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Heidelberg. 25. Juni
1925.
Mein geliebtes Herz.
Was ich am meisten zum 27. für Dich wünschen möchte, das ist eine
glückliche Lösung der Neubabelsberger Conflikte. Wenn ich doch nur
endlich erführe, wie Dein Brief gewirkt hat? Ganz besonders fühle ich
mit Dir, wie dies Zerren an Deinem Gefühl jede freie, liebevolle
Regung erstickt. Ich kenne das so gut, wenn in uns selbst etwas
ertötet wird, das wir aus freiem Herzen schenken möchten. Das ist ein
trostloses Verarmen, das uns an uns selbst irre macht.
Du hast
es mir vielleicht verdacht, daß die Eindrücke der letzten Monate auch
in mir den ganzen Bestand des Daseins aufwühlten u. mich in einen
Zustand von Erschöpfung u. Verzweiflung brachten, der mir das Leben
verleidete. Die Spannung im Hause u. damit in mir war einfach
unerträglich geworden. Ich weiß, daß
der Vorstand es "gut meint", u. doch empfand ich
stündlich ihr Wesen verletzend. Über nichts was mir nahe geht, kann
ich mit ihr reden, denn die Schnellfertigkeit mit der sie über alles
hingeht, empört mich. Ich empfinde mich als ungerecht, ich sehe ihre
Vorzüge - u. bin doch im tiefsten enttäuscht. Was gibt mir ein Recht
zu solchem Urteil? Warum bin ich so armselig, nicht verzeihen zu
können? - Ach, warum hast Du mir das nicht vorgehalten - sind wir
doch dazu da, einander zu helfen! Aber daß ich es Dir überhaupt
klagen konnte, einmal dem Worte geben, was mein Leben zerquält - das
hat auch schon den Bann gebrochen. Deine Güte wirkte auch so in mir
zum Guten. Ich fühle die Treue, mit der Du um das bessere Selbst in
Frau Riehl ringst, u. so will
auch ich versuchen, aus dem enttäuschten Ideal zu retten, was es
trotz allem an Gutem enthält. Das hat mir wieder Kraft gegeben u. aus
der Forderung an andere ist wieder die Forderung an mich selbst
geworden.
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| Das ist das unsichtbare Angebinde, das ich Dir
schüchtern zum Geburtstag geben möchte, daß ich die Auflehnung wieder
nieder gerungen habe u. daß ich wieder
wollen kann. War ich doch im Begriff völlig an
mir zu verzweifeln. Es gab Tage, wo mir ein Weiterleben hier
unmöglich erschien. Ist es ein Wunder, daß mir da Zweifel kamen, ob
es mir nicht überhaupt an der Kraft zur Lebensgestaltung mangele?
Ich fühlte mich so wohl in dem friedlichen Zusammensein mit
dem Onkel, obgleich das doch
auch nicht durchweg leicht war - u. dann mußte ich mich fragen: ist
denn mit mir
auf die Dauer kein Auskommen?
Bin ich denn verdammt immer nur zu wollen u. nie zu erreichen? Im
Täglichen muß man sich bewähren, warum finde ich hier keine würdige
Lösung? Aus einer notwendigen Abwehr war eine tiefe, durchgängige
Ablehnung geworden - es wäre mir jetzt am liebsten gewesen, die
Lebensweise mit Gasthaus u. Selbstversorgung fortzusetzen. Da kam es
zu einer Erklärung, daß mein Beitrag an Pension einfach zu ihrer
Existenz notwendig sei. Bisher hatte ich immer nur gehört, wie wenig
es wäre; nun erkannte sie, daß eben doch ein Vorteil dabei ist.
Selbstverständlich ist nun der alte Fahrplan wieder eingeführt, d. h.
nur für Mittag u. Abend, Kaffee halte ich mir selbst. Vorsichtig will
ich versuchen, diesem Zusammensein wieder einen befriedigenden Inhalt
zu geben, u. auf beiden Seiten ist guter Wille. Es soll meine Strafe
sein bei einem Rückfall, daß ich es
Dir
beichten will. Aber ich hoffe, das soll nicht vorkommen. Ich habe ja
so viel durchgemacht. - Über die Einzelheiten, die diese Katastrophe
auslösten, will ich nicht berichten. Das Schlimmste ist, daß es
bewußt oder unbewußt an der strengen Wahrhaftigkeit fehlt u. das
erschüttert für mich alles. Aber
ändern
kann ich nur mich, u. dazu ist es nie zu spät, nicht wahr?
Es
kam noch manches dazu, was mich empfindlich traf. Von allen Seiten
stürzte es auf mich ein u. ich fragte mich: ist das nur Zufall - oder
tiefster Sinn? Aber ich will nicht erliegen, ich will Deiner wert
sein. Denn all mein Leben ist ja doch nur Dein. Und wenn Du mir sagen
kannst, daß du an diese ernste Wendung
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| zum Besseren
glaubst, dann wird sie gesegnet sein.
Es ist selten gewesen,
daß ich Dir so viel von mir sprach. Nimm es nicht ungeduldig auf, es
ist tief erlebt. Du wirst es ja verstehen, daß zuweilen Konflikte in
unserm Dasein aufsteigen, die uns zu überwältigen drohen. Sie kommen
von innen u. nur von innen ist zu überwinden, was wir Schuld der
Verhältnisse nennen möchten. - Daß das gerade jetzt über mich kam,
mein armer Liebling, darum machte ich mir Vorwürfe. Aber das sind
innere Gewalten, die ihren Ablauf nehmen, auch wenn es sehr zur
Unzeit ist. Und ich habe doch niemand auf der Welt als Dich, dem ich
es klagen könnte! - -
Ob von den sichtbaren Kleinigkeiten, die
ich Dir sende, einiges Deinen Beifall erringen kann? Die kleine Mappe
möchte auch noch die paar Bildchen aufnehmen, die schon in den
Briefen voran gereist sind. Und der Inhalt soll Dich an manch schönen
eindrucksvollen Moment unsrer Reise erinnern. Leider konnte ich sie
nicht alle festhalten, es wäre auch unerschöpflich. Von den fernen
Schneebergen ist leider auf den Platten kaum etwas zu sehen u. den
"Zugspitz" muß man ahnen. Aber manch andres ist doch hübsch
herausgekommen. Hast Du übrigens "mit der Brille" entdeckt, daß ein
Pilger auf dem Bilde ist?! - Das Buch von
Schweizer wird Dir gewiß gefallen, u. den
Bamberger Dom hast Du hoffentlich noch nicht?
Bamberg ist mir das Bedeutendste der Reise
geblieben u. ich kehre immer wieder zu diesen Bildern zurück. Ich
empfinde so tief, wie anders eine Zeit war, die solche Kunstwerke
schuf, als die unsre mit ihren technischen Fertigkeiten. - Möchte
doch aus der großen Gemeinschaftsbewegung unsrer Jugend wieder eine
bildnerische Kraft von religöser Tiefe hervorgehen! - - (Die Tage der
Kaufmannsjugend hier waren eine richtige Freude. Man hatte nur gute
Eindrücke von Frische, Ordnung u. gesunder Kraft.)
Sieh Dir
doch mal in dem Bamberger Buch S. 26 an, da ist wirklich
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ein Teil der Gestalten an der Chorschranke von einem Schüler. Die
werden wir vermutlich gerade vor Augen gehabt haben, als Du die
Echtheit bezweifeltest, denn sie sind sichtbar viel schwächlicher.
Überhaupt ist doch in dem Dämmerlicht der Kirche die Feinheit der
Durchführung garnicht erkennbar, u. man hat viel mehr an den
Reproductionen. - Die Bürste soll Ersatz sein für die verbrauchte
Reisebürste u. der Schlips - nicht für den Spuknapf. - Immer zögerte ich mit dem Absenden des
Päckchens, weil ich noch ein Buch erwartete, das der Buchhändler für
Montag schon versprochen hatte. Nun bin ich im Zweifel ob meine
kleine Sendung Dich noch rechtzeitig erreicht u. das Buch muß noch
allein reisen! Lesen wirst Du es kaum, aber doch vielleicht darin
blättern, denke ich, u. Freude haben an den feinen Bildchen u. dem
eigenartigen Menschen, der sie schuf.
Und möchte auch sonst
Dir mancher Liebesbeweis zum 27. wahre Freude bereiten. Ich wünsche
so innig, daß es Dir wohl ergehen möchte im kommenden Jahr, daß Du in
Freiheit Dich entfalten könntest u. daß die stete Klage gehemmter
Kräfte behoben sein möchte. Wie sehr leide ich mit Dir darunter. Es
muß doch endlich ein Weg sich finden! -
Hermann fragt, ob ich nicht mal
nach
Stolp käme! Ich aber möchte Dich fragen,
was hast Du für Sommerpläne? Wann darf ich hoffen Dich zu sehen, u.
Dir zu zeigen, daß ich mich auf dem Wege des Lebens ein wenig empor
gerungen habe?
Am 8. war das flüchtige Zettelchen geschrieben.
Seitdem hörte ich nichts mehr. Und ich bin doch mit all meinen
Gedanken bei Dir u. sorge mich. Wie glücklich wäre ich, endlich zu
hören, daß Deine Worte verständnisvoll aufgenommen wurden. - Gut nur,
daß die Hitze nachließ. Ich fühlte im Geist die Glut der Hörsäle u.
die furchtbare Anstrengung für Dich!
Ich grüße
Dich von ganzem Herzen u. mit treuen Wünschen, Du geliebtes Leben.
Laß es hell zwischen uns bleiben!
Deine
Käthe.