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Charlottenburg 2, den 28.XII.08.
Liebe
Freundin!
Die endlose Reihe der Feiertage ist
vorüber, und indem ich sie noch einmal Revue passieren lasse,
erscheint mir als der eigentliche und einzige Glanzpunkt Ihre
Sendung. Die liebevolle Sorge für mich, die daraus sprach, empfinde
ich als ein volles und reines Glück. Sie hatten alles – ich möchte
sagen: so individuell verpackt, daß jede Gabe ihre eigne Sprache
redete, tausend Erinnerungen und tausend Beziehungen weckte, und mit
tiefem Dank empfand ich von neuem, daß ich auf die Gemeinsamkeit
unsres Lebens bauen darf.
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| Wie schön verstehen Sie es, für
dies alles immer wieder neue Kunstformen als Ausdruck zu finden.
Jedes erzählt seine eigne Geschichte; und wenn ich zwei Lesezeichen
verwende, um in den Annalen unsrer Freundschaft die schönsten
Stellen, den Sommer 1903 und den Sommer 1908 festzuhalten, so bleibt
mir eines übrig für den noch ungelesenen Teil; lassen Sie uns hoffen,
daß wir bald und glücklich ein Kapitel "
Weimar" mit einander erleben! Bei der Betrachtung
des wundervollen Tintenfasses freilich mußte ich daran denken, daß z.
Z. weniger mein Freund
"Kügelchen", als ich selbst in der Tinte sitze.
Aber es soll ja wohl keinen eigentlichen Herbst geben. Ich will mich
bemühen, daß diese Grundlage des Tintenfasses auch zu meiner
Lebensgrundlage werde. Wenn ich es benutze,
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| so soll jedes
Eintauchen der Feder ein Versenken in die Gewißheit sein, daß aus
Ihrer Treue mir Schaffenskraft und Lebensmut entspringt. Nehmen Sie
also den innigsten Dank für die Verschönerung des Festes, die Ihr
unversieglicher "Kunstsinn" mir wiederum bereitet hat!
Auch
das Materielle habe ich mit Dank empfangen: die bekannten und
beliebten Schloßbiskuits und das Feuerwerk, das ich nach Vorschrift
behandelt habe: merkwürdig, auch ich habe immer für diese Art
Schwärmer geschwärmt!
Die Skizzen muß ich noch wiederholt
betrachten, sie gefallen mir ganz besonders gut; ich finde sie weit
lebendiger in der Farbe als sonst, fast habe ich den Eindruck:
lebensfreudiger. Möge ich doch richtig gesehen haben! Welch klare,
durchsichtige Luft über
Parpan, und welch
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| frohes buntes Blühen auf der anderen! Eilt es sehr mit der
Rücksendung? Sonst schicke ich sie bald nach Neujahr mit den
Photographien und Briefen. Wer ist der Herr, der im Steinbruch mit
Ihnen triumphiert? Gewiß ein Jurist? Schade, daß allzuviel Landschaft
die Figuren beinahe zur Staffage herabdrückt. Darüber lesen Sie
vielleicht einmal etwas Bezeichnendes im
Nohl. – Auch die Briefe habe
ich mit herzlicher Teilnahme gelesen. Ihr
Bruder Kurt hat eine reizende
Art zu schreiben;
Hermann merkt
man immer den schwermütigen Denker an. Ich freue mich, durch alles
dies an Ihrem Leben wieder einmal teilgenommen zu haben, und auch
jetzt weilen meine Gedanken in Ihrem Kreise in
Cassel und grüßen Sie herzlich. – Dank zum Schluß
auch noch für die Rücksendungen; was muß Ihnen dies Paket für Mühe
gemachte haben!!
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|Soll ich von uns und unsrem Fest reden, so
wird mir das Herz schwerer. Viel lieber male ich mir aus, daß Sie
Ihre Tante so gut, ja besser
gefunden haben, als Ihr Bruder berichtet. Nehmen Sie selbst meine
herzlichsten Wünsche und sprechen Sie sie auch der verehrten Dame in
meinem Namen aus, die mir um Ihretwillen unendlich teuer ist und an
die ich seit jener kurzen Begegnung 1904 noch oft gedacht habe. Sagen
Sie ihr, daß ich mich unendlich freuen würde, wenn ich ihr noch
einmal diese Verehrung persönlich bezeugen dürfte.
Leider,
meine liebe Freundin, haben abgesehen von dem Gedenken an Sie während
des Festes schwere Schatten über meiner Seele gelegen. Ich habe in
einem Anfall von Entmutigung, Ermüdung und Verzweiflung meine ganze
Laufbahn verwünscht. Wenn ich Kauf
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|mann geworden wäre, wie
viel mehr hätte ich zur heiteren und glücklichen Gestaltung unseres
Lebens beitragen können. Jetzt sehe ich oft keinen Ausweg, wie es
einmal werden soll. Mich selbst durchbringen, das gelingt mir wohl.
Ich habe im vorigen Jahr trotz meiner Hauptarbeit 1500 M literarisch
und durch Unterrricht verdient, wobei zu berücksichtigen ist, daß 200
M in
Amerika und an andrer Stelle ausgefallen
sind. Nun sehe ich hier täglich die Krankheit
meiner Mutter, ich höre, wenn
sie auf dem Sofa liegt, die Stöße des Herzens, ich erfahre die
zunehmende Anfälligkeit meines fast 70jährigen
Vaters. Wenn hier ernste
Krankheit eintritt, und sie wird kommen, so stehe ich
völlig allein. Die Wirtschaft ist
unversorgt; ich selbst kann nicht alles tun, – Anlaß genug zu
einer
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| unablässigen Bedrückung. Das wirkt dann so auf mich,
daß ich bisweilen feindselig werde gegen alle Menschen, ja gegen
meine Eltern selbst. Ich kämpfe die schwersten Kämpfe durch, ob die
idealen Überzeugungen, die ich öffentlich vertreten habe, dem Sturm
des wirklichen Lebens standhalten. Ich bin bis ins Innerste
erschüttert, und wer mich öffentlich mit der sonnigen, sieghaften
Sicherheit sieht, ahnt nicht, wie nahe ich am Abgrund stehe und wie
schwer ich leide, gerade weil ich die sittliche Verantwortung aufs
feinste empfinde und mich
[über der Zeile] noch
nicht zum Quietismus einer weltentsagenden Gottesergebung stimmen
kann. – Ihre Liebe zu mir und meine zu Ihnen forderte, daß ich Ihnen
das sagte. Verzeihen Sie, wenn ich Son
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|nenschein mit Wolken
vergelte. Sie bleiben doch der Glanz meines Daseins, und im Vertrauen
auf Sie finde ich Kraft.
Grüßen Sie alle die
Ihrigen herzlich. Ich bleibe in Dankbarkeit und brüderlicher
Zuneigung
stets Ihr
Eduard.