[Kopf: Lithographie mit Schriftzug "Erziehungsanstalt
in Keilhau"]
Keilhau bei
Rudolstadt im Schwarzburgschen in
Deutschland am 1 Juni 1845
Herrn Pfarrer
Bitzius Hochehrwürden in Lützelflühe, Canton Bern,
Schweiz
Hochgeehrtester Herr Pfarrer.
In
der freudigen Zuversicht, daß der Name des Unterzeichneten und das
Andenken
an das einst freudige Zusammenwirken mit demselben
nicht ganz aus Ihrem Gedächt-
niß geschwunden ist, kommt derselbe
zuforderst mit hochachtungsvoller Begrüßung,
dann aber auch
sogleich mit neuer Bitte zu Ihnen.
Ja! innig hochgeschätzter
Herr Pfarrer darf ich wohl hoffen nicht nur nicht von Ihnen ganz
vergessen zu seyn, sondern daß Sie sich auch wohl zu Zeiten
meiner noch freundlich und
freundschaftlich erinnern. Nun wenn
dieß, was ich, ich gestehe es offen, wirklich der
Fall ist, so
werden Sie mir auch verzeihen, wenn ich nicht nur schriftlich,
sondern auch
zugleich mit einer Bitte bei Ihnen einspreche.
Der freundliche Überbringer dieses ist Herr
Langbein ein in seiner Vaterstadt
Rudolstadt wegen seines vortrefflichen Orgelspieles von
Kunstverständigen achtend
anerkannter junger Mann. Auf Anrathen
und Aufforderung dieser und seiner Freunde
tritt derselbe nun
jetzt ganz besonders als
Orgelspieler
ein[e] Kunstreise durch Deutsch-
land und in die Schweiz an. Da
ihm bewußt ist, daß ich auch im letztgenannten Land /
[1R]
nicht ganz unbekannt bin, so hat er mich um einige
empfehlende Adressen dahin
gebeten.
Wen könnte ich
demselben nun für seinen Zweck wohl ersprieslicher nennen als Sie
hochgeehrtester Herr Pfarrer, als dessen Name jedem ächten
Schweizer so werth, für den[-]
selben so gewichtig ist. Herr
Langbein hat mich deßhalb ersucht ihn durch ein
paar freundliche
Worte bei Ihnen einzuführen; ob ich nun gleich weder
Musiker und
noch weniger darin Kunstverständiger bin, so glaubte ich doch
auf das Wort solcher Männer ihm diese Bitte nicht abschlagen zu
dürfen[.]
Meine freundliche Bitte an Sie geht nun auch blos
dahin, Herrn Langbein
wenn es möglich ist Gelegenheit zu
verschaffen vor Ihnen und einigen Ihrer
kunstverständigen und
kunstliebenden Freunden zunächst eine kleine Probe seiner
Leistungen auf seinem Instrumente, der Orgel ablegen zu dürfen;
nach deren
Ergebnissen Sie dann ermessen, in wie weit dessen
Wunsch um weitere Empfeh[-]
lung von Ihnen Erfüllung werden
kann.
Herr Langbein ist wie Ihnen sein erstes Auftreten zeigen
wird ein sehr
bescheidener und wie seine Kunstfreunde sagen, für
seine Leistungen zu seinem
Nachtheile nur zu bescheidener Mann.
Auch dieß wollte ich doch nicht unerwähnt
lassen, damit erst
seine Leistungen selbst für ihn sprechen mögen, denselben in
anderen Orten der Schweiz besonders Ihres Cantons Ihren Freunden
zu Kunstdar-
stellungen, vielleicht sogar irgendwo zu einer
festen Anstellung für Orgelspiel zu empfehlen.- /
[2]
Auch von mir und meinem Leben wünschen Sie gütigst ein Wort zu
hören?- Seit ich 1836
die Schweiz verlassen lebe ich, wie Ihnen
vielleicht auch schweizer Blätter gesagt haben,
aus vielfachen
Gründen überwiegend der Erziehung und Pflege der Kinder in ihrem noch
nicht schulpflichtigen Alter besonders durch entwickelnde,
erziehende und bildende Spiele
und Beschäftigungen, so wohl in
dem häuslichen und Familienkreis als in größeren
Gemeinsamkeiten
die ich wegen der darin zu beachtenden entwickelnden Pflege der
Indi-
vid[u]alität des Kindes und der Beachtung seiner gesammten
Lebensverhältnisse "Kindergärten"
nenne, auch wegen des
Geknüpftseyn[s] dieser Kinderpflege und Erziehung an wirkliche Gärten
der Kinder. Wie ich mich nun, wie Ihnen vielleicht ebenfalls
bekannt geworden ist, bemühe
dazu die nöthigen Mittel zu
reichen; so ist es mir auch Lebensaufgabe, dazu Personen mit
Fähigkeiten und Neigung für Kinderführung auszubilden.- Seit
besonders diesem und dem
vorigen Jahre beginnt alles dreies
immer mehr nicht nur Anklang sondern auch An-
wendung zu finden.
Aber eines wurde von den Kinderfreunden und den Freunden meiner
Bestrebungen noch als ein durchgehender Mangel erkannt. Der
eigentliche Sinn und die allge-
mein durchgehende sowohl einzelne
als gesammte Thätigkeit für ausführende Erziehung.
Das
Bedürfniß Vereine dafür besonders erziehender Männer und Väter, nicht
minder
aber auch solcher Frauen und Mütter zu bilden trat
vielfach auf das bestimmteste entgegen.
Dadurch aufgefordert
erschien im 2n Monat dieses Jahres in mehreren
Tagesblättern von mir
ein Aufruf zur Bildung von
Erziehungsvereinen in Stadt und Land. Wie derselbe
mehrfach
Anklang so hat derselbe auch schon mehrfach in Stadt- und Land
Ausübung gefunden.
Auch für die Schweizerverhältnisse insoweit
mir solche bekannt sind glaube ich wird
die Ausführung der
Erziehungsvereine wie die Einführung der Kindergärten ganz
ge-
wiß von Wichtigkeit seyn, ich zweifle auch nicht, daß wir uns
darüber verständigen
würden, wenn es nur möglich wäre mich Ihnen
nicht nur wortklar zu machen, sondern
auch die Sache selbst in
ihrem Erfolge anschaulich zu zeigen. Doch leider ist hierzu hier
weder
Zeit noch Ort noch Gelegenheit. Könnte der Gedanke auch
Ihr vaterländisches Interesse
erregen so würde es mich freuen
von Ihnen darüber ein Wort vielleicht durch die
Verlagshandlung
des "Allgem: Volksblattes für Deutsche" zu erhalten.-
Nicht
nur aber in diesem sondern in all den trefflichen Gaben mit welchem
Sie das
Volk und deren Erzieher beschenken ist ihr [sc.: Ihr]
Geist, sind Sie uns ein sehr lieber Hausfreund.
Ich wollte nur
Sie fänden sich recht bald einmal veranlaßt Deutschland zu besuchen
und
würden dann auch auf längere Zeit bei uns heimisch wie es
jetzt die Erzeugnisse Ihrer
Vaterlands- und Menschenliebe, Ihres
Geistes und Gemüthes sind. Gott erhalte Sie
Ihrem Vaterlande und
allen Menschen- und Volksfreunden, somit auch uns in
der
kräftigsten leiblichen und geistigen Gesundheit.
Meine Freunde
Barop und
Middendorff welche
sich oft mit mir an Ihren
kräftigen gesunden Gaben stärkend
laben grüßen Sie mit mir auf das
herzlichste und
achtungsvollste; lassen Sie uns obgleich in ganz verschiedenen
Ländern und unter ganz verschiedenen Verhältnissen doch im
Handeln, im Sinnen
und Denken für Menschen[-] und Volkswohl für
Erziehung und Bildung des in der Kindheit
immer von neuem
aufkeimenden Menschengeschlechtes innig geeinte Freunde bleiben.
Der Ihrige
Friedrich
Fröbel