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Heidelberg. 18. Februar
23.
Meine liebe Spektabilität!
Nun ist schon eine Woche der üblen Doppelbelastung vorüber u. ich
hoffe von Herzen, daß alles glatt ging. Was war das nur mit der
Grippe? Es hat mich recht beunruhigt, denn das war doch gerade in dem
Moment überflüssiger als je. Und noch dazu ausgerechnet als Folge
einer so seltenen Feude wie es ein Concert bei Dir ist! Wenn es noch
Helene Renate Lang gewesen
wäre, die Du hörtest!! Ich muß gestehen, es war wirklich ein seltener
Genuß u. der ganze Besuch recht amüsant. Sie neckte sich riesig mit
dem Dr., mit dem es überhaupt
eben ganz erträglich ist. Nur die deutliche Renitenz der
Zentrumspolitik gegen die jetzige Regierung stört mich sehr bei der
Unterhaltung. Offenbar fühlen sie sich zu sehr beiseite geschoben, u.
machen Gegenstimmung. - Ach, wenn ich doch zuweilen mit Dir über
alles sprechen könnte! Ich weiß wohl, daß wir auch so im vollen
Einverständnis sind, aber es würde mich in so vielem
[über der Zeile] aufklären. Wir haben doch nur unser
demokratisches Käseblättchen. - Es kommt mir überhaupt vor, als ob
wir nur noch alle Vierteljahr voneinander hörten, so groß sind
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| die beiderseitigen Pausen. Denn auch bei mir sind die Tage
immer im Fluge vorbei u. zum Schreiben komme ich nicht. Ich arbeite
jetzt häufig morgens 3 u. nachmittags 2 Stunden, das ist ja an u. für
sich nicht viel, aber mit den Wegen hin u. her kostet es doch viel
Zeit u. zerreißt einem den Tag, an dem dann nicht mehr viel übrig
bleibt. Denn meine Nachmittagsruhe von 2-3 lasse ich mir nur ganz
ausnahmsweise nehmen. Mein Ohr ist übrigens jetzt heil u. bleibt es
hoffentlich auch. Es war nämlich seit dem Mittelstandsverkauf
ein Reihe von vier kleinen Furunkeln
darin. - Schrieb ich Dir schon, daß ich mir,
angeregt durch die Edelgarde,
Freiin
von Hofmann (die eine unausstehliche, intrigante Person ist) Leberthran gekauft habe? Ich nehme nur wenig auf
einmal u. finde, daß er mir gut bekommt. Es wundert mich nämlich
wirklich, wie ausdauernd bei körperlicher Anstrengung meine Kräfte
sind. Am Freitag habe ich mal wieder mit unserm
Emmchen Holz geholt u. auf dem
Speicher verstaut. Da mußte man zweimal, da wir
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| nur 3 Ctr.
auf einmal auf den Karren bekamen - stundenlang auf der Straße stehen
im langen Zuge der Wagen. Wir wechselten uns ab u. gingen dazwischen
mal zum Essen heim. Aber es war mir durchaus nicht schwer u. ich
hatte nicht den geringsten unangenehmen Eindruck dabei, sondern
vielmehr ein paar nette Nachbarn u. fand überhaupt die Leute alle
sehr geduldig, freundlich u. hilfsbereit mit einander. Emma hat sich
einen Schnupfen dabei geholt, ich war noch nicht einmal müde. Und
heute, zum Sonntag, habe ich erst stundenlang die Stricke in meiner
Jalousie erneuert u. nachmittags von 4-8 gebügelt. Eine schöne
Sonntagsfeier, nicht wahr? Aber die Sachen lagen schon seit Wochen,
weil ich alltags nicht dazu komme.
Ob Dir wohl das Dekanat
viel Mühe macht? Ich dachte mir gleich mit Profitlichkeit, daß durch
diese Übernahme die Dauer der Amtszeit abgekürzt sei. Aber vielleicht
ist es doch nicht vorteilhaft, da
Troeltsch sicher schon länger durch
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seine Krankheit in den Geschäften behindert war? Daß Deine Vorträge
gut verliefen, ist mir selbstverständlich, aber ich freue mich doch
immer sehr, wenn Du selbst davon befriedigt bist. - Wie war es mit
Kerschensteiner? Und wie geht
es bei Riehls? Das ist ja abscheulich mit der ewigen Grippe! Von Dir
ists übrigens eine tadellose Eigenschaft, daß Du immer so rasch damit
fertig wirst. Offenbar hast Du starke Schutzstoffe im Blut. Aber
natürlich bleibt es eine große Anstrengung für den Organismus u. ich
wollte, Du tätest überhaupt etwas
,
für Dich in dieser überaus angreifenden Zeit,
etwas Besonderes, um Dich zu stärken. Halte Dir doch Schokolade, oder
laß Dir ein Ei kochen zum Mitnehmen, oder was Dir sonst scheint. Nur
tu ein Übriges, um Dich frisch zu halten. - -
Im Ofen flackert
ein angenehmes Holzfeuer u. an die Fenster prasselt ein harter
Schnee, da ist es sehr behaglich bei der Lampe. Den Anfang hatte ich
unten am Familientisch geschrieben, während
Aenne lag u.
las. Ich bin
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| mit ihrem
Befinden garnicht recht zufrieden. Sie klagt viel über Schmerzen u.
sieht sehr blaß u. mager aus. Aber etwas Bestimmtes liegt nicht vor.
Morgen fährt sie nach
Ludwigshafen, da wird
sie wohl auch hören, was eigentlich an der Sache mit dem Vertrag der
Anilinfabrik ist. Ich vermute, er ist s. Z. eingegangen, um die
Franzosen hinters Licht zu führen, denn die Herren erzählten damals
immer, daß alles darauf eingerichtet sei, das Verfahren zu
verschleiern, sodaß die eingedrungenen Franzosen doch nichts wirklich
lernten. - Da kommen diese Kommunisten u. wollen von Vaterlandsverrat
reden!
Aber ist es nicht wundervoll, wie dieser
Cuno versteht, die Stimmung zu
erhalten u. wirksam einzugreifen. - Etwas ganz Erschütterndes muß die
Tellaufführung im Schauspielhaus gewesen sein. Mir wurde es ganz kalt
beim Lesen! –
Habe auch vielen Dank, daß Du mir durch
Susanne noch 2 Abzüge Deiner
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| Rede schicken ließest. Bis hierher ist die Kunde von ihr
gedrungen. Im Labor,
Dr.
Packheiser hatte schon durch
seine
Braut davon gehört. - Ist es Dir recht, wenn ich das eine
Exemplar nett einbinde u. dem alten
Wille zum 70. Geburtstag schenke? -
Ja -
Geburtstag! Das hätte ich beinah vergessen. Ich wollte Dir doch
sagen, wie sehr recht es mir ist, daß Du nichts schicken willst.
Erstlich sollst Du keine Mühe damit haben u. zweitens schenkst Du mir
immerzu etwas. Ich habe auch tatsächlich garkeinen Wunsch u. halte es
für besser, Einkäufe zu verschieben, bis die Wirkung des fallenden
Dollars fühlbar wird. Eventuell kaufe ich dann etwas Briefpapier,
denn das habe ich immer an Dich weitergegeben. Also, mache Dir ja
keine Sorge, mein Lieb, Dein Brief ist mir doch immer das Schönste u.
Liebste, auch wenn er verspätet kommen sollte. Es wäre mir sogar
lieber, denn dann wird er vielleicht länger!? - Und wenn ich mir
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wirklich etwas wünschen soll, so ist es, daß Du möglichst bald
herkommst. Denn Du wirst eine Erholung brauchen u. wenn es dann zum
Umzug geht, ist keine Zeit mehr. Hier ist alles dazu gespart:
Vorräte, Heizung u. - gute Behandlung! - Also hoffe ich auf Dein
Herkommen, ebenso wie der
Herr
Geheeb. - Und auch von meinem Auskommen will ich Dir
berichten. Ich lebe doch unten sehr billig mit. An Garderobe brauche
ich nichts, da ich noch auf Jahre versorgt bin. Stiefel kaufte ich
noch, so bleibt nur gelegentliches Sohlen. Das Schlimmste ist die zu
erwartende neue Mietssteigerung. -
Helene Renate Lang ist mit einem Verlagsbuchhändler
verheiratet. Sie sah hier Abzüge meiner Zeichnungen u. hat auf meinen
Wunsch erkundet, daß ein Zeichner in
Stuttgart schon vor längerer Zeit für 40 derartige
Zeichnungen 200000 M erhielt, während ich zuletzt für 1 Zeichnung
noch nicht
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| 2000 hatte. Ich habe also
Dr. Gans erklärt, daß ich
diesmal 500 für die Stunde berechnen werde. Ich habe dann für 100
Zeichnungen im ganzen noch nicht 80 000 M bekommen. - Aber ich werde
mich dann in Zukunft immer in der Höhe des Brotpreises halten. Dr.
Gans war so bereitwillig, daß ich sicher bin, er weiß, wie billig er
mir mir daran war. - Also nicht wahr, Du bist beruhigt über meine
Finanzen? - Gerade als Du vom Vermieten schriebst, hatte ich selbst
den Gedanken mal wieder erwogen. Aber so einfach ist die Sache nicht,
da man doch sehr nah aufeinander sitzt u. da meine Möbel dann z. T.
umgestellt werden müssen. Ich würde es nur wagen, wenn mir jemand
als ganz zuverlässig persönlich
empfohlen wäre. Denn man bekommt leicht mehr verdorben als man
Nutzen hat. Gleich am Tage als Dein Brief eintraf, knüpfte ich also
eine Verhandlung mit dem
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Schützling der
Paula
Seitz an, die ein Zimmer suchte. Sie kann nun aber den Sommer
noch wohnen bleiben. Auch eine Bekannte von
Adele Henning hat inzwischen
Unterkunft gefunden. Da beide nicht sehr zahlbar sind, ist es
vielleicht ganz gut. Immerhin werde ich natürlich die Sache im Auge
behalten. - -
Sehr traurige Nachrichten bekam ich diese Woche
von
Onkel Hermann.
Sein Sohn Richard, der im
Westerwald als Fürsorgearzt tätig war, ist
ganz rasch an Hirnhautentzündung gestorben. Er hatte erst nach dem
Kriege (zum zweitenmal) geheiratet u. lebte sehr glücklich mit
Frau u.
Töchterchen. Und gleichzeitig
schrieb Onkel, daß er sonst an jenem 10. Februar dem armen
Gotthard Schwidtal das letzte
Geleit gegeben hätte. Ich fürchte sehr, daß hier ein freiwilliges
Scheiden aus dem Leben vorliegt. Die Familie neigt doch zu
Nervenstörungen u. es scheint, daß es mit seinem
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| Beruf
nicht gehen sein wollte. Er war durch den Krieg mitten aus dem Examen
gerissen u. hatte es dadurch recht schwer. Nun mache ich mir
Gedanken, ob man nicht versäumte, ihm helfend beizustehen. Denn er
war ein ernster, fleißiger Mensch - - Aber vielleicht ist ja meine
Vermutung irrig.
Du kannst Dir denken, wie sehr ich mit dem
armen
Onkel fühle, der nun
diesen neuen, schweren Kummer hat. Und immer muß der alte Mann noch
überall einspringen u. helfen, wo andre ein sorgloses, bequemes Alter
haben. Freilich, heute wird das ja nicht vielen mehr zuteil. - Morgen
wird Onkel 75 Jahre. –
Aber es ist schon sehr spät. Darum gute
Nacht für heute, mein liebster Einziger. - Denke immer daran, Dich
gesund zu halten - u. laß mich bald hören, wie Du Dir die Ferien
denkst, auf die Du mich zu <Kopf> Weihnachten
vertröstet hast.
<li. Rand> Viel liebe Grüße, mein Herz,
von Deiner Käthe.
[li. Rand S. 9] Ob das Kärtchen
noch rechtzeitig kommt? Ich wußte leider keine Adresse,
<Fuß> kann mich nicht einmal auf den Namen
besinnen.