Die Sache begann mit dem Abschluß der
Steglitzer Vorträge. Das spärliche Publikum blieb
bis zum letzten Tage sehr dankbar und gab dem auf mannigfache Art
Ausdruck. An den letzten Vortrag schloß sich ein Beisammensein mit
Damen, das in der Tat fidel und harmonisch verlief; um 2 kam ich nach
Charlottenburg - das sagt alles.
Ernst Löwenthal verlor sein
Herz an eine nicht <ein Wort unleserlich,
durchstrichen> ganz rassenreine Lehrerin, und noch
andere wunderbare Dinge gingen vor. Dieser fröhliche Abschluß der
Sache war mir umso lieber, als ich ungern Dinge treibe, die nicht
mittelbar zu einer persönlichen Beziehung oder Wirkung führen. Über
die Vorträge selbst sende ich Ihnen demnächst die gesammelten, von
mir selbst verfaßten Berichte im "Steglitzer Anzeiger". Dasselbe
Thema in gekürzter Form lasse ich innerhalb
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| 2 Jahren in
der Sammlung "Natur und Geisteswelt" erscheinen, wofür ich NB. mehr
als das Vierfache erhalte.
Am Tage nach diesem Abschied
feierte ich am frühlingumrauschten
Müggelsee
Abschied von meinem Konkneipanten und Freunde
Adolf Landgraf, der nach
Halle geht, um weiterzustudieren. Am Freitag
war der
kleine Scholz bei mir,
der zur Erholung von der Influenza nach
Gardone am
Gardasee geht. Am Sonnabend überraschte mich ein mir sehr
lieber Besuch vormittags: Priv. doc.
Dr. Bruno Bauch aus Halle, der Redakteur der
Kantstudien. Am Nachmittag bis Abend war das reizende Abschiedsfest
meiner jungen Freundinnen; denn daß sie das geworden sind, empfinde
ich immer mehr. Es war wirklich hübsch und maßvoll - kindlich in
jeder Art. Am Sonntag war ich zur Taufe bei
meinem Vetter, habe
Studentenlieder gebrüllt wie einst im Lebensmai und Tischreden
geschmettert wie ein Professioneller. Ach wie mäßig war ich daher auf
die letzten beiden deutschen Stunden präpariert! Aber der Geist gab
mir einiges ein, und in einigen Schlußworten wies ich auf
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|
die Bedeutung des Idealismus hin, als den Geist, auf den es mir in
meinen Stunden ankam. Ich bat sie, mir freundschaftlich noch zu
bleiben und ließ das Wort fallen, daß mir ihre Abteilung "immer
besonders lieb gewesen wäre." Ich weiß nicht, wie es kam, daß mich
schließlich die Bewegung übermannte; ich brachte meine Rede mühsam zu
Ende, und einige weinten.
Gestern war nun die lange geplante, wohl
vorbereitete Partie. Alle bangten um das Wetter. Ich hatte der Klasse
freigestellt, in ihrem und meinem Namen einzuladen, wen sie wollte.
"Keinen laden wir ein", lautete die resolute, einstimmige Antwort.
Nur
Frl. Ströhmann u.
Frl. Lehmann (die beiden
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| technischen und mir sehr wohlgesinnten Lehrerinnen) kamen ex
officio mit. Ich fuhr ihnen bis
Alexanderplatz entgegen: 22 von 24 waren da. Die
Sonne lachte, während wir in der Bahn fuhren, und ich hatte die
Freude zu sehen, daß auch die zarte scheue
Martha Roding nun volles
Vertrauen zu mir hatte. (Am Tage zuvor ging ich hinter ihr und ihrer
Mutter die Schultreppe hinab. Die Kleine war wie gebrochen vor
Schmerz; die Mutter, eine blasse und leichtgealterte Frau,
streichelte sie leise und stützte sie. Spricht das nicht alles für
uns?) In
Potsdam angekommen gingen wir durch
die Stadt, und bald bemerkte ich, daß die Elite der 2. Abteilung
frondierte. Zu vieren untergefaßt gingen sie immer vornweg, natürlich
immer um die verkehrte Ecke, Publikum, Damen und mich ignorierend. I,
dachte ich, das ist die bekannte Rose ohne Dornen. Natürlich ließ ich
die Dornröschen nun auch unbeachtet und war um so fröhlicher mit den
andern. So sahen wir das
Mausoleum,
Sanssouci,
Orangerie
- an jeder Ecke von
Frida
Pütters photographischem Apparat bedroht. Im Drachenhäuschen,
das wir ganz okkupierten, war Mittagspause. Ich setzte mich
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| neben die Fronde, die sich noch immer ablehnend verhielt.
Mäßig ernährt, mußte ich Geck mitspielen; mich photographieren lassen
(und wie!) etc. Dann trieb uns ein neuer Regen hinein. Hier brachte
ich ein Hoch auf die begleitenden Damen aus und knüpfte daran die
Bemerkung, daß ich zwar akad. Schüler von
Schmoller wäre, aber
Schmollerinnen heute nicht sehen wollte; man sollte also allen Zwist
und Hader der allgemeinen Freude opfern. Die Fronde wurde gelbgrün
vor Ärger über sich selbst, wußte aber nicht, wie sie schwenken
sollte. Wir machten denn eine große Polonaise rund um den Tisch, und
brachen schließlich nach dem
Neuen Palais
auf. Von dort ging es zurück zum
Brandenburger
Tor, wo eine Konditorei ein bedeutendes Verkehrshindernis
bedeutete. Wir versäumten 2 Elektrische, aber rührend war es zu
sehen, wie der - infolge seiner Süßigkeit unverpackbare Kuchen auf
Händen getragen wurde - durchnäßt vom Regen, zerzaust vom Wind - vorn
auf der Elektrischen - oh, es gibt noch Opfermut in der Welt! Auf dem
Pfingstberg bot mir die frondierende
Helene Schulze bereits Chokolade an. Dann kam eine
romantische Ecke, wo ich mich als Herodins photographieren ließ,
d.h.
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| die Kuchenschüssel auf dem steif-filzenen Haupte. Im
Wettlauf sank sodann eine der Edlen samt Kuchenpaket in den Staub;
doch unversehrt erreichten wir die Meierei, wo wir wieder das Zimmer
ganz für uns hatten. Der Kaffee floß in Strömen. Rings um mich saß
verstummend die Fronde, vis-a-vis auf dem Sofa die Lehrerinnen. Es
war ein gemütliches Bild, besonders als der Regen die Streifenden
hereinrief und alles sich um uns gruppierte. Ein Hoch auf den
Direktor wurde von
Martha Ruben und dem Hoch auf
mich als den Arrangeur erwidert. Alle 24 bekamen einen Ansichtskarte
von mir zur Erinnerung; so verging die Zeit halb froh, halb wehmütig;
denn die 1. Abteilung zeigte doch andauernd eine leichte Melancholie
wie ich. Dann brachen wir auf; an der abendlichen Havel entlang,
wo/auch wir einst im Regen gingen. Ich bat sie, mir noch einmal das
Lied zu singen: "Der Winter ist dahin". Bei diesen Klängen schmolz
mir das Herz, und ich wollte eine ungetrübte Erinnerung haben. Auch
fiel mir ein, daß ich ja Pädagoge bin und der Klügere, der nachgibt.
Auch die Gänschen sollten eine ungetrübte Erinnerung behalten.
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| Ich koppelte also meine Quadriga - wie Frl. Ströhmann
geistvoll die Fronde genannt hatte - zusammen, ging in die Mitte und
sprach ein ernstes Wort. "Was haben Sie eigentlich? Habe ich Sie
verletzt - was gewiß nicht in meiner Absicht gelegen hätte, - so
sagen Sie es offen; ich
will es hören".
Gestammel, Ablehnung, Ausflüchte.
Erna
Ewert: "Wir lieben es nicht, so in der Menge zu gehen;
es richtet sich nur
gegen die Schülerinnen." Hierauf ich von Gemeinschaftssinn und
Fröhlichkeit. Der eigentliche Grund kam nicht heraus; natürlich hatte
sie am Montag die "besonders liebe Abteilung" geärgert, und am
Dienstag die - gerechterweise - etwas matt ausgefallenen Censuren.
Aber meine Nachgiebigkeit bewirkte, daß sich nun die Herzen öffneten,
und in munteren Gesprächen gingen wir durch den schönen neuen Garten
bis ans
Marmorpalais, dann an die
Glienicker Brücke, sahen den See in schwarzer
Dämmerung und fuhren dann mit der Elektrischen zum Bahnhof, wobei/ich
meinen lieben Potsdamer Verwandten herzlich zuwinken konnte. Was dann
auf der Rückfahrt in der Bahn noch geschah, will ich Ihnen morgen
erzählen; denn heute ist es spät, und Gehen, Stehen, Sitzen sind mir
von gestern noch erinnerungsschwer. Gute Nacht!