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Heidelberg. 20. Nov.
1927.
Mein lieber Hausbesitzer,
wie hast Du denn geschlafen auf Deine neue Würde? Ich hoffe, recht
gut u. befriedigt! Ich bin jedenfalls sehr froh darüber u. male mir
das künftige Behagen für Dich aufs Schönste aus.
Aenne läßt Dir sagen, sie
interessiert sich "wahnsinnig" für Dein Haus; was kann man mehr
verlangen?
Die Inneneinteilung beschäftigt mich natürlich
besonders, u. da ist das erste Bedenken, daß Dein Schlafzimmer nach
Nordosten liegen soll. Es wird da die Größe, eventuell das Badezimmer
u. wohl auch die Tür ins Arbeitszimmer dafür sprechen? Aber ließe
sich da nicht doch vielleicht noch jetzt im Plan eine Änderung
treffen? Denn die Tür könnte man ja zu bauen u. um Besuche zu
empfangen, wäre ja unten das Zimmer, sodaß Du ungehindert auch über
den Gang das Schlafzimmer erreichen könntest. Wenn der Zugang zu dem
für Dich geplanten Schlafzimmer durchs Badezimmer ginge, dann ließe
sich das wohl durch eine leichte Wand abtrennen.
Läßt Du im
Arbeitszimmer feste Büchergestelle einbauen? Wird das Eßzimmer
getäfelt? Wie ist die Außenseite des Hauses? - Bei der Heizungsanlage
im Keller muß man beachten, daß die Vorratsräume kühl bleiben, durch
Wand u. Tür von den warmen Räumen getrennt, sonst verderben
Kartoffeln u. - der Wein im Keller! - Fertigstellung bis Ende Januar
- heißt das mit aller Innenausstattung? Wohl kaum. -
Bei
Deiner Finanzlage kannst Du ganz gewiß ohne Sorge diese Sache
riskieren. Es ist ja eigentlich eine Kapitalanlage. Und wenn Du auch
wohl besser tust, die Pfandbriefe
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| falls sicher - zu
behalten, u. selber 8% Zins zu zahlen, so ist es doch auch für die
Haussteuer günstig, Hypotheken zu haben, da sie den Wert mindern. -
Jugendpsychologie soll in der 9. Auflage erschienen sein, u.
überhaupt wird es Dir ganz gewiß nicht schwer werden, Dir den Besitz
sorgenfrei zu erhalten.
Wie kommt es denn, daß
Niemeyer nicht zahlt? Steht es
schlecht mit ihm? Er soll den Vertrag von
Günthers Buch abgelehnt haben,
weil die "Buchreihe" nicht paßt. - G. hat eben wieder recht oft das
Verlangen, sein Herz bei uns zu erleichtern. Ende des Monats
[unter der Zeile] (in 4
Wochen) glaube ich, hat er vor, nach
Berlin zu kommen. Wenn Du ihm eine Zeit zur
Besprechung einräumst, sei vorsichtig u. bestimme eine Stunde,
die durch irgend etwas nachher
begrenzt ist. Er hat gar keinen
Zeitbegriff, u. findet bei aller guten Absicht, nicht zu stören,
nicht weg. - - Ja, da war der Wolf in der Fabel!! Eine ganze Stunde
hat er hier im Zimmer gesessen u. mir sein Leid geklagt. Es will sich
kein Verleger finden; 4-5 Absagen hat er. "Trotz des Zuschusses"
nehme man keine Monographien, sie gingen nicht. Er tut mir wirklich
leid, denn
[über der Zeile] wenn er nun das Buch
fertig mache u. es dann womöglich wieder zu dem Format für eine
Zeitschrift zurecht schneiden müsse, so packe ihn die Verzweiflung.
Er komme sich vor wie einer, der dreimal durchs Examen falle, immer
dasselbe von vorn anfangen müsse.*
[li. Rand und Fuß] *
Glaubst Du, daß Dein Einfluß das Buch bei Quelle u.
Meier anbringe könnte? Ich habe ihm
zugesetzt, es doch nun einmal coûte que coûte fertig zu machen. Es
würde dann schon unterkommen. Er ist aber kopfscheu geworden. -
Wie gut, daß er nicht in das Zimmer unten kam. Wir wären nicht mehr
Herr unsrer Zeit durch sein Anschlußbedürfnis. Dabei ist er gut zu
leiden, nur garso schwerfällig, bedenklich u. umständlich.
Jacobsen schrieb mir,
schickte Deine Karte mit u. entschuldigte sich
mit Arbeitsüberlastung. Er wird am nächsten Freitag das Buch abholen,
das er übrigens doch in jeder Bibliothek bekäme.
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Im Laboratorium habe ich mir einen Katarrh geholt u. deshalb werde
ich heute nicht ausgehen, sondern möglichst "erledigen". Vorher aber
will ich noch ein wenig mit Dir, mein Liebstes, plaudern. Im vorigen
Brief vergaß ich, Dir zu melden, daß ich indirekt von Deiner Rede in
Weimar hörte, sie sei "weitaus die beste von
allen gewesen. Auch das Thema erfuhr ich: Staat u. Universität. -
Wird sie gedruckt? - Schreibe mir doch, wann neue Vorträge in
Aussicht sind. Du hast mir wohl in
München
davon erzählt, aber ich kann Daten nicht so behalten u. muß das
schwarz auf weiß haben. Ich habe doch so gern, wenn ich wenigstens
die äußeren Tatsachen verfolgen kann! - Großes Interesse gewinnen mir
nach wie vor die Vorträge von
Schrade ab. Er beginnt jetzt, sich mehr vom
Manuskript zu lösen, u. wenn er sich auch manchmal verhaspelt, so
wirkt es doch natürlich u. immer gedankenreich. -
Dorle Braus spielte mal wieder
hier. Es ist ein fabelhaftes Können für ihre 24 Jahre, aber ich
glaube sie muß sich hüten, nicht zum Virtuosentum zu geraten. -
- Kennst Du die Malerei von
Lovis
Corinth? Es war hier eine Ausstellung von 60 seiner Bilder aus
allen Lebenstadien von den akademisch gewissenhaften Studien bis zu
den letzten Farborgien, die einem die Vorstellung eines - optischen
Größenwahns gaben u. z. T. unglaublich verzeichnet sind, wie in einem
Paroxismus hingehauen. Im ganzen glaube ich, ist seine Kunst
wesensverwandt mit der der
Paula
Modersohn-Becker. Es ist eine rückhaltlose Ehrlichkeit dem
unverhüllten Leben gegenüber, bei Corinth übersetzt in den sinnlichen
Reiz der farbigen Erscheinung - bei der Frau vergeistigt zu rührender
Schlichtheit. Nur wenige der hier gezeigten Arbeiten von Corinth
haben einen tieferen Gehalt. Aber ein Selbstporträt aus seiner
letzten Zeit ist von erschütternder Tragik. - Ob absichtlich??
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Ganz schrecklich finde ich die Erkrankung der Kinder
von
Litt. Ist denn Tuberkulose
in der Familie? Hat er noch mehr Kinder? Wie wird er dies neue
Unglück tragen! Wir sprachen doch schon von der Verzweiflung, die
sich in seiner Weltanschauung ausprägt. -
Gestern war ich bei
Frau Ewald mit ein paar Damen
zusammen, deren Söhne vor Jahren bei mir Zeichenstunde hatten. - Der
eine ist
Otfried Ehrismann, der
als pharmakologischer Assistent in
Berlin
lebt u. der - klein ist die Welt - mit so besonderer Vorliebe,
Deine Vorträge besucht. Die Eltern wohnen
jetzt wieder hier, in der
Gaisbergstraße,
waren 15 Jahre hindurch in
Greifswald. -
Wann ist die Akademierede? Ist sie öffentlich? Dann
möchte ich es gern
Meta Günther schreiben, sie
würde Dich doch sicher sehr gern sprechen hören. - Am 18. hatte
meine Schwägerin in
Cöslin ein Referat über
Lindsey. Der soll ja schon
wieder was veröffentlicht haben. - Das Machwerk von
Claus Mann habe ich mit Ekel u.
Empörung gelesen. Ich muß gestehen, daß ich nicht weiß, soll es eine
Karrikatur, soll es eine Bestätigung sein? Vermutlich das erstere, u.
es ist in der Beschreibung der Scenerie: Kandelaber u. Kruzifix als
Hintergrund für die Tanzübung voll ausgedrückt. Aber die
Öffentlichkeit scheint es ernst zu nehmen, als Ausdruck "moderner
Jugend". Nach dem was Du aus
Tegel
berichtetest war mir dies doppelt erschreckend, aber ich möchte es
doch als böswillige Entstellung ansehen; aber auch als Bestätigung
dafür, daß Mangel an Führung zur Zuchtlosigkeit führt.
Ich
will jetzt noch rasch diese Zeilen zur Post bringen; sie treffen Dich
hoffentlich bei gutem Wohlsein u. im froh <li.
Rand> gesicherten Gefühl des errungenen Hauses. Sei innig
gegrüßt von Deiner Käthe.