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29.6.35.
Mein innig Geliebtes!
"Viel ist mit mir
nicht los". Aber ich fange wenigstens an zu schreiben, und danke Dir
vor allem für Deine lieben treuen Zeilen wie für den
Schleiermacher, der in sich
bedeutsam ist und alte liebe Erinnerungen mitbringt.
Der
Geburtstag "fiel aus". Ich hatte Vorlesung, nachm. 5–7 die
öffentliche
Leibnizsitzung der
Akademie und dann noch Abstimmung über meine 34 u. die anderen
Kandidaten, welche letztere ich allerdings geschwänzt habe. Es war
eine gräßliche Hitze. Außerdem mußte ich mich für den letzten
Semestertag vorbereiten: Schluß der Vorlesung u. des Seminars.
Wir saßen
zu vieren ein Stündchen auf der Terasse. Dann habe ich im Schweiße
meines Angesichts gearbeitet. Man sah Wolken wie im Krakataujahr; und
tatsächlich kam dann ja auch das Erdbeben. Habt ihr davon viel
gespürt?
Von meinen Rosen, Nelken und sonstigen Schönheiten
habe ich wenig gehabt, da ich auch gestern den ganzen Tag fort war.
Die Zahl der Glückwünsche erreicht fast wieder 100; besonders gefreut
haben mich Brief von
Kirmß (nun
85) und
Seitz.
Der Vorstand schrieb sehr lieb
– man sieht aber doch die Veränderung. Von
Frau Witting und
Felizitas viel
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Klagen. – Ich vermisse eigentlich nur – meine beiden Schwestern
Adelheidund
Lore – und den alten Freund
Holzhausen, der wohl verbittert
ist.
Hans Heyse hat neulich
hier einen Vortrag gehalten. Da ich die Veranstaltungen der
Kantgesellschaft nicht besuche, ging ich nicht hin; wir luden ihn
aber zu Mittag am folgenden Tage. Natürlich kam er nicht. Das ist
doch auch charakteristisch: wir haben nichts miteinander vorgehabt.
Warum vermeiden diese Leute ein Wiedersehen? Auch
Hermann schrieb. Die
Vorstellung von dem Umschulungslager der 6000 Philologen in
Heringsdorf ist für mich fürchterlich.
Marja scheint seit gestern
die Masern zu haben, nachdem
Renate sie schnell und gut überwunden hat. Sie
sollte in diesen Tagen wieder auf das Gut in
Mecklenburg. Das wird sich nun mindestens
hinausschieben.
Frau Bons
Urlaub vom 15.VII. an (
Strasens gehen
gleichzeitig fort) wird hoffentlich da
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|durch nicht berührt.
Von unsren Plänen schreibe ich heut noch nichts. Ich habe noch nicht
die Kraft zu Entschlüssen, und die Mittellinie zwischen
Heidelberg und
Partenkirchen will sich nicht so leicht finden
lassen. Das zweite würde ich garnicht in Betracht ziehen, wenn man
nicht mit Bestimmtheit fürchten müßte, daß ein Wiedersehen im
nächsten Jahr nicht mehr möglich sein wird.
Was ich in diesem
Semester habe arbeiten müssen, besonders in den letztem 14 Tagen, war
dann doch auch für mich zu viel. Ich fühle mich wie der Reiter am
Bodensee. Daß diese – garnicht vorbereitete –
Vorlesung glatt zu Ende kam, ist ein Wunder. Seit dem 1. Juni war
großer Hörerverlust, der übrigens von den Kollegen auch festgestellt
wurde. Ich habe gestern mit 120–150 geschlossen. Die Dankesovation,
die man mir brachte, war bemerkenswert warm und lang. Aber
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wenn man dann, wie ich heut, Semesterprüfungen abhält, sieht man, was
man "angerichtet" hat. Das Seminar ging ebenfalls in guter Form zu
Ende. Es hat sich auf einer beträchtlichen Höhe bewegt. – Der Preis
der Akademie ist an den
Oberstudiendirektor Franz in
Harburg gefallen. Auch diese Qual hat nun ein Ende.
Das Gutachten allein, das vorgestern vorgelesen wurde, umfaßte 4
große Druckseiten. Ich habe aber
Nicolai ordentlich herangeholt.
Warum hast
Du mir nicht zu dem Erlöserorden gratuliert? Er wird um den Hals
getragen u. sieht sehr schön aus. Übrigens wollen
Frau Louvaris u.
Sohn Ende Juli nach
Heidelberg kommen.
Brosius will "um den 11. Juli"
reisen. Er freut sich u. ist im voraus sehr dankbar.
Auf Deine
[über der Zeile] StadtSparkasse habe ich für Dich
300 M überwiesen. Frage doch bitte nach, ob die Sendung eingetroffen
ist, und laß sie eintragen.
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Heut ist kleiner
Studententee zum Semesterschluß mit lauter "neuen". Wir sind im
ganzen nur 9. Morgen kommen
4
Ludwigs u. vielleicht
Lenz
jr. Montag wollen wir den ganzen Tag fort; ich muß einmal
Entspannung haben. Optimistische Nachrichten, die ein bißchen
aufrichten, bringt immer nur der
Hans
G. Er geht jetzt mit
seiner
Frau nach
Saig oder
Kappel. Sonst steht man immer unter Gemütsdruck.
Alle Briefe lauten ebenso. In der nächsten Woche werden wir auch nach
Schloß Tegel fahren. Die
Herren v. Heinz wollen etwas mit mir besprechen.
Tante Wally ist eingeladen. Was
zu erledigen ist, reicht für den Juli. Ich glaube, daß ich mit diesen
nüchternen Berichten für heut Schluß machen muß. Vielleicht erreicht
Dich dann der Brief noch zum Sonntag. Ich habe in ihm mit Dir ein
bißchen Geburtstag gefeiert. Sei nun innig gegrüßt und empfange noch
einmal herzlichen Dank.
Susanne, das immer gleiche warme und milde Licht um
mich, grüßt Dich ebenfalls
<li. Rand> herzlich.
Dein Eduard.
[] Von Käthe Kiehm – 53 Rosen. [7]
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<beigefügter Zettel>Die beiden Briefe
Bände sind auch äußerlich wunderschön. Sie sind in s. Todesjahr
erschienen.
Daß ich Freunde in der
Villa
Illaire habe, weißt Du –
Frhr.
v. Dungern.