Frau
Magister Schmidt in
Gera.
Keilhau b.
Rudolstadt am 17 Feb 48.
Meine liebe, theure Muhme.
Da
ich vermuthen muß, daß das nächste Schicksal oder vielmehr
der
nächste Beruf der
Friederike
Bredernitz mehrfach der Gegen-
stand Ihres gütig
theilnehmenden Gespräches seyn wird, so be-
mühe ich mich Sie,
das Mädchen und dessen theilnehmende Freunde
besonders über einen
Gegenstand Ihres gestern empfangenen
lieben Briefes zu
beruhigen.
Da ich meinte voraussetzen zu dürfen die an dem
Schicksale der
Fr. Br. gütig Theilnehmenden könnten die
Überzeugung in sich tra-
gen, daß mir Paris in seinen Gefahren
besonders für ein junges
Mädchen selbst so bekannt sind, daß ich
schon nicht einmal einen
Vorschlag wie den gemachten thun würde,
wenn ich darüber
nicht vollkommen durch das Ganze wie im
Einzelnen beruhiget
wäre so habe ich freilich nur Manches oder
beides unvollstän[-]
dig angedeutet, was ich nun nachholen
will.
Erstlich sind beide Eltern Deutsche, die junge Frau erst
seit
ihrer Verheirathung in Paris - Zweitens da der Mann
nur
der Geschäfte halber in Paris lebt, wie dieß mehrere
Deutsche
thun, so kehren beide Eltern, ich glaube, all- oder
zweyjährlich
nach
Darmstadt, was ihre Vaterstadt
ist
auf längere Zeit zurück.- Drittens lebt in Darmstadt
auch
Mutter und
Schwester des Vaters der Kinder,
deren
Pflege Fr. Br. überwachen soll; wie denn die
Verbindung
durch die letztere auch angeknüpft ist, indem selbige
Auf-
sichtsdame in der Kl. Kinder Sch. in Darmstadt ist,
wo
durch sie das Zweckmäßige der Kinderbeschäftigung
durch
die dort wirkende Kinderführerin, die Ihnen gewiß
be-
kannte
Ida
Seele kennen lernte.
Zu
diesen
beiden eben-
genannten:
Mutter u
Schwester
des Vaters der künftigen /
[214R]
Pflegebefohlenen
Friederikens würde diese nun zunächst
von hier gehen und diesen
gleichsam von mir übergeben
werden. Diese sind dann selbst wegen
der gesicherten
Überkunft der Friederike so betheiligt, daß
entweder
eine von den gedachten beiden dieselbe nach Paris
selbst
begleiten wird, oder was ich fast vermuthe, und
was
schon im verflossenen Jahre der Fall war, die Eltern
der
Kinder werden dann beide oder der Vater wird we-
nigstens gerad
in dieser Zeit in Darmstadt seyn und
dann Friederiken persönlich
mit nach Paris nehmen;
so daß ich glaube wegen deren Überkunft
dahin ganz außer
Sorgen seyn zu können. Genug ich habe nur für
die Über-
kunft Friederikens nach Darmstadt Sorge zu tragen,
wo
ich sie zunächst an Frl.
Ida Seele
überweise, deren seltene
Einsicht und edler Charakter mir sonst
für alles bürgt.
Dieß zur einstweiligen Beruhigung
Friederikens und aller
an der Entwickelung des Lebens derselben
Antheil Nehmenden.
Doch bin ich aufrichtig dankbar daß mich
Ihre Güte auf
alles dieß so freundschaftlich aufmerksam
gemacht
hat; ich werde nun über Alles bestimmt an
Fräulein
Ida Seele in den
nächsten Tagen schreiben und erwarte dann
deren bestimmte
Erklärung, welche Ihnen, als mütterliche
Beschützerin der
Friederike, mitzutheilen mir Pflicht ist.
Zunächst bitte ich
aber das angeknüpfte Verhältniß
derselben als einer Gehülfin an
Ihrer Bewahranstalt
zu Gera, nicht abzubrechen, da es ja doch
möglich wäre
das [sc.: daß] der einen oder der anderen Parthei
die obwaltenden
Verhältnisse nicht zusagten und es würde mir dann
gar
sehr leid thun, wenn sich Friederike dann, wie man
zu
sagen pflegt, zwischen zwei Stühle niedersetzte.
Wenigstens
ersuche ich zunächst die
Fr[.] Consist: R. Wittich (:nebst
hoch-
achtenden Gruß:) das bisherige Verhältniß noch kei[-]
nes- /
[215]
weges als abgebrochen zu be[tr]achten. Da
Sie l. Muhme, so
mütterlich sorgsamen Antheil an Friederikens
Leben
nehmen, so bin ich fest in mir überzeugt, daß Sie
alle
Verhältnisse zu deren Wohl auf das Beste beachten,
wie
ich noch besonders darum bitte.
- In Beziehung auf
Carus Psyche habe
ich auf Veranlassung
Ihres jüngsten l. Briefes noch besonders
hinzuzufügen, daß
ich, namentlich bei bestimmten Abschnitten des
Buches,
rücksichtlich Ihrer früheren gütigen Mittheilungen
Ihrer
gedacht habe.- Dieß Ganze und hauptsächlich eine
Stelle
in Ihrem jüngsten l. Briefe in welcher Sie sagen: - "Es
"ist mir wahrhaft merkwürdig, wie viele
unserer,
"sowohl früherer als später ausgesprochener
Gedanken
"sich in einem Punkte begegnen und einen, so auch
jetzt." -
veranlaßt mich zu einer recht freundlichen, aber
für mich und
mein Erziehungsziel wichtigen Bitte an Sie, um deren
eingeh-
ende Erfüllung ich darum gar sehr bitte.- Die
Erziehung
und zunächst die Entwickelung des Menschen und so vor
allem
schon auf der Kindheitsstufe hängt wohl wesentlich -
was
Niemand in Abrede stellen wird, - von der geistigen
Ein-
und Wechselwirkung der Dinge und namentlich des
Men-
schen auf den Menschen und so besonders auf das Kind
ab.
Darum liegt es mir als ein nach Gründlichkeit und somit
siche-
rem Erfolge strebender Erzieher vor allem ob: -
erstlich jener
Thatsachen geistiger Ein- und
Wechselwirkung
des Menschen auf den Menschen, - wohin auch das
unmit-
telbare und leichte Erkennen seines Innern und
Wesens
gehört - nicht nur [{]an sich / vieler[}], sondern auch
zweitens deren
Gesetze klar zu
erkennen, um solche bei der entwickelnd-erziehen-
den
Menschenbildung mit Sicherheit und Erfolg zu beach-
ten, damit
das Leben des Menschen schon von frühe an
ein - nach
Vernunftgesetzen geleitetes, bewußtes
werde; /
[215R]
werde; - deßhalb nun ersuche ich Sie liebe Muhme
recht
vertrauensvoll, da ich weiß daß noch manche
Eindrücke
und dadurch bewirkten Äußerungen, welche mein
Erschei-
nen in Ihrer lieben, theuren Familie hervorgerufen hat,
Ihnen
gegenwärtig und in der Erinnerung sind, - mir solche
Ihrer
und der lieben Ihrigen Ansichten von mir, meines
Lebens
und Meinungen darüber ganz offen mitzutheilen, damit
ich
solche in meinem Innern mit den eigenen Gefühlen
meines
Herzens, den Streb
Regungen meines Geistes und den Bestre-
bungen meines Willens
vergleichen und dadurch in
den Stand gesetzt werde allgemeine
Gesetze der Wechsel-
wirkung des Geistes auf den Geist und somit
die Entwicke-
lungsgesetze, mindestens Entwickelungsthatsachen
des mensch-
lichen Wesens zu erkennen und so die Erziehung des
Menschen,
soweit es immer möglich ist, dem Zufall u. der
Willkühr
zu entreißen und auf tief und allgemein
gegründete
Gesetze zurückzuführen.
Sie sehen keinesweges
irgend eine Art Neugier oder wie
Sie es sonst nennen mögen,
sondern eine sehr ernste Absicht
bringen mich zu der oben
ausgesprochenen Bitte. Seit dem
größten Theil meines mehr klar
bewußten Lebens, sammle ich
still in meinem Gedächtniß solche
Lebensthatsachen und die Er-
gebnisse der selben bilden die
Hauptgrundlage für das Erfolg-
reiche meiner
Erziehungsbestrebungen, dieses Alles führt mich
immer mehr zu der
so klaren als festen Überzeugung: -
"Nur
"die innere
Ansicht der Dinge, des Lebens und dessen Erscheinungen,
"nur die
Beziehung alles dessen auf die innere LebensEinheit
"kann uns
hinsichtlich der Erreichung unseres Berufes, und
"somit unserer
Erziehungsbestrebungen, zu dem ächten u. wahren
"Ziele
führen."- Durch Erfüllung der obigen Bitte würde auch
unser
geistiger Lebensverkehr und darf ich es offen aussprechen
unsere
uns nicht selbst gegebene geistige Lebenseinigung ihre
wahre
Bedeutung bekommen /
[216]
Bedeutung bekommen,
die eigentlichen Blüthen und Früchte für
das ganze
Menschheitleben treiben, welche ihr bis jetzt noch fehlen
welche
aber eigentlich aus jeder, auch der einfachsten
menschlichgei-
stigen Verbindung hervorgehen sollen, oder als
schon an und
für sich hervorgehend, erkannt werden sollen, damit
die
Menschheit gesund und fröhlich sich in ihrer Wahrheit,
Schönheit
und Güte mit Bewußtseyn und freier
Selbstbestimmung
ihrem Ziele entgegen entwickele und
ausbilde.
Hierdurch wird auch das in sich zurückgezogene
bescheidene
und einfache weibliche Gefühl mit seiner
Wirksamkeit
nicht im mindestens
getrübt, nicht im Mindesten ver-
letzt, und doch gehen dessen
unmittelbare Wahrnehmungen
für das Wohl und Heil der Menschheit
und zu deren Entwicke-
lung dem Ziele der Vollendung entgegen,
nicht verlohren
ja die Wirksamkeit des weiblichen Gemüthes und
Lebens
erhält so für die Fortentwickelung der Menschheit
ihre seine
wahre Bedeutung.
Prüfen Sie was ich sagte liebe Muhme an der
Unmittel[-]
barkeit Ihres Wahrheitsgefühles.
Über Ich hätte Ihnen noch gar Manches
und zum wenigstens
ein wesentlich Bestimmtes über
Carus Buch und dessen
Verhältniss zu mir zu sagen;
doch darüber vielleicht ein
andermal; vielleicht ist Ihnen auch
schon unmittelbar
durch Sie selbst und durch Ihr eigenes Lesen
Ihnen
klar und dieß wäre dann freilich wieder um so
schöner
ich hätte dann einen von Ihnen selbst ausgehenden und
dann
einen um so sichereren wie lebensvolleren Ausgangspunkt.
Für heut muß mir das Vorstehende genügen.
Leben Sie wohl.
Von hier die freundlichste Erwie-
derung all Ihrer l. Grüße,
sowohl an Sie als an den
l. Vetter und die l. Vettern.
An Friederiken einen
Brief sobald
bestimmtes möglich; jetzt blos Gruß,
Ihr treugesinnter Vetter FrFröbel /