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Charlottenburg, den 23.XII.08.
Liebe
Freundin!
Sie werden inzwischen die kleine, nur
allzu bescheidene Sendung erhalten haben, durch die ich Ihnen meinen
Weihnachtsgruß übermitteln wollte. Ich lasse heute noch ein paar
Zeilen folgen, um Ihnen zu sagen, daß ich in diesen Festtagen mit
herzlichen Wünschen bei Ihnen bin. Wenn es Ihnen so geht wie mir, so
werden Sie in dieser Zeit nicht eigentlich froh sein können. Möge Ihnen aber doch jeder
schmerzliche Eindruck fernbleiben und Sie im alten Kreise Ihrer
Lieben ein lieber Geist der Heimatlichkeit umfangen!
Das Buch
von
Nohl wird Ihnen
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vielleicht wie mir interessant sein. Ich unterschreibe es keinesfalls
ganz, ja ich finde eine Neigung zu leichtsinniger Spielerei darin;
aber ich halte es für geistvoll und ausgezeichnet geschrieben.
Im
Fontane finden Sie wohl
einiges, was Sie nun mit mir gemeinsam sahen. Ich bitte Sie, der
Mark so freundlich zu gedenken wie ich des
Neckartales. Gerade im letzten Jahre habe ich
doch wieder erfahren, wie tief das Beste in mir mit der märkischen
Landschaft verbunden ist. Sie hat mich erfrischt und erfreut, wenn
die durchgängige Nullität meiner Umgebung mich einsam machte. Ich
habe aus diesem ästhetischen Bilde, in dem Stadt und Land seltsam in
einander übergehen, Kraft und Liebe gesogen, wenn die Schwere der
letzten Lebensereignisse mich nieder
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|drückte. Und mit
Sehnsucht erwarte ich den Tag, wo der Frühling mir dies alles neu
belebt. Freilich, er muß diesmal ein ganz neues Leben bringen. Denn
Menschen und Dinge haben ihr Ansehen in meinem Geiste geändert, und
vieles habe ich hinter mich geworfen oder werfen müssen. Was ich mit
in die ungewisse Zukunft hinübernehme, sind einige wenige Menschen,
die ich liebe, weil sie es verstehen, innerlich mit mir zu leben, und
einige, die mich nicht verstehen, die aber an mich glauben. Wer nicht
zu einer von diesen beiden Kategorien gehört, für den ist meine
Persönlichkeit verschlossen. -
Inzwischen wird mein
ausführlicher Brief von
Heidelberg Ihnen
nachgekommen sein. Darin stand bereits die Antwort auf Ihren lieben
Reisebrief. Diesmal tun
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| Sie der Münchner Firma Unrecht.
Sie stehlen wohl (d. h. demjenigen Zeit, der den Roman liest), aber
sie betrügen nicht, nicht einmal sich selbst, da sie
ihr Opus wohl selbst für platt
erkennen. (Die Schreibfehler die mir unterlaufen, nötigen mir selbst
an diesem finsteren Tage ein Lächeln ab.)
Am Montag war die
Weihnachtsfeier in der Schule. Es war mir ein beglückendes Gefühl zu
bemerken, daß ich für meine ehemaligen Schülerinnen noch immer ein
Mittelpunkt der Liebe und Verehrung bin. Es ist mir immer, wenn ich
dorthin komme, als wäre ich in meiner Familie. Denn bei uns wird es
stiller und stiller. Aber wie lange wird jene schöne Verbindung noch
dauern!
Hermann wird
Ihnen erzählt haben, daß wir heute 2 Stunden zusammen waren.
Hoffentlich ist er glücklich angekommen. Nun verleben Sie zusammen
ein schönes Fest und empfangen Sie nochmals von uns allen die
herzlichsten Wünsche und Grüße. Auch einer Ihrer Brüder,
<li. Rand> wenn er auch nicht unter
dem Weihnachtsbaum ist.