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Grassistr. 14, den 16. Juni 1916.
Liebe
Freundin!
Hier das Ergebnis der Konsultation:
zunächst eine so väterliche und eingehende Wärme von Seiten
Sr. M., daß das allein schon
als Behandlung wirkte. Er nahm den Fall zunächst in der Besprechung
recht ernst; dann bei der Untersuchung
etwas günstiger. Aber er sagte: es ist nicht
sicher daß Sie im W. S. lesen können.
Befund: Einige Stellen zeigen noch Senkung, abgesehen von den Narben
(Schwarten.) Fieber beweist, daß auch noch frisch tätiger Prozeß da
sein muß. Ätiologie: Ursache höchst wahrscheinlich tuberkulös.
Bronchie vielleicht infiziert, die dann durchgebrochen und die
Pleuritis verursacht. Lungenspitzen gut.
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| Anlage des
Brustkastens günstig.
Behandlung: Es kommt
mehr auf das Wie als auf das Wo an. Lungensanatorium nicht notwendig,
Sanatorium empfehlenswert. Hier machte ich nun meine Abneigung
geltend, die er anerkannte. Ich schlug
Freudenstadt vor und schilderte unsern Plan. Die
Hauptsache war ihm der Balkon nach Süden oder Westen mit
Liegegelegenheit. Ich beschwöre Dich, die Veranda bei Heinzelmanns
als solchen gelten zu lassen; man kann ja alle Fenster herausnehmen.
Nur wenn Du den Balkon so schilderst, daß er zur Liegekur geeignet
ist, wird etwas aus unserm Plan. Und das ist für mich die
halbe Frage der
Genesung. Er wünscht aber dringend, Dich zu sprechen und Dir genaue
Maßregeln zu geben. Ob Du Einfluß auf mich
hättest? Ich: einen dämonischen, zumal wenn Mag. dahinterstecke. Ich
habe ihm heilig versprechen
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| müssen, alles zu befolgen;
auch dort einen Arzt zu nehmen.
Die praktische Folge ist also
zunächst die, daß ich Dich bitten muß, doch noch nach
Leipzig zu fahren. Montag oder Dienstag
Sprechstunde 4-5 würde ich vorschlagen. Er ist zwar bereit, Dich auch
außerhalb der Sp. zu empfangen; aber das ist vielleicht unbescheiden.
Es ist
Beethovenstr. 33, das nächste Haus von
Rohns. Bei R.s bist Du angemeldet, wenn Du Zeit hast. Bei Biermanns
nur, wenn Du Lust hast. An
Frau
H. telegraphiere
ich nicht.
Du kannst es aber sogleich tun, wenn Du
nach dem Gesagten gewillt bist, auch Deinerseits
St. gegenüber
Freudenstadt als geeignet hinzustellen.
Hier darf
ich
nichts erledigen. Nicht einmal mein Seminar besuchen.
Liegen 6-7 Stunden ist Parole. Ich fahre
also morgen um 12, spätestens um 5 wieder
[4]
| nach
Neubabelsberg. Die Einzelheiten der Fahrt,
die erst stattfinden kann, wenn wärmer, überlegen wir dann noch. Am
liebsten wäre mir Station in
Cassel und
Vermeidung eines Hôtelaufenthaltes.
Ich bekomme ein Attest
meiner völligen Militäruntauglichkeit, damit ich keine Scherereien
habe. Wenn Befund im September nicht besser - Arosa.
Wenn Du 2
Nachtaufenthalte vermeiden willst, ist möglich:
Ab Cassel 6.30 - früh Eilzug über
Semperhausen–Halle.
[unter der Zeile] (oder 11 Uhr 2 bis 4.31 letzterer etwas
knapp.)
An Leipzig
11.50.
Rückwärts bleibst Du vielleicht 1 Nacht in Halle.
Ich schreibe bald mehr. Deinen lieben Brief heut früh erhalten,
kann aber auf Einzelheiten nicht eingehen, weil ich sorgen muß, daß
dieser Brief rechtzeitig fortkommt.
Innigsten
Dank für Deine Reise im voraus. Und tausend Grüße.
Dein
Eduard.