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Im Hafen von Shanghai
6. November 36.
Mein innig
Geliebtes!
In Singapur
habe ich am Mittwoch 28. Oktober einen Flugpostbrief an Dich
aufgegeben, den Du hoffentlich erhalten hast. Seitdem sind so bunte
Bilder an uns vorübergezogen, daß ich nur ganz gedrängt berichten
kann. Du wirst ja später einmal mein Reisetagebuch lesen, in dem ich
die Einzelheiten festgehalten habe.
In
Singapur, einem großen, buchtenreichen Hafen, waren
wir mit
Schinzinger an Land
gegangen und hatten ein Auto zur Fahrt durch die Stadt genommen.
Übrigens war dieser Tag der größten Äquatornähe mit 27° der kühlste,
den wir in der
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| Tropenzone gehabt haben. S. hat vornehme
Bank- u. Handelsviertel; noch vornehmere Villenviertel mit üppigen
Gärten, die schließlich in den berühmten Botanischen Garten
einmünden. Dort haben wir die Affenfamilien mit Bananen gefüttert.
Die kleinen schwarzen Tiere, die an ihre Mutter angeklammert waren,
waren sehr niedlich. Sonst waren es keine angenehmen Charaktere, und
der große Schimpanse (oder ist es ein Orang-Utang?) den wir auf dem
Schiff mitführen, ist sehr viel liebenswürdiger. Wir kamen auch an
Malayenhäusern (Pfahlbauten über dem Wasser oder besser im Lehmdreck)
vorüber. Ein Gang zu Fuß, den wir anschlossen, führte uns in ein
chinesisches Hafenviertel, dann zu Hindus, zu einer katholischen
Kirche und zu dem 1. chinesisch-buddhistischen Tempel, den wir sahen,
aber nicht verstanden.
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Von
Montag [über der Zeile] Donnerstag bis Sonnabend waren wir
wieder auf hoher See und trafen nur selten auf kleine Archipele (in
der Gegend von Borneo) An einem dieser Tage
hatten wir etwas Monsun und fühlten uns beide mehr von der
Elektrizität als von der Schiffsbewegung schwach. Ich nahm
vorsorglich etwas Vasano.
Die Einfahrt in
Manila beobachtete ich schon vor Sonnenuntergang
(d. h. um ½ 6) vom Oberdeck aus. Hier hatten wir den seltsamsten
Empfang. Noch ehe der Lotse da war, kam ein ganz kleines Motorboot,
von dem der Name "Mister Soriano" gerufen wurde. Später waren wir von
geschmückten Dampfern und Booten umringt, die mit singenden und
rufenden Leuten dicht gefüllt waren, und aus Plakaten ging so viel
hervor, daß Mr. Soriano die Brauerei S. Miguel hatte u. von seinen
Angestellten begrüßt wurde. Wir haben hinterher gehört, daß er dem
General[4]
| Franco 1 Million Pesos
überbracht hatte (angeblich? auch v. d. spanischen Kommunisten
gefangen gesetzt worden sei) Genug, ganz Manila begrüßte den
Millionär in der Sonnenhelle des Sonntagsmorgens. Unsere Gneisenau
legte an der langen Hafenhalle an, die eine ca 600 m lange hohe
Galerie hat. Von da winkten mit Fähnchen und Fächern Tausende -
schöne spanische Damen, schwarze Filippinos, Halbblütige - alles
lebte und hatte Rhythmus. Übrigens gab es dann in der Empfangshalle
auch Freibier.
Unter Führung von
Schinzinger, der uns sehr
sympathisch geworden ist, besichtigten wir die alte spanische City,
die vornehmen Palmenavenuen, Eingeborenenviertel mit Pfahlbauten u.
Mattenwänden, - vor allem aber - denn es war Allerseelen! - den
Kirchhof. Keine Sprache kann dies Gedränge von
Ponnywagen (sehr zierlich),
Autos, Autoomnibussen u.s.w. schildern, die mit
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| Blumen u.
Kränzen überladen hinausstreben. Unser Auto hat in dem Gewirr für 1
km ½ Stunde gebraucht. Nachm. gingen wir trotz der großen Hitze (der
schlimmste Tag) noch einmal zu Fuß in die Stadt - seltsames Bild: die
katholischen Kirchen von Schwarzen gefüllt.
Von
Manila waren wir 2 Tage nach
Hongkong unterwegs. Am Abend vor der Einfahrt kam
die vorausgesagte Abkühlung mit ca 5°, zugleich aber Regen und 100 %
Luftfeuchtigkeit. Ich war bei der Einfahrt wieder an Deck. Diesmal
aber waren nur 20 Chinesen mit spitzen Strohhüten am Pier; einer
hatte einen Regenmantel aus getrockneten Blättern. Landschaftlich muß
H. der schönste Hafen sein. Leider blieb der größte Teil der
Bergketten, die hoch hinauf bebaut sind, im Nebel. Nur selten brach
rot aufleuchtend ein Stück Boden hindurch. Der Lärm u. Betrieb in
einer chinesischen Hafenstadt ist ungeheuer; wieder
ganz anders
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| als Manila. Aber
gleich hinter den parallelen Hauptstraßen steigt der Berg an. Vom
Bankenviertel, an einer Stelle, die an den Aufgang zum Heidelberger
Schloß erinnerte, fuhren wir mit der Drahtseilbahn auf einen Peak (ca
500 m), kamen aber in dichten warmen Nebel, der bis auf die Haut
durchnäßte. Nachdem wir das Hôtel gefunden hatten, das eigentlich 20
m vor uns lag, stellten wir fest, daß es geschlossen war, und da wir
nicht genug Geld gewechselt hatten, um wieder hinabzu
fahren, mußten wir einen gewundenen sehr gut
gehaltenen steilen Fußweg hinabgehen. Er endete in einem
terassenartig über dem gewaltigen Hafen angelegten Botanischen
Garten. Mit der Fähre kamen wir wieder zu unserm Schiff zurück. Auch
diesmal wiederholten wir am Nachm. den Besuch des Stadtteils (Victoria?) gegenüber. Abends wurde
es noch feuchter, und bei der ganzen Sache habe ich mich natürlich
erkältet. Demgemäß hielt ich mich vorgestern
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| großenteils
in der Kabine, übrigens auch sehr deprimiert durch die Unergiebigkeit
des Verkehrs mit
dem Herrn, dem
ich durch die Neue Kirche verbunden bin.
Gestern kamen wir
nun in den chinesischen Archipel. Das Meer
wurde immer gelber u . schmutziger. Wir fuhren ca 3-4 Stunden den
Fluß empor und legten in Shanghai an. Gestern
um 4 sind wir angekommen, morgen um 1 geht es erst weiter. Hunderte
von Chinesen streichen das Schiff. Weitaus die meisten Passagiere
sind hier bereits ans Ziel gelangt. Was übrig bleibt, geht nach
Japan, darunter die beiden netten Familien
Kuh und Kuhweide. (Ich kann's nicht ändern.) Es ist
nicht ratsam, über die "Konzession" (= internationale Stadt) in das
eigentliche Chinesenviertel zu gehen. Hier ist immer Hochspannung.
Wir haben auch viel Kriegsschiffe gesehen.
Zu vieren (mit
einer ortskundigen Dame)
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| gingen wir an Land. Schön ist
hier nichts. Viele Wolkenkratzer. In der Hauptstraße ist ein Verkehr,
gegen den
Berlin und
Fkft./M. absolut provinziell ist. Man hält es
höchstens ½ Stunde aus. Chinesen laufen wie Ameisen durcheinander,
Rickshaws ziehend, unerhörte Lasten tragend. Alle europäischen
Nationen. Grimmig aussehende schwarze Polizei (Shiks) Es ist einfach
abenteuerlich.
Heut waren wir beide allein erst im
Generalkonsulat, wo heut Abend kurzer Empfang ist, dann in der wohl 5
km weit gelegenen deutschen Schule. Mich hatte nämlich ein
Herr Kuck besucht, der in
Deinstedt und
Zwischenahn dabei gewesen war. Nun wurden wir vom
Direktor u. vom Kollegium sehr
nett begrüßt, und da gerade alle photographiert wurden, kommen wir
morgen mit dem ganzen Lehrerkollegium abgebildet in die Sh.er
Zeitung. Zwischendurch besuchten wir wieder einen (großen)
chinesischen
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| Buddahtempel, die unheiligste Sache der Welt und
übrigens auch nicht die reinlichste. Vom Sehen und Regenwetter etwas
ermüdet, sind wir zu Mittag aufs Schiff zurückgekehrt, wo es ganz
anders und still geworden ist - aber es ist doch die immer noch
mitgehende deutsche Heimat.
Susanne hat allerhand photographiert, überwiegend
mit gutem Erfolg. Das kommt später einmal. Wir wollen jetzt zum
Kaffee gehen, dann zu dem Empfang. Montag Nachm. sollen wir in
Yokohama sein.
Ich schließe diesen
über Sibirien gehenden Brief mit den
innigsten Grüßen. In T. hoffe ich nun endlich von Dir zu hören, im
besten Fall allerdings so vom 24. Oktober. Es ist doch schauerlich
weit.
Viel Liebes von Deinem Eduard,
bzw. von
den beiden Weltwanderern.
[Fuß] An der Schule
hier ist eine sehr angenehme Frau
Simon, früher Mannheim, die m.
Schriften kennt, u. ein Herr
Amann, den ich in Berlin geprüft
<li. Rand> habe. Der
Direktor hat 1914 bei mir
gehört. Der Berliner traf mich schon gestern auf dem
Cons.