Was Du mir über das öffentliche Kinderleben in
Brüssel mittheilst, ist mir
höchst interessant gewesen und ist
es noch. Siehe da, ich möchte sagen, auf
Naturwege ein
belgischer Kindergarten, wie ich auf dem
Kunstwege einen
deutschen Kindergarten erstrebe. Auch ich
wünsche die kleinen Knaben und
Mädchen in Gesellschaft älterer
Geschwister, Muster- oder Kindermädchen in
dem Kindergarten sich
froh, doch sinnig beachtend und allseitig sich entwickelnd,
herumtummelnd. - Auch ich wünsche, daß die Kleinen die Lieblinge
jedes
Ortes und so des ganzen Volkes werden und so das verlieren
mögen, was
Du geistige Linkischkeit der deutschen Kinder nennst.
- Sagt nur, bin ich
denn in und mit der Idee des deutschen
Kindergartens gar zu schwer zu ver-
stehen? -
Bei der Erfassung eines
Entschlusses kann man von einem Zweifachen
ausgehen, von der
Betrachtung des Wesens des in Frage stehenden Gegen-
standes und
von den Ergebnissen der bis jetzt darüber gemachten
Erfahrungen.
Ob sich nun beide oft in ihren Forderungen und
Bestimmungen zu wider-
sprechen scheinen, so ergänzen, mindestens
erläutern sie sich doch oft gegen-
seitig; darum ist es
erfreulich und immer ein gutes Zeichen, wenn sie beide
in einem
Punkte zusammentreffen. Letzteres scheint mir nun (wozu jedoch,
um es auszuführen, hier Zeit und Raum nicht genügt) bei
allseitiger Erwä-
gung und bei ernster Prüfung der vorliegenden
Thatsachen bei dem Entschlusse
der Fall zu sein, welchen ich Dir
jetzt mittheilen will: - Einen jungen
Menschen, welchen
Geschlechtes er sei, der schon die Jahre der Selbstbestimmung
erreicht hat, so mit Absicht für einen höheren Zweck, und sei er
der erkannt
und anerkannt höchste und beste zu erziehen, daß das
Ergebniß der Erziehung
und Bildung und des Handelns im Geiste
derselben
gleich sei einem frischen,
freudigen, gesunden und kräftigen Handeln aus freier Selbstwahl
und Selbst-
bestimmung, dieß scheint jetzt schlechterdings
unmöglich zu sein. Der Mensch
ist jetzt schon gleich von
vornherein so gegen alles bestimmt gegeben Werdende
eingenommen,
indem er in der Annahme desselben einen bestimmten Eingriff
in
seine persönlichen Rechte und Freiheit zu finden glaubt, so daß
schlechter-
dings durch Einwirkung auf die Bildung des Einzelnen,
vom Einzelnen aus,
nichts zu erreichen ist. Der Mensch fühlt
sich jetzt überwiegend mehr, ich
möchte sagen, ohne daß er es
weiß und ohne daß er sich davon Rechenschaft
ablegt, als ein
freies, sich selbst bestimmendes Wesen, und das Gefühl und
Be-
wußtsein, sich selbst zu bestimmen, giebt ihm jetzt
überwiegend mehr, als die
Aneignung auch des Höchsten und
Besten, aber von Außen noch überdieß mit
Zweck und Absicht
Gegebenen und Gegebenwerdenden. Nun ist aber in diesen
Jahren
die Zeit der Entwickelung zu kurz, und hat man es ja durch ein
gün-
stiges Zusammentreffen von Umständen bis zu einem gewissen
Punkte gebracht
und tritt der Mensch in den Strom des
entgegenwirkenden Lebens, so sind
die Ergebnisse jener
Bildungsweise bald bis zur Spurlosigkeit vernichtet. Nur
was der
Mensch unter und in einer Vielheit von Einwirkungen gleichsam
herausgreift, das hält er auch mit Freiheit und Selbstbestimmung
zu leben-
voller Anwendung und Ausübung auch unbewußt fest, es
wird ihm das so
Ergriffene und Angeeignete leicht und bald zur
sogenannten zweiten Natur.
Damit stimmt nun auch eine andere
große Lebensthatsache überein. "Ihr sollt
vollkommen sein wie
Euer Vater im Himmel!" heißt die große Mahnung an /
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den Christen. Nun heißt dieß doch, auf die Erziehungsweise
des Menschen
und des Menschenkindes angewandt, nichts Anderes,
als wir sollen in der
Erziehung auch des Einzelmenschen und so
des Kindes denselben Weg betreten,
denselben Gang befolgen,
welchen Gott in der Entwickelung und Bildung, Er-
ziehung des
Menschengeschlechtes befolgte. Welches ist nun aber dieser
Bil-
dungsgang Gottes, des Schöpfers und Vaters der Menschen in
Beziehung auf
selbige? - Gott hat als Schöpfer und Vater der
Menschen einmal und erst-
lich die Gesetze seiner Entwickelung,
Ausbildung, Erziehung in dessen Brust
und Geist gelegt, in
welchen er sie vernehmen und in tausend und abermal
tausend
Dingen, d.h. in Allem und Jedem, was den Menschen nur immer
umgiebt, auf die verschiedenste Weise ausgeprägt und dargelegt,
daß sie der
Mensch auf jeder, und welcher Entwickelungsstufe er
nur immer stehe, geleitet
von dem eigenen Bildungs- und
Entfaltungstriebe wahrnehmen und als sinn-
und vorbildlich
erkannt, demselben nachleben kann. So meine ich nun, als
das
Ergebniß eines langen prüfend erziehenden Lebens und Wirkens auch: -
der in der Zeit beste, erfolg- und segensreich, der jetzigen
Entwickelungsstufe,
besonders der deutscheuropäischen Menschheit
entsprechend, wirkende Erzieher
kann und darf auch nicht anders
handeln. Im Vertrauen auf und in festem
Glauben an die von Gott
als den Schöpfer und Vater der Menschen in das
Gemüth und den
Geist desselben und so schon in das Kind gelegten
Entwicke-
lungs-, Bildungs- und Erziehungsgesetze, kann er der
Zeit, den Eltern, den
Familien und seinem Volke die anerkannt
besten äußeren Erziehungsmittel in
ihrem lebenvollen
Zusammenhange, gleichsam als eine zweite, aus dem mensch-
lichen
Gemüthe und Geiste hervorgegangene Natur in Uebereinstimmung und
Einklange mit der aus Gott hervorgegangenen Natur - der
Selbstbestimmung
gemäß zu ganz freier Beachtung, Erforschung und
Auffassung ihres Wesens
und zur Nachlebung nach den sich in
denselben kundthuenden allgemeinen Ent-
wickelungs- und
Bildungsgesetzen hingeben. Diese hier angedeutete
Betrachtungs-
weise hat mich nun zu dem festen Entschlusse
gebracht: - Alle Ausbildung
des
Einzelnen für Kindererziehung und Bildung als
erstes pp. Haupt-
geschäft, als priores so lange
zurückzustellen, bis es mir gelingt, nach
der
Idee des deutschen Kindergartens eine so um- und erfassende
Bildungs- und
Musteranstalt für Kinder- und Kindheitpflege und
Erziehung, und für und zur
Ausbildung für Kinderpflege und
Pflegerinnen, besonders Kindermädchen, hin-
zustellen und
auszuführen, welche schon durch ihr Dasein erziehend und bildend
wirkt, welche durch die Vollkommenheit ihres Organismus sogleich
auf jeden
Eintretenden erziehend wirkt, und vorwaltend der
Herausgabe und
Ver- öffentlichung
der bis jetzt ausgearbeitet vorliegenden und sich in einer mehr- /
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jährigen eigenen und fremden Anwendung bewährten
Bethätigungs-, Spiel- und
Beschäftigungsmittel und Weisen als
eines Bildungs- und Erziehungsganzen
zu
leben. -
Diese Spiel- und
Beschäftigungsmittel und Weisen haben aber eine
solche
Allgemeinheit, haben sich überall da, wo sie mit freiem, kindlichen
Geiste
angewandt worden sind, so vollständig bewährt, daß, nach
dem mir wieder-
kehrend einstimmig ausgesprochenen Urtheile,
gesunde und kranke Kinder sich
stets mit Freude damit
beschäftigt haben und, wenn sie all ihre anderen viel
bunteren
und schon ausgeprägteren (fertigen) Spielsachen überdrüssig geworden
sind, sie doch stets immer mit neuer Lust zu meinen Spielgaben
zurückgekehrt sind.