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Heidelberg. 29. Okt.
26.
Mein geliebtes Herz.
Jetzt sind zwei Wochen seit Deiner Abreise vergangen, mir scheinen
sie wie eine Ewigkeit, obgleich sich ja eigentlich hier inzwischen
kaum etwas ereignet hat. Seit Montag ist
Fritz Schwalbe bei uns, der
jüngere Sohn von
Ernst, der den
Winter hier studieren wird. Er wird bei einem Freund seiner Familie
wohnen, bei
Medicinalrat
Stephani's in
Neuenheim, die ihn aber
erst vom 4. oder 5. November an brauchen können. Im Äußeren hat er
ziemlich viel Ähnlichkeit mit Ernst, nur legt er mehr Wert auf seine
Erscheinung u. ist schlanker gewachsen. Aber er ist ein Mensch, dem
man anmerkt, daß er früh Verantwortung zu tragen hatte, denn seit dem
Tode des Vaters (im Jahre 20) also schon mit 14 Jahren, hat er der
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Mutter alle
geschäftliche Sorge abgenommen. Dabei hat er noch etwas sehr
Jugendliches, Kindliches im Ausdruck; Handschrift u. Stil sind ganz
unentwickelt. Im Gemüt steht er noch sehr unter dem Eindruck des
Verlustes
seiner Schwester
Hanna, die ihm ganz besonders nahe stand. Von
Bernhard, den er eben besucht
hatte, erzählte er mir allerlei, was sich nicht so schreiben läßt.
Wenn ich ihn so sprechen höre mit einem sehr eigenartigen Urteil über
die "Mädchsen von heute", dann frage ich
mich, ob sich die Welt wirklich so verändert hat? Und doch bin ich
überzeugt, daß es auch heute noch wie früher, junge Mädchen gibt, die
durch allen Realismus der heutigen Welt unberührt gehen. Da ist mir
z. B. schon die
Lotte Winter ein Beispiel.
-
Am Montag habe ich besonders Deiner gedacht. Wie war es in
Cecilienhof? - Mit
Felizitas hast Du wohl die
allerletzten guten Tage des Jahres
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| ausnutzen können. Hier
wenigstens ist es seitdem dauernd trübe u. regnerisch. Ich zeichne
mäßig u. habe vor allem mal einiges von unsern Schwarzwaldaufnahmen
kopiert. Es ist doch manches ganz Nette dabei, nicht wahr? Leider ist
diesmal das Entwickeln recht fehlerhaft gewesen. Ich glaube, so kann
ich es auch selbst machen, u. ich werde es jedenfalls nächstesmal
versuchen.
Inzwischen hat sich wieder jemand wegen Zeichnungen
an mich gewendet, ein
Prof.
Weidenreich, vom bio-mechanischen Institut. Es soll aber erst
im neuen Jahre anfangen. - Mein Liebling, Du sagtest neulich so etwas
von Berufswechsel. Das ist aber doch ganz ausgeschlossen. Du weißt
selbst, wie überfüllt das Kunstgewerbe ist u. wie doch zu allem erst
wieder spezielle Schulung gehört. In meiner
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| Tätigkeit aber
habe ich nun endlich einen gesicherten Boden gewonnen, u. wenn ich
auch etwas Rücksicht auf die Augen nehmen muß u. infolge dessen nicht
so viel arbeiten kann, wie andre, so fühle ich doch, daß die Qualität
anerkannt wird. Das ist etwas, was ich unmöglich aufgeben kann. Es
ist kein Beruf, der einem innerlich etwas gibt, aber auch er
befriedigt, wenn man die Leistung fühlt. - Und durchschnittlich finde
ich auch bei den gebildeteren Herren den gesellschaftlichen Takt, den
ich verlange. So war dieser Tage
Prof.
Bettmann äußerst liebenswürdig. Da gibt es wieder Capillaren
zu studieren! -
Mit Begeisterung las ich den schönen, kleinen
Aufsatz über unsern See. Man möchte nur gleich auch dort sein! Es
müssen übrigens furchtbare Stürme dort gehaust haben - u. ich denke
an jenen Morgen, wo wir
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| im vorigen Jahr so ein wenig
leichtsinnig da herum paddelten u. nach einigem Lavieren doch wieder
nach dem Burghof hinüber ruderten. Es ging ja gut, aber Du strengtest
Dich viel zu sehr an. -
Jetzt lebe ich nun von der stillen
Hoffnung, daß Du es doch möglich machen wirst, in der Weihnachtszeit
her zu kommen. Könntest Du mir nicht ein Verzeichnis der Bücher
geben, die Du zur Arbeit brauchen wirst, damit ich hier auf der
Bibliothek feststelle, was von u. über
Pestalozzi vorhanden ist? Ich könnte es dann
beizeiten bestellen u. Du würdest wieder am sonnigen Fenster arbeiten
wie schon so oft. Der Ofen brennt wundervoll, ganz sanft u.
gleichmäßig, der Ausziehtisch (vom Sopha) würde eine Fläche von
83-160 cm bieten u. der ovale Tisch wäre uns groß genug als Eßtisch.
Der Papier
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|korb bekommt ein Futter, da er zu durchbrochen
ist u. Schnitzel nicht festhält - kurz, es würde ganz gewiß alles in
"Deiner" Wohnung nach Wunsch eingerichtet. Ich glaube, wenn Du
ernstlich willst, dann kannst Du es sicher einrichten zu kommen.
Bedenke, mein Liebstes, wie gemeinsame Tage doch doppelt gelebt
sind.
Das Bildchen von Saig habe ich
oben auf die kleine Mappe geklebt, weil es doch unser schönster Tag
war dieser Weg nach Kappel. Und Du denkst Dir
hinzu, was Du damals sagtest: serena die, quieta
mente. Und alles zusammen soll Dir liebe Erinnerungen wecken u.
Dir danken. -
Ganz bald kommt noch ein Päckchen mit der
erweiterten Leibbinde u. dem verglasten Bildchen. Heute aber ist es
Zeit, schlafen zu gehen. Gute Nacht, mein Einziger, schlafe wohl.
Viel innige Grüße von
Deiner
Käthe.