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Heidelberg. 27. März 08.
Lieber
Freund.
Es ist wenig Aussicht zu einem halbwegs
vernünftigen Brief, denn ich habe die Erkältung oder Infection oder
was es sonst war noch immer nicht wieder aus dem Kopf. Aber da ich
mit dadurch veranlaßt besonders viel allein bin, habe ich Sehnsucht
nach einem Plauderstündchen mit Ihnen. - Wie mag es Ihnen gehen? Nun
sind die Steglitzer Vorträge endlich fertig. Ich freue mich nur, daß
Sie dieselben doch noch drucken lassen. Es ist wirklich Mißgeschick,
daß die Umstände Ihnen so oft hinderlich sind, Ihre Leistungen
entsprechend zu verwerten. Denn wenn ich auch idealistisch genug bin,
danach den Wert dieser Leistungen
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| nicht einzuschätzen, so
verstehe ich doch vollkommen, daß u. warum Sie Wert auch auf diese
Seite des Berufslebens legen. Mit Ihren Ansichten über diesen Punkt
kann ich mich nur völlig einverstanden erklären. In unserm speziellen
Fall freilich war ich andrer Ansicht u. glaubte Ihre
"Selbständigkeit" nicht gekränkt. Durch die Wendung aber, die Sie der
Sache gegeben haben mit dem Versprechen auf die Zukunft, erfreuen Sie
mich sehr. Erfreut u. dankbar nehme ich dies Versprechen an, in dem
festen Glauben, daß es Ihnen so ernst damit ist, wie mir; daß es
nicht leere Wort sind, sondern daß Sie darauf vertrauen, meine
Freundschaft werde sich selbstverständlich u. unbedingt bewähren in
allem, was ich irgend
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| tun kann.
Was haben Sie denn
nun aber für Absichten mit der Ferienerholung? Ist die mit
Jena ganz aufgesteckt? Das fände ich
schrecklich unvernünftig. Tun Sie doch irgend etwas, was mich freuen
kann!!
Die größere Ruhe, mit der Sie sich gegen die
Widerwärtigkeiten unempfindlicher machten, war auch mir Beruhigung.
Ich habe es garnicht gern, wenn ich Sie so in gespannter, überreizter
Stimmung weiß.
Von mir kann ich eben garnichts erzählen. Der
Besuch der Schwestern war, wie das immer ist, äußerst freundlich u.
nett. - Mit meinen Stunden, die eine Woche ganz ausfallen mußten,
habe ich mal mehr, mal weniger Erfolg. Vor 14 Tagen
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| in
Schwetzingen wurde ich durch eine wirklich
überraschend gute Leistung erfreut. Sonst ist mein Dasein auf das
geringste Maß von Betätigung beschränkt. Das Beste ist noch, daß ich
doch zum Lesen frisch u. aufnahmefähig war. Tagebuchblätter u. Briefe
von
Hebbel haben mich sehr
beschäftigt,
Weinel:
Individualismus u. Christentum hat mich interessiert u. jetzt bin ich
mit Eifer u. Freude an Ihrem
Humboldt. Es ist mir, als wenn diese Arbeit meinem
Verständnis näherstände, als manche Recension u. degl. die
beängstigend über mein Verständnis gingen. Wenn hier auch gewiß
vieles ist, was bei mir aufs "Steinichte" oder auf Unverstand fällt,
so kann ich der geschilderten Entwicklung
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| u. der klaren
Darstellung der Ideen u. Standpunkte völlig folgen, u. einzelne Sätze
haben geradezu persönliche Färbung für mich, als wenn sie Resultat
gemeinsamer Erörterungen wären. Ich muß natürlich langsam lesen, denn
es ist schwer u. inhaltsreich, u. ich wollte nur immer, ich könnte
gleich im unmittelbaren Eindruck mit Ihnen drüber reden. Aber so geht
es immer im Leben: man muß sich mit einer unzureichenden Gegenwart
behelfen u. tröstet sich mit einer Möglichkeit für die Zukunft, die
nie kommt.
Waren Sie eigentlich an jenem Samstag mit
Hermann in
Schönhausen? Was Sie über Ihre u. seine Eigenart
sagen, ist natürlich immer
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| die alte Differenz. Aber freuen
sollte es mich, wenn diese Aussprache doch die Möglichkeit einer
gerechteren, persönlichen Verständigung gäbe. Was wird er nur in
seinen Berufsplänen beschließen?
Ich hoffe ihn nun doch zu
Ostern zu sehen. Denn die
Tante, bei der ich immer in
Cassel bin u. die ich noch in
Aachen glaubte, wird wahrscheinlich bald wieder zu
Haus sein u. ich kann dann am 10. April zu ihr kommen. Halb bedaure
ich es, hier fortzugehen, denn so werde ich wohl der schönsten Zeit
hier aus dem Wege gehen. Aber da wir diesmal hoffentlich keine
kleinen Kinder oder Patienten dort haben, so hoffe ich von der Ruhe
u. Luftver
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|änderung, den andern Eindrücken rechte Erholung.
Ich bin damit an Weihnachten entschieden zu kurz gekommen.
Nun
schreiben Sie mir recht bald Gutes von Ihrem Ergehen. Hoffentlich
sind Sie u. die Ihrigen gesund. Bei den
Abschiedsfeiern in der Schule wünsche ich Ihnen recht viel gute,
freundliche Eindrücke. Sie haben diesen Kindern doch eine Ahnung für
das wahrhaft Wertvolle im Leben mitgegeben.
Verzeihen Sie die
ausgesucht schlechte Schrift. Teils versagt die Feder, teils meine
Hand. Ich verschreibe mich beständig.
Drum will ich auch
lieber aufhören u. hoffen, daß Sie Schlechtes mit Gutem vergelten
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| werden u. mich mal nicht garzu lange warten lassen.
Grüßen Sie Ihre verehrten Eltern herzlich. Auch
meine Freundin läßt Sie grüßen.
Müde aber herzlich
Ihre
Käthe
Hadlich
[] Ist der
kleine Scholz wieder gesund? Was hat ihm denn
gefehlt?