Bad Liebenstein bei Eisenach. Am 18 Mai
1849.
[schräg
geschrieben, von anderer Hand:]
An H. Breymann
Meine liebe, theure Henriette.
Die Familienrechte ehrend und die Familienliebe pflegend
gehe
ich so weit als ich kann gern in Deiner lieben Eltern u.
Ge-
schwistern wie in Deinen Wunsch ein, daß Du noch bis
zum
Ende des Pfingstfestes bei den lieben Deinen bleibest. Sollte
aber
dann noch Dein Entschluß der alte bleiben, daß Du mich in
der
Förderung meines Unternehmens persönlich
unterstützest,
so muß ich wünschen daß Du dann ohne weiteren
Aufenthalt
kommest; denn kämest Du nicht so müßte ich bis zur
Ankunft
Luisens meine Einrichtung ganz anders machen.
Überhaupt
greifen so schon die Zeitereignisse hemmend und ich
darf sagen
empfindlich genug in die äußere Entwickelung meiner
Un-
ternehmung ein. Alles mein Streben geht jetzt auf die
äuße-
re materielle Sicherung und auf die innerste klare
Durchar-
beitung desselben, damit ich zu Rath u. That gerüstet
stehe,
wann? wo? und wie? - Hülfe Noth thut. Unser
Erziehungs-
wesen unser Bildungsgang muß ganz nothwendig ein ganz
an-
derer er muß dem Menschen wie den Dingen angemessener,
er
muß naturgemäßer, er muß thatfertiger werden, aber
auch wahrhaft
ein-, durch- und umsichtiger für alle Lebens-
verhältnisse. Alles
um mich und uns scheint zu zerfallen
wie jetzt die Blüthenblätter
und der Blumenstaub abfällt;
meine größte Sorge ist den Saamen
festzuhalten, reifend
zu machen zur künftigen Saat. Darum prüfe
Du, das Leben
ich stelle es Dir frei; prüfe es mit den lieben
Deinen. Höre und
höret was Euch eine höhere und die höchste
Stimme sagt; auch
ich suche sie mir zu hören und sie gehört
habend, ihr treu nach
zu leben. Jemanden zu einem
Lebensverhältnisse bereden
vielweniger überreden wollen, dafür
möge ich bewahrt bleiben.
- Denke Dir, auch ich habe 6 Briefe
nach Dresden geschrieben
und habe bis heut noch keine Zeile
Antwort. Alles ist wie /
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ausgestorben. Daß
Köchly flüchtig ist wirst Du in
den
Zeitungen gelesen haben er ist jüngst mit einem gewissen
Friese, dessen Namen ich nie gehört habe
über Meiningen
nach Frankfurt a/M gereist, so höre ich eben. Wie
auch,
daß unseres
Gerber Bruder, ein Literat, nach
seiner
Heimath - Sonneberg, geschrieben hat: - er habe seit
drey
Tagen seinen Bruder nicht gesehen, ohne Zweifel sey auch
er
unter den Todten. Es ist recht traurig, daß man auch
gar
nicht[s] hört. Eben fällt mir ein, daß ich nach Leipzig an
Henriette Dahlenkamp schreiben könnte:
oder willst
Du es thun? - sie wohnt bei ihrer Tante "Carl
Harkort.
Königsstraße No. 6. 2 Treppen hoch" -
- Von
Allwinen habe ich endlich
zugleich mit Deinem Briefe
auch einen bekommen; sie ist leider
noch immer sehr leidend
sie hat mir auf ihrem Bette geschrieben.
Du erhäl[t]st bei-
liegend ein paar Zeilen welche Dir das
Wesentlichste be-
richten werden. Willst Du ihr schreiben so ist
ihre
Adresse: Herrn H. S.
Lütkens.
Hamburg.
St:
Georgen nächst dem Strohhause No. 64.
Allwina schreibt mir Gutes von
Herrn Hoffmann; sie finde
ihn sehr verändert,
männlicher, fester, mit ungemeiner
Liebe, Treue, Achtung und
Anhänglichkeit mir zugethan; sie
Allwina hofft sehr viel Gutes
von ihm für die Sache, es
entwickelt sich für ihm [sc.: ihn] ein
großes Zutrauen von Eltern
und Müttern, wie sich schon viel[e]
Kinder zu seinem beabsichtig-
ten Kindergarten bei ihm gemeldet
haben soll[en]. In gleicher
Weise hat er einen zwei Bogen langen
Brief an
Christiane
Erdmann
- (welche er bei seiner Reise nach Gotha verfehlt hatte)
-
geschrieben und sie eingeladen baldigst zu ihm zu
kommen.
Christiane ist ganz glücklich darüber, sie denkt den 3
ten Feier-
tag von Gotha nach Hamburg abzureisen.
- An ihre Stelle
wird
Frau
Herzog Herold treten. Morgen
geht diese von /
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hier nach Gotha um noch einige Tage
mit ihr gemeinschaftlich
zu wirken.
Auch
Emilie Stieler ist alles Ernstes
von ihrer Mutter
nach Hause gerufen worden um dort den
Kindergarten
tüchtig zu gründen, indem sich von allen Seiten so
viele Kinder
zur Theilnahme an demselben gemeldet haben. Emilie
ist
nun auch fest entschlossen Ihrer Mutter Ruf zu folgen
und
so nach Hause zu gehen, daß sie denkt dort am 1ten Juny
den
Kindergarten zu eröffnen. Ich vermisse Emilien
zunächst
ungern. Ebenso thut es mir leid Frau Herold vor
Beendi-
gung ihrer Ausbildung in einen Beruf treten zu sehen;
allein
wer kann es ändern, das Leben drängt furchtbar nach
je-
der Seite hin.
Wenn sich nach Eintritt der allgemein
ersehnten Ruhe
das Bedürfniß nach Begründung und Ausführung
von
Kindergärten, wieder so lebhaft wie nach Beendigung
mei-
nes Bildungscursus in Dresden, zeigen sollte, so bin
ich
wirklich in der größten Verlegenheit wo ich Leiterinnen,
der-
selben herbekommen soll: - durch die Verhältnisse
sind
mehrere von der Ausführung ihres Vorsatzes und
mich
dünkt mit Unrecht abgehalten worden. Man sollte,
möch-
te ich sagen, den Rathschluß Gottes fördern, welcher
jetzt
die Herzen gar Mancher, ja Vieler für die Erziehung
be-
sonders der Kindheit weckt.
Zunächst ist darum nur
erst
Fräulein Bothmann
einge-
treten, ein sehr liebes stilles sinniges, denkendes
Wesen,
welche zu kennen und ihr Lehrerin zu seyn, Dir
Freude
machen wird. Ihre Aufmerksamkeit hat mich zu sehr
-
mir wirklich selbst wichtigen Morgenmittheilungen ver-
anlaßt. -
Der eigentliche theoretische Vortrag ist noch nicht
begonnen weil
ich immer Dich so wie noch einige andere
Angezeigte erwartete. -
Wenn Du kommst und die Anzahl der /
[6R]
Schülerinnen so
gering ist, so denke ich mit größtem Fleiße
der Ausbildung des
Literarischen und Artistischen des
Ganzen zu leben, was vor dem
Eintritte der Welterregung
so sehr gewünscht wurde, damit wenn
der gehoffte Friede
kommt, das Vorhandene sich dann dem neu
aussprechenden
Bedürfnisse entspricht. -
Zunächst denke ich nach Außen
hin mehr
durch die That und die Sache, durch das Thun selbst
zu wirken als
durch das Wort.
So steht das Ganze, ich wünschte, daß es Dir
ein klares Bild wäre.
Die erfreulichsten Nachrichten bekomme
ich immer von
Luisen aus
Rendsburg denn sie hat eine selten eingehende
Mutter
von Gemüth und Geist wie bildsame Kinder und
selbst einen Vater
derselben, welches das Gute was jenen
geschieht zu würdigen weiß.
Luise bringt darum wirklich
der Förderung der Sache ein großes
Opfer, möge der Erfolg
ihrer Absicht entsprechen.
Die Arme
aber hat jüngst auch sehr trauernde Tage ver-
lebt: - Ihr Bruder,
der Buchhändler in Elbing, welchen sie
sehr liebt, hat jüngst
seine noch junge Frau, welche ihm aber
doch eine hübsche Anzahl
von Kindern hinterläßt, ver-
loren. Luise hat dem Vater wegen
deren Erziehung
einen Plan vorgelegt, weil die verstorbene
Mutter
besonders Luisen die Mitpflege für ihre
hinterlassenen
Kinder übertragen hat.
Nun noch ein Wort in
Beziehung auf Deine beiden Bekanntin-
nen: - Wenn sie einmal
Beruf in sich fühlen sich der Erzieh-
ung zu widmen, so sollen
sie nicht warten; denn wie
gut ist das Fr: Herold meiner
Forderung folgte, wie auch
Herr Hoffmann, beide können nun schön
in ihrem Berufe
wirksam seyn. - Daß Du von Eisenach gegen
Mittag
mit der Post hierher fahren kannst habe ich Dir schon
geschrieben.
In Liebe und Treue Dir bleibend geeint