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Dahlem, 14. Mai 1934.
nach langem Arbeitstag -
zweimal in der Stadt.
Mein innig Geliebtes!
Die Antwort von
Z. bringt mancherlei
unerwartete Aufklärungen. Die Anfrage hat ihr Ziel erreicht. Man hat
aber dort geantwortet, daß kein Anlaß bestünde, die Initiative zu
ergreifen. Der Ruf soll mal erst an das betreffende Individuum
ergehen. Ist das nicht nur formale Korrektheit, so heißt es: wir
wollen ihm das Fortgehen nicht erleichtern.
An sich brauchte
man ja also nur aus Z. an mich zu schreiben -
einen sog. ostensiblen Brief. Nun aber stellt sich heraus, daß der
"Ruf" wirklich nicht perfekt war, daß es sich nur um eine Voranfrage
handelte. Es fehlt im Ursprungslande noch eine dritte Instanz. Diese
hat nicht nur noch nicht gesprochen, sondern zögert unter
außerpersönlichen Bedenken. Entscheidung frühestens am 1. Juni.
Ich muß nun sagen, daß das reichlich
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| seltsam ist. Das
"Faktum" ist überall gerüchteweise verbreitet. Aber es ist noch gar
kein Faktum. Sondern man hat nur gemeint, jene hochoffiziellen
Instanzen sollten meinen Gemütszustand erkunden. Das lag weder in der
Fassung des gelben Blattes von
Luzern, noch
in meiner Auffassung. Mit solchen Dingen kann man die obersten
Behörden kaum bemühen.
Es ist also in 2½ Monaten bisher
nichts geschehen. Eigentlich hat die
Schw. ein unausgebrütetes Ei begackert. Die
einzige tatsächliche Wirkung kann die sein, daß man hier weiß: der
Mann ist begehrt, und möglicherweise im Aufbruch. Das gewährt Schutz
und erzeugt ebensoviel Mißtrauen. Es ist ebenso nützlich wie
schädlich. Aber nach meinem Gefühl doch mehr nützlich, wenn auch nur
in der "abschreckenden" Wirkung hier.
Heut nachmittag hatte
ich mit
B.-r zusammen beim
Staatsexamen zu wirken. Eine schlechtweg unerträgliche Atmosphäre;
noch schlimmer als mit
H. Der
Mensch ist so
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| absolut unbegabt, in erster Linie
pädagogisch unbegabt, außerdem so tief an Minderwertigkeitsgefühlen
krank, daß er einen jammern könnte, wenn er nicht der große Mann
wäre. Auch hier also alles unecht und verschoben. Man sitzt aber
dabei als der gerade noch geduldete bescheidene Untergebene. Ich
halte so etwas physisch und moralisch nicht mehr lang aus. Dann fühle
ich immer: nur weg, nur Luftveränderung.
15. Mai 34.
Viel Neues ist heut nicht hinzuzufügen.
Die Vorlesungen haben sich noch weiter aufgefüllt und laufen ganz
gut. Da ich heute, wie gestern, 4 Stunden Staatsexamen habe, bin ich
über Mittag in der Stadt geblieben. Erst war ich bei
Lubowski, der nun ein
Unterstück anfertigt, dann fuhr ich zu
Borchardt und hatte das Glück ihn zu treffen.
Morgen fährt er nach
Helgoland. Das Verstehen
des 82jährigen aus der Ferne, diese Weisheit überhaupt hat etwas
ungemein Wohltuendes. Gesundheitlich geht es ihm ganz ordentlich.
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Ich muß nun schließen und bitte Dich nur noch, den
jungen Steiger zu grüßen.
Alles Liebe und Gute
von
Deinem
Eduard.