehmen, legt uns Fesseln an uns
dann
selbst zu helfen; - allein auch umgekehrt: unzeitig und
voreilig
sich selbst helfen zu wollen und zu helfen, ehe sich die
nöthige Hülfe
in der Umwelt entwickeln konnte, schwächt diese
nicht nur, sondern
vernichtet sie wohl gar. Diese beyden
Lebenssätze sind bey einer durch[-]
greifenden Wirksamkeit im
Leben und für das Leben höchst wichtig.
Willisau hat, so
scheint es, in diesen beyden Punkten namentlich,
während des
letzteren Halbjahres gefehlt. Allein Ihr könnt Euch
beyde, Du und
Middendorff diesen Punkt recht
klar machen; sein
richtiges Erfassen ist ein mächtiger Hebel für
das Leben mindestens
ein seegensreicher Pfleger desselben.
"Aber ich dachte weiter: wo zeigt Gott je beym
Anfange eines Werkes,
"was für Kräfte es kostet; er führt mit
gutem von Hoffnu[n]gen geschwell[-]
"ten Seegel hinein; ist man einmal
mitten drin, so mag man wohl
"nicht liegen bleiben und Kräfte
entwickeln sich die man noch nicht
"kannte."- Das sind ächte
und somit achtungsvolle Mannes Gedanken
allein es sollen nicht
Gedanken bleiben, sondern sie sollen Bestimmu[n]g[e]n
unseres
Handelns unseres Thun[s] werden. Darinn
eben liegt es daß
wir untreu an den
guten Hoff[n]u[n]g[e]n werden mit welchen wir ans
Werk und in das
Wirken treten. Diese Daß wir diese
guten Hoff[-]
nungen aus unserm Herzen
u Gemüthe, eben als Öffnu[n]gen,
Öffnungen unseres Herzens u
Gemüthes, aus demselben schwin-
den lassen. Diese Handlungsweise
hat uns schon oft an den Rand
des Verderbens gebracht und ruhete
unser Wirken nicht in dem
Leben an sich wir wären längst in
nichts zerstoben.-
"und [sc.: Und] ich kämpfte
mich durch bis hinauf zum Bug.
Jetzt war aber
auch alles
überwunden." Ja bis zur Lebensum- und
Übersicht
muß der Mann sich
durchkämpfen, dann wirds ruhig im
Leben, es regt sich nur noch im
seegensreichen Wehen. Wer
sich nicht bis zur Lebenseinsicht durchkämpft; der bleibt Diener u
Knecht
so treu er auch war, so rastlos er arbeitete. Ich habe es schon
oft
ausgesprochen und ich werde in diesem Briefe ohne Zweifel,
noch
darauf zurück kommen.
"Es war mir recht wohl, daß
ich den Kindern sagen konnte: ich /
[68]
versprach euch
gestern, daß ich, wofern ich nur im[m]er konnte, morgen
wieder
bey Euch sey[n] wollte,
mußte ich nun nicht Wort
halten?-"
So muß man reden und reden können, d.h.
also handeln wenn man
das Leben in seinen Erscheinu[n]g[e]n in
seine Gewalt bekommen und beweg[e]n
will, denn
Wahrheit und somit
Nothwendigkeit (denn die Wahrheit
gebieret
die Nothwendigkeit) muß wieder ins Leben kommen wenn
auch wieder
ächte Freyheit ins Leben kommen soll, denn Freyheit
wird von der
Nothwendigkeit geboren; Freyheit ist nichts anders als
die mit
Selbstwahl und Selbstbestimmung erfaßte und
ausgeübte
Nothwendigkeit. Jesus selbst führt immer auf die innere
Nothwendig[-]
keit zurück ... "Mußte es nicht also
geschehen?" .... ich muß thätig seyn
schaffen wirken, mein Vater
wirkt auch. pp. pp. ... Langethal! ver[-]
folge nun einmal die
Wirku[n]g dieses Handelns in Beziehu[n]g auf Deine
Kinder wenn Du
kannst u Du wirst des Seegens davon viel schauen.
"..... Es trat mir als Grundgedanke für unser Verfahren
entgegen:
"Nur
wir und nur
wir in uns können die Frage entscheiden,
ob
"
Middendorff seine
Familie zu sich kommen lassen, oder ob er zurück
"zu ihr gehen
solle wir können und sollen dieß durch klare durch
"klare
Durchdringung der Gesammtverhältniss[e]." .. So war auch
die
Frage von
Barop an Dich und
Middendorff nur gemeynt;
allein keinesweges so daß Middendorff zu
den Vereinsglieder[n]
gehen und sagen sollte. Aus der Gesammtheit
unserer u besonders
meiner häuslichen Verhältnisse geht mit
Nothwendigkeit hervor daß
ich mich bis
Ostern entscheiden muß zurück nach K. zu gehen oder
hier in W. zu
bleiben was entscheidet ihr nun das geschehen muß?-
Einen solchen
Mißgriff konnten wir von Middendorff
ni[c]ht erwarten. Die
Forder[u]ng war ganz einfach: er sollte den
dortigen
Gesammtverhältnissen näher als wir darinn klar lesen
was sie
forderten und uns dieß aussprechen. Auch schien er mir
zu träumen
oder zu schlafen in Beziehung auf seine eigentliche Stellung
zum
Ganzen und die ihm übertragene Sendung; und wirklich ist
es so er
hat auch wirklich wie ein aus einem tiefen Schlaf Er[-]
weckter
gehandelt. Dazu kommt noch die höchst unmännliche
Unüberlegtheit
von einer Sache, welche noch im tiefsten ernstest[e]n
Männerrath
besprochen ja da mit einer gewissen Scheu im be-
stimmten Wort
ausgesprochen - ein Frauen[-] sogar ein Mädchen[-]
gespräch [zu]
machen. Ich dränge das Viele zurück was ich darüber
zu sagen
hätte, genug die Folgen davon waren die die es waren:
Wie sollte
Elise das Mädchen noch überdieß über einen Gegenst.
welcher ganz
außer den [sc.: dem] Bereich ihrer
Beurtheilu[n]g liegt - (:Vater
verhältnisse) - überlegter
H handeln als Middendorff der
Mann? /
[68R]
Ich wünschte nur daß Middendorff die
Wirkungen davon sow[o]hl
auf Barop als im Hause der Seinen
gesehen und empfunden
hätte um ihn für [sc.: vor] ähnlichen
[sc.: ähnlichem] Handeln in Zukunft zu schützen.
"..... Mir
scheint es bey einem Naturmenschen, wie bey einem
"Naturvolke
alles auf den Schwung des Lebens anzukommen,
"schlechthin nicht
auf ein aus Einsicht hervorgehendes bewuß[-]
"tes Handeln."- Das
ist es eben weil der Mensch schöpferisch
gestaltend handeln und
wirken soll; nun aber gehört sehr viel
dazu eine Sache
schöpferisch gestaltet hinzustellen - nemlich schöpfe[-]
rische
Lebenseinheit - wo nun der einfache reine - wie Du
ihn nennst
eine S solche Sache sieht, da wird er
auch von der
schöpferischen Einheit, wie Wahrheit ergriffen und
in seinem
tiefsten Innern eben auch als ein schöpferisches Wesen
bewegt
was Du Schwung nennst.- Jene schöpferisch
gestaltende
Einheit aus unserm Kreise aus den
Gestalten seines Wirkens
eben
hervorleuchten zu lassen. Dagegen hat eben unser Kreis
wie jetzt
wieder in Willisau, so oft und so schwer durch sein
vereinzeltes
persönliches Wirken ja denken und Empfinden
gefehlt.-
"...... Darum dachte ich ferner, wenn rc .... so muß ihnen
unmittel[-]
"bar sicher und fest ausgesprochen werden: "und nun
ist
Middendorff"(oder bin
ich)
fest entschlossen zur festen
Grundlegung des Ganzen auch
seine (meine) Familie herkommen zu
lassen."- So war es; allein
Middendorff sollte
uns dieß erst aussprechen, damit wir die
Mit[-]
tel zur Ausführung wie wir sie entweder schon in der Hand
zu hab[e]n
glaubten oder wie sie sich zeigen würden darauf prüfen
könnten. Wer
denkt sich denn einen solchen Mißgriff hinzugehen.
zu den schwachen Vereins
Gliedern und zusagen: -
meine Lage,
unsere Verhältnisse
fordert fordern Entscheidung
ob
ich zu Ostern gehen oder bleiben soll:
entscheidet
ihr nun, was
ich was
wir zu thun haben. Aber so ist es, es
ist immer das Tragen u Pflegen, das
im Auge haben von
Einzelnheiten was zu seiner Zeit auch sein Recht findet
und
löblich ist allein zuerst muß das
Ganze in seiner
Einheit und Ungestückt[-]
ja
Ungetheiltheit ins Auge gefaßt u gesehen
werden was dieses
forder[t] und dann
müssen alle Kräfte zusammengedrängt werden diese Forder[un]g
zu
erfüllen, so wird dann später auch das Einzelne erfüllt und
gerecht
werden. Ich kann es gar nicht oft und eintringlich
[sc.: eindringlich] genug sagen: - Midden[-]
dorff verliehrt sich
zu viel in Einzelnheiten und um nicht zu sagen
Persönlichkeiten
in Äußerlichkeiten, dieß ist nun an seiner recht[e]n Stelle und
zu
rechter Zeit recht gut; allein jetzt steht er anders als in
Keilhau
jetzt soll derselbe das Ganze stets im Auge haben und die
Zügel des
Ganzen; Ich habe gar nicht geglaubt daß Middendorff so
in dieses Ver[-] /
[69]
einzelungsleben einseitig
eingerostet sey. Der höhere Mensch, der Mensch
und Mann in seiner
Stellung muß sich individualisiren und universalisi[-]
ren; er
muß spezialisiren und generalisiren, verallgemeinern und
dem
Besondersten leben können; er muß nicht nur Dichter u
Componist, sondern
auch Regisseur (
Göthe) und Conzertmeister, Musikdirector seyn (
Spohr)[.]
Um sich
in dem Einzelleben und
durch das Einzelleben auch zu
verallgemeinern
müßte eines [sc.: eine] der größten Strebungen
Middendorff seyn, seine
Familie
mit sich zu vereinen; aus seiner Familie heraus da müßte
er für das
Höchste Allgemeine, das rein Menschliche, was
darzustellen uns Lebensauf[-]
gabe ist zu wirken suchen, wie
Jesus
aus dem
Geschlechte Davids auf die
Juden; von
Juden
aus auf die sämmtlich[e]n
I[s]raeliten
(Samaritaner mit
eingeschloss[e]n) von den I[s]raeliten aus auf
die Menschheit wirkte. Was
hilft es mir und uns denn wenn
wir, wenn
ich
Middendorffen in die Mitte
der menschlichsten
Familienverhältnisse versetze und er nicht versteht
in ihnen zu
leben gerad zu in ihnen und durch sie als Mann, als Vater
als
Bürger zu wirken, so steht er einzeln u vereinzelt, todt in
ihnen
und die reinsten Familienverhältnisse welken und sterben
ab. Es ist eine der
wunderbarsten, und in der Erziehung des
Menschengeschlechtes ganz gewiß
auf das Höchste zu beachtende
Eigenschaft des Menschen, Eigenthümlich[-]
keit der Menschennatur
daß er für das Beste Nahe gleichsam blind ist
und den Besitz der
edelsten Güther die er hat, nicht achtet. Die gesammten
Familien-
und Wirkungs- d.i[.] Berufverhältnisse in welchen
Middendorff[e]n
jetzt steht würden hundert andern als Ideal zum
Wirken für Menschen
wohl dastehen und er, er durchdringt seine
Verhältnisse nicht, er ergreift
sie nicht. Doch was hilft mein
Reden. Man kann keinen Menschen in die Mitt[e]
seines Lebens versetz[e]n welcher sich
nicht selbst hinein versetzt. Middendorff
aber hängt an einem
Phantome u nennt es sein Ideal. Sage Langethal!
wie hättest Du in
Deutschland eine Wirksamkeit finden können die Dir u Euch
beyden
erzieherisch mehr zugesagt hätte als die welche Du jetzt in der
Schweiz
besitzest, so auch Middendorff[e]n, hinsichtlich seiner
gesammten Familienver[-]
hältnisse u Willisau. Middendorff könnte
wie ein Patria[r]ch bald da-
stehen, allein er will wie ein
Künstler das Leben von außen machen
statt wie ein Gärtner u
Schöpfer von innen heraus pflegend zu entwick[e]ln[.]
- Warum
schreibe ich nun aber alles dieß an Dich und nicht gleich
lieber
an Middendorff selbst?- Aus zwey Gründen erstlich weil
mein Wort
unmittelbar ausgesprochen zu fordernd ist, und wenn es
erfüllt
wird ohne von dem eigenen Geiste aus sich dazu getrieben
zu werden
es statt Lust Last bringt; also um Middendorff die
persönliche Fr[e]yheit
der Selbstwahl und Selbstbestimmung
unverkürzt zu erhalten, dann abe[r]
auch weil Middendorffs Stehen
für Dich (
ungeheuer) wesentlich
wichtig ist
denn Willisau ist noch immer - beachte es ja
Langethal - für Burgdorfs Wirken /
[69R]
die Grundlage
und der Rückhalt. Willisaus Wirken ist der Vater des
Burgdorfer
Wirken[s]; ehre Vater und Mutter! Langethal um recht frey
in
Burgdorf zu stehen mußt Du Willisaus Wirken so heben, daß
Du in
Dir die Überzeugung hast u sagen kannst: Wenn ich hier nicht
rein
den Grundgedanken ausführen kann; wenn ihr mich hier
nicht frey
wirken lassen wollt, so gehe ich dorthin; dort ist für
mich genug
zu thun; -
dort fordert man mich. Wie ich
gleichsam pfleg-
end über dem Ganzen schwebe, so walte Du
pflegend über Willisau.
Beachte stets pflegend den
innern
Zusammenhang des Lebens, keiner von
den frühern Lebensfäden
darf wo möglich abreißen. Bedenke Du selbst
kamst von Willisau
nach Burgdorf; Willisau ist, in Beziehu[n]g auf die
Schweiz Dein
Vaterhaus. Wie verschieden würde Dein Stehen und Wir[-]
ken in
Burgdorf seyn hättest Du Willisau nicht im Rücken. Walte
darum
wie ein seegnender Geist über Willisau zu welchem oder
dessen
Stellvertretern Du Dich wieder umgekehrt stellen mußt und
zu
ihnen sagen: seht
ich bedarf Willisaus nicht, schon Burgdorf
fordert ganz
meine Wirksamkeit, aber ihr seht ich verdopple mich
um Dankbarkeit zu
üben rc. Langethal verstehe mich und suche
Deinem Verstehen getreu zu
handeln: alle von mir und uns jetzt
getriebenen Lebenswurzeln
und seyen es Zaserwurzeln müssen auf
das sorgligste gepflegt werden:
so günstig, so
einigend, so zu gemeinsamen Verständniß
hinneigend
so zu
gemeinsamer
bewußter Darstellung reines
Menschenlebens stand
unser Leben noch nie wie jetzt; darum
Achtsamkeit, Treue rc
"Alles Leben ein Ganzes!" Das pflegende
Leben an einem Ende
der Welt wirkt pflegend u erscheint pflegend
am andern Weltende
wieder; allein öffnet auch Euern in[n]ern Sinn
dieses Lebens innern
Zusammenhang u Fortwirku[n]g zu schauen.
"..... Ich meyne den Naturmenschen muß man vorthun,
sie bleiben
"dann nicht nach aber
auch nicht zurück, sofern alles richtig geschaut
"war."- ...
Sofern alles richtig geschaut war!-
Also Bedingu[n]g des kla-
ren Bewußtseyn, der Einsicht wie des
Überblickes. ...."Den Naturmen[-]
schen!" ... Langethal was setzt
Du denn Deinem Naturmenschen entgeg[e]n?-
- Doch nicht
den Kunstmenschen?- Unter Naturmenschen
verstehst
Du doch den Menschen welcher das Wesen des Menschen d.i[.] sein
eigenes
Wesen in sich wirken läßt wie das Wasser fließt und der
Stein fällt
ohne es zu wissen?- Sein Nachthun ist kein nachahmendes Thun sondern
ein
Mitthun des Thuns, welches er nun als sein
gewolltes Thun schaut
eben weil alles Leben ein Ganzes ist. "Sie
bleiben nicht noch wofern nur
alles richtig geschaut war d.h.
doch wohl sie handeln <nur / nun> ihrer reinen
einfach in
ihnen wirkenden Menschheit ge welche
ihnen als eine bewußte
und
gegenständliche, abgespiegelte von außen gegenüber tritt -
getreu. /
[70]
Lieber Langethal! Ich halte es für ganz
wesentlich Dich auf Deinen Naturmensch[e]n
und auf sein von Dir
sogenanntes Nachthun aufmerksam zu
machen;
Denn insofern darinn in diese Vorstellu[n]g ein
Nachahmen mit einspielen sollte,
insofern würde
es Dein rein- und edel-menschliches Wirken
beschränken
denn welcher edle Menschen [sc.: Mensch] wünscht das
[sc.: daß] seine Mitmenschen ihn nachahmen
sollen, wenn darinn um es stark
auszusprechen: Die Vorstellung eines Nach[-]
äffens, sey dieß
auch noch so leise, mit einspielen sollte. Nein! Dieses
Nachahmen
ist nur die Wirksamkeit des geweckten Mitlebens,
was
gepflegt werden muß um es durch Bewußtwerden zur
Selbstständig-
keit zu erheben.- An die Naturmenschen an die
Pflege der Naturmensch[e]n
muß rein menschheitliches Wirken sich
anschließen; dieß ist ganz gleich
mit der Forderung Jesu an die
Kinder anzuschließen; und man kann den
Ausspruch wenn ihr nicht
werdet wie die Kinder rc rc ganz gleichbe-
deutend in den
übersetzen wenn ihr nicht werdet wie Naturmenschen
d.h. wie
solche welche sich selbst unbewußt das rein Menschliche in
sich
wirken lassen und ihnen folgen sobald sie seine Wirkung
empfinden.-
"..... Ich konnte mir Mid. Gedanken über
die Sache schlechterdings nicht
"anders denken, und
darum auch von mir keine Mittheilung darüber an
ihn.["]
Mein theurer Langethal! Dieses letztere daß
wir bestimmte Gedanken
Ansichten ja Einsichten und
Überzeugung[en] als schlechthin uns gar nicht
an-
ders denken könnend, in
Andern fest voraus setzten und auf ein
dem gemäßes Handeln
zählten, dieß mein theurer Langethal hat ganz
namentlich mich oft
an den Todesrand gebracht nur die ewige Wahr[-]
heit, die das
Leben in sich selbst tragende Wahrheit des
Grundgedanke[n]s
meines Lebens und Wirken[s] nur dieß erhielt
mich u mein Wirken
als ein lebendiges.- Ja lieber Langethal der
Mensch ist wohl ein zum
Bewußtseyn bestim[m]tes Wesen aber auf dem Wege
und nach dem
Gesetze des Bewußtwerdens.
Darum sollen wir zwar Bewußtseyn
und
Bewußtwerden als Streben von ihm fordern,
solches aber in
dem einzelnen Falle, wo die Folgen überdieß
wichtig sind, nicht auf
ein Handeln in und nach diesem Bewußtseyn
schon voraussetzen!
Das Theuerste, das Wichtigste kann dadurch
aufs Spiel gesetzt werden
Wahrlich wir haben es tief empfunden
und empfinden noch die Folgen
schmerzlich tief.- Nur einzig in
dem Falle wo schlechterdi[n]gs keine
vorhergehende Mittheilu[n]g
möglich ist, da soll man sich getrost auf un-
mittelbares
Verständniß verlassen; d.h. es vertrauend
hoffen.
Dein Leben und das Leben des Ganzen welches ja offen
vorliegt muß
für alles dieß Dir viel Beweise geben.-
"....... Die hohe Gabe, die uns durch dieses Handeln
geworden, ist wohl
"unter mehreren andern auch die: daß
Midd. den Boden, auf dem
"er
steht, näher kennen gelernt: - daß man die Menschen nicht nach /
[70R]
"ihren Worten, die oft nur das Werk unseres
eigenen, vor ihnen sich ent-
"falteten Lebens sind, sondern nach
ihrem wahren von uns zu erfor-
"schenden Standpunkte beurtheilen
müsse."- Ja das wichtigste
für Midd. ist daß er den Boden auf
welchem er
in sich selbst steht
näher kennen gelernt haben
kann, wenn er anders seine innern
Augen braucht. Für
uns ist es wichtig, daß wir jetzt einen
sprechend[e]n
Thatbeweis bekommen haben einmal daß unser Werk und
Wirken
ein gemeinsames ist, dann wie jeder Einzelne von uns zum
Ga[n]z[e]n
und als Glied des Ganzen in sich steht drittens: wie
weit wir nur
eben auf sein mit Bewußtseyn entsprechendes Handeln
rechnen können[.]
Auch in d
Viertens hat es mir gezeigt in wie weit eigentlich der
innerste
Grund- und Lebensgedanke meines und unseres Wirkens
überhaupt
in Einklang unter uns klar ist und lebendig wirkt.
Auch in der Beziehung hast Du ganz recht daß sehr häufig im Leben
wo
Eintracht und Einklang im Worte in der Rede ist, da ist um es
als
Gegenwort stark auszudrücken Zweytracht und Mißklang im
Hand[e]ln.
Ja Langethal ich habe sehr oft auf das Bild mit dem
Magnet u den
Nadeln oder der Eisenfeile aufmerksam gemacht: -
solang des
Magneten Kraft wegen seiner unmittelbaren Nähe auf
alle
einwirkt scheint alles nur Ein Leben - wie man im
Sprichwort
sagt ein Herz und eine Seele zu seyn. Ist aber die
Einwirku[n]g
unterbrochen so ist eben alles weiter nichts als
Eisenfeile.
Doch die stetig fortgehende
Einwirku[n]g erhebt auch die im Eisen ruh[-]
ende u geweckte
magnetische Kraft zu einem selbstst[ändigen] Magnet[en]
aber auch
das ist als daraus hervorgehend zu beachten wichtig, daß es wohl
viele manche giebt welche in Einklang
mit uns handeln aber im Wortausdruck
verschieden sind; hier muß
man sich hüten wegen des Wortes halber Miß[-]
verständniß zu
wecken, aber durch Thun der gleichen That mit klarerem Worte
die
höhere Lebenseinheit zu bewirken.
".... und daß
der Mensch das, was er nach klarer Durchschauung
"der
Verhältnisse und ihres Wesens beschlossen, mit
freudiger
"Sicherheit durchführen müsse u könne." .... Ja l.
Lgthl. so ist es!
Wanke nie in und nie
von dieser Überzeugung, und mache
daß
auch andere Deines Kreises, unseres Kreises Glieder nie
in u nie
von
dieser Überzeugung wanken, dann wären die Nebeltage W's
Tage des
Seegens für uns alle.
Mit all dem nun was Du wegen
Bärenbolds Abgang, wegen
RodasWanken; über das sich
wieder unerschütterlich u freudige in die Mitte-
stellen
Middendorffs, - über die
Wichtigkeit des freudigen Zustimmens
des Vereins als Grundlage
zum freudigen Zustimmen des Ganzen; - über
die allgemeinen
Verhältnisse in Willisau, Canton Luzern und der Schweiz
überhaupt
sagst, bis dahin wo Du mir Deine Ansicht mittheilst bin ich
einverstanden dieß hat alles meine Beystimmung. /
[71]
Auch damit bin ich einverstanden was Du nach Darlegung der
gesammten
Verhältnisse als Endergebniß aussprichst:- "Die Sache
innerlich und
"
äußerlich mit der größten Achtsamkeit zu
pflegen, bis sie unmittelbar
"sich selbst hilft (sich selbst
helfen kann) oder mittelbar durch den be-
"zeichneten Zeitpunkt
der
vielleicht schon nach dem May eintreten
kann".
Was Du mir nun im Verfolge Deines Briefes von den
Burgdorfer Verhält[-]
nissen und besonders von Euerm Wirken als
Lehrerverein schreibst hat
mich gar sehr erfreut.- Wie Du Dich
nun bey Gelegenheit der Äußeru[n]g
X-rs Wechsler darüber freuest,
daß man die Willisauer Sache aus
dem allgemeinen Gesichtspunkt
betracht[et], so mußt
Du ganz
besonders
Euer Wirken in Burgdorf aus dem
allgemeinsten Gesichtspunkte
betrachten und
forde[r]n. Von Burgdorf gieng bekanntlich die politische
Reform
aus. Die Thätigkeit der Burgdorfer ist aber noch nicht
erloschen:
vielleicht daß unser sehr um- und einsichtiger so wie
thatkräftiger
Wirksamkeit auch von Burgdorf im innern Gegensatz
von uns mit Bern
d.h. der Erziehungsbehörde von dort auch eine
pädagog[i]sche
Reform ausgehen könne; daß diese Reform von W-
oder B-
aus bewirkt werde mußt Du immer im Auge haben, und
deßhalb
Deine Kraft u Wirksamkeit, weder versplittern, noch
zerstreuen
noch verflößen. So wie ich das Ganze bis jetzt schaue
- (:Deine Abhand-
lung habe ich dem
Frankenberg zum Studium in Keilhau lassen
müssen:) -
freue ich mich Deiner Stellung. R.-s [sc.: Ries]
scheint sehr gern ausführend zu
seyn. Da ist es nur gut - was Du
auch bis jetzt thatest - ihm das Ma-
terial immer recht be- und
durch[ge]arbeitet zu übergeben; mache nur
die Sache gleichsam
unter seiner Ägide erst Wurzel fassend, nur mußt
Du ihm immer zu
zeigen suchen daß die Sache um so schneller und tiefer
Wurzel
fasse je Natur- d.h. Wesen getreuer sie sey. In Deinem
Handeln
und Wirken das sichere Bewußtseyn kund thuend, daß jenes in
einem
ewigen Lebensgedanken, in einer ewigen Grundwahrheit ruhe,
mußt
Du den Übrigens [sc.: Übrigen] und so namentlich R-s die Freude des
Ausführen[s]
des äußern Ordnens lassen. Verg. Laien Brev. M. März
XVII. (S.105)[.]
Daß Du
Middendorff meinen Brief mitgetheilt hast, dageg[e]n
habe ich gar
nichts, so wie nichts gegen die Gründe aus welchen
Du es thatest. Du
kannst es ebenfalls mit diesem thun, ja es ist
mir lieb wenn du es thust.
Wenn nun auch Middendorff Dir meinen
Brief an ihn oder "an die drey Keil-
hauer Willisauer["], wie ich
hoffe auch mitgetheilt hat, so wirst Du sehen daß
ich ihm ganz
dasselbe auch unmittelbar ausgesprochen habe wenn auch in
etwas
anderer Form. Wenn ich an Middendorffs mögliche Wirksam-
keit in
seiner Familie u durch dieselbe in W- denke, so wird mir
ganz
warm, so glücklich stehen sie da wenn
er sie recht erfaßt,
und wenn
er sie
recht stellt, aber daß
ein Anderer solche für ihn stelle, dieß kann
ihm und /
[71R]
seiner Familie nichts helfen; oben sprach ich
mich schon darüber aus. Er
wirkte in Deiner Nähe und doch
getrennt; er wirkte selbstständig und doch ge-
eint u einig mit
Dir. Wäre Elise in
B Willisau
überflüssig und Dein
Gedanke führte sich aus daß sie Deiner Frau
Gehülfin Dir Miterzieherin
würde welch ein Stammleben ließe sich
ausführen?!- Ich sehe freylich
nicht wohl ein wie es sich in
Keilhau ausführen ließe, allein mir scheint
auch auf der andern
Seite daß Elise diese Wirksamkeit ganz zusag[e]n
müßte darum,
könntest u wolltest Du diesen Gedanken wieder auf[-]
nehmen so
ist es natürlich daß Du Dich zuerst mit Elisen; und dann
durch
Barop mit Keilhau
verständigtest.
"......: 1) R-s gänzliche
Umgestaltung."- Ja Lgthl.. Dieß ist die Frucht
geeinten
Wirkens von Deutschland aus. Ich will dabey nicht vergessen
daß
He. Gascard's jun. Treusinnigkeit und seine richtige
Erfassu[n]g sowohl
der Keilhauer als Willisauer Verhältnisse
wesentlich mitgewirkt hat.
"...... auf dem
P-sonntage ein Concert" .... "ein richtiger Griff von
ihm" ....
"So etwas hatte ich schon längst als Schluß des
Halbjahres gewünscht." ...
Siehe lieber Lgthl gleich einen
Beweis für das von mir oben Gesagte:
Wenn Du es als für das Ganze
ersprieslich wünschtest, warum
sprachst Du Deinen Wunsch nicht
auf diesen Grund hin aus?- Siehe
Barop wünschte es wie Du, hätte
er aber wie Du geschwiegen, so
würde in Willisau der richtige
Griff - nun von ihm veranlaßt [-]
schwerlich geschehen seyn.
"...... II. Xaver We[c]hsler hat an seine Eltern
geschrieben ...." Ja lieber Lgthl
was Du bey dieser
Gelegenheit aussprichst ist tief zu beherzigen.
Allein hierbey
muß ich Dich auf eine eigene Lebenserfahrung aufmerk[-]
sam
machen, welche Du mit uns machtest und die jüngst auch Barop
aus[-]
sprach: - Von den Eltern und von den Kindern von welchen
wir
für unser Wirken am meisten hofften ist nicht nur am
wenigsten
sondern sogar das Entgegnendste geschehen z.B. jü[n]gst
von Her[r]n v. W.
dagegen von anderen von welchen gar nichts
erwartet wurde,
die zeigten sich am Ende am eingehendsten und
ausdauern[d]sten. So
z.B. weißt Du, haben wir sehr wenig von
X- W- für die Anstalt
i. W. gehofft> und erwartet.
Du
erwähnst des Staatsrathes
Hunkeler ist der
nicht in Luzern etwas
von uns übersehen worden?- Ich glaube es
ist niemals von Willisau
aus Jemand bey ihm gewesen. War dieß
nicht nachtheilig? - zumal
bey seinem engen Verhältnisse mit
Wechsler?- Wie steht
Hunkeler
zu
Schnyder? - zu
Baumann?-
"...... Dieß wieder ein Beweis, wie
unser Leben wie vom ersten Anfange
"an; so bis diese Stunde von
der Hand der Vorsehung geführt wird. Wir
"dürfen uns - sofern
wir nur richtig einsetzen - auf das Höhere
und /
[72]
und allgemeinere Einsetzen
verlassen." .... Dieser Gedanke, diese Wahrneh[mun]g
ist so
wichtig daß ich sie in Keilhau wie auch wieder hier mit großer
Be[-]
stimmtheit hervorhob. Aber mein l. Lgthl! bey dieser
Wahrnehmung bey
dieser Folge daraus: wenn wir richtig einsetzen
setzt auch das Höhere ins
Allgemeinere ein, hierbey dürfen wir
schlechterdings nicht stehen bleiben
sondern müssen weiter und
tiefer gehen.
Erstlich: O! möchten wir doch
alle
dieß tief beherzigen! soll uns diese Wahrnehmung zu einer
durchgreifend[e]n
allseitigen pflegenden Achtung und
Würdigung unseres Wirkens hin-
führen, wir sollten rein und ganz
das uns zu pflegen Übergebene
behandeln und beachten wie Maria
den ihr geschenkten Sohn.
Allein lieber Langethal! - (sey mir
aber nicht böse sondern prüfe lieber
ob ich recht habe) haben wir
dieses Lebenspfand nur treu und stetig wie
Joseph der
Pfleger aber achtend und beachtend
gepflegt; haben wir dieses
Lebenspfand oftmals als ein gemeines
Menschenkind oder als eine Gottesgabe wie
wir nach der von Dir
ausgesprochenen Erfahrung doch wohl sollten
behandelt?- Doch
Zweytens: Haben wir uns denn im tiefsten
Lebens[-]
ernste die Frage gethan und beantwortet:- Warum?
warum!-
mag unser Leben wie vom ersten Anfange so bis diese
Stunde von
der Hand der Vorsehung geführt werden?- Warum?-
Warum?-
Warum?--- Wahrlich unseres Handelns als eines
gemein[-]
samen willen gewiß nicht denn dieß war ja wahrhaft
des
Schwankens, des Zweifelns, des Verlassens, des Entgegnens
hin[-]
länglich voll!- Also Warum?- Warum?- Warum?- Haben
wir
uns als Ganzes und als Einzelne diese Frage schon zur
Ge[n]üge
beantwortet?- Und was haben wir uns darauf
geantwor[-]
tet?- Endlich was hat denn diese Antwort wenn sie
erfolgte
im Leben gewirkt?- ?- ?- Laß uns Lgthl! die Frage thun
wie
ein Sterbender und beantworten wie ein Sterbender, damit es
Licht
in unserm Innern und in unserm
Leben werde, damit Vertrauen und
Zuversicht in unser Leben komme,
in unser Thun. Denn wahrlich wir
sind Sterbende wenn wir an
Lebensverjüngung, Lebensauferstehen
glauben.
Hast Du die
Frage beantwortet Lgethl? - thue es, ehe Du meine
Antwort
liesest.-
Des Grund- und Urgedankens wegen, der Grund- und
Uranschauung halber
Um der Grund- und Urahnung willen welche
meinem und so unserm
Leben zum Grunde liegt, aus welcher mein und
so unser Leben hervor
gieng, welche sich in meinem und so in
unserm Leben kund thuen
wollen und sollen [sc.: wolle und
solle].- Welches ist aber dieser Grund- und Urgedanke?
Davon auch
noch in diesem Briefe.
Dein Bescheid welchen Du wegen
Jaggi gabst war ganz Recht.- /
[72R]
In Beziehung auf das Kostgeld wegen Tit: freue ich
mich der Billig[-]
keit der Burgdorfer oder mindestens St-i's.
Allein lieber
Langethal Du würdest doch wohl thun wenn Du mir
gelegentlich
eine einfache Rechnu[n]g d. heißt eine einfache
Nennung der Gesammtsumme
die ich Dir schuldige zukommen ließest.
Auch diese Klarheit und Best[i]mmt[-]
heit in [sc.: im]
ökonomischen und pecuniären trübt keinesweges ein Leben welches sich
bis auf einen bestimmten Punkt durchgearbeitet hat, son-
dern
klärt und stärkt es vielmehr. Überdieß ist es mir mehr-
fach lieb
wenn Keilhau weiß daß eine bestimmte Summe von mir
auf
Deine und Deines
Neffen Rechnung ihr zu Gute komme.
In Beziehu[n]g auf die
oben von Dir mitgetheilten Entgegnu[n]gen
Funkes und überhaupt in
Beziehu[n]g auf die Langsamkeit auf
das geringe Fortschreiten
welche man uns bey unsern Schülern besonders
Anfangs zur Last
legte bin ich gestern auf ein schö[n]es
Gleichniß aufmerksam
gemacht worden. ChristianFriedrich
bemerkte nehmlich daß ehe der
erste Bogen zum reinen
Abdruck fertig werde könne wohl mehrmals
derselbe Bogen
correct abgeschrieben werden und so mag es wohl
seyn allein
ist einmal alles bis zum ersten reinen Abdruck
geordnet
dann tritt aber auch eine Vervielfältigu[n]g ein mit
welcher beson[-]
ders bey Schnellpressen Hunderte von Schreibern
nicht gleichen
Schritt halten können; so bey unserer
Unterrichsweise: während
wir den Grund legen können die
Anlernschulen vieles anbilden
haben wir aber einmal die
Selbstthätigkeit u das Selbstdenken in
unsern Schülern Zög- u
Pfleglingen geweckt dann holen die andern
mit ihrem todten
angelernten Wissen sie nimmer ein. Mir war
das Bild lieb darum
theile ich es Dir mit.
- Wegen
Gyger habe ich Dir schon verflossenen Freytag den
24
ngeschrieben, ohne Zweifeln [sc.: Zweifel]
hast Du den Brief heut schon den 28' be-
kommen oder bekommst ihn
spätestens morgen den 29
n und ich erwarte
nun
eben so bald bestimmt Antwort, wie von
Spieß wegen seinem Bruder.
Was Du mir über
Dein und Euer gemeinsames Leben, über das Leben der
Kinder über
das lebenvolle Mitwirken Antonens über Spießens
frohen
Gemeinleben schreibst hat mich alles gar sehr erfreut. Ich
möchte
Dir gern eine ähnliche Gegengabe von hier aus schon geben
allein noch
ist es zu unbedeutend. Deine Behandl[un]g
Rudi[s] war ganz zweckmäßig
ich habe -
wie ich vielleicht schon einmal erzählt habe einen älterern
[sc.: älteren]
Knaben ganz gleich behandelt, dem ich ebenfalls
Unterricht geben u
mit ihm leben mußte; Alles geschahe doch ohne
persönliche Lebenstheilung
er hielt es wohl 3 Wochen aus; dann
aber kam er zum Gefühl des Unrechts
und sank mir in die Arme.
Leider ist diesem Mittel nur selten Anwendu[n]g verstattet. /
[73]
Blankenburg am
29en Tage im Monat des keimenden
Lebens.
Zuerst einen recht freundlichen
Morgengruß Dir und Euch allen zum
schönen heiteren Tage welcher
Euch gewiß ebenso als uns umgiebt.
Ich freue mich recht, daß
mich zu dem was ich Dir zu sagen habe, und was
eigentlich den
Hauptzweck dieses Briefes ausmacht zu welchen [sc.: welchem]
alles
bisherige gleichsam nur Einleitung war, so klares Licht,
ein so heite-
rer, ja warmer Frühlingstag umfließt, damit auch so
klar und licht[-]
voll, so lebenswarm die Wahrheit von mir aus-
und ins Leben in
unser aller Leben zunächst einfließe.
Nach meinen bisherigen, besonders jüngsten und auch diesen Brief
an
Dich wirklich geliebter Langethal! könnte es nun wohl für Dich
und uns
so wie überhaupt scheinen als habe sich jede entgegnende
Verschiedenheit
zwischen uns ganz aufgelöset, oder als meyne ich
es wenigstens und neh-
me es gleichsam in einer Art
Selbstteuschung und um des lieben Frie-
dens willen an. Nein,
theurer Langethal! ich wollte nur erst Dein
ganzes Wesen für Dich
und mich völlig anerkennend und anerkannt
außer mir und uns
gegenüber hinstellen und dann um so klarer die bis jetzt noch
Stattfindende
innere entgegnende Verschiedenheit zwischen
uns
zum Ergebniß seegnenden Einklanges zu erkennen und zum erken-
nen
machen auszusprechen; und dieß ist bey Deinem Charakter bey
der
Reinheit Deines Gemüthes u Geistes, bey der Kraft dem Muthe
und der Aus[-]
dauer Deines Willens und Wollens, bey Deiner
gänzlichen ja aufopfernd
hingebenden Lebenstreue keine geringe
Aufgabe, eine so schwierige Auf-
gabe daß sie nur durch die
höchste und reinste Wahrheit des Lebens mög-
lich wird. Millionen
von Menschen würden also wohl äußerlich in und an
meiner Stelle
und unter den zwischen uns sich jetzt aussprechenden
Lebens[-]
äußerungen zur Erhaltung des lieben Haus- und
Lebensfriedens jene
Erörterung wohl ganz an seinen Ort gestellt
seyn lassen und das liebe
Lebe[n] auf dem Wege und in dem Geleise
wohin es gebracht worden oder
gekommen ist ruhig
neben und mit einander hinleben. Eben nun
aber,
weil Millionen wohl so handeln würden, denke ich zum Heil
und Seegen
von Millionen darüber ganz anders und
denke handle ganz anders.
Aus
dem vorstehenden dieses Briefes wird Dir klar geworden seyn,
daß
es bey jedem Leben, bey der Bedeutung und Wirksamkeit jedes
Lebens
es eigentlich auf den Grund- und Urgedanken, auf die
Grund- und Uranschau[un]g
auf die Grund- oder Urahnung ankomme,
welche demselben zum Grunde
liege. Man nennt diesen Grundgedanken
auch wohl die Gesinnung[.] Schon in den [sc.: dem] Schriftchen "An
unser Volk" habe ich ausgesprochen,
daß eigentlich jeder Mensch
nur einen Grundgedanken habe, dessen
Darstellung und Ausführung
sein[e]s Lebens Aufgabe sey. Allein man hört sogar
von Haupt- und
Grundgedanken, von
herrschenden Gedanken,
ganzer Zeiten und
also Menschengeschlechtern reden; folglich muß
es auch einen Grund- und Urgedanken /
[73R]
eine solche
Grund- oder Uranschauu[n]g, eine solche Grund- oder Urahnu[n]g
für
das ganze Menschengeschlecht, für alle Menschengeschlechter -
also für
die Menschheit eben als solche geben. Also das ganze
Leben der Mensch[-]
sc heit das
gelebte und das noch zu lebende muß sich also darum als
ein
einfacher Gedanke, in einem ganz einfachen sogenannten Satze
aus-
sprechen lassen. Du siehst nun schon daraus lieber
Langethal, wie wich-
tig es überhaupt für jeden Menschen ist, daß
seinem Leben nicht nur
überhaupt ein Urgedanke und wo möglich der
Urgedanke der Mensch-
heit zum Grunde liege sondern daß es ganz
besonders wichtig für den
Erzieher, unerläßlich wichtig für den
Menschheitserzieher ist, daß
er nicht nur als Mensch u Person
überhaupt einen Ur- und Grundgedanken,
sondern
den Ur- und Grundgedanken der Menschheit in sich trage,
sondern ihn auch klar in seinem Leben
auspreche, darstelle, auspräge.
Siehe nun l. Lgthl! Den Ausdruck,
die Darstellung, die Ausprägung
einen solchen einfachen, klaren Grund- und
Urgedankens theils als eines
bewußten Lebensgedankens überhaupt,
ganz besonders aber als
des einfachen Grund- und
Urgedankens der Menschheit für ihre jetzig[e]
Entwickelungsstufe,
den vermisse ich in Deinem Wirken d.h[.] ich
finde ihn darinn
nicht klar und einfach ausgeprägt, sich überall
aus sich selbst aussprechend: -
"Naturgetreue Entwickelung des
Menschenwesens,"
"Wesengetreue
Entwickelung des
Menschen,"
"Reine
Darlebung der Menschheit,"
diese und ähnlich
auszusprechende einfache Gedanken kann ich wohl
klar ausgeprägt
in Deinem Wirken lesen; allein nicht den Ur- und
Grundgedanken
der Menschheit für und auf ihrer jetzigen Entwicke-
lungsstufe;
die so eben ausgesprochenen Gedanken lassen immer
das
Wesen des Menschen das Wesen der Menschheit
unbestim[m]t
und die Frage darnach offen; darum enthalten sie
keine Uran-
schauung, keine Ur- und Grundahnu[n]g, keinen solchen
Gedanken;
und somit kann auch ihre Wirksamkeit nur hinzukommend,
allein
nie unmittelbar erfassend seyn.
Was sind nun aber
solche Ur- und Grundanschau[u]ngen der Menschheit
solche Grund-
und Urahnungen derselben? - wo und wie finden wir
sie
ausgeprägt[?]
Bey den ersten sich empfindend und
denkend bewußten Menschen
wohl natürlich zuerst. (Adam, Eva). Wie
spricht und prägt sich nun
da die Grundahnung, die Uranschauung
des [sc.: der] Menschheit aus: -
Leben; - das Leben ein
einiges; - das Leben ein ewiges; ein
bewußtes
ein dem
menschlichen Wesen, der menschlichen Seele
angemesse[-]
nes, ein seeliges Leben, ja ein göttliches
Leben. /
[74]
Natürlich mußte diese Ur- und Grundahnung
der Trägerin, Gebä-
rerin, der Pflegerin alles
erscheinenden, menschlichen, bewußten Lebens
dem Weibe
zuerst kommen; da überdieß jede Grundanschauung und
jeder
Urgedanke als Ahnung zuerst dem Gemüthe entsteigt und das
Weib
vorwaltend Gemüth ist. Doch wie der Mensch wohl vor
seinem
eigenen Schatten erschrickt, so sehen wir ihn hier vor der
noch <nicht>
zu deuten
fähigen Urahnung seines eigenen Gemüthes erschrecken
rc rc. Doch
jene Ahnung "Leben" in [{]ihrer / seiner}
ganzen Fülle und Aus-
dehnung, Bedeutu[n]g, ist zu tief mit
seinem Wesen verwachsen denn
sein eigenes Wesen ist ja eben nur
Leben, das Leben selbst und
so wird wenigstens der Keim der
Lebens Verheisung, der Lebenser-
ringung <als> in Einem und durch Einen, als
Verheisung fest gehalten[.]-
Wo finden
wir nun, in der uns zugänglich[e]n Entwickel[un]gsgeschichte
der
Menschheit, weiter einen Ur- und Grundgedanken derselben
ausgeprägt?
"In Abraham." Wie spricht er sich da aus:
das einige, ewige, bewußte Leben
ist der Urgrund, der einige
lebendige Urgrund (:Gott:)
alles Lebens; nur wer in Einigu[n]g
mit ihm bleibt, der bleibt auch leben,
selbst wenn diese E[i]nig[un]g
durch persönliche Vernichtung hindurch gienge.
"In Mose." Das
einige und ewige Leben ist in Gott; Gott ein einiger
und lebendiger ist wie der Schöpfer
und Ordner; so der Herr und
Ge-
bieter alles Lebens; nur wer seinem
Herrscher Gebot
und Herrscher
gesetz
gehorcht, bis ins Kleinste - <ce> buchstäblich gehorcht der
lebt.
- (:Mit wie viel Worten es
auch wieder bey Abraham und Mose aus[-]
gesprochen worden, so
fühlst Du doch, daß es in beyden Fällen
nur Eine Uranschauung, nur
Eine Urhahnung [sc.: Urahnung]
enthält:)-
"In Jesu." (:Unbewußt vermittelt, geweckt und
genährt durch Maria
seine Mutter, welche die Einigkeit alles und die
Quelle alles
Lebens in Gott tief
empfindet, nur wer den Forderung[e]n des einig[e]n
Lebens genügt kann dasselbe in sich
aufnehmen und aus sich wie[-]
der
erzeugen; sie ist des Herrn
Magd:) -
der einige und lebendige Urgrund alles
Lebens ist auch der Ur-
grund
meines Lebens. - oder Gott ist mein Vater.
"Gott ist mein Vater" - Urahnung oder
Grundanschauung des Geistes
1e Folgerung daraus: so muß ich als Sohn mit
gänzlicher Hingabe
seinen Willen
befolgen.-
Ich bin aber ein Menschgeborner, ein
Menschensohn"
2e Folgerung: Gott ist der Vater aller
Menschen.
Aber nur das, was wir einsehen ist für uns da:
die, welche die Urahn[un]g
die Grundanschauu[n]g Jesu
mit ihm theilen, in sich wahr
finden - Jesus
nennt es, an ihn glauben,
welche ihm glauben, sind 3e Folgerung
Gottes Kinder. /
[74R]
Erstlich daß die Ur- und Grundanschauungen der
Menschheit zu gewissen
Zeiten und für gewisse Zeiten und
Geschlechter sich in und durch einzelne
Menschen aussprechen ist
so anerkannt als es natürlich ist. So z.B.
unter den Griechen;
[*in griechischen Buchstaben: toon
pantoon chräpatoon petron anthropos*].
Allein dieser Satz
läßt die Frage unbeantwortet warum?- Gehe aber
diesem: Warum?
nach löse es auf gieb ihm Antwort und Jesu'ssche
Grundanschauung
liegt im Hintergrunde, darum [sc.: darin] und in vielen [sc.: vielem]
Ähnli[c]h[e]n
dieser Art liegt der Grund der Fortschritte wie der
willigen Aufnah[-]
me der Rel. Jesu bey den Griechen.
Zweytens Wirst Du leicht finden und
einsehen daß die Grundan-
schauung Jesu sich innerhalb der kurzen
Lebenszeit Jesu gar nicht
aus- und darleben konnte, daß ganz
besonders die Folgerungen
daraus, die Kluft und Trennung zwischen
den Gemüthsahnungen und der
äußern Lebensansicht, gar nicht
ausfüllen konnte. Darum
bliebt
die Lebens[an]schauung Jesu - die Religion
Jesu - unvollendet und
an deren Statt erschien die Christliche
Religion, das Christenthum
die Priester- und Kirchenansicht oder
Behandlung des Lebens. Jesus
konnte nur noch Denksteine für die Unvollendetheit seines
Wirkens
und für die achtsame Fortentwickelung u Pflege desselben
setzen:
"Viel hatte er noch zu sagen."- "Doch die
Lebensentwick[e]lu[n]g geht auch noch zw[i]sch[e]n
2 und 3en die es mit der Sache tief, u ernst meynen fort!-
Der Geist ist Füh[r]er"[.]
"Es giebt ein 3faches und doch
[eine] in sich einige Kundmachung alles Lebens, und des Lebens
an
sich; prüfet, lebt derselben getreu, und das Leben an sich wird sich
auch durch und
in Euch kund thun."-
Was ist nun nach fast
zweytausendjähriger fortgeschrittener Fortentwickel[un]g
der
Menschheit, was ist jetzt die Grund- und Urahnung derselben; was
jetzt
ihre Ur- und Grundanschauung; was jetzt der Ur- und
Grundgedanke
derselben, und oder
vielmehr wie spricht sich jetzt die Urahnung, der
Grundgedanke
der Menschheit h aus?-
"Einiges, göttliches Leben in Allem und durch Alles:
bewußtes, einiges
göttliches Leben im
Menschen, in der Menschheit; Gottheit in der Mensch-
heit;
Gottheit als Menschheit; die Menschheit die erscheinende
Gottheit;
wie die Gedanken, die Ahnu[n]gen des Menschen der
objective Mensch sind.["]
Du siehest, Du empfindest, Du
ahnest, ja Du schauest nun gewiß auch nach diesen
unvollkommenen
Andeutu[n]gen mit mir daß das ganze Menschengeschlecht
die
Menschheit, so la[n]ge sie nun auf Erden erschienen ist, wirklich
nur
Eine
Ur- und Grundahnung, nur
Eine solche Anschauung,
nur Einen
sch solchen
Gedanken gehabt hat
und noch hat, den
der Göttlichkeit alles Lebens u
Wesens; besonders der Göttlichkeit des
Menschen Lebens u Wesens;
der bewußten Göttlichkeit des Menschenwesens. /
[75]
Ich hätte Dir nun lieber Langethal diesen Urgedanken der
Menschheit wie sie
ihn auf ihrer jetzigen Entwickelungsstufe sich
ausspricht gleich oben ausspre[-]
chen können, ja ich konnte ihn
noch mit größerer Bestimmtheit u Schärfe
hinstellen; allein ich
wollte Dir zugleich entwickelnd zeigen daß es der einige
und
beständige Grundgedanke der Menschheit ist, eben weil die
Menschheit
gar keine andere Grund- und Urahnung, keine andere Ur-
und Grundanschauung
als diese haben kann, weil diese Anschauung
sie eins mit ihrem Wesen u Leben, ja ihr Wesen
und Leben selbst
ist, welche sich nur auf den verschiedenen
Entwickel[un]gs-
stufen der Menschheit verschieden ausspricht,
verschieden aussprechen
muß.
Diese Grundanschauung nun des
Menschenwesens für die jetzige Entwicke-
lungsstufe der
Menschheit finde ich nun nicht klar und bestimmt genug
be-
sonders aus Deinem lehrenden und erziehenden Handeln
ausgeprägt hervorleuchten; ein so
bestimmtes Gepräge Dein Handeln
selbst trägt. Du lieber Langethal gleichst
in Deinem Handeln noch
gar sehr der Natur welche das Leben fesselt u
gefesselt
hinstellt, freylich zur negativen Offenbarung, Du ruhst
zu viel auf der
Gestalt und Erscheinung statt den innersten und
letzten Grund hervorzuheben und lebenvoll
zu zeigen aus welchem
die Gestalt und die Erscheinung hervorgeht.
Ich glaube fast l. L.
daß es Dir noch selbst an Auffassung des innersten
Lebenszusammenhanges und dessen Schauung in seiner letzten Quelle
fehlt. Natur- und Geschichte u. eigentl. mathema: <Sendung>
fehlt[.]
Beweise liegen in Deiner Ansicht und Deinem Ausdruck
vom Naturmenschen
liegen darinn daß es Dir ein Verlust war die
Vernichtung einer Form.
Es muß Dir dagegen als Lehrer und
Erzieher genügen daß Du in Deinem Schüler
und Zögling die Kraft
geweckt hast 100 und 1000 und viel schönere Formen
zu bilden, als
die vernichtete; auch geht mir aus dem [sc.: den] mir von Dir
mitgetheilten
Formen Figuren
hervor, daß Du bey ihrer Auffassung und Beurtheilung mehr auf
ihrer
Form, ihrer Gliederung als auf ihrem Leben ruhest; es ist
keinesweges genug
daß Deine Kinder Figuren erfinden, sondern sie
müssen sie auch lebenvoll
erfinden;
darum mußt Du sie leiten; daß sie selbst alles Todte von
den-
selben immer mehr entfernen und einen höhern einigern
Lebensaus-
druck erringen, was z.B. bey einer auch wohl einigen
der mir über[-]
schickten Figuren durch Versetzung, je eines
Steines ganz leicht gewesen
wäre; Mir wäre also die verbesserte
Figur, besonders mit, allein auch
ohne Angabe der Verbesseru[n]g
viel lieber gewesen als das blose Product des Knaben weil ich dadurch
gesehen
hätte, daß Du ihn, und wie Du ihn zur
Anschauung
einigen, und ich möchte sagen lebendigen Lebens führtest.
Du
betrachtest die Lebenserscheinungen, wohl
innerhalb gewisser
bestimmter Grenzen z.B. im Religions- und im
Gesangunterrichte, in ihrem einigen
und lebenvollen Zusammenhang,
aber nicht durchweg dieß beachte Äußere Rauhheiten
Unordnungen
und Nachlässigkeiten, die Dich sonst wohl mannigmal z.B.
in dem
Pappschranke der Kinder, in ihren Spinden umgaben - um nur
dabey
stehen zu bleiben, ob ich gleich noch tiefer eindringen könnte können
Dich lehren was ich meyne. Ich
würde theurer Langethal! diese
Einzelnheiten gar nicht berühren, und ich /
[75R]
berühre
darum nur wenige derselben weil Einzelnheiten sich immer leicht zum
Guten wenden lassen - wenn ich nicht wüßte daß Du von
mir That-
und
Sachbeweise fordertest und wenn ich hoffen könnte, daß Du
mich von
der innern Anschauung, vom Gedanken, von der
Grundempfingung aus leicht
verständest.- Wie Du Dein Leben, was
so hochwichtig ist, in allen Beziehungen
mit Deiner Ernestine
berathest, wodurch Euer Leben, eben ein so reines
menschliches
wird, so besprich auch dieß mit ihr und sie kann
vielleicht
manchem von mir Ausgesprochenen Verständniß geben, was
Dir so noch
unverständlich ist. Das göttliche Leben spricht sich
überall auch im Kleinsten
klar und bestimmt aus, und eben dieses
klare und bestimmte Aussprechen,
wie namentlich auch in der
Natur, erfreut uns als ein Göttliches, in die[-]
ser Beziehung
wünschte ich wieder, daß Dein Leben der Natur wieder
ähnlicher
wäre. Was ich hier berühre und mit Dir bespreche, soll
sich nun so klar als lebenvoll bestimmt in u
aus dem Kund thun
was ich jetzt arbeite und bezwecke; daher könnte ich sagen
ich arbeite für Dich[.]
Also lieber
Lgthl! um die Auffassung, Anschauung, Hin- und Darstellung
alles
Lebens besonders aber des menschlichen als eines
Göttlichen, als eines
mit Bewußtseyn göttlichen darum handelt es
sich auf der jetzigen Stufe
der Menschheits Entwickelung. Du
kannst und wirst mir nun wohl dar[au]f
antworten: "allein der
Mensch l. Fr. muß nach und nach dazu
erzogen,
"muß nach und nach dafür
entwickelt und ausgebildet werden, übrigens
"bin ich ganz mit Dir
einverstanden und war es schon lange." Ja Lgethl[.]
mag seyn;
allein eben dieses Nach und nach ist der
Punkt um welchen es
sich handelt.-
Du bist Gärtner
L[an]gethal! Nicht wahr jedes Gewächs, jeder Saame erfor-
dert
eigentlich seine ganz eigene Behandl[un]g. Wenn Du einen
Weinstock
pflanzest, so behandelst Du ihn
gleich wie Du ihn nur
pflanzest als
Weinstock nicht aber als
Weide auch nicht überhaupt nur als eine
Pflanze oder ein Gewä[c]hs,
sondern sogleich vom ersten Beginne
an als
dieses bestimmte Gewächs;
so ist
es also auch nöthig, daß der Mensch von seinem Erzieher und
Lehrer
gleich in s der Göttlichkeit seines Wesens
erfaßt und demgemäß
gepflegt werde. Die richtige Erfassung
un des Pfleglings seiner
besondern und
allgemeinen Entwickelungsstufe nach, das ist es
hauptsächlich was den wah[-]
h
ren Menschenerzieher bezeichnet; so giebst Du mir gewiß zu, daß
2
Knaben, wie nicht minder 2 Mädchen, welche ihren [sc.: ihrem]
Alter und sonstigen
innern Fähigkeiten u äußern Verhältnissen
nach ganz gleich sind wovon der oder die
eine aber Deutsche oder
der oder die andere aber Schweizerin ist jeder ganz
anders als
der andere behandelt werden müsse
n;
so also auch ein und ebenderselbe
Mensch auf und in verschiedenen
Entwickel[un]gsstufen der Menschheit,
So [sc.: so] fordert z.B[.]
der Wein eine andere Behandl[un]g wenn Du ihn
pflanzest, eine
andere wenn er
knospet, eine andere wenn er
blüht eine andere wenn
er
fruchtet und wieder eine andere wenn die
Frucht gereift und gebro[c]hen ist.
Siehe Langethal! so will denn
auch das Menschenkind daß es gleich von /
[76]
seinem
ersten Erscheinen an ganz
der Stufe gemäß
und getreu behandelt
seye, auf welche[r] die
Menschheit in dem Augenb[l]ick seines
Erscheinens.
eben im errungenen Selbstbewußtseyn steht; so wird
denn auch das
Schweizerkind gleich als (freyer) Schweizer das
Deutschekind gleich als (arbeit-
samer) Deutscher erfaßt; wie
auch das Christenkind sogleich als Christ;
man behandelt das
Christenkind nicht zuerst als Heiden oder als Juden, ob
man
gleich noch nicht sagen kann, daß es schon in sich Christ
sey. So behandeln wir das
Kind überhaupt schon als bestimmten
bewußten Menschen nicht als
Thier ob es
sich gleich fast nur
thierisch äußert; und
es ist recht so,
würden wir es nicht so behandeln, so würde es
nie ein bewußter Mensch werden
so sollen auch wir hinwiederum den
einfachsten Menschen in seiner Göttlichkeit behandeln, damit er
göttlich werde und ein seinem Wesen getreues Leben führe.
Alles Leben also l. Lgthl. entwickelt sich stufen-, schritt-
gradweise - und
will dann auch auf jeder seiner
Entwickel[un]gsstufe derselben getreu gepflegt
seyn. S[i]ehe z.B.
Alles Leben eines Baumes ist ein Baumleben; allein ist
das Leben
des Keimes und Herzpunktes nicht ein ganz anderes als das
des
Saamenkorns; ist das der Knospe nicht ein anderes als des
Zweiges? -
ist das des Blattes nicht ein anderes als das der
Knospe u des Zweiges? -
ist das Leben der Blume nicht ein ganz
anderes als das des Blattes;
ist das Leben der Frucht nicht ein
ganz anderes als das der Blume? -
kann man sagen, daß
der Zweig zu Blättern, daß
die Blätter zu Blüthen u Blu[me]n
daß die Blüthen und Blumen als solche
zur Frucht werden?- Jedes ist
gleich
auf seiner Stufe in seinem kleinsten Keime das, was es ist, das
Blatt
Blatt; die Blüthe, Blüthe; u die Frucht, Frucht und will
sogleich seinem ganzen
Wesen nach so behandelt seyn; nie wird der
Gegenstand einer niedern Entwicke-
lungsstufe zu einem
Gegenstande einer höhern Bild[un]gsstufe: das Blatt wird
nicht
Blume. Siehe selbst die Calla an: welche innere
Verwandschaft zwisch[e]n
Blatt u Blume, aber wird
äußerlich aus dem grünen Blatte
nach und
nach d[urc]h Steigerung oder
Abstreifung wie Du es nennen willst die schöne
weiße Blüthe?-
Tritt nach und nach aus dem grünen Blatte,
oder auch nur
aus dem weißen Blatte der Blum[e] die Saamenkerze
hervor? - wahrlich
nicht! jedes ist gleich
in der Erscheinu[n]g als das und
in der leisesten Spur der
Erscheinu[n]g als das da, was es ist
und seyn soll.
So nun auch
Langethal! ist nun auch der Mensch (mit allem was ihm
[sc.: ihn]
umgiebt u einwirkt, könnte man sogar sagen) als das
da, was eben
die Menschheit in der und auf der
Entwickel[un]gsstufe ist, in welcher
der Mensch erscheint und er
will dieser Entwickel[un]gsstufe getreu be-
handelt seyn und soll
es, ja auch alles was den Menschen umgiebt und
auf ihn einwirkt,
wie die gesammte Natur im Frühling eine andere
ist als im Sommer
und Herbste.--
Daß nicht ein äußerliches Übergehen (durch u
mit nach und nach) aus einer
frühen
Entwickel[un]gsstufe in eine spätere, aus einer niederen
in eine höhere der
Menschheit, statt finde, spricht Jesus durch
die Forderung aus: wenn ihr
nicht wieder von neuem geboren, oder
Kinder werdet rcrc so. /
[76R]
30/III Wenn Du mich nun l. Lgthl in dem bisherigen - was mir
leider nur unter viel-
artigen Stöhrungen, wie Du dem Ganzen
leicht anfühlen wirst - niederzuschreiben
möglich wurde -
verstehst, so wird es mir leicht werden mich mit Dir über
mehrere
meiner Forderungen im Leben und über mehreres von mir
Ausgespro[-]
chene zu verständigen.
Du siehest also wohl
lieber Lgthl.
erstlich: Daß die
innerste die erfassende Ansicht u Anschauung
Ahnung des
Menschenwesens auf der jetzigen Stufe der
Menschheitsentwick[-]
lung, auch nur schon in diefster
[sc.: tiefster] aber lebenvoller Ahnung, auch
schon eine ganz andere Ansicht
und Anschauung des Lebens wie
der ganzen Natur fordert und
bedingt; eine ganz andere
neue Ansicht
aller Erscheinungen und Äußerungen des Lebens
und der Natur, daß
sie gleichsam eine ganz andere Ansicht des Lebens
und der Natur
hervorbringt, schafft; mit allem was daraus
hervorgeht.
zweytens, daß wenn eine
solche erhöhte, gesteigerte, erfassendere An-
schauung des Menschenwesens und der Menschheit, wenn sie
auch
nur schon in der Ahnung und als Ahnung erhebend und
steigernd
für das Menschengeschlecht als Ganzes und für die
einzelnen Men-
schen als Glieder derselben wirken soll, daß diese
Ahnung dann Ein-
klang und Beystimmung mindestens wohl in eines
Menschen Gemüthe,
in einem Menschengemüthe finden muß, und daß um
so bestimm[-]
ter, klarer und lebenvoller dieser Einklang ist,
diese Beystimmung ist,
daß dann auch um so bestimmter, klarer und
lebenvoll gestalteter
die Mitwirkung
zur Fortwirkung, zur Fortentwickelu[n]g, zur Dar-
lebung
jener Ahnung seyn wird. Eine Zwey muß es wenigstens
seyn, weil
zwischen der Zwey als eben als solche
in sich entge[-]
gengesetzt als gebend u empfangend, als weckend
und erwacht,
die Einheit liegt.
drittens. Dieses Zweyte
findest Du mich nun, zwar durchweg - wie es dem
Wesen und Zwecke nach gar nicht anders seyn kann -
immer als Ge[-]
müth aber
{in / unter} den verschiedensten Formen: in der Familie als
schon
gegeben, in der Freundschaft, im Volke usw; usw; suchen;
allein
immer ohne den unerläßlichen Erfolg auffunkender und
keimender
hingegebener stetig
pflegender Aufnahme der Urahnung der
Menschheit: Göttlichkeit des
Menschenwesens, einer solchen hinge-
gebenen Aufnahme wie die
Mutter dem empfangenen Kinde ganz
gehört. Jedoch
ohne die Erfüllung einer
solchen Erscheinung ist an
die
Erfüllung der Hoffnung und Sehnsucht des Menschengeschlechtes
ganz und
gar nicht zu denken; die gehoffete und ersehnte neue
Entwickel[u]ngsstufe,
erhöhte, gesteigerte Anschauung und Ahnung
des der Menschheit muß aus
dem
von demselben ergriffenen
Gemüthe, in
stetiger Pflege, hervorgehen. /
[77]
Viertens da nun aber die weibliche Hälfte des
Menschengeschlechtes vorwal-
tend die Trägerin des
Gemüthes, wie die männliche des Geistes
ist; so ist
natürlich daß die Urahnung der Menschheit vorzügliche
[sc.: vorzüglich] in dem weiblichen
und Frauen- in dem
Muttergemüthe ihre eigentliche pflegende Aufnahme
finden sollte.
Dieß bestätigt auch vor allen die Krone, die Königinn der
Frauen
Maria, die Mutter Jesu, so wie später die vielen hierher
gehörigen Thatsachen in
dem Leben Jesu selbst. In dieser
Überzeugung hatte die Jungfrauen- und Frauen-
pflege, die Pflege
des weiblichen Gemüthes und die stetige Vorführung des
Bildes,
des Lebens und Wirkens der Maria als Mutter Jesu in unserm Kreise
ihren Grund,
denn ausgemacht ist doch von ihr, daß sie eine
E einfache jüdische Jungfrau
war
aus kaum mehr als niederem Stande; - allein es scheint es
keine unserer
Jungfrau[en] und Frauen gewagt zu haben u. zu wagen
eine lebendurchdringende, wie Leben
gestaltende Anwendung davon
in ihrem Leben zu gemacht machen
zu. Da nun aber
dennoch zur
Erhebung des Menschengeschlechtes auf die der
Menschheit
bestimmte neue u nächste Entwickelungsstufe
unerläßlich ist, daß zu[-]
nächst wenigstens in einer
Menschenfamilie jene Urahnung und Ur-
anschauung der Menschheit
die herrschende Lebensbestimmerin und
Lebensdeuterin seye;
folglich muß vorwaltend der Erzieher ja selbst
der Lehrer in all
seinem Wirken tief in sich Leben
durchdringend u.
bestimmend, gestaltend, jene Grundanschauung,
jene Urahnung des der
Menschheit
festhalten und sinnig still in allem und durch alles,
vor allem
in der Kinder[-] und Jugendbeachtung pflegen, bis
das
Menschengeschlecht in sich und um sich so weit erstarkt ist,
daß wenig-
stens und zunächst einige aus. demselben es wagen,
jene Urah[n]u[n]g
für ihr eigenes Leben bestimmend, sinnig und
hingegeben fest zu
halten. An alle Töchter Judas, an alle
Jungfrauen aus dem Geschlecht
und Hause Davids ergieng lange der
Ruf und die Verheißung
das Heil der Welt zu offenbaren; bis eine
es wagte, diese Verheißung
hingebend pflegend u ausdauernd fest
zu halten.-
Hoffentlich lieber Lgthl wirst Du mich nun nach
dieser leider durch viele
kleinliche Stöhrungen nur zu lange
Darlegung verstehen was ich bey
all Deiner großen Treue, Ausdauer
und Hingabe in Deinem Wirken
und eben dieserhalb um so
entgegender vermisse es ist dieß[:]
der einige und
doch alles durchdringende lebendige Geist aus wel-
chem sich die
Erkennung, Anerkennung und Pflege der Urahnung
der
Grundanschauung der Menschheit, solche im einzelnen Men-
schen
wieder weckend und pflegend - kund thut.
Möchtest Du doch nur
mit mir ein einzigesmal empfinden wie der Geist
den ich empfinde,
welchen ich meyne Leben steigernd, Leben erhebend ist
lasse Dich
nicht durch die Frische, durch die Kräftigkeit und Fülle Deines
Lebens
Kreises teuschen, daß der Geist den ich meyne darinn
herrschend sey; es ver- /
[77R]
hält sich dieß zu dem was
ich fordern muß wie Laubwuchs zu
Blüthenwuchs, wie Laubfülle zur
Blüthenfülle.