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Blbg am 10 May 1840.
Sr Wohlgeb dem Herrn Jeckel
Oberlehrer an der
Dreykönigsschule
in Frankfurt
a/m.
Wohlgeborner
Hochgeehrtester Herr
Zuförderst Ihnen meinen
herzlichen Dank für Ihren
so freundlichen als förderlich
eingehenden Brief. Es ist für ein
noch so junges Unternehmen und
im Ganzen seinem eigentlichen inner-
sten Wesen nach noch so
allein dastehendes Streben gar sehr erfreulich,
wenn es an der
Hand der Erfahrung, der Ein- und Umsicht mit Redlichkeit
im
Zwecke wie vielseitig, so vielartig geprüft wird, und so
konnte es mir nur
Freude machen, daß Sie eines unsrer
kleinKinderspiele so schön geordnet in so
großen Maaßstabe
ausgeführt hatten. Sie haben dadurch thatsächlich
bewiesen, was
<eines> der Idee und den Grundsätzen gemäß nach welchen meine
Kinderspiele aufgestellt sind wahr war:
daß sie sich in
verschiedenen stetigen Entwickelungsstufen Ausbildung auch für
die verschie-
denen Entwickelungs- und Altersstufen verwenden
lassen. Ja ich habe nun schon seit
einem Jahre mehrfach mit
entsprechendem Erfolg
den Versuch gemacht, die von mir
aufgestellten Spiel- u Beschäftigungs-
mittel, ich meine hier,
außer den Bewegungsspielen die Spiel[-] u
Beschäftigungskästen
selbst für für schon ganz Erwachsene,
als Geist Gemüth
u Thatkraft gleich in Anspruch nehmende
Unterhaltungsspiele, in Anwen[dun]g
zu bringen bringen und ich würde dieß, hätte
ich nur die dazu erforderliche Zeit,
und ich glaube mit bestimmten Gewinn
wie für das gesellige u
häusliche
Familienleben u dadurch zur frühesten Pflege der
Kindheit in derselben
für diesen
Zweck durchführen. Da ich mich nun auch in der letztern Zeit
durch
unmittelbare Anwendung von der Zweckmäßigk[ei]t
der von mir auf- dieser Spiele u
Beschäftig[ungen]
gestellten Spiel[-]
u Beschäftigungs Mittel u Weise bey mehreren nur <eben>
das erste
Halbjahr zurückgelegten Säuglingen, mit andern u selbst
ihren Müttern
die bey dieser Anwendung zugegen waren, überzeugt
habe: so wäre
nun thatsächlich, selbst schon von dem
spät Säuglingsleben an durch
die
Jahre der Kindheit hindurch u bis durch das rein erfreuende u
so
Geist u Gemüth befriedigende Spiel der Erwachsenen u dieß
wieder zur
Pflege der Kindheit in der Familie zurück ein
vollständiger Kreis der Spiele dargethan. Dieß
wollte ich Ihnen,
hochgeehrtester Herr, bey Ihrer Theilnahme an
dem Gegenstand,
mindestens als historisch gegeben und so zur
prüfenden Beachtung
aussprechen. Das ist es ja eben was ich
durch die dargelegten,
freylich in Aus ihrer Ausbildung noch
wenig wenig
bekannten Spiele
erreichen will, daß ich auch dadurch ins dem Leben, die Be-
achtung u
Pflege der Kindheit, der ächten Theilnahme der Erwach-
senen von
derselbe an dem Kinderleben eben weil
dadurch das Leben der Erwachsenen auch
wieder einen innern Reiz
bekommt, näher rücke.
Hindurch suche ich nun den ächt christl
Forderungen unmittelbar
u geradezu entgegen zu kommen: einmal die
Kindheit in ihrer
uns noch zeigenden Unschuld u Reinheit nach den
Aussprüchen
unseres Meisters zu pflegen; dann sie vor Ärgerniß zu
bewahren,
endl[ich]
ihren ihren
innern u äußeren Sinn u Auge zu wecken, - um wie /
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in den Blümchen des Feldes, so an den Sternen des Himmels
die Güte
seines ihres Schöpfers
u
Vaters, wie in u durch diese wieder in u außer sich
<- mit
ihrem> Leben die ewige, dem Wesen des Menschen genügen-
de
Wahrheit der Aussprüche Jesus zu lehren, also wie ja
Jesus der
Meister in allem selbst that, Natur- Schrift- u Kind-
heitleben
in Übereinstimmung zu setzen u zu zeigen.
Ich gestehe Ihnen
ganz offen, daß ich früher in aller Unbe-
fangenheit, tief in mir
überzeugt von dieser wechselseitigen
Lebensdurchdringung sie
durch das der Sachanschauung auch
gleich lautende Wort zu
bezeichnen suchte. Da ich aber
jene tiefe Sach- u
Lebensanschauung nicht jedem mit dem
Worte zugleich geben konnte,
so sahe ich bald, daß ich Gefahr
liefe
daß ich, was gegen mein innerstes <Gefühl>
u Überzeugung
war, Gefahr lief,
daß man an zu den Maul[-] u
Wortchristen
gezählt zu werden (daß man
mich zu den Maul u Wortchristen zähle).
Ich schwieg also u
schweige noch jetzt, mich begnügend, nach
meiner tiefsten
Überzeugung <wegen> in dem
reinsten Sinn u Geist
Jesu zu handeln, wohl wissend, daß ich mich
dadurch einer
andern Verkennung u wenn Sie wollen, Verketzerung
der Meinung, eines
Mangels des das Wesen wirkl[ich] erfassenden
christl[ichen] Sinnes, Preis
geben. Allein ich will lieber, daß
mein Kindchen einen ächt
christl[ichen] Sinn, wenn auch für die
ersten Entwicklungsstufen wirklich
noch unbewußt
in sich trage,
all aber bey später erwachen-
dem
Bewußtseyn in sich tief gegründet u mit seinem Wesen
verwachsen
finde, als daß es später Gefahr laufe, durch den
so oft gehörten
<-> leeren Schall d[er] Worte auch die ihm gegebenen
Worte
u so die Keimpunkte eines höhern Lebens in sich
selbst weg zu
werfen.
Hier, hochgeehrtester Herr, haben Sie meine religiöse
Ansicht
als besonders als
Kindererzieher. Als Jugenderzieher
habe ich, so weit das Leben
meiner Zöglinge, welche zum
großen Theil nun Männer, ja
Familienväter sind, vor mir liegt,
die Freudigkeit, daß Jeder
Ihm ihnen deswegen gewiß
einen
praktisch religiösen Sinn, Leben u Wandel u wahre Heilig-
haltung
des Saamens, des Lebens u d Lehre Jesu zuerkennt. Diese
Thatsache
tröstet mich nun auch über die möglich halben
Urtheile, welche
über meinen christl religösen Sinn Leben
u Sterben gefällt werden
können; u ich kann mit Zuversicht
u Freudigkeit aussprechen u den
Ausspruch hören: „an
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
[177R]
Verzeihen Sie mir, daß ich ich mich Ihnen über diesen
G[e]g[en]stand
so ausführlich mittheilte. Es ist auch
nach mei soweit
ich mich
erinnere, das erstemal in meinem Leben daß es geschieht.
Allein
ich glaube es der achtenden Theilnahme, die Sie meinem
Wirken u
Unternehmen schenken schuldig zu seyn, Ihnen soweit
es in meiner
Kraft liegt, die Überzeugung zu geben, daß
Sie nicht nur im
Allgemeinen ein wirkl[ich] religiöses sondern
auch ein
christl[ich] religiöses, ja sogar
bibl[isch]-christl[ich]-religiöses
Streben pflegend u förderlich
beachten. Es sollte mir sehr
leid tun, in dieser kurzen Darlegung
meiner innersten
Überzeugung von Ihnen, Ihren Freunden u den
Freunden wahrer
Kindheit u deren Pflege, über diesen Ggstd [sc.:
Gegenstand] mißverstanden
zu werden. Sie sehen daraus wie
schwierig es ist, sich
über diese
Sache hierüber wirkl[ich] zu verständigen u daß man
immer
am besten thut, sich auf die reine That zurück zu
beziehen.
Überhaupt ist es meine tiefste Überzeugung, daß der
Mensch
unmittelbar ursprünglich,
eben weil er Mensch ist zwar ein mehr
oder minder starkes,
<-> ein mehr oder minder klares aber dennoch
<immer>
unbestimmtes religiöses Gefühl besitze in sich trage, was aber
aber eben wieder, weil er Mensch ist,
in ihm geweckt,
entwickelt, in allem seinem Thun ausgeprägt u so
immer
mehr zum klaren Bewußtseyn gebracht u
nun immer mehr als eins
mit
seinem Wesen erkannt werden muß, durch welches alles der Mensch
zu
einem gotteinigen einigen
Gesammtleben zu erheben ist,
emporsteigt welches ich als die
Krone der Religion erkenne.
Ohngeachtet dieser nun Ihnen wohl zu langen Erörterung
über
diesen Gegenstand, sehe ich mich doch, indem ich Ihre
geehrte
Zuschrift vor mich nehme um in meiner Beant-
wortung alle
wesentliche Punkte derselben zu berühren, ge-
nöthigt,
zwey wesentliche noch zwey
solche zu beantworten.
Erstlich
schreiben Sie: „Zudem wollen sich einige
gewichtige
Männer um deswillen mit Ihren Bildungsmitteln noch
nicht befreunden, weil, nach
Ihrer [sc.: ihrer] Ansicht, die
Kleinen in Ihrer Anstalt nicht früh genug
zu Christus hin geführt
würden.“ Nicht um meinet- wohl aber
der Kleinen willen,
möchte ich mich mit diesen gewiß so hoch
achtbaren als
gewichtigen Männern über diesen, ich leugne es
keinesweges, für
die Kindheit ganz wesentl[ichen] Gegenstand ver-
ständigen. Um
nun eine solche Verständigung herbey zuführen
frag möchte ich diese ehrenwerthen
Männer fragen: macht
es daß um eine gute Saat u Erndte zu
erhalten, daß ich meinen
Saamen und überhaupt frühe ohne
Rücksicht auf vorherige Bearbeitung
des Grund u Bodens
ausstreue, oder macht es das, daß
ich den Saamen in gut
be- u
durch durch[ge]arbereite-
tes
Land u zur rechten <-> Zeit ausstreue, so zur rechten Zeit /
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daß nach dessen Keimen alle
Gesammtthätigkeiten
der Natur, der Erde wie der Sonne, der Luft
wie des
Wassers, des Lichtes wie der Wärme
so in eins zusam-
menwirken
daß damit nun der Saame nicht nur
frisch
hervorwachse, sondern auch sich kräftige gegen
die
widrigen Eindrücke der
Natur
Witterung
damit und
erblühe zu
gesegneter Frucht. So sagen die Pomologen
zB., man soll die
Obstkerne nicht im Herbst aus-
streuen, sondern im Frühling,
damit durch Ungeziefer sich im
Frühlinge nicht leere Hülsen statt
der zum Keimen
geschwellten Kerne finden. Ich möchte nun
meine
Zöglinge Kinder gar gern
zu
solchen christlich
gottver-
trauenden Menschen erziehen, welche aus den
Kämpfen
u Stürmen des Lebens mit immer reinern u festern,
mit
solchem Glauben hervorgingen, wie er sich in dem
Leben
der Lehre u dem Beyspiel Jesu so erhebend und
beseeligend
ausspricht. Ich glaube es kaum, möchte es wenigstens
nicht
daß ein Mensch auf der Erde [es] hiermit ernster
nähme
als ich, habe wenigstens in allem meinem Thun, in
Lehre
u Leben, in Spielen u Unterricht nur ein Streben,
einen-
das den Forderungen Jesu
durch die
Frucht zu
entsprechen.
In diesem Bewußtseyn
muß muß
ich mich beruhigen,
was man auch über mein Leben als Erscheinung
urtheilen
möge. Und auch darin glaube ich mich persönlich
als
Christ zu bewähren.
Der letzte Punkt ist der, daß Sie
schreiben: „Sie
machen Ihnen sogar den Vorwurf, daß
Sie in Ihrem
Sonntagsblatte Stellen aus der Bibel u aus
profanen
Schriften citirt u dabey Christus mit
Schiller,
Göthe pp in
gleiche
Kategorie gestellt hätten.“ Ich kann da
drauf
ganz kurz durch ein Gleichniß
antworten: Wenn
eine hohe Wahrheit durch einen mehrfach
gegliederten
Satze ausgesprochen wird, haben daran die
verschie-
denen Wörter (Redetheile) durch welche dieses
fest<steht>
alle gleichen Werth, oder bleibt das Subject
darin
wenn es auch <unter> der nur äußerlich
verknüpfen-
den <Combination> pp stehen sollte, immer das
Hauptwort? /
[178R]
Ich lasse gern jeden seinen Werth,
glaube auch, daß in
Gottes Welt, eben weil es die Welt Gottes
ist, jedes seinen
eigenthümlichen u bestimmten Werth habe u.s.w.
Gott
ließ nun Jesum Schillern u Göthen
nicht nur nicht nur auf
u in seiner
Welt
nicht nur entstehen
u bewirken u leben,
sondern auch
wirken u lehren, warum sollte ich un-
bedeutender Mensch es nun
nicht dulden, daß Aus-
sprüche u die Namen dieser drey Menschen
durch die
Fügung u den Zweck des Ganzen in einem Buche
zu-
gleich genannt würden?
Dadurch Dadurch glaube ich
auch
keinesweges, daß weder Jesus durch diese
Zusammenstellung
herabgewürdigt noch
Göthe u
Schiller etc. über
ihren
Werth erhoben würden ich glaube nicht daß ein
Meister
dadurch heruntergezogen wird daß man ihn neben
seinen
Schülern nennt, noch daß ein Schüler dadurch über
seinen
Werth erhoben wird. Denn
wenigstens welcher
Ggebildete
Euro-
päer Deutsche mindestens, in der
jetzigen Zeit, u sey es selbst
ein Schiller u Göthe könnte u
würde sagen, daß er
ohne das Licht der Welt zu der Haltung
<-> und <durch> äußere Beachtung ge-
langt sey, deren
er sich jetzt erfreut? Dazu <schied> Jesus <-><->,
dem wir ja in allem nachgehen sollen,<->
sich u selbst ja
in seinem Leben
selbst nicht von
Zöllnern aus
wird er nun einigen seiner Nachfolger wohl verübeln,
seinen
Namen in einer ganz zufälligen äußern Verknüpfung
mit
Göthe u Schiller zugleich zu nennen?
Sehen Sie
hochgeehrtester Herr, diesen Kampf, von
dem Sie in Ihrer
schätzbaren Zuschrift an mich einige
Punkte berühren, kämpfe ich
nun in Bezug auf mein
Wirken in der verschiedenste[n] Gestalt, u
den mannigfach-
sten Formen schon seit 35 Jahren. Es ist
natürlich
wahr u versteht sich von sich selbst daß ich ihn von
dem
Standpunkt meiner Einsicht aus (u ich bin durch eine
sehr
ernste, christl[ich] dogmatische Schule hindurch
gegangen)
aus kämpfe, u das was
in mir wahr ist, in mir
fest
halte; allein ich entsage in jedem Augenblicke auch
mit
Gamaliel: ist es Menschenwerk wird’s unter-
gehn, ist’s
Gotteswerk, so wird’s bestehn; <-> ich ge-
stehe Ihnen ganz
offen, daß wenn ich wünsche,
daß wenn
es das erste ist, sein
Untergang möge zum Seegen Vieler recht bald ge-
schehen
möge; wenn aber Gott selbst bey so
schwach wir-
kender Kraft wie die eines eines Einzigen, überdies schon
weit
über ein halb Jahrhundert gelebt habenden Mannes
<ruhig> das fortbestehen
läßt, so glaube ich wirklich nicht
anders zu dürfen, als
auf dem bisher betretenen Wege
fortzuwirken.
Mögen Sie hochgeehrtester Herr u die andern
hochachtbaren Männer
welche Sie beym Schreiben Ihrer jüngsten
Zeilen an mich im Auge hatten
in dieser langen brieflichen
Mittheilung <allermindestens den Beweis
finden, wie sehr ich
Einwürfe achte u ehre, wie gern ich ihnen
aber auch begegnen u
Mißverständnisse lösen möchte. Erfreuen
Erfreuen Sie recht bald
wieder mit einigen erwidernden
Zeilen
Ihren
ergebensten. [Unterschrift
fehlt]
N.S. Die beyden Beylagen A. B. werden
sich
hoffentlich durch sich selbst
rechtfertigen.