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Heidelberg.
29.IV.1925.
Mein liebstes Herz!
Die zwei Karten aus der Wirtschaft in
Haar
wirst Du erhalten haben. Und so lebte ich im Geiste weiter mit Dir!
Vielleicht kann es Dein Mißvergnügen über meinen Besuch in
Egelfing etwas mildern, wenn Du
in Rechnung ziehst, welch wirklich große Freude ich
der armen Kranken damit machte.
Beim Abschied küßte sie mir ganz spontan die Hand, sodaß ich ganz
erschrocken war. - Leider konnte ich während der ganzen Zeit in
München den Druck nicht abschütteln, den
Deine abfällige Stellung zur Sache mir aufgelegt hatte, als ob nicht
am Abschied selbst schon genug gewesen wäre! Trotzdem war ich am
Sonntag ¾ Stunde in der
Schackgalerie, die
durch die Gruppierung in den neuen Räumen ungleich prächtiger u.
übersichtlicher geworden ist. Vieles sah ich mit andern Augen als
damals, die innere Form redet weit mehr zu mir als Können u. Farbe.
Einzelne der alten Lieblinge blieben hinter dem Erinnerungsbilde
entschieden zurück. - Ein noch tieferes Interesse weckte mir aber die
"
Neue Staatsgalerie" (an der wir im Regen
vorüber gingen) u. die eine Fortsetzung der
Neuen
Pina bis in die Gegenwart hinein darstellt.
Hans v. Marrées,
Leibl,
Trübner
Slevogt,
Corinth,
Habermann, eine Fülle
vorzüglicher Bilder bis zu den jüngsten Ausgeburten von
Munch etc. Auch eine große
Auswahl guter Skulpturen (Büste von
Heinrich Wölfflin)! ist
vorhanden, kurz die 2 Stunden, die ich dort sein konnte, vergingen im
Fluge. - Um 9 hatte ich gewählt, um 1 aß ich mit
Elisabeth Vetter in einem
Bräu, nach dem Kaffee
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| mußten die niedlichen Enkel von
Angelika u. die sehr aparte
Schwiegertochter besucht werden.
Den Rückweg nahmen wir durch den
Hofgarten.
Wie schade, daß
wir am Freitag so durch den
Regen behindert wurden. Dann auf dem Platz, der vertieft hinter dem
Hofgarten sich ausbreitet, ist etwas ganz Herrliches entstanden. In
dem großen Platz ist eine rechteckige Fläche vertieft, rundum durch
Stufen zugänglich, u. in der Mitte erhebt sich aus mächtigen Quadern,
bedeckt von einer gewaltigen Platte ein Monument. Es erscheint
niedrig von ferne, aber die Steine sind über
mannshoch u. zwischen ihnen führen überall Stufen hinunter in einen
Raum wie ein Grabgewölbe, da liegt ganz gerade u. still ausgestreckt,
mit dem Gewehr u. dem Stahlhelm ein schlichter Feldsoldat, in grauem
Sandstein gebildet. Er war war von Blumen
umgeben, man fühlte, wie dies Symbol zu Herzen sprach, sodaß man ihm
ein Frühlingssträußchen in die Hand gedrückt hatte. - Der Stein hat
einen wundervoll warmen, goldigen Ton, (so etwa wie die
Befreiungshalle, vielleicht etwas dunkler) u. eine dunklere Maserung,
sodaß er fabelhaft lebendig wirkt u. auf der Seite der Platte steht
mit schöner Schrift: Sie werden auferstehen. - Ich habe Dir einen
flüchtigen Umriß gezeichnet, sodaß Du Dir die Anordnung denken
kannst. Von der Wucht des Eindrucks giebt es leider kein Bild, es
wirkt überwältigend wie ein altes, heiliges Heldengrab.
- Auch
diesmal fing es an zu regnen u. wir flüchteten ins Theaterrestaurant
zum Abendessen. Als wir dann um 10 Uhr heimkehrten, hörten wir schon
die ersten erfreulichen Wahlresultate von
München. Aber
Angelika jammerte immer, daß sei noch nicht
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| genug: "denn wir müssen Euch doch rausreißen!"
Na, wir
sind ja "rausgerissen", Gott sei Dank u. es war großer Jubel bei uns
am nächsten Morgen. - Hast Du die Äußerung von
Harnack gelesen? Ich erinnerte
mich gleich an die wunderbaren Verheißungen, die 1916
Agnes v. Harnack bei Meinels
verkündete, u. die sich alle als verkehrt erwiesen. Man sollte doch
durch solche Erfahrungen vorsichtiger werden, seine Stimme so
maßgebend laut werden zu lassen. Kann denn ein protestantischer
Theologe glauben, daß ein Centrumsmann je
über den Parteien stünde? - - Natürlich sehen
wir alle die Schwere des Amtes, die unserm
Hindenburg aufgebürdet ist,
aber wir "Altpreußen", wir sind ihm in Verehrung treu, was auch
komme.
Angelika in
ihrer lebhaften, klaren Art ist eine echte Patriotin, sie verfolgt
die Entwicklung sehr intensiv. Und ihrer Meinung nach hat
Hitler - so wenig man im ganzen
mit der Partei übereinstimmen kann - doch das eine unschätzbare
Verdienst,
Bayern wieder national gemacht zu
haben.
Elisabeth Vetter
wollte sich bei
Ludwig Klages
in der Graphologie weiter bilden. Er ist aber in der
Schweiz, u. so ist sie am Dienstag wieder nach
Stuttgart gereist, nachdem sie den
Psychologen-Congreß in
München mitgemacht
hatte. Sie scheint also doch zielbewußt zu arbeiten u. hat die
Einsicht, daß sie leider: "mehr gelernt haben sollte." Wie weit ihre
Veranlagung reicht, kann ja wohl nur die Erfahrung lehren, jedenfalls
ist großes Interesse u. Streben da.
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Der Aufenthalt
bei
Angelika war sehr
behaglich. Sie wohnt nur leider sehr weit von der Stadt, sodaß man
viel Elektrische fahren muß. Am Montag hätte ich gern den schönen
Athene-kopf in der
Glyptothek besucht, aber
ich war zu müde. So blieb ich bei Angelika, u. sie begleitete mich
dann um 12 zur Bahn. Die Reise ging glatt u. ich verlor keinen
Hut.
Wenn ich jetzt nur schon wüßte, wie Du ankamst? Ich kann
den Eindruck Deiner Angegriffenheit garnicht abschütteln. Die
Nachwirkung der Tour u. der Wetterumschlag zu Schneegestöber lagen
Dir wohl in den Gliedern. Aber es bekümmert mich doch sehr, daß dies
gerade der Abschluß der Erholungsreise sein mußte. Wie gut nur, daß
wir nicht noch länger in
Egern blieben; es
muß ja dort unerträglich geworden sein. Auf der Reise sah ich viel
Blüten von
Stuttgart ab. Die
Geislinger Steige aber war kahl u. rauh. Wie steht
es damit bei Euch? Und was vor allem hat sich bei
Lubowski entschieden? Ich bin
so ungeduldig, davon zu hören,habe am Montag
in der Bahn beständig daran gedacht, während ich halb schlafend in
meiner bequemen Ecke saß. Denke nur, die Fahrt kostete 17,50 M.!
Dienstag war ich gleich bei
Dr.
Gans, der viel zu tun hat. Beim
Augenarzt wurde ich gründlich untersucht u. habe nun seit 2 Stunden
eine tadellose neue Brille, mit Zeiß-punktal-gläsern, mit der ich so
gut sehe, wie lange nicht. Arbeiten konnte ich mit der alten aus
Cassel leider nicht, aber zum Lesen reichte
sie aus u. so habe ich mich gleich auf das erneute Studium dessen
gestürzt, was mir die Reise an Eindrücken gebracht hat. Es tut doch
immer not, die Erinnerung zu klären u. zu festigen, u. dann sieht man
auch recht,
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| wie viel noch aufzunehmen gewesen wäre. Es
scheint mir nicht mehr als eine Orientierung, was wir genießen
konnten.
In meinem Büchlein der Alpenflora habe ich gesucht,
was wir Blühendes an unserm Wege fanden. Auch
Adele Henning habe ich
konsultiert, aber sie weiß nicht mehr als ich.
Der alte Herr war dabei, lag
kümmerlich auf dem Sopha, u. bemerkte launig: der Mann hätte doch
recht gehabt, der sich wunderte, woher nur die Leute wüßten, wie all
die Blumen heißen. -
Also das, was Du als "Hyazinthe"
bezeichnetest, halte ich für Pestwurz, die gelbe Blüte, nach der ich
Dich fragte ist Huflattich, u. die unbekannte Blume von dem Weg an
der Rottach heißt - uns zu Ehren! -
Zahnwurz! Ist das nicht sehr geschmackvoll?
Von
Günther habe ich ein nettes
Briefchen bekommen, "kolossal" erfreut. Gerade mit diesen Kindern
möchte ich Familiensimpel gern in näherer Beziehung bleiben.
Noch immer habe ich das Schlafen nicht wieder richtig gelernt u.
wache gerade wie in
München immer um 4 Uhr
auf, was mir entschieden zu früh ist. - Am Sonnabend wird
Aenne abreisen, u.
Liesel geht am 1. Mai.
Eine Monatsfrau, die 3 x in der
Woche kommt, hat sich glücklich gefunden; hoffentlich werden wir
zusammen auskommen.
Frau
Davison erklärte, nicht allein in der Wohnung schlafen zu
wollen, also muß ich für die Nacht hinunter. Das ist mir nicht gerade
sehr gemütlich.
- Das Ohr war schon wieder mal entzündet. Wenn
es jetzt noch einmal dazu kommt, dann werde
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| ich doch an
einen Arzt glauben müssen. Ich fürchte immer, es ist eine Fistel da,
die sich stets von neuem füllt.
Also morgen wird nun der
regelmäßige Fahrplan wieder beginnen. Ich empfinde dankbar, daß ich
mich doch entschieden recht erholt habe. Was
gäbe ich darum, wenn Du das auch sagen könntest! Ja, ich würde Dir
von Herzen gern meine Erholung abtreten. Wenn doch morgen früh eine
Nachricht käme!
Es war doch sehr hübsch, daß wir
Felizitas in
München noch sahen, das wird Dich auch mit der
unbeliebten Stadt ausgesöhnt haben. Ich denke noch mit Freude an den
lieblichen Eindruck ihres fröhlichen Wesens.
- Nun ists aber
10 Uhr u. morgen fängt der Tag wieder früh an, darum gute Nacht. Sei
mir in Liebe gegrüßt u. laß es Dir gut gehen!