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Sonntag, Johannistag 24.6.17.
Liebste
Freundin!
Ich habe soeben einen geharnischten
Protest gegen einen Aufsatz von
Goetz über die Hochschule abgesandt und bin nach
den vorangegangenen Beratungen mit
Biermann und
Frl.
Kiehm ganz im alten Fahrwasser. Nun sollte ich eigentlich
arbeiten für morgen, zumal da ich von meinen 7 schuldigen
Gegenbesuchen heute 2 machen will, um ½ 2 bei Biermann und um 5 bei
Volkelt sein muß. Aber es
drängt mich doch, Dir für Deine beiden Ra
dschläge zu danken und zu erzählen, was
ich getan habe. In dem Wiener Fall stimme ich im
Gefühl mit Dir überein, mindestens ebenso sehr
aber mit
Riehl, besonders dem
Schluß seines Briefes. Es kommt hinzu, daß
Deutschland mich während des Krieges noch nie
gebraucht hat. Ehe ich nach
Wien ginge, würde
ich natürlich in
Berlin anfragen, ob man das
politisch für wertvoll hielte. Anders läßt man mich ja auch garnicht
hinaus.
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| Ich habe also nach meiner Meinung sehr
diplomatisch geschrieben; bitte beachte jeden Satz, jedes Wort, auch
die unlogische Stelle:
Ew. Spektabilität
sage ich für das gütige Schreiben vom 17. d. M. meinen
tiefgefühlten Dank. Die Aussicht, für einen Lehrstuhl an der
ruhmvollen philosophischen Fak. in Wien in Betracht zu kommen,
empfinde ich an sich als eine hervorragende Ehrung, und ein Ruf würde
gegebenenfalls in mir all die Gefühle der Bereitschaft und
sorgsamsten Erwägung wachrufen (!), die dieser Tatsache entsprechen.
Ich habe in L. einen großen und mich befriedigenden Wirkungskreis.
Doch hat die Ungunst der klimatischen Verhältnisse mich mehr und mehr
dahin gebracht, eine Veränderung meines Wohnortes zu wünschen.
Freilich würde der Wechsel der Staatsangehörigkeit während des
Krieges einige Schwierigkeiten verursachen, da ich noch im
militärischen Alter stehe. Mit dem wiederholten Ausdruck meiner
Dankbarkeit empfehle ich mich Ew. Spk.
in
vorzüglichster Hochachtung
E.S.
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Zur Zeit haben sie in Oe. nicht einmal einen Minister. Heute steht
in der Zeitung daß ein Herr -
Zwiklinsky Aussicht habe. Ich sehe aber nicht
ein, warum ich andere immer Reklame machen lassen soll, während ich
nie einen offenen Ruf erhalte. Im übrigen
paßt die Sache gar nicht:
Al.
Höfler, der andre O., ist auch Pädagog, und in der ganzen
Fäkultät heute kein Mann mehr von deutschem Ruf, dafür lauter
Ritter.
Mit Bezug auf
Str. habe ich jetzt so entschieden:
2) B. II.
III.1.2. von
Schubert. I u. IV
später. 60 M.
4) Blumen und Brief.
Klinger fällt als
nicht
ganz Originalwerk fort.
Frau
Riehl ist wegen der Hitze nicht gekommen. Es ist nun aber ganz
kühl, nur geregnet hat es noch nicht genug.
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Du
willst also durchaus, daß ich endlich zu Stuhle komme? Das ist eine
Sache von 75 M und für jetzt zu teuer. Auch bekomme ich ja vielleicht
den Wiener Lehrstuhl. In einer Zeit, wo man den andren auf Reisen um
50 M anpumpt und für Wochen schuldig bleibt, sitzt man am besten -
auf der Erde. Dahin haben wir uns denn auch wieder mit der Schweizer
Sache gesetzt. Unser diplomatisches Pech
ist so konstant, daß doch wohl auch Dummheit dabei sein muß.
Kandern ist insofern vielleicht gut, als
Heidelberg nicht fern ist, und also Freunde.
Es liegt aber dem Kanonendonner sehr nah. Und ob es sehr frische Luft
hat, ist zu bezweifeln. (354 m.) Bei den möglichen Verwicklungen mit
der Schweiz würde es dringend widerraten.
Verzeih die
pragmatische Kürze dieses Briefes, liebes Herz. Ich bin unsäglich
gehetzt, jede Minute muß ich ausnützen. Gestern 6 Briefe Danksagungen
für z. T. minderwertige Zusendungen.
Hermann hat mir auch wieder einen Doktoranden
zugeschanzt. Nächste Woche 4 Examina, 1 Dissertation. Mittwoch bin
ich bei Biermanns;
ihr Vater feiert den 70.
Geburtstag (in
Ischl) und da feiere ich mit.
Hast Du von
Deinem Bild noch einen
deutlicheren Abzug? - Langer Brief v.
Kerschensteiner, von
Lehner. Habe noch nicht genau gelesen, kann daher
nicht mitschicken.
Bartram gibt
eine wundervolle Analyse
meiner
Kriegszustände. Tausendfachen Dank und viele Grüße
innig auch ohne Worte
Dein
Eduard.
Bild
m.
Vaters gefunden.