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Charlottenburg 2, Kantstr. 140.
Den 25. März
1911.
Liebe Freundin!
Meine
Sonntagsstimmung ist durch Ihren heutigen Brief nicht gerade gehoben
worden. Daß Sie auf jener kurzen Karte den Ausdruck meiner Freude
vermißten, kann ich mir nur so erklären, daß Sie meinen vorangehenden
Brief, in dem ich Sie ausdrücklich darum bat, völlig vergessen haben.
Wenn Sie aber von "Entsetzen" reden, so liegt das meinem Empfinden so
fern, daß ich mich vergeblich frage, was Ihnen dazu ein Recht geben
könnte. Ich bin weiß Gott nicht verwöhnt in der Erfüllung meiner
kleinen Wünsche, so daß mir jener Kaffee und sein Stattfinden höchst
gleichgiltig ist. Ich würde ihn sogar mit
[über der Zeile] einer Freude aufgeben, die Ihnen
schwer denkbar erscheint, wenn es die Zeit Ihrer Ankunft wäre. Es ist
schade, daß Sie einem zufälligen Wortlaut nehr
Bedeutung
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| beilegen als dem, was Sie wissen und was ich
sonst in ruhigeren Stunden auch oft genug in Worte gekleidet habe.
Wenn Sie sich so an das Einzelne hängen, müssen Sie denken, ist das
für mich immer ein kleines Mißtrauensvotum, und in dieser Stimmung
ist es mir ganz unmöglich, auf den zweiten Teil Ihres lieben Briefes
einzugehen.
Es tut mir innig leid, daß Sie vor der Reise
wieder so viel Hetzerei haben. Sie hätten das mit der Klinik nicht
annehmen sollen; wenn es dann zum Reisen kommt, sind Sie schon im -
voraus erschöpft und haben darunter wieder mehr zu leiden als Genuß.
Ich glaube, ich könnte Ihnen jetzt ein Stück von meiner Ruhe abgeben.
Ich sitze noch tief in schwierigen Arbeiten, es sieht rings um mich
aus wie stets, und vom Packen sieht man noch keine Spur. Vor Dienstag
kann ich nicht ernstlich anfangen, sonst verliere ich zuviel Zeit,
die ich für die mannigfachen Arbeiten dringend brauche.
Mit
dem Mädchen kommen wir nicht
zurecht. Sie wird wohl am 1. kündigen; sie will sich nichts
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| sagen lassen, obwohl sie mit ausgesuchter Schonung behandelt
wird, und ist auch mit dem Gelaß in der neuen Wohnung unzufrieden;
man weiß garnicht, wie man sie behandeln soll, sie ist oft höchst
mufflig und der ganze Zustand für uns beide sehr ungemütlich; die
Leistungen gehen auch über ein normales Mittel nicht hinaus. Es kommt
mir auf diese Handvoll Ärger mehr nicht an.
Gestern war eine
Trauerfeier für
Heubaum; ich
habe wieder 1 Kapitel für
Dilthey ausgearbeitet, 1 Aufsatz für
Ruska geschrieben, einen
Jahresbericht begonnen,
[über der Zeile] die Thesen zum
6. April aufgestellt, und neben
Paulsens Aufsatzangelegenheit auch die Vorlesung
vorzubereiten angefangen. Daß man dabei im Moment einmal nicht ganz
gewandt schreibt, ist vielleicht entschuldbar. Heute brüte ich über
jedem Wort, und es kommt doch immer nicht so heraus, wie es soll,
obwohl ich schon 1/2 Stunde daran sitze. Es ist sehr gut, daß wir uns
nun bald sehen und sprechen. Ich glaube, Sie werden dann fühlen, daß
sich in mir nichts verändert hat. Ich wüßte auch wirklich nicht,
warum ich mich über dieses einzige rechte Glück meines Lebens
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| nicht freuen sollte. Oder glauben Sie, daß mir die Rosen
rings am Wege wachsen und ich an einer achtlos vorbeigehen könnte?
Ich muß sagen - und meine Schwester wird mir das nicht übelnehmen -
daß mir die Angelegenheit zu heilig ist, als daß ich das mit dem
"Entsetzen" verstehen könnte.
Den Rheinsberger Plan finde ich
sehr schön; aber ich fürchte mich vor jedem Luxus, den ich dem
Schicksal abringen könnte, und so wollen wir auch dies mit frommer
Scheu ruhen lassen, bis es dicht vor uns liegt.
Ich sage
nichts über die Gefühle, mit denen ich Sie erwarte. Grüßen Sie
Frl. Knaps noch einmal, lassen
Sie sich von ihr nicht beeinflussen und reisen Sie recht glücklich
und gesund. Der
verehrten Tante
werden Sie auch Grüße bringen; ich hoffe noch auf Nachricht, wann Sie
kommen. Denn daß ich nun nach 10 Tagen auf die Einladung antworten
[über der Zeile] muß, dies ist eine rein
geschäftliche Sache und hat mit m. Gefühlen nichts zu tun.
Nochmals alles Gute und Liebe!
Ihr
treuer Bruder
Eduard.