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<Stempel: Prof.
Eduard Spranger
Berlin-Dahlem=Dorf
Fabeckstr.
13>
13.7.29.
Mein innig
Geliebtes!
Die schwere Nachricht aus
Hofgeismar haben wir lange fürchten müssen.
Und doch weiß ich, wie hart sie Dich trifft. Denn
der liebe Onkel war für Dich
das letzte Band zu der alten Zeit und Generation; er war für Dich
Vater und Du empfandest für ihn wie seine Tochter. Daß das nicht mehr
in der Welt ist, nicht mehr als nahe Wirklichkeit erlebt werden kann,
macht Dein Herz schwer: es muß ja immer nur geopfert werden. Aber in
einem höheren Sinne bleibt es Dir, und zuletzt bleibt ja überhaupt
nur, was wir so innerlich besitzen. Wie auch meine Pietät und
Dankbarkeit dem Onkel nachfolgt, weißt Du. Er hat mir noch so lieb
nach seinem 80. Geburtstag geschrieben, und er war vielleicht der
einzige in der Welt seit dem Tode
meiner Mutter und
Deiner Tante, der
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| uns in unsrem
Lebensbund verstand.
Ich verstehe nicht recht, warum man Dich
nicht telegraphisch gerufen hat. Dies Nichtdabeigewesensein fehlt
Dir, wie ich fühle. Aber es gibt auch eine Treue aus der Ferne. Auch
mir bleibt Dir gegenüber eine andere jetzt zu üben nicht möglich. Ich
habe überhaupt kaum noch eine Empfindung mehr. Arbeit bis zur letzten
Kraft hat es immer gegeben. Aber jetzt ist alles so hoffnungslos
unerfreulich und so vieles will trotz besten Willens nicht gelingen.
Es ist nicht möglich, die deutsche Universität auf einem erträglichen
Niveau zu halten.
In
Leipzig traf ich
den 81jährigen
Volkelt geistig
frisch, doch körperlich ganz gebeugt. Es war ein für uns beide gutes
Wiedersehen.
Frau Rohn,
Frau Strümpell u.
Frl. Guttmann verfehlte ich.
Nach dem Mittagessen bei
Litts ging ich
aber noch mit Frl. Guttmann zur Universität, und mit Frau Rohn blieb
nach der Sitzung noch ein halbes Stündchen in den Theateranlagen
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Sie läßt Dich herzlich grüßen. Die Fahrt nach
Lübeck war sehr kurz: um 8 fuhr ich ab, um 9 ¼ war
ich schon wieder in
Dahlem. Die Sitzung war
ziemlich überflüssig. Die Gewitterschwüle lastete sehr auf mir.
Jetzt lese ich unablässig Dissertationen oder halte Prüfungen oder
versuche, zerfallende Dinge wieder in Ordnung zu bringen wie die
Ortsgruppe der Deutschen Akademie, die schwer gefährdete
Pestalozziausgabe, die
Kehrbachsche Gesellschaft u.s.w.
Die Leipziger Akademie hat
mich zum korrespondierenden Mitglied ernannt. Ich soll der erste
sein, dem diese Auszeichnung von
der Philol.-Historischen Klasse verliehen worden ist.
Der
Garten ist dies Jahr nicht so schön, wie voriges Jahr. Bei den
schweren Gewitterregen kommt das Wasser immer durch die Decke des
oberen Stockwerks. Der Dachdecker aber kann nichts finden. Sehr
hübsche Möbel (1 Ledersofa u. 2 Sessel) für 510 M sind eingetroffen.
Das andere wird wohl in 1 Jahr folgen. Denn den vor 5 Wochen gefaßten
Plan, mir ein Paar Stiefel zu kaufen, die mich nicht drücken, konnte
ich bis heut nicht realisieren. Dafür erwarte ich heute
Tietjen - eine viele Wochen
vorausdatierte Verabredung.
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Alles wird zur
Pflicht; es ist kein menschliches Leben mehr. Mit wem auch?
Den Brief an
Krehl will ich
sehr gern schreiben. Ich warte, bis Du mir den Wink gibst. Aber bitte
nun nicht mehr länger hinausschieben. Wir sprachen wohl schon vor 1 ½
Jahren davon.
Für die Ferien liegt schon so viel Arbeit vor,
daß nicht viel disponible Zeit bleibt. Die Regierung aber ist mit
unsren Leistungen immer unzufrieden. Es ist jetzt ein förmliches
Kesseltreiben gegen uns.
Susanne ist in
Seis. Bis
jetzt habe ich nur eine inhaltlose Postkarte erhalten.
Frau Witting habe ich neulich
nach einer Pause von mindestens 5 Monaten zum 1. Mal wieder
geschrieben.
Ob die Habilitation
Delekat am nächsten Donnerstag
glückt, ist zweifelhaft. Er ist ja aber schon als Extraordinarius
nach
Dresden berufen.
Das
Jesuitenblatt: "Die Stimmen der Zeit" referiert mit beifälliger
Tonart über die Akademierede.
Es kommt jetzt Besuch. Ich
wünsche Dir Mut und einen gefaßten Sinn. Sei innig gegrüßt von
Deinem Eduard.
[] An
Hermann habe ich
geschrieben.