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Charlottenburg, den 14. März 1913.
Liebe
Freundin!
Den Beginn der Ferien merkte ich am
Nachlassen der unerträglich großen täglichen Korrespondenz; ich sehe
mit Schrecken, daß auch Sie unter meiner Schreibfaulheit leiden
mußten, obwohl es so natürlich nicht
gemeint war. Außerdem liegen jetzt wieder 20 unerledigte Briefe da:
das ist der Danaidencharakter des Lebens.
Was Sie Gutes
schrieben, hat mich herzlich erfreut.
Der Tante wünschte ich mehr Freudigkeit,
hoffentlich ist es nur die bekannte Frühjahrsschwermut, unter der
viele leiden, ohne objektive Gründe zu wissen.
Mir geht es wesentlich besser, als nach den unmenschlichen Anstrengungen des Semesters zu
erwarten war. Ich habe sogleich mit Neigung und Liebe die Vorarbeiten für das
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nächste Semester in Angriff genommen, empfinde freilich, daß hier viel gewollte und
ungewollte Zerstreuung dazwischen kommt.
Meinen
Vater fand ich in erfreulichem Gesundheitszustand. Wir beide freuen uns, daß das
jetzige Mädchen geht, und fürchten uns vor dem
nächsten. Den Geburtstagsbrief m. Vaters haben Sie doch bekommen? Ich war zweimal mit
Nieschling zusammen, einmal in
Babelsberg bei
Riehls zum sehr netten philos.
Abend, wo auch der
kl. Scholz war;
seine Schwester zeigt eben d. bestandene Examen vor. Einen
Tag war ich bei
W. Böhm, am Dienstag zur Schulfeier,
dann Niederlegung eines Kranzes am Grabe der
Johanna
Stegen, von dort fuhr ich gleich mit
Frl.
Thümmel nach
Pankow. Hatte Lust, den
Broseschen Park mal wiederzusehen, Tür offen, alles im Umbau, schließlich liefen
wir
ihm ins Gehege, also doch. Da er eben 2 Damen führte,
blieb
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| es bei Kartenübergabe meinerseits "Den Namen habe ich schon mal gehört."
Herrn Fischer werden Sie kaum wiedersehen, er wird
sich bald totgesoffen haben. Gestern
Baumschulenweg, alle krank
gewesen, manche Gegensätze.
Bernhard kommt zur
Schule,
Ännchen ist u. bleibt ein Trampel. Heute
will ich zu
Matthias, um mit der preuß Schulpolitik
wieder Fühlung zu nehmen.
Frau Paulsen reklamiert m.
Besuch.
Fastenraths sind hier. Sonnabend u. Dienstag
Böhms, Sonntag
Registrator, Montag
Lindau. Sie sehen, eine
hübsche Speisekarte, wenn man auch bis zum 15.IV. noch 2 Kollegs machen will, 1 Gutachten
f.
Schmoller, Korrekturen u. Anmerkungen zur
Humboldtausgabe u. mehrere Recensionen. Der
Humboldt v.
O.
Harnack ist nun da, keinerlei Konkurrenz.
Ihre Bereitwilligkeit in m. Reiseplänen
billige ich. Mir scheint nach Autopsie im Fahrplan, daß
Konstanz besser liegt als
Rad.[4]
| Auf
Reichenau werden keine 2 Gasthäuser brauchbarer
Gattung sein. Mein Plan mit
Frl.
Wundt entsprach mehr dem Wunsch, Sie der geistigen Stagnation
des
K.schen Kreises etwas zu
entziehen und Ihnen eine neue wertvolle Anregung zuzuführen, als daß
ich über den Modus viel nachgedacht habe. Vielleicht fügt es sich bei
meinem Aufenthalt in H. von selbst. Ich habe mich am Donnerstag als
einziger Mittagsgast bei Wundts gut unterhalten.
Frau Friedmann ist nun erholter
in
Wien u. schrieb mir einen dankbaren Brief.
Er schüttete ein Füllhorn
romantischer Gefühle aus
Krems an der Donau
über mich aus, wo er in Garnison steht.
Ich hoffe, daß Sie als
energierte Medizinerin unsern Purr heilen werden. Das ist das Minimum
von Viehlosophie, was ein Mediziner haben muß. Ich grüße den ganzen
Verwandtschaftskreis, vor allem die
verehrte Tante u.
Herrn Walther. Ihnen gebe ich dringend auf, sich
auszuruhen und grüße Sie auch von
m. Vater, herzlichst in
bekannter Treu Eduard.
[re. Rand, S.1] Herzlichen
Dank für die Beilagen, die anbei zurückfolgen.