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Wilmersdorf, den 22.
Dezember 1927.
Mein innig
Geliebtes!
Heut früh war ich um 9 "auf dem Bau",
ganz wörtlich genommen, um 12 habe ich 2 Klöße diniert, von 1-9 bin
ich von einer eiligen Pflicht zur anderen gejagt, von 9 bis ¼ 10 war
ich vom Fehrbellinerplatz bis zum Hause
unterwegs, da ganz Berlin eine Eisbahn ist,
und soeben habe ich meine Aufstellung gemacht, ob nun von den
35 Leuten, die ich in Realien zu beschenken
habe, wenigstens die dringenden erledigt sind. Es ist nicht zu
verlangen, daß man nach einem solchen Tage irgend ein weihnachtliches
Glück empfindet. Jeder andre Tag enthält mehr Sammlung. Meine
Hundehütte ist verbaut von ein- und ausgehenden Packeten; die Briefe
stauen sich, alle eigentliche Arbeit bleibt liegen; - überhaupt - ich
habe von diesem halben Urlaub nichts gehabt, als - daß ich noch lebe.
Denn wie gesagt: hätte ich auch noch eine Vorlesung halten müssen, so
wäre ich tot.
Da ich nun aber noch lebe, so sollst Du einen
innigen Gruß zum Heiligen Abend erhalten.
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| Nimm ihn nur wie
einen Seufzer nach besseren Zeiten, wie sie einstmals für uns waren.
Vielleicht haben wir, wenn ich komme, eine stille Stunde wenigstens,
in der wir Weihnachten fühlen. Denn das glaube mir: mein Herz steht
dieser Welt nicht fern; es geschieht nur alles von außen, um mich von
ihr abzusperren.
Und Du hast es ja auch nicht viel anders:
Vermutlich gehst Du wieder am 24. auf Wanderung nach Ludwigshafen. Wenn man Weihnachten nicht zu Hause
sein kann, so ist man eben doch, auch auswärts - ein Einsamer. Wo ich
am Heiligen Abend bin, ist ungewiß. Ob ich eine Einladung nach
Neubabelsberg erhalten werde? Es steht jetzt
alles so, daß ich wohl am Vormittag hinausfahren werde, wenn sie
nicht kommt. Aber uneingeladen hinauszugehen würde mir schwer. Ein
großes Kapitel von Liebe und Treue ist bis auf den Rest
konsumiert.
Susanne
fährt morgen Abend nach Hause. Am 1. Feiertag ist das übliche
Zusammensein bei
Thümmels, am 2. bei
Lenzens (5 - Abend!) Ich bin
nicht physisch angegriffen. Ich habe nur
ein Bedürfnis nach seelischer Ruhe u. Sammlung.
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Bis
heut hatte ich die Absicht, Dienstag Mittag abzufahren wie voriges
Jahr. Aber der Zug kommt erst um 1.25 nachts in Heidelberg an. Das ist für Dich nichts und für mich
nichts. Deshalb habe ich mich wohl oder übel entschließen müssen,
erst am Mittwoch früh 8.12 über Würzburg zu
reisen. Ich bin dann, wenn ich nicht irre, um 8.45 in Heidelberg.
Spätester Termin der Rückreise ist der 5. Januar, da ich hier am 6.I.
einen kleinen Vortrag zu halten habe.
Was sich inzwischen
ereignet hat, werde ich besser erzählen.
Litt war am Sonntag hier (ich
hatte da im ganzen 5 ½ Stunden Besuch.) Am Sonnabend
Morgner mit Frau und Sohn. Aber
ich will mit dem Erzählen heut nicht anfangen. Vielleicht bleibt mein
Gedächtnis, das jetzt schon manchmal streikt, frisch genug, all das
Bunte zu erzählen. Du sollst heut nur einen weihnachtlichen Gruß
erhalten. Sonst kommt nichts als ein kleines, aber mir sehr liebes
Buch. Und natürlich denke ich schon jetzt von ganzem Herzen zu Dir
hin!
Hoffentlich hast Du etwas für
den Vorstand! Auf glückliches
Wiedersehen Mittwoch Abend!