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Heidelberg. Sonntag. 29.III.25.
Mein liebstes Herz.
Du wirst mit Recht
erwarten, daß ich Deine Anfrage eingehend beantworte, denn wenn es
Dir nicht wichtig wäre, hättest Du nicht gefragt. Zu einem Briefe
aber kam ich nicht sogleich. Wärst Du nicht sehr zweifelhaft gewesen,
ob Du dem Unternehmen beisteuern solltest, so hättest Du wohl
überhaupt nicht gefragt. Aber was könnte Dich denn veranlassen dazu?
Wer Deine Gedanken kennen lernen will, der findet sie in Deinen
Büchern. Natürlich hättest Du über das Thema für Jeden Bedeutungsvolles zu sagen - aber daß,
Keyserling
schreibt Du seiest geeignet, den Begriff
logisch zu entwickeln, macht mich stutzig, es
müßte denn sein, daß er darunter die innere Wesenhaftigkeit versteht,
die all Deine Darstellungen kennzeichnet. - Hattest Du nicht früher
ein wenig günstiges Urteil über die Unternehmungen dieses Mannes? Ist
es nicht literarische Mache, was er treibt? Ist es nicht vielmehr der
baltische Name, der Dich im Augenblick zögern läßt? Ich würde so gern
darüber mit Dir sprechen, da ich ja nicht so eingehend orientiert
sein kann, daß nicht Gegengründe mir erwünscht wären. Ich persönlich
empfinde so: was braucht sich ein König von einem Kaiserling
dirigieren zu lassen! Du bist mir zu schade dazu, denn alles was nur
nach Mode aussieht, ist Deiner wissenschaftlichen Höhe unwürdig.
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Wenn du glaubst, daß Du an dieser Stelle eine
einflußreiche Mahnung in Kreisen vernehmbar machen kannst, die Dir
sonst fern bleiben würden, so wäre das freilich ein Gesichtspunkt.
Aber glaubst Du wirklich, daß Menschen vor
jeder eignen Erfahrung von einem Buch zu leiten sein würden? Gehen
nicht in Wirklichkeit die Meisten mit den schönsten Illusionen u.
idealsten Absichten an die Sache heran?
Natürlich wäre es für
Keyserling sehr wertvoll, Deine
Mitarbeit zu gewinnen; aber ist es in
Deinem Interesse? Kurz u. gut - ich bin einfach
zu stolz, weil ich glaube, daß diese Art der Publikation unter Deinem
Niveau ist; wenn ich darin irre, so lasse ich mich von Dir gern
belehren.
Noch mancherlei hat mich im Zusammenhang damit
beschäftigt - aber da müßte ich endlos schreiben, u. wir sehen uns ja
nun hoffentlich bald! Ich lebe ja nur noch im Gedanken daran, mein
Einziger.
Soeben war ich zur Wahl - u. falls Stichwahl nötig
sein wird, werde ich mir einen Schein ausstellen lassen. Einen neuen
Personalausweis kaufte ich schon für 50
<Pfennigzeichen>. Aber einen Paß hätte ich so
schnell nicht bekommen, dazu hätte ich erst Gott weiß was für
Bestätigungen wegen der Staatsangehörigkeit haben müssen, weil ich
nicht Badenserin bin.
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Meine Kunststudien
werden wohl kaum den bildenden Erfolg für Dich haben, den Du
erwartest. Denn zu einem wirklichen Eindringen scheint mir ein ganz
anderes Studium u. zwar an Ort u. Stelle zu gehören. Anfangs
verwirrte mich das Wort ohne richtige Anschauung mehr, als es mich
förderte. Und ebenso ging es mir mit dem
Brinckmann, den ich gleich nach
Empfang las u. dann wiederholt vornahm. Es ist sehr interessant, aber
in der Darstellung nicht von der vollendeten Klarheit Deines Stils,
durch den ich so ungemein verwöhnt bin. Aus der Fülle seines Wissens
u. dem Reichtum seiner Beispiele entsteht eine Sprunghaftigkeit, die
bei der Unmöglichkeit, alles aus eigner Anschauung nachzubilden,
zuweilen überwältigt. Du weißt, ich bin ein Augenmensch, beschriebene
Bilder sagen mir nichts u. deshalb sind seine Beispiele mir weniger
zugänglich, wo ich die Originale nicht kenne. Seine Auffassung aber
scheint mir sehr überzeugend. Und wiederholt
sich nicht in diesen Lebensepochen der
Humboldsche Dreiklang:
Individualität, Universalität - Totalität als
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betonter Grundakkord? - Ist das wohl der Brinckmann, der hier in H.
wohnt?
Von etwas ungemein Schönem habe ich Dir zu berichten,
von einem herrlichen Liederabend. Es ist eine Frau aus
hochkultivierter Familie,
deren
Mann im Krieg verschollen u. die jetzt für ihre Kinder durch
Musikstunden erwerben möchte:
Else von
Löwis of Menar, die Tochter des früheren
Ministers v. Dusch. Sie hat
eine höchst sympathische Stimme, eine vorzügliche Ausbildung, aber
vor allem spricht aus ihrem Vortrag eine so in
sich vollendete Natur von edelster Geistigkeit u. schlichter Größe,
daß ich immer in Deinem Sinne denken mußte: die höchste Kunst ist
auch religiös. - Sie sang
Goethelieder (von
Zelter bis
Wolf) - eins immer schöner als das andre.
-
Heute reist nun
das
Doktorinchen wieder ab, die uns eine liebe kleine Freundin
geworden ist. Gestern war ich nochmal mit ihr auf den
Neckarsteinacher Burgen. - Von
Frau Witting hatte ich einen
interessanten Brief u. von
Felizitas ein "Briefchen". - - Auf der Bahn sagt
man mir, daß ich um 6.56 mit beschleunigtem Personenzug bis 2.48 ohne
Umsteigen nach
Bamberg führe. Also dort auf
gutes Wiedersehen! Deine ungeduldige Käthe.