[1]
|
Heidelberg. 28. August
1923.
Mein einziger, geliebter
Freund.
Zum 31. August möchte ich Dich grüßen!
Es war von je ein Feiertag für mich, wenn ich mit roten Astern oder
Nelken
meinem Vater zum
Geburtstag Glück wünschte. Vor 33 Jahren war das zum letztenmal - u.
dann hat er Dich zu mir geschickt. Welch lange Spanne diese zwei
Dezennien - u. doch wie gegenwärtig ist mir jede Einzelheit unsrer
ersten Begegnung. Ich erkannte Dich gleich u. schon bei jenem ersten
Wandern über die Berge fiel der zündende Funke in mein Herz u. beim
Abschied, wenige Tage danach fühlte ich das tief Bedeutungsvolle
dieser kurzen Stunden. Und eine Stimme sagte mir: dieser Mensch geht
einen gefahrvollen Weg. Ich möchte ihm helfen, daß er sicher am
Abgrund hinschreitet. Sein Geist möchte den Himmel stürmen, ich will
die Erdenschwere sein, die ihn am "Heimatboden" dieser Erde festhält.
- Naturphilosophie nannte ich, was ich dazu mitbrachte. Es hat sich
unendlich erweitert, vertieft - ich möchte sagen "vermenschlicht"
durch Dich, in der Wurzel ist es dasselbe geblieben.
Zwanzig
Jahre Du u. immer nur Du! - Wenn jetzt in diesen sturmbewegten Zeiten
der Gedanke zuweilen näherrückt, daß dieses Daseins mal ein plötzliches Ende nehmen könnte,
dann steht mir nur das Eine vor der Seele, wie reich es war!
Jetzt hast Du Deine Kräfte erprobt u. gestählt, jetzt bist Du Herr
über das Leben, Gefahren in jenem früheren Sinne gibt es nicht mehr.
Bin ich nun überflüssig? Oder brauchst Du noch das Herz, das mit Dir
fühlt in jeder Regung, das Dir Gewißheit gibt in Deinem Wollen, in
Deinem Schaffen - das ein Spiegel ist Deinem "Königsich."?
Wie
eigen, daß Du gerade von
Friedrich d.
Gr. redest, da ich Dir doch das schöne Bild schenken wollte.
Ich trenne mich schwer davon, denn ich liebe es sehr. Aber eben
deshalb schenke ich es
Dir gern! - Ob Du
mit meinem Rat in Betreff der Widmung einverstanden warst? Mir wäre
es kleinlich erschienen, aus äußeren Bedenken zu unterlassen, was aus
unmittelbarem Gefühl u. sachlicher Schätzung Dir natürlich gewesen
wäre. Ich meine, Du stehst zu hoch, als daß es Dir schaden könnte,
auch wenn der, den Du auszeichnest, der Kritik Angriffspunkte bietet.
An der Lauterkeit
Deines Wesens wird
deshalb niemand zweifeln können. - Ist der Brief noch rechtzeitig
gekommen? Ich habe ihn am Sonntag zwischen 6 u. 7 in der Post
eingeliefert, da es Marken nicht gab.
[2]
|
Heute hatte
ich eigentlich einen Feiertag machen wollen u. den Baum mit den
Frühbirnen im Garten abernten. Aber es regnete verschiedentlich. Auch
ist es besser, man wartet noch ein wenig. Hoffentlich kommt mir dann
nicht ein andrer zuvor. Welch eigentümliches Wetter! Immer diese
Kühle.
Aenne schreibt aus
Rügen von Regen u. Wind, hier ist es doch
sehr häufig sonnig. Kannst Du Deine Wege in den
Grunewald regelmäßig durchführen? Übrigens wußte
ich nicht, daß ich damals von
Paulsborn aus
irgend etwas mit der Führung zu tun gehabt hätte! Ich hatte das
Gefühl, daß wir uns zu sehr nach rechts hielten. Aber das ist ja wohl
eine gute Tendenz. - Was ist denn wohl im Prozeß
Arnold Ruge entschieden? Wir
haben keine Zeitung mehr u. ich schöpfe all meine Nachrichten jetzt
an der Straßenecke, wo sie angeklebt ist. –
Ich schreibe jetzt
bei der teuren Petroleumlampe, denn es ist schon recht spät. Ich
mußte nämlich einer Versammlung der Ärztegenossenschaft beiwohnen, u.
es schwirrte um mich von Anteilscheinen, Geldentwertung, Millionen -
u.s.w. Es paßte mir heute garnicht, aber man muß doch mittun, wenn
man einmal dazu gehört. Die Leitung haben einige sehr eifrige u. opferwillige Herren, im allgemeinen aber
ist dabei viel Durchschnittsware. Du kannst Dir denken: lauter
Mediziner! Man soll 5 Millionen einzahlen, aber da mir
Anna
Knaps bereits etliche Millionen schuldig ist u. das Geld von
Springer noch nicht kam, ist
mirs im Augenblick nicht möglich. Ich habe aber 21 M. zu erwarten,
also ist keine Not.
Hast Du die vermißte Cigarrenkiste
gefunden? Hoffentlich entstand da kein Hindernis. Ich bin immerfort
so in dem Glücksgefühl Deines erfolgreichen Schaffens. Es ist doch
wie ein Wunder, daß Du das jetzt nach
dem
Semester noch vermagst. Es wird auch mit diesem Buche sein, wie
damals
Heinrich Scholz von den
Lebensformen schrieb: sein höchster Wert liegt in der Persönlichkeit,
die daraus spricht. Daß sich der hohe Standpunkt bei Dir mit einer so
vollendeten wissenschaftlichen Durchbildung vereint, das wird Dein
Werk unerreichbar machen. Ist es nicht herrlich, so aus der Fülle des
Innern zu schaffen? Sorge nur, daß Deine Gesundheit standhält, u. laß
Dich von
Frl. W. gut
verpflegen. Ich nehme merklich zu trotz starker Arbeit. Verschiebe Du
das nicht nur auf die Ferien.
Im Gedenken an
Montag, den 31. August 1903 grüßt Dich in Liebe
Deine
Käthe.