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Leipzig, Scharnhorststr. 25, den 15.IV.
Liebste Freundin!
Ich eile, Dir endlich
den Schlüssel zu schicken, ohne den Du ja nicht an den Korb kannst.
Und ich danke Dir innig für die reizenden Leberblümchen, die ganz
prächtig angekommen sind, vor allem aber für Deinen lieben Brief von
heute. Auch den in der vorigen Woche habe ich bekommen; ich habe ihn
im Augenblick nicht zur Hand und erwähne dazu nur, daß ich
Rathenaus neue Broschüre damals
schon gelesen hatte, mit dem Gefühl, daß es schwer sein wird, im
"neuen" Dtschld zu leben.
Nun zur Beantwortung Deiner Fragen.
Ich bitte mit der Absendung der Sachen noch ein wenig zu warten. Die
Versicherungssumme nimm dann zu 100 M. Auch wenn ich 1000 bekäme,
wäre Verlust ja unersetzbar. Den Kasten mit dem Vorlegeschloß, der
schon etwas wacklig geworden ist, habe ich auch hier. Doch
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möchte ich im Augenblick nichts senden. Einige defekte Sachen
ältesten Datums findest Du im Korb, falls sie in Anbetracht der Zeit
die Reperatur noch lohnen.
Frl. Wezel klagt über die unerträglich düsteren
Eindrücke im
Stadtteil Hammerbrook. Sie kann
so auf die Dauer nicht leben, und was ihr
Gertrud Bäumer in Aussicht
stellt, ist auch wenig und unbestimmt. Ich fand an ihr eine
allgemeine Unfrohheit, die ihr den Hauptreiz ihres Wesens nahm. Bei
Rohns war ich noch nicht, und meine
Kartensache ist – da Damen auf den Büreaus arbeiten – noch absolut
verworren und undurchsichtig. Ich weiß daher noch nicht, wie es mit
dem Zucker steht. Aber Du bekommst ein kleines Büchschen Honig, das
Frau Dr. Lehmann mir gestiftet
hat. Die große Kirschtorte von
frau Dr. Günther kann ich Dir leider nicht
senden.
Ich war heut (Sonntag Mittag) allerdings bei
Biermann, der in seiner
tatkräftigen Freundschaft stets der Alte ist. Der Arme leidet seit
längerer Zeit an Darmblutungen. Morgen
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| will er mich wieder
im Wagen abholen. Für die 4 Kinder hatte ich oberbayrische
Kleinigkeiten mitgebracht, von denen wenigstens einige ganz
angekommen sind.
Pension Witting ist
für den von Dir gemeinten Fall nicht zu empfehlen, weil die
Milchlieferung Schwierigkeiten macht. Wenn die Dame keine
Anforderungen stellt, so scheint mir das "Pflegeheim
Schweizerhof" besonders zu empfehlen, weil es mit Molkerei
verbunden und weil die Besitzerin, eine Arztenswitwe, für ihre Gäste
u. Patienten mit rührenster Liebe sorgen soll. Es sind jedoch
ausgesprochen Kranke da. Die Zimmer scheinen klein und einfach. Große
Liegeterassen sind den ganzen Tag mit Patienten besetzt.
Nur dies kommt für den betr. Fall in
Partenkirchen in Betracht.
Kriegsanleihe soll unerhört gezeichnet werden. Draußen soll der
Optimismus glänzend sein, besonders in Umgebung des
Kaisers. Hier ist er begrenzt.
Eulenburg kritisch wie immer.
Möchte sich gern scheiden lassen u. geht nach Aachen.
Mir geht
es übrigens schlechter als für den
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| militärischen Zweck
erforderlich wäre.
Strümpell
fand am Donnerstag mein Aussehen ungünstig, beunruhigte sich über
Abnehmen (als ob das jetzt anders denkbar wäre) und war überhaupt
elegisch. Bei der Untersuchung mußte er dann
Bardenheuer recht geben, und wiederholte
mehrmals: "Perkussionsbefund ausgezeichnet." Dann hat er mir ein
Zeugnis geschrieben, woraufhin man sich mit der Gesellschaft "Zur
Ruhe" in Verbindung setzen könnte. Ohne die Spur von Erkältung und
ohne Fieber (morgens 36,6 abends 5 Uhr 37,0 bis 37,0½ u. nachts 36,3)
habe ich rechts, ja bisweilen auf der ganzen Brust ziemlich
erhebliche Schmerzen, wie sie seit Weihnachten nicht da waren u.
jedenfalls im Oktober nicht waren. Ich führe sie, da doch in P.
monatelang alles gut ging, auf die Anstrengung beim Bücherordnen
(Bücken u. Herumlaufen) sowie auf die Akklimatisation zurück, da man
hier buchstäblich Dreck atmet und nur eine umflorte Sonne sieht. Aber
ich will vor Dir nicht klagen. Du hast im Winter und jetzt wieder
mehr ausgehalten. Und schließlich – das Seelische ist noch
schlimmer.
Diese Tatsachen haben das Gute, daß ich der
Untersuchung morgen mit relativer Apathie
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| entgegensehe. Es
ist derselbe Arzt.
St. sagt, er
ginge bis zum
Kaiser. Und wenn
sie mich nähmen – in 3 Tagen wäre Schluß. Ich schreibe dann morgen
nur eine Karte.
Meine Wirte scheinen Sachsen.
Von
Partenkirchen habe ich Dir das Wesentlichste
noch zu schreiben. Ich lebe vorläufig unter dem Druck der Angst noch
sehr vorsichtig und kann daher auch diesen Brief nicht so ausdehnen,
wie ich möchte. Es freut mich, daß ihr
Eugenie wiederhabt; sie ist doch besonders noch
"diejenige."
Also, lieber Sohn, mit mir ist nicht viel los;
mit Dir auch nicht. Ich grüße Dich und danke noch besonders für die
beigelegte Karte, an der freilich Einzelheiten nicht herauskommen.
Viel Gutes für Dich und
die
Tante stets Dein dankbarer
Eduard.
[re. Rand] frau Riehlwieder krank.