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22.10.27
Mein innig Geliebtes!
Für Deinen heut
eingetroffenen lieben Brief danke ich von Herzen. Ich bin sehr gut
gefahren, traf im Zuge einen sehr alten
Kollegen, der früher unser
<unleserlich> gemacht hat, und war noch vor
der Zeit der fahrplanmäßigen Ankunft in Berlin. Daß ich seitdem sehr angenehme Tage gehabt
hätte, kann ich nicht sagen. Obwohl ich mich mit ganzer Energie auf
meine Pflichten geworfen habe, packte mich doch gleich wieder eine
Art von Verzweiflung über die unfruchtbaren Aufgaben, mit denen ich
mich täglich belasten muß. Ich las 3 sehr verschiedenartige
Manuskripte, die alle 3 absolut unbrauchbar waren, schrieb oder
diktierte bisher gegen 50 Postsachen, empfing jeden Tag langweilige
Leute und kämpfte um die 1-2 Stunden, in denen ich mich den schwer
verantwortlichen Aufgaben der nächsten Zeit ein wenig widmen
konnte.
Seltsam zugleich und lehrreich war mir der heutige
Nachmittag, an dem ich mit
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Geheeb, seiner
indischen
"Pflegetochter" im Nationalkostüm und
Susanne in
Tegel-Hermsdorf war. Wir besichtigten Schloß und
Park und wurden vom
Baron v.
Heinz zum Schluß noch sehr freundlich ins Intimere geführt.
Geheeb war, da er magenleidend zu sein scheint, in der Nähe nicht
sehr erfreulich. Fremd war mir auch das Getätschel und Umarmen, mit
dem er auf offener Straße das Heimweh der jungen Inderin (24 Jahre),
die
Tagore und
Ghandi
nahesteht, zu bekämpfen suchte. Und dann wieder dieser Kampf gegen
die angeblichen Superioritätsgelüste der Männer! NB.
seine Frau ist eine geborene
Cassirer. Das alte Lied: Männer mit starkem Vollbart sind feminin.
Hinter der modernen Reformpädagogik liegt eine mir unsympathische
Erotik. Wir waren eine Quadriga, nach der sich tout Berlin et
Hermsdorf umsah.
Die Gesuche um persönlichen Empfang sind
zahllos. Jeden Tag durchschnittlich 3. Vielfach unnötig und
inhaltlos. Morgen werde ich mir eine Villa, neu gebaut, auf
Schmargendorfer Terrain links vom Hohenzollerndamm
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ansehen, die allerdings 87000 M kosten soll, aber noch erschwingbar
wäre, mit Hypothek natürlich.
Frau Paulsen hat ohne ein Wort meiner Bank 2000 M
überwiesen. 2500 hat sie bekommen. Was das nun soll, wissen die
Götter.
Frau Riehl beklagte
sich per Karte, daß Du Ihre "Person" eben doch nicht meintest und daß
........ nun Du kennst das ja. Am Montag muß ich wohl oder übel
hinaus. Am Sonnabend geht es wieder nach
Weimar, und dort dauert es bis Dienstag. Vorher ist
noch erste Sprechstunde, Hauptversammlung der Ortsgruppe der
Deutschen Akademie mit Vortrag von
Baron Engelhardt, Ak. d. Wiss., Staatswiss.
Gesellschaft, 7 Besuche - und meine Rede? ...... Mit einem Worte:
Berlin wird eine Unmöglichkeit für jedes
tiefere Leben und Denken. Ich bin gewiß nicht faul. Aber man kommt
bei all diesen Durchreisenden eben einfach nicht zum eigentlichen
Fleiß. Immer nur erledigen, erledigen, Verpflichtungen erfüllen etc.
Heut Abend ist es schon spät. Deshalb will ich aufhören. Ich wünsche
Dir eine gute Nacht. Dein Eduard.
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23.10. 8 ¼.
Guten Morgen! Ich muß gleich fort. Zu der
Tagung der Intellektuellen in Heidelberg war
ich auch eingeladen. Mein Katarrh ist nur noch in Resten vorhanden.
Aber von dem Getätschel gestern ist mir noch ein bißchen übel. Ich
habe jetzt doch ein Bild von dem "Sondercharakter" dieses
Landerziehungsheimes.
Bitte grüße
den Vorstand herzlich u. sage
ihm meine besten Wünsche.
Herzlichste
Grüße
Dein
Eduard.