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Dahlem, den 20. April
36.
Mein innig Geliebtes!
Es
war mir eine Freude, daß Du die Ostertage bei lieben Menschen
verleben konntest. Für einen genußreichen Ausflug war es zu früh.
Aber man lebt jetzt schwer nur in den 4 Doppelwänden, und was Du in Schönbrunn hast, das eben fehlt uns hier - so daß
wir es immer stärker als fehlend empfinden. Die Heimkehr in den
stürmischen Winter muß seltsam gewesen sein. Wir hatten nur die
Ausläufer davon; aber die waren auch noch recht kräftig.
Ich
sende einen kleinen Tagesbericht voran: Vor Ostern war die
Mittwochsgesellschaft bei uns, mit
Susanne 13. Mein Vortrag (ad
Uexküll und mit dem
metaphysischen Problem des
Goetheaufsatzes) fand starkes
Interesse Zum ersten Mal
waren bei uns der
Minister
Popitz,
Pinder und der
ehemalige Rektor
Fischer, ein
ziemlich gläubiger Thomas. Am
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| folgenden Abend kamen
Ernst Otto u.
Frau aus
Prag, - immer angenehm. Karfreitag machten wir eine
Tagestour nach
Rehbrücke,
Ravensbergen,
Potsdam, wo
ich in der
Orangerie noch den
Kameraden Weise besuchte.
Ostersonntag waren
3 Frankes bei uns zum
Tee (jetzt in der
Schweiz.) Sonst wurde
gearbeitet.
Als Zeuge war ich im
Ogerprozeß geladen, auch zur
Stelle, es kam dann aber zu einem Vergleich, der sofort wieder in
Frage gestellt wurde. Ostersonnabend Abend waren
Laportes bei uns, mit denen wir moralisch
harmonieren.
Osterdienstag gingen die Vorlesungen weiter. Ich
habe am Freitag darauf in der
phil.
Vorlesung ein ungewöhnlich volles Haus gehabt, das ich mir
herangepredigt habe. Denn - das spricht
auch mit - beide
neuen Götter haben Urlaub.
B. aus unbekannten, aber viel
beredeten Gründen.
R. - weil
die Sache wohl gen Himmel stank. Im Seminar ca 40 -
alle Völker; halb
Asien.
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| Die päd. Vorlesung bleibt schwach
besucht, noch
unter dem Erwarteten.
Mit Deiner Vermutung hinsichtlich Deiner mehrfachen Briefgänge hast
Du recht.
Er hat auch jetzt
nicht geantwortet.
Freitag kam unerwartet
Agnes Stück, mit allen
Abzeichen geschmückt, die den heutigen Menschen zieren. Sonnabend war
Christian Biermann zu Mittag
da. An den 3 vorlesungsfreien Tagen Sonnabend - Montag habe ich viel
Laufendes erledigt. Zwischendurch wurde auch ein Aufsatz für die
"Erziehung" geschrieben.
Das
neue Mädchen ist ebenso ordentlich wie nicht
herzgewinnend. Für "unten" scheint endlich heut ein
Tischler mit
Frau und 2 Töchtern (10 u. 13)
in Aussicht zu stehen.
Die große Anfrage ist mit Ja
beantwortet. Dahinter liegt natürlich die große Zeitfrage. Es ist
sehr schmerzlich, daß man sich nie das Wichtigste schreiben kann.
Aber wir gehen wohl im stillen d'accord.
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Wenn
jemand ein großes Geschäft aufmacht u. zunächst einen ungeheuren
Zulauf, also entsprechende Einnahmen hat - wie die Warenhäuser mein
solides väterliches Geschäft tot gemacht haben - dann fragt man sich
natürlich, ob der Weg und das Ziel nicht doch richtig waren. Aber die
Verkaufsmethoden ......
Mein Vater und wir gehören wohl
zu einer früheren Zeit. Wir sind deshalb nicht schlecht.
Wo
liegt die endgiltige Bilanz?
Es geht eben alles über die
Seele hinweg. Aber diejenigen, die die sündige Seele ausschalten -
das sind auch nicht meine Leute. "Können wir noch
Christen sein" - so, glaube ich, schrieb vor Jahren einmal
Eucken. Und wir können es nur
mit so viel Einschränkungen - Einschränkungen mit Bezug auf den
Mythos - daß es problematisch wird, ob man uns will, die wir doch
eben à la
Rousseau (cf. mein
Kolleg:)
innerste Gewißheiten im
Historischen
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| wiederfinden oder hineinsehen.
All
die Not, die wir durchmachen, empfinde ich am stärksten, wenn ich
sehe, wie die Menschen ringsum sind und sein können. Manchmal endet
da meine Psychologie.
Giese,
Rodiek,
Lampert,
Marg. Thümmel, u.s.w. Dann
wieder sage ich mir: Herr, vergib ihnen ....... Wer steht nun da, wo
er
absolut stehen soll?
Müssen die nicht da stehen, wo sie stehen,
weil sie so unkompliziert oder widerstandslos
sind? Ist heut Raum für komplizierte Menschen?
Aber müssen nicht auch die Komplizierten durchhalten, damit etwas
Höheres in der Welt nicht verloren gehe? Unter anderem auch in der
deutschen Welt? Volk ist ja auch ein Hühnervolk. In summa: ich kann
nicht und ich will nicht und ich darf nicht. Und somit also - was
niemals gesagt werden darf - der Osten, das freiwillige Exil auf Zeit
- auf Zeit - auf welche Zeit? Führen wir nicht den König Lear auf?
Muß nicht eine
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| gesunde Generation unter Psychopathen
wahnsinnig werden? Ist es nicht eine noble Art des letzten
Widerstandes, -
auch wahnsinnig zu werden?
Nobel deshalb, weil es noch ein letzter Dienst am Irdisch-Allgemeinen
ist, während man ja auch versuchen könnte, so zu tun, als ob "man es
nicht wäre" und in jene Höhen zu entfliehen, die gewiß einmal unter
ähnlichen Umständen die Stoa oder das Christentum im kaiserlichen
Rom suchen mußten? - Herr Kollege: was ist
der Mensch?
So fragte auch
Pestalozzi, und er gab sich Mühe, ihn zu formen.
Ich bin da, leider, noch nicht. Wo kann ich ihn denn packen? Die
heutigen Studenten z. B. verstehen noch nicht einmal einen
lebensüberlegenen Witz. Man sagt, sie spürten, was ein gemeiner und
unwissender Dozent sei. (
R.)
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| Nun gut - dies wäre eine Hoffnung. Aber in
J. kann man den Menschen vielleicht sagen: Nicht
ihr und nicht wir stehen in Frage - so wenig wie Kimono und Frack -
sondern die menschliche Seele, die mit der
Welt ringt.
Ob
Hermine Kleiser nun verheiratet
ist? - -
Erika habe ich zu
Weihnachten und zu Ostern um baldige Nachricht gebeten, immer ohne
[über der Zeile] schnellen Erfolg.
Adalbert, der Assessor und
Vater - nie mehr einen Ton. Und so viele andere. Nur vom Ausland
klingt Wärme, Verstehen - z. B.
Zollinger,
Müller,
Kemeny,
Köstlbacher - gehört man nun eigentlich zu seinem
Volk? Soll man betteln gehen um Nähe? Hat man in
Deutschland für Seelisches nicht mehr Zeit, nicht
mehr Mut, nicht mehr .....
J'accuse. Und man klagt nicht die
nachgeordneten Instanzen an. Warum
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| klagt man
an? Ich prüfe mich ernstlich: ist es gekränkter Ehrgeiz?
Aber
da oben sein, will ich nicht. Das Haus
besteht, das Geld reicht, man läßt mich z. Z. in Ruhe; und es gäbe
für mich nur eine Gefahr, wenn
Baldur würbe oder die
Rose
..... Bündnis suchte! Das ist es doch nicht. Es ist das innerste
Nichtkönnen. Um des deutschen Volkes willen nichtkönnen. Werdet stumm
wie die Fische. Andere konnten noch
gegen
W. II., wir aber - "hängen
heraus."
Es ist so: Feststehen ist das einzige, mit dem man
dienen kann. Auch der Irrende, der feststeht, tut Gutes gegenüber
dem, der mitläuft. Es muß in Deutschland noch
trigonometrische Punkte geben.
Susanne ist in Gefahr, im häuslichen Bestreben
kleine Pflichten dem gemeinsam Brennenden voranzustellen. Darin
gleicht sie mir. Ich habe immer nur zu sehr dem kleinen Druck
gedient.
Dies Preußentum müssen wir
überwinden. Für
J. - sagt sie - ist sie
innerlich froh. Gottlob. Sonst wäre es sehr schwer.
Eiliger Schluß: Innig, ewig Dein
E.