Annaburg bei Torgau am
7 Decbr 1845.
Friede
und Freude
Dir l. Barop und Euch allen
zum Gruß.
Sehr gern hätte ich
durch Dir und Euch schon seit Abgang
meines
jüngsten Briefes an Euch wieder Nachricht von mir
gegeben;
allein ich wurde von diesem Tage an durch den Zweck
meines Hier-
seyns ununterbrochen so in Anspruch genommen, daß
ich außer der
Zeit, welche ich nach der Erschöpfung zu meiner
Erholung bedurfte
frey nicht über eine Stunde verfügen konnte,
und sogar man-
che freundliche Einladung zum Genuß besonders
musikalischem
und anderen, welchen die Anstalt bietet,
ausschlagen mußte,
die Nachweisung alles dieß im Einzelnen werdet
Ihr mir
erlassen. Verflossenen Montag waren wir in
Großtreben
einem Pfarrdorfe wo der
Prediger Hundertmark ein
Pro-
seminarium und ein Seminarium erster Klasse, jedoch als
Privat-
unternehmung hat. Leider war gerad Schulvisitation, doch
lernte
ich bei dieser Gelegenheit den Superint: von <
Prottin> kennen;
zwar einen alten Mann,
aber doch immer einen Mann durch wel-
chen sich die Idee pro oder
contra weiter fortpflanzet und mein
lieber, treuer Begleiter
d[er] He.
Prediger Wöpke, weiß
immer die
Menschen sogleich beim
rechten
Ende anzufassen und sie sogleich
in die Mitte des Ganzen
einzuführen, so auch hier, und so war also
dieser Besuch nicht
ohne Zweck. Da Regenwetter eintrat war der
Prediger so gütig uns
zurückfahren zu lassen; wie denn auch für
die nächste Woche ein
Tag zur weitern Mittheilung fest gesetzt
wurde.- So der Montag.
Am Dienstag hatte Herr Pred. W. die Lehrer des
Institutes
Nachmittags zu einer Tasse Kaffee rc zu sich
gebeten.
Um 3½ Uhr (denke Dir) begannen schon die Mittheilungen
und in
Mitternacht 12½ Uhr wurden sie, nach kleinen
Unterbrechungen /
[1R]
welche der Magen und die
Forderungen unseres sorgsamen
Wirthes machten, erst geschlossen.
Der Anwesenden waren
7 (einige Lehrer fehlten, dagegen waren
einige andere Ange-
stellte dabei gegenwärtig[)]. Die Idee gewann
einen herrlichen
Sieg welcher sich in vielfach frohem
Herzenserguß und in
sich darauf gründenden Plänen Gedanke und
Ausführung auch
hier heimisch zu machen aussprachen.
Auf
Einladung des hiesigen
Ortsprediger
Dr Seyler
wurde
hierauf Mittwochs Mittags nach dem naheliegenden
Städtchen
Schweinitz zu einer
Lehrerconverenz der Umgegend gefahren
um auch hier
Mittheilu[n]gen zu machen.
28 Personen theils Lehrer, theils
Prediger waren gegenwärtig
nachdem ich meinen kleinen Apparat
aufgestellt hatte begannen
die Mittheilungen; sie begannen nach
3 Uhr und dauerten bis gegen 7
Uhr. Manh Manche Lehrer hatten nun noch
4 Stunden nach Hause zu gehen,
- da ohngeachtet der anhaltenden
Mittheilung noch Manches zu
erörtern blieb wurde zunächst eine
Fortsetzung der Mitthei[-]
lung auf folgenden Sonnabend in
Annaburg von 2 Uhr an
festgesetzt. Alle Anwesenden worunter sehr
viel liebe junge
feurige junge Männer, so zum B. mein Wirth der
Tertius
Günther waren
voll freudigen Dankes wegen des Empfangnen.
Auf der Rückfahrt
wo mich besonders der Dr Seyler der
Prediger
des Ortes begleitete, wurde fest gesetzt, daß ich
schon morgen
Donnerstags einer Einladung der hiesigen
Harmonie Gesellschaft
(d.h. einer Gesellschaft aller achtbaren
OrtsEinwohner und ihrer
Frauen[)] folgen möchte und einen Vor[-]
trag über die
Kinderspiele in dem Gesellschaftslocale
halten möchte.
Von
3 Uhr Nachmittags an, wo der Saal geheitzt wurde
ordnete ich
alles auf das Angemessenste.- Um 7½ Uhr /
[2]
begann der
Vortrag nachdem ohngefähr 100 Menschen
Männer Frauen, Väter u
GroßVäter, Mütter u Großmütter
Jungfrauen, Jünglinge, eingetreten
waren. Mit einer wirk[-]
lich gespannten Aufmerksamkeit folgte
man dem Vortrag
bis gegen 10 als ich dann durch Vorzeigung ins
Einzelne ü-
bergieng und ich aussprach daß die Uhr mir sage
es
sey schon 10½ so erwiederte man mir; ja wenn sie
uns nicht
sagen daß wir gehen sollen, so bleiben wir um
sie ohne
Unterbrechung zu hören.- So verließen viele erst mit
mir den Saal
wo ich alles
ununterbrochen
untereinander zurück ließ indem
man mir zu dessen Sicherung den
Schlüssel des Saales eingehän-
digt hatte.- Zum Schluße noch
bekam ich mit Herr[n] Pred. W.
eine Einladung für nächsten Montag
Abend zu dem Ortspre-
diger dem oftgenannten
Dr Seyler.- Die Gedanken auch
hier eine
Kinderpflegeanstalt auszuführen und deßhalb eine
Person von mir
in Keilhau ausbilden zu lassen rc, rc wurde
jetzt viel u
mannichfach besprochen; auch hatte man mir schon
die
Bekanntkanntschaft [sc.: Bekanntschaft] einer lieben Jungfrau, der
[sc.: des]
Fräulein
Hesse
zugeführt, welche auch schon an diesem Abend meine
Zuhörerin war.
Mit gar manchen lieben u freundlichen
Dankes Worten und Blicken
und freudig gefaßten Vorsätzen
welche sich zu einem schönen
G Kranz verflochten, wurde
erst
wohl nach 11 Uhr der Saal verlassen.
Freit[a]gs
Vormittags brachte ich mit Einpacken zu. Nach-
mittags besuchte
ich eine liebe Lehrer Familie, deren liebliche[r]
blauäug[ig]er
und blondlockiger Kinderkreis den schönsten Kinder[-]
garten
bildeten. Leider sieht der Vater bald einer Versetzung
entgegen
sonst wäre hier sogleich der schönste Anknüpf[u]ngspunkt
zu den
[sc.: dem] lieblichsten Kindergarten gewesen. In dem
Eltern[-]
liebe u Sinn, Kinderanmuth, Wohnung, Hofraum, Garten,
alles zusammen
stimmt. /
[2R]
Sonnabends Morgens wollte ich Euch schreiben, da trat
bald
Besuch zu mir, der mich so in Anspruch nahm, daß
mir kaum Zeit
übrig blieb zu dem oben erwähnten
Vortrag für den Nachmittag in
einer hiesigen Ortsschule
die nöthigen Vorbereitungen zu
machen.
2 Uhr Nachmittags war vorbei und schon trat der
Ortspre-
diger
Dr Seyler mit 2 seiner bejahrten Schwestern
ein
ihm folgten nicht nur Männer u Frauen, Lehrer u
Laien,
sondern - der Himmel weiß durch welche Veranlassung [-]
auch
eine Zahl von wohl 40 Kindern beider Geschlechter und
ver[-]
schiedenen Alters.- Die Mittheilung war schwierig, ich
hob
hervor was sich Jeder als ihn besonders ansprechend
heraus
nahm, so schien die Mittheilung allen genügend und
zu-
letzt wurde ich aufgefordert sogleich mit den zufällig
ver[-]
sammelten Kindern einen Versuch mit den
Kinderspielen
gemacht [sc.: zu machen]; alles schien zur
Zufriedenheit auszufallen ein
junger Schullehrer wurde davon, wie
soll ich sagen - ergriffen
daß er mir erklärte, schon Montags
oder Dienstags mit
einem kleinen Kreise einen Kindergarten zu
beginnen;
ja er war seines Vorsatzes so voll, daß er mich
unmittel-
bar wieder bei Her[r]n Pred: W. aufsuchte um mit
mir
das desfallsige Weitere zu besprechen. Besonders
waren
die Frauen u Mütter glücklich, und bald kam ein
Vater
der Apotheker Violett zu mir um mir für die
Freundlichkeit
zu danken mit welcher ich seine Familie in die
Spiele eingeführt
und besonders seine Kleinen beachtet hatte.
Also durchweg
Leben - Liebe - Freude - Dank - Vorsatz - Wille -
That -
- Es war schon wieder dunkel geworden. Nur zu Hause
an-
gekommen trat außer den [sc.: dem] oben gedachten jungen
Lehrer
Utgenannt - der
Diaconus von
Schweinitz mit einem /
[3]
jungen Candidaten
der Theol. ins Zimmer um mich auf Veranlas-
sung der
Bürgergesellschaft zu
Schweinitz, welche von
mei[-]
nen Vorträgen, ihren Geist u Zweck gehört habe,
einzuladen
demnächstens doch wieder nach
Schweinitz
zu kommen und
im großen Saal daselbst einen Vortrag für Jeden
welcher An-
theil nehmen wolle, zu halten, indem man bezwecke
in
dem von mir angeregten Geiste eine KlKinder
anstalt
auszuführen. Es wurde nun der Plan gemacht:
nächsten
Mittwoch früh 8 Uhr von hier abzufahren, und um
2 Uhr
Nachmittags den Vortrag zu beginnen und ihn so zu
schließen,
daß ich alles wieder einpacken und Abends zur
rechten
Zeit wieder in
Annaburg seyn kann:
Schweinitz liegt 1 Stunde
von hier.- Donnerstag wurde für
Großtreben bestimmt
wo ich vielleicht dann noch Freitags u
Sonnabends bleibe
um auch dort zwei Vorträge für die Lehrer der
Anstalt und
die Seminaristen zu halten. Großtreben ist
2½ Stunde[n] von
hier. Daß von den verschiedenen Orten Wagen
gesandt, oder
sie von hier aus besorgt werden versteht sich von
selbst.
Dienstag ist zu einem Besuche in
Arensnesta (Arensnesta) [sc.: Arnsnesta]
beim
dortigen Prediger bestimmt, woran sich wieder Mehreres
anknüpfen
soll.- So eben werde ich zum 2n male zum
hiesigen
Prediger zu einer Gesellschaft von Freunden
eingeladen.
Aber auch heute war ich den ganzen Tag in Anspruch
genommen.
Du wunderst Dich daß der bisherige Director der
hiesigen An-
stalt der
Major von
Felgermann zum 1
en Adjutanten des
Prin-
zen von Preußen und zum
Gouverneur von dessen
Sohn den
einstigen König von Preußen ernannt worden ist.-
Zufällig
kam derselbe vor einigen Tagen hierher um hier Lebewohl
zu
sagen rc; - Freunde nannten ihm meinen Namen den er /
[3R]
schon kannte; er äußerte gegen d[en] He. Prediger - in sehr
ver-
bindlichen Worten schriftlich den Wunsch in
Gesellschaft
seiner Frau einer gebornen von Krausenik heut
einen
Vortrag von mir zu hören. Im
Zimmer Besuchszimmer
d[es] He. Predigers
ordnete ich nun noch gestern Abend spät
alles zusammen und heut
nach der Früh Kirche schenkte
er mir in Gesellschaft seiner
anmuthvollen
vollen
Gattin
von 10½ bis 1½ unausgesetzt seine Aufmerksamkeit.
Er
sagte mir, daß er die Prinzeß von Preußen auf mei-
ne
Bestrebungen aufmerksam machen werde.
Er und sie waren so
menschlich eingehend, daß ich mir den
Muth nahm ihm alle über
mein Wirken rc ausgegeben[en]
Denkschriften u Blätter - und ihr
zur Erinnerung die Mutter[-]
und Koselieder zu überreichen.
Sollte mich mein Lebens
Weg auch einmal nach Berlin führen, so
hatte ich vorher
Einladung und Erlaubniß erhalten sie besuchen zu
dürfen.- Der
Prinz von Preußen soll ohne diesen Major nicht
leben
können; er auch mit der Königin durch seine Stellung
f viel in Berührung kommen.
- Du siehst lieber guter Barop: "Wie die gütige
Vorsehu[n]g
auf wunderbar einfachem Wege der Forderung
der
Sache die Bahn brechen will. Nun Gott sey alles
anheim
gegeben, er mache mich und uns alle nur immer
mehr treu.- In
Wittenbe[r]g war ich noch nicht, aber
schon ist das dortige
Seminar auf meine Ankunft vor-
bereitet.- In Halle war ich auch
noch nicht aber Theil-
nahme hat mir schon Quartier u Theilnahme
auch dort
bereitet[.]- In Dessau konnte ich nicht halt machen.
Em-
pfehlende Briefe werden mich auch dorthin begleiten.
Jetzt muß ich eiligst schließen, Morgen ein Mehre- /
[4]
reres und Wichtiges hinsichtlich der Geschäfte indem
hier
manche Bestellung[en] erfolgt sind; auch nach Darm[-]
stadt. In
dieser Minute werde ich in Gesellschaft
d[es] He[.] Prediger W.-
zu einer musikalischen Abend-
unterhaltung in die hiesige
Harmoniegesellschaft
eingeladen, so eine Störung nach der
andern
und schon hat die Glocke zur Postabgabe
geschlagen.
Sende morgen nach Rudolstadt um den 2
enBrief in Empfang nehmen zu lassen es ist
mir
wichtig. Dein u Euer FrFr.
Denke
Dir Barop des Majors von Felchermanns [sc.: Felgermanns]
erste
Frage an d[en] He.
Prediger
Wöpke ist gewesen: -
Ob Eintracht u Einverständniß unter
uns herrsche
ob Spaltungen vorgefallen? rc - Man
s weiß nicht
wie die Menschen zu
solchen Fragen kommen?-
Aber überall Trennung also Einigung aus
Grund-
satz zu sehen Einigung
t
mit Aufopferung das thut
der Zeit Noth, des Bedarf sie.