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Ich kann nur sagen: einen ganz
schrecklichen Vormittag habe ich heute
verlebt. Ungern wiederhole ich alles noch einmal in der
Erzählung:
Morgens vor 8 ehe ich fortgehe will ich 2 Stück
Kuchen in meinen Schreibtisch unten links einschließen. Bei dieser
Gelegenheit merke ich zu meinem Entsetzen, daß das Fach leer ist und
daß die dort verschlossenen Staatsarbeiten für das Sommersemester
1914 verschwunden sind. Ich rufe
Frl.
Stolpe, allgemeine Ratlosigkeit, Entsetzen. Doppelt
auffallend, daß die unverschlossenen Arbeiten (35) für dies Semester
alle noch dalagen. – Ich muß ins Kolleg, und das ist das einzig
Rühmliche an dieser Niederlage, daß ich mich völlig in der Gewalt
hatte u. einen schwierigen, schlecht vorbereiteten Stoff excellent
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| herausbrachte. Dann sogleich zum Sekretär der
Kreishauptmannschaft, dem ich Meldung machte; er wird ersucht, Namen
der Verf. u. Abgabezeit zu konstatieren. Zu Hause suchen wir noch
einmal alles durch; ich hole
Friedmann im Auto, um auch sein Gutachten
einzuholen. Nichts zu finden. Nunmehr ging ich mit Frl. Stolpe zur
Polizei und erstatte dem aufmerkenden Volk Anzeige. An Ort u. Stelle
schreibe ich den ganzen Sachverhalt auf, ein Beamter wird mir
mitgegeben, der alles genau ansieht, alles versteht u. sich sehr warm
der Sache annimmt. Inzwischen muß ich zur Sprechstunde, werfe
ich mich in die Droschke und fahre
nach der Kreishauptmannschaft, um die Aufstellung zu holen. Die
Aufstellung zeigt – daß ich für den Sommer überhaupt keine Arbeiten
erhalten u. an der betr. Stelle folglich keine
Gelegen haben. Ich kann nicht
sagen, daß mich dieser Tatbestand befreite! Denn
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| wie viel
Hebel hatte ich in Bewegung gesetzt und wie viel Unruhe verursacht –
von unvermeidlich aufsteigendem Verdacht natürlich zu schweigen.
Telefonisch die Polizei verständigt,
Famulus im Auto zu Stolpes geschickt, und mit
diesen Eindrücken nun den tausenderlei Kleinkram der Sprechstunde.
Sogleich danach schrieb ich an die Polizei noch einen Eilbrief und
überwies der Pensionskasse ein Reugeld von 25 M.
Ich schäme
mich bis zum Versinken! Wenn das dem Philosophen passiert, der so
sorgsam mit den Handtaschen umgeht! Und außerdem noch die Erwartung
Ihrer Schadenfreude. Die 5 Stunden waren entsetzlich geradezu.
Dazu kommt noch ein Nebenerfolg unglücklicher Art: Eben hatte ich
mit dem Geld für die Monatsrechnung
Mad. Stolpe einen Brief übersandt, worin ich um
Regelung der Dienstbotensorge bat. Wir sind nämlich seit fast 1 Woche
mädchenlos, und haben nur eine Aufwartung.
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| Statt eines
Sieges erlitt ich also eine Schlappe und mußte froh sein, daß die
Damen mir verziehen.
Dabei hatte ich diese Nacht so schön
geschlafen und war morgens so frisch. –
Magnificenz hat sich
meiner Sache zwar angenommen, aber ohne Erfolg. Schön ist es aber,
daß trotz dieser ungünstigen Sitzbedingungen der große Kreis sich
hält. Die Stufen des Katheders sind voll vom Volk. Und der
Plato kommt auch gut in Gang. –
Der
Schmoller ist gedruckt. Sie
erhalten die 2. Korrektur.
Wenn nur erst dieser Tag vergessen
wäre! Es ist schon bei regelmäßigem Ablauf genug. Wegen der
Staatsexamina habe ich eine Denkschrift ausgearbeitet, die freilich
nur die allgemeinsten Verbesserungen vorschlägt und
meine Angelegenheit garnicht berührt. –
Kehrseite: ich habe für das nächste Jahr (bei Zugrundelegung des
2jährigen Durchschnitts) also nicht des letzten besseren, ein Einkommen zwischen
000000 und 0000000 M zu
versteuern. Diese Zahlen machen Sie unleserlich, wenn Sie sie gelesen
haben. Für heut nur dies eilige Nachrichtenblatt. Krieg'
<li. Rand> ich nun endlich den
Wechselrahmen? Herzlichst Ihr sehr beschämter, reuiger Eduard.