Keilhau am 11 Septbr
1848 [*Jahreszahl
eingekreist*]
Jetzt, da alles um mich
her sich etwas beruhigt hat und ich ebenso
die jüngst vergangenen
Tage überblicke, thut es mir recht leid,
daß ich nicht meinen
ersten Brief an Dich, liebe Luise, so ge-
schrieben habe, daß Du
ihn bei Deiner Ankunft in Osterode schon
vorgefunden hättest. Wie
gesagt, daß ich mir nicht diese Freu-
de gemacht habe, thut mir
jetzt recht leid. Der Grund mag aber
wohl seyn, daß ich in den
ersteren Tagen Deiner Abwesenheit,
häufig dieser gar nicht
gedacht, sondern in mir noch immer so fortge-
lebt habe, als
seyest Du hier, nur sähe ich Dich, abgehalten durch
Deine
Geschäfte, weniger. Denke Dir, so habe ich im Ernste eini-
gemale
beim Frühstück und auch beim Mittage fragen wollen: -
- "wo
bleibt denn Luise?-" Du siehest daraus, warum ich nicht
früher
daran dachte Dich, bei Deiner Ankunft in Deiner Heimat,
mit einem
Briefe zu begrüßen: ich fühle Dich ja gar nicht
abwesend.- Seit
einigen Tagen ist es aber ganz anders: das Leben
hat so viele neue Er-
scheinungen, die ich gar gerne mit Dir
besprechen möchte, und da vermisse
ich dann die theilnehmende
Freundin gar sehr.- Der Dresdner Bil-
dungscursus wird ohne allen
Zweifel zu Stande kommen. 25-30
Männer u Frauen haben sich, nach
dem jüngsten Briefe
Franken-
bergs, schon dazu gemeldet.- Diese
Theilnehmenden werden sich
in zwei Cursus theilen. Man wünscht
daß ich
bald beginnen
soll, wann aber
dieses Bald ist weiß ich noch nicht.
Wegen Leipzig schreibt
Frankenberg: "
Kell
ist hier in Dresden
"beim
Minister gewesen um für Gründung eines
Kindergartens
"in Leipzig zu sprechen. Er der Minister hat sich
geneigt gezeigt und die Sache
"für wichtig erkannt.
Kell und
Lohse werden nun bei den
Leipziger
"Stadtbehörden dahin wirken daß 1, die Mittel bewilligt
werden
"nebst Garten und Haus und 2) daß Lohse Urlaub auf ¼ Jahr
be-
"kommt um sich genau damit vertraut zu machen, auch die
Reiseko-
"kosten, wenigstens Rth 100.- Ich habe an Lohse
geschrieben, daß un[-]
"ser Lehrg[ang] höchstwahrscheinlich zu
Stande kommt und daß er dann
"hierher muß. Der Minister hat
anerkannt, daß der Leipziger
"Kindergarten als Musteranstalt für
die Universität für die /
[13R]
"für die pädagogische
(erziehliche) Bildung der Studirenden
"benutzt werden soll."
So weit in dieser Beziehung der Fran-
kenbergsche Brief.
Du siehest daraus, meine Liebe Luise, daß sich die
Eröffnung
des Leipziger Kindergartens immer bis zum
Frühjahre
hinausziehen wird, wer weiß, wie sich bis dahin die
Verhält-
nisse entwickeln.
Von Dessau sagt mir der He. Prof. Böttcher in Rudolstadt, daß
sich dort
die Verhältnisse zur Einführung der Kindergärten
sowohl von
Seiten des Ministeriums, wie von Seiten des Land-
tages, sehr
günstig zeigen. Böttcher selbst hat in einem durch 3 Num-
mern
oder Stücke einer dasigen Zeitung hindurch gehenden Aufsatze über
und
für die Sache gesprochen. Ich selbst habe diesen Aufsatz noch
nicht
gelesen, soll ihn aber nächstens von Böttchern
erhalten.
Auch von unserm Gesellschafter auf der Schwarzburger
Fahrt,
dem Lehrer aus Nürnberg, habe
ich bezüglich auf die Fortpflan-
zung der Kindergärten
freundliche Notiz erhalten.-
Frl. von Gumpert hat in einem
Dresdner Blatte, (auch die
"Dorfzeitung"
genannt,) ebenfalls, nach Frankenbergs Mitthei-
lung, einen
hübschen Aufsatz über den Gegenstand abdrucken
lassen.
Du
siehest somit, meine l. Luise, wie nach allen Seite[n] hin,
die
Sache der Kindheit und somit unsere Sache freundliche
Be-
förderer findet. Dieß muß in Dir und allen denen,
welche
sich noch der Kinderpflege in den Kindergärten widmen
wer-
den und wollen, die Furcht vor Mangel an entsprechender
Wirk-
samkeit nach beendigter Bildung, ganz verscheuchen.
Da Du auf Deiner Reise
Frau
Lütkens in Hamburg wieder
sprechen wirst; da Du durch sie
eigentlich in dem [sc.:den] Wir-
kungskreise eingeführt werden
wirst, welchem Du entgegen
gehst, so will ich Dir doch
mittheilen, wie sie an
Middendorffüber ihren Aufenthalt in Rudolstadt,
die Versammlung und
Verhandlung daselbst sich ausspricht: -
"Wohl eine schöne Erndte habe ich gehalten und werde
von
"den gesammelten Früchten so Gott will viel Seegen haben. /
[14]
"und das [sc.:daß] alles Eingesammelte dazu
beitragen soll hier immer
"mehr anzuregen, hoffe ich mit
Zuversicht.
Allwinen[s]
erstes
"Auftreten hier fiel sehr zu Gunsten der Sache aus, die
wie
"ich hoffe hier immer mehr Boden finden wird, da Mütter
und
"Kinder hier für die Sache werben und Allwinen so lieb
haben.-
"Ich freue mich sehr daß
Frl. Levin nach
Rendsburg kommt
und
"dort auch für die [Kindergartenidee] gewirkt und gesäet
wird.- Kindergärten
"sind Gottes Sache, daher müssen sie sich
verbreiten, das kann ja
"nicht fehlen, und ich freue mich daß
sich in so vielen Gemüthern und
"Menschen die Empfänglichkeit
dafür zeigt, so bald sie nur etwas
"hineinblicken, wenn doch nur
erst recht viele an der Quelle bei dem
"ältesten Kindergärtner
schöpfen wollten, so lange noch der Weg
"offen ist, mag doch in
der Versammlung noch so viel gründlich erörtert
"werden: ob
gerade so oder anders es zu machen sey; - mir scheint
es klar,
daß gerad Fröbels Weise so unverkennbar das Ge-
"präge der
Einheit mit den Kindernatur, also der Wahrheit
"trägt in ihrem
ganzen Umfange, daß alles Abweichende wohl
"Theile dieser
Vollkommenheit an sich haben, nie aber als selbst-
"ständige
Vollkommenheit daneben stehen kann. Ich erkläre
"mich also
hiermit für
ultra fröbelisch - (:d.h. ohne
Einschrän-
"kung dessen Überzeugung theilend:) - und sehe alles
Streben
"Fröbel etwas weg zu demonstriren als Folge von
Verstan-
"deslücken an die sich gar leicht aus dem Widerstreben
sich ei-
"ner anderen Überzeugung glaubend und trauend
unterzu-
"ordnen entstehen.-
Anna
Martin sagt: - Das Heer mit dem
"der Heiland kämpfte und
siegte, waren Frauen und Kinder.
"Es ward Hingabe im Glauben
gefordert, darum waren eben
"diese die Gewählten. Als Abbild
hiervon dürfen wir wohl
"die Anwendung machen, daß auch Frauen
und Kinder zuerst
"
aufnehmen und
beweisen sollen, was dem Verstande nicht
"immer so einleuchten
will, wenn er sich
da ein Urtheil
an-
"maßt wo eine eigenthümlich begabte Erscheinung zu
immer
"größerem Berufe hervortritt, wie dieß unläugbar Fr.
ist.
"Grüßen Sie ihn herzlich von mir, die ich seiner dankbar
gedenke."
- In mehrfacher Hinsicht mußte ich Dir, l.
Luise, dieß mittheilen, mußte /
[14R]
ich mir die Freude,
die wahre Freude machen es Dir auszuspre[-]
chen, denn ich weiß
ja, daß alles Liebe, Freundliche und Aner-
kennende was mir
gesagt wird auch Dir ganz aufrichtige
Freude bringt; wie könnte
ich Dir nun dadurch, daß ich solches Gesagte
Dir nicht
mittheilte, solche ganz reine uneigennützige
Freude entziehen?-
Ein[e] solche innige gegenseitig uneigennützi-
ge
Lebenstheilnahme, ich möchte sagen Lebenseinigung ist ja
das
Höchste und Reinste was das Leben giebt: - Ich leugne
es
gar nicht nein im Gegentheil ich hebe es mit gutem Bedachte
recht
bestimmt hervor; daß [sc.: das] von der Lütkens
Ausgesprochene
macht mir die reinste Freunde [sc.: Freude], nicht
etwa um der sich darin
aussprechenden Anerkennung meiner als
solcher; o, behüte, son-
dern darum, weil mir diese Anerkennung
gleichsam eine sichere feste
Grundlage giebt auf welche ich das
Gebäude von Menschenwohl u[n]d
Kinderglück, wovon ich seit meinen
Kindheit Jünglingsjahre[n] den Riß in
meine[r] Seele
trage darauf aufbauen zu können [glaube.] Oder
[um] in einem
anderen mir lieberen Bilde zu reden: - darum, weil
mir
diese Anerkennung gleichsam erst den eigentlichen Grund und
Boden,
das entsprechende Erdreich giebt um darin den Saamen
für
Menschenwohl und Kinderglück, welcher ich möchte sagen seit
mei-
ner Kindheit in meiner Seele keimt, ausstreuen zu können,
damit
er zu einem schönen ewig grünenden, ewig schattenden,
blühenden
und fruchtenden Baume hervor wachse unter dessen
Schutze
nicht nur Geschlechter auf Geschlechter [{]sicher /
frey}, sondern auch bei
dessen Blüthenduft freudig, und bei
dessen Spendung reifer
gesunder u gesundender Früchte friedig,
bei einander wohnen
können.- Nun weiß ich aber weiter, diese
Mittheilung meiner
Freude an Dich, bringt auch, theilnehmende
Seele, Dir Freude,
wovon schon der Gedanke mich wieder beglückt;
siehest Du, so
bringt die Mittheilung reiner Freude, vielfach
gesteigerte Freude.
Freude, sagt aber unser deutscher Dichter, -
Freude ist die Feder in der gr[oßen] Welten Uhr. Darum immer Dir
Freude, Friede!
- Du wirst nun meine
liebe Luise, gern recht viel von Keilhau
hören wollen; allein da
weiß ich Dir wirklich nicht viel zu sagen,
denn mit Deinem und
Euren [sc.: Eurem] Weggange ist hier alles still gewor[-]
den und
in die alte Ordnung zurück gesunken, bei den Frauen
wenigstens.
Bei den Männern mag es anders seyn, denn /
[15]
seit
einigen Tagen ist
Karl
Wild bei Zerenner, He.
Otto bei Wäch[-]
ters eingezogen.
Am 6n Septbr war Versammlung der
Schwarzburg[-]Rudolstädter Volks-
schullehrer und Erzieher auf
dem Chrysopras. Was in Rudolstadt
im Allgemeinen beschlossen
worden, wurde auch hier festgesetzt:
"Die Kindergärten in Fröbels
Geiste sollen die Grundlage auch der
Schwarzburg-Rudolstädtischen
Volksbildung ausmachen."- Wenn
nun damit nun eben auch nicht viel
gesagt ist, so stellt sich doch
nach und nach, sey es auch nur
zunächst in einem wirklich jetzt noch lee-
ren Worte, eine
gewisse Übereinstimmung her aus; in das leere Wort
kann und wird
doch auch zu seiner Zeit ein lebenvoller, gewichtiger
Geist
kommen; es ist immer merkwürdig, so leer auch auf den
ersten
Schein immer ein Wort seyn wenigstens klingen mag, so
kann sich
dadurch und daraus, wenn nur ein ächter Geist aus und
mit
kräftigem Munde es wiederholt, doch Geist entwickeln; so
viel ist
schon gewonnen, daß nun wenigstens das Wort dem Ohr
nicht mehr
fremd klingt und somit abstoßend wirkt, und dieß ist immer
schon
ein zweites Etwas.
An demselben Tage ist
Middendorff von hier nach
Elgersburg
ins Bad gegangen. Abends waren wir noch in Watzdorf
zusammen.
Am 8
n früh ist
Emilien Bähring[s] Bruder
gekommen. Er war mit
Emilien
zweimal hier; gestern Nachmittags ist er zu Fuß über
Jena und
Apolda mit der Eisenb. nach
Berlin gereist[.]
Gestern war in Blankenburg Fahnenweihe; die Stadt soll
sehr
festlich geschmückt worden seyn; außer den Wehrmännern
war
jedoch, so schön auch das Wetter und so solenn die Feyer war
-
von uns Niemand dort.
Nächsten Donnerstag wird wohl die
Herbstreise in verschieden[en]
Abtheilungen angetreten werden.
Auch Elise mit Marie, Gertrud
und Adelheid werden über Weimar,
Erfurt, Gotha nach Eisenach,
und von da über Wilhelmsthal -
Reinhardsbrunn, u.s.w. über
Elgersburg, Ilmenau, Königsee eine
Rundreise zurück nach
Keilhau machen. Montag vor Michaelis denkt
Elise spätestens
heimzukehren. Nun wüßte ich doch auch gar nichts
mehr, was
ich Dir noch zu schreiben hätte.- Torquado Tasso wird
jetzt gelesen. /
[15R]
In den jüngsten so wunderschönen
Herbsttagen und Abenden
habe ich Deiner viel gedacht und mich
immer gefreut, daß zu
Deiner Reise Du so herrliches Wetter
hattest. Gestern am
späten Nachmittag waren wir auf der höchsten
und äußer-
sten Spitze des rothen Berges, der hohen Spitze, der
Blanken-
burg gegenüber. Der Sonnenuntergang erleuchtete
besonders
die Gegend um Saalfeld, Preilipp sehr schön und von
Blan-
kenburg herauf hallten die Lebe Hoch und die Musik
der
aus der Umgegend wieder heimziehenden
Wehrmänner.
Henriette, Elise, Marie, Adelheid, Bagge, Bentsen u
ich bil-
deten die Gesellschaft. Über den Steiger kehrten wir
heim.
- Aber sage mir, liebe Seele, soll ich denn noch zum
Abschiede
mit Dir schmählen, wegen der Sendung durch Henrietten?
-
Was ich Dir sagte wegen der Zahlung, war mein voller
Ernst.
Solltest Du nun auf der Reise in Verlegenheit gekommen
seyn,
sollte es Dir bei Deiner Einrichtung zu Hause
mangeln,
so hast Du es Dir zuzuschreiben. Ich wollte Du
hättest
Dich fest an die Wahrheit meines Ausspruches
gehalten.-
- Wir haben wegen Deines vielen Gepäckes rechte
Bange
gehabt; mir that es ganz besonders Leid Dir nicht
gesagt
zu haben, alles in Neudietendorf auf dem Bahnhof
oder
gleich, mit den beiden Amalien, nach Gotha gehen zu
lassen[.]
Grüße Deine lieben Geschwister und Verwandte
recht
herzlich von mir und lebe nun wohl, recht wohl! Ich
hoffe
daß, wenn Du diesen Brief empfängst, ich auch einen
von
Dir erhalte, mich verlangt recht herzlich nach
demselben.
Mit den Dir bekannten Gesinnungen D.Frd.Fr.Fr.
Heut Abend bei Tische habe ich gesagt, daß ich Dir schriebe,
daß
mir da alle an Dich Grüße aufgetragen haben, ver[-]
steht
sich. Wenn ich solche später, wie auch jetzt beinahe,
zu
vermelden ganz vergesse, so mußt Du mir es
ja nicht übel deuten,
sondern im Gegentheil - recht deuten.