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Heidelberg. 17. April
1936.
Mein geliebtes Herz!
Wo
soll ich anfangen zu danken! Du hast mich mit so viel lieben Gaben
überschüttet und mein eiliger Zettel zum Osterfest brachte meine
Freude ja garnicht zum Ausdruck! Da hattest Du zu Weihnachten aber
Recht, daß Du froh warst über das Gelingen dieses
Goethe-Aufsatzes! Er war meine
Osterandacht und das ging so zu:
der
Vorstand hatte das Heft der Goethegesellschaft und sie "lag
mir an", den Aufsatz mit ihr zu lesen. Ich erklärte aber, ich wolle
ihn erst von Dir selbst bekommen; aber das Heft blieb bei mir liegen
und ich packte es in den Rucksack nach
Schönbrunn mit ein. Und am Ostermorgen, während der
Kirchzeit las ich Deine wundervoll bewegte, tiefe, umfassende
Darstellung, die Worte findet für das, was über alle Worte ist. Da
ist für mein Empfinden wahre Gottesnähe. Seltsam, wie mir gerade
neulich das Metaphysische der Schönheit so lebhaft nahe trat. - Ich
wußte bestimmt, daß inzwischen die Post Dein Exemplar bei mir
abgegeben hatte und so war es keine Vorwegnahme, sondern Du wußtest
es in meiner Hand. Habe tausend innigen Dank.
Alles Drängen, alles Ringen
Ist ewige Ruh in Gott dem
Herrn. - Das ist ist es, der
Kampf, den wir bis zu Ende durchfechten,
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| der bringt uns
Befreiung - Frieden. Dahin gehört auch das alte Testament: "ich lasse
Dich nicht, Du segnest mich denn!" Das ist das Leben, das erhöhte,
das immer wieder zu überwindende Leben. Gegen diesen tiefsten
Lebenssinn tritt, je älter man wird, alles Äußere immer mehr zurück,
es ist nur das Mittel, an dem sich das
Eigentliche vollzieht.
Dieses Äußere war für mich wieder sehr
wohltuend. Diese geraden, tüchtigen Menschen, die mir mit soviel
Freundschaft entgegen kommen, haben mir ein paar sehr schöne Tage
bereitet. Das Einverständnis ist immer vollständig, Einzelheiten
werden berichtet und beleuchten das Gesamtbild. Alles ist ruhiger,
aber nicht überzeugter, sondern voller Sorge. Auch sonst bricht sie
in Gesprächen mit anderen Leuten immer auf einmal unvermutet durch. -
Was Du, mein Lieb, von Koffer packen schreibst, hat mich ganz
gerührt. Aber was sollte da werden? Dann wäre ja der letzte Rest
einer Existenz fort. Hier habe ich doch augenblicklich mal wieder
Arbeit. Auch der
Oberarzt in
der Frauenklinik hat 2 Zeichnungen
nötig, mikroskopisch. Und wenn es kritisch würde, dann wäre wohl ein
Fortkommen nicht mehr möglich.
Welch Gegensatz jetzt zu den
Frühlingstagen, die wir schon hatten. Ob wohl die herrliche Blüte
restlos vernichtet ist? Es fiel heute nasser Schnee in Höhe von 10
cm. und da sind viele Bäume zusammengebrochen
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| die schon
ihr Laub entwickelt hatten. Vor allem in der Anlage sind die
Roßkastanien, die fast am Blühen waren, erschreckend zerstört. Die
Straße mußte gesperrt werden, denn halbe Bäume waren über den
Fahrdamm gestürzt und massenhafte starke Äste lagen überall am Boden.
Auch die Natur ist aus dem Maß gekommen. - Ein kleines Vorspiel
hatten wir in
Schönbrunn am Sonntag
nachmittag; aber da gab es nur einen weihnachtlichen Märchenwald,
durch den wir einen wundervollen Abendspaziergang machten.
Wenn ich nur nicht so energielos und müde wäre! Ich bin mit mir
garnicht zufrieden. Gesundheitlich habe ich keinen Grund zur Klage,
aber seelisch fühle ich mich "verbraucht und matt". Ich glaube, das
kommt von der dauernden, inneren Erregung. "Man wird es leid." Es ist
so zwecklos. - Das Aussetzen des Bewußtseins ist doch wohl anders,
als Du es beschreibst. Es ist das ein Moment, in dem ich wie aus
einem Schlaf oder Traum aufwache und dann taste ich mich nach und
nach zurück zu dem, was vorher war. Ich habe inzwischen allerlei
getan, als ob ich wach wäre; es scheint: im Unterbewußtsein. So habe
ich diesmal bei Aaron Wassertrum aufgewaschen und fortgeräumt, und
als ich wieder hinkam, meinte ich, es hätten die Heinzelmännchen
getan. Ich möchte es eine Art Schlafwandel nennen. - Als es das
vorige Mal kam, hatte ich einen
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| Moment der Erschöpfung
gehabt und deshalb auf dem Sopha gelegen, diesmal kam es ohne
erkennbare Ursache. Aber es kann nur kurze Zeit gewesen sein.
Und wann kommt denn die östliche Sache in Frage? Ich denke doch,
daß Du mir dann voher noch ein ungestörtes Zusammensein schenken
wirst. Denn in der Tat, ich schreibe so jämmerliche Briefe, weil ich
mich nicht so auf die Arabesken verstehe. Ob die
Person mit berühmtem Namen, auf
die Du anspielst, wohl diejenige ist, zu der ich 33 mal einen Brief
trug, der lange unbeantwortet blieb?
Ach ja, es gibt eine
Welt, aus der man mit keiner noch so dringend angebotenen
Weltanschauung vertrieben weren kann. Wir haben gemeinsam daran
gebaut, und alles in Deinem herrlichen Aufsatz ist mir aus der Seele
geschrieben, ist das, worin auch ich Erlösung finde. Das sind nicht
schöne Worte, das ist mit Herzblut errungen. Wie wahr ist das, was Du
von der Verschiedenheit der Seele sagst. Jede kann nur
ihre Vollendung finden; der eine braucht
das begrenzte, das Dogma - der andere das Grenzenlose. Aber wohl uns,
wenn wir Gewißheit fanden!
Ich grüße Dich in
inniger Liebe.
Deine
Käthe.
[] Viel herzliche Grüße auch
an Susanne.