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Hakone-machi, Ashigawa,
bei Ishikawa.
an
Hermanns
Geburtstag 1937
Mein innig
Geliebtes!
Wenn Du diese Zeilen erhältst, wirst
Du schon wissen, ob die ostasiatische Kriegsgefahr, die seit 3 Tagen
besteht, gebannt werden konnte oder nicht. Es riecht hier sehr nach
Serajewo. Zu Deiner Beruhigung: wir als
Ausländer, zumal als Deutsche, fühlen uns hier natürlich als
mitbetroffen, aber als Bewohner des höchsten Ordnungsstaates, den ich
kenne.
Die Schatten vom Westen sind generell und personell
immer noch schwerer. Das ist wohl psychologisch verständlich.
Aber das
momentan Persönliche ist
entzückend. Diese Sommerfrische ist eine der schönsten, die ich je
gehabt habe. Um den See herum eine Mittelgebirgsscenerie. Viel Nebel
über dem See, weil Regenzeit, aber maßvoller Regen, meist nachts. Nur
kleine stille Orte am Ufer. Ich bin nicht weiter als 3 km bisher
gegangen. Das "Überlinger Ufer" (10 km. Länge) ist absolut einsam.
Ein Waldpfad, leider mit Schlangen. Nachm. liege ich stundenlang mit
dem Kahn auf dem See.
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| Eine richtige
Rousseauexistenz. Der See
scheint ganz ungefährlich. Die Ufer sind buchtenreich. Man könnte –
abgesehen von der Post – weltabgeschnitten sein. Niemand ist
gekommen, außer "Beckers" am Sonntag, –
er käufmännischer Jurist,
hochgebildet, einsichtsvoll,
sie bisher prakt. Ärztin in
Hamburg-Bergedorf, etwas wortreich, und
3 Hunde dazu, z. T. Riesenformat, im Auto
mit 4 Personen, Regen bis auf die Haut – nun ja! Die erledigte
tatenreiche Periode gibt Recht zu fauler Existenz. Es "könnte" mal
wieder alles unbefangen glücklich sein. Der Japaner scheint es zu
sein. Wir nehmen die "Weltbezüge" mit, und so kommt nichts Ganzes
heraus. Aber
Kotsukas Rat und
Wahl ist
ideal
18.VII.
Unser Haus hat dem Regen standgehalten,
während in der Nähe Buden verschüttet wurden und die Straße nach
Numadzu
unterbrochen wurde. Ich bin von
Odawara gekommen, wo auch Bergrutsche
stattgefunden haben. Selbst die Hauptbahn Kobe-Tokyo war zeitweise
gestört – diese pünktlichste Bahn der Welt.
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Hakone, 18.7.36.
Inzwischen haben sich die Bilder wieder mannigfach gewandelt, und
ich weiß nicht recht, wie ich alles auf eine kurze Form bringen soll.
Heut traf hier Dein lieber Brief vom 29.6. ein. Gürtelrose ist keine
gute Ausstattung für die "vorhabende Reise." Hoffentlich hat sie
sich nicht entwickelt!
Ich bin am 15.VII. früh bei strömendem
Regen nach
Tokyo gefahren und – nach einigen
Erledigungen dort – am Abend ½ 10 in
Karuizawa (= jap. "Oberhof") bei Wolkenbruch
angekommen. In K. ist jetzt unter
Geschenks Leitung die NSLB.-Tagung. Dort hatte ich
einen Vortrag zu halten über "Epochen der politischen Erziehung in
Dtschld." Ich wohnte bei Herrn
Redecker, Direktor der Deutschen Schule
Omori, dessen
Frau dort eine "Deutsche Pension" gegründet hat.
Der Vortrag zündete sehr, auch bei den anwesenden Juristen, unter
denen der
Botschafter und zwei
Generalkonsuln waren. Sonst deutsche Lehrer aus ganz
Japan. Der Tag dehnte sich mal wieder aus von 8
früh bis abends 11. Zum Frühstück war ich beim Botschafter mit
Kolb und
Generalkonsul Wagner
eingeladen; abends die ganze Gesellschaft zur Bowle, was mit der
üblichen deutschen
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| Bezechtheit endete.
Der Tag war
wieder typisch für die Situation, die für mich gegeben ist.
Der B.
eröffnete mir in wenigen Worten unter 4 Augen, sie hätten gehört, daß
ich in
Berlin pensioniert werden sollte.
Daraufhin hätten sie beim W.A. angefragt und die Auskunft erhalten,
davon könne keine Rede sein. Es liege auch ein Schrieben des R.M. für
W. im gleichen Sinne
vor. Also habe es sich um "haltlose Gerüchte" gehandelt. – Der
Vorgang gab mir trotzdem zu denken und machte mich natürlich, wie
Sus. es gleich bei m. Rückkehr
richtig ausdrückte, "flügellahm." Zufällig kam heut ein neues Bild,
insofern 1)
Louvaris mir am
27.6. aus
Göttingen schrieb, er habe
wiederholt mit
Minister,
Staatssekretär u. A.A.
gesprochen über mich und bestimmt gehört, daß meine Auslandsmission
(die ich doch als paradox bezeichnet hatte) im Oktober enden solle.
Er bewährt sich als Freund doch immer wieder herrlich. 2) kam ein
Brief von
Wenke, der vorher immer in
Rätseln geschrieben hatte und nun riet,
mit
ihm die "Erziehung", die ich eigentlich preisgegeben habe,
durchzuhalten. Bellum omnium contra omnes – Du
kannst nie wissen, ob
Du dabei in eine
brauchbare oder gefährliche Konstellation kommst. Du weißt nur ganz
genau, daß für Dich Ferienstille nicht 3 Tage dauert.
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In K. beurteilte man die ostasiatische Lage als noch ernst. Und
zur Vervollständigung des Bildes: in K. erhielt ich ein Telegramm am
16.7. abends, daß durch die schweren Regengüsse die Verbindung nach
Hakone gestört sei. Es haben schwere
Erdrutsche stattgefunden. Der See ist um 1 m gestiegen. Trotzdem kam
ich gestern Abend glatt durch (Omnibus steigt auf 1½ Stunde Fahrt 700
m.) Heut Nachm. konnte ich wieder 3 Stunden
rudern und der Fuji war – zum 1. Mal in 13
Tagen – sichtbar, zum 1. Mal seit Ankunft in Japan fast ohne Schnee.
"Vielleicht" – das deutsche Lieblingswort der Japaner! – ist mit
diesem Guß die Regenzeit vorbei.
Ich will nur hinzufügen:
der, der mir jene Nachricht
mitteilte, ist in noch weniger beneidenswerter Lage. Darüber läßt
sich aber nichts schreiben. – Meine Mission in J. darf als
voll geglückt gelten, selbst wenn jetzt
Störung folgt.
China kommt wohl auch nicht
für flüchtigen Besuch mehr in Betracht. Es ist also mit Ankunft in
Genua um den 15.XI. zu rechnen.
Viele
Geburtstagsgrüße kommen erst jetzt. Das blaue Buch scheint endgiltig
verirrt zu sein.
Für die nächste Zeit ist noch der leidige
Kongreß in Tokio zu erwarten, "vielleicht"
das unangenehmste Stück meines Programms. Es kommt eine Delegation
von 4 Deutschen (am 28.VII in Yokohama.)
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Kotsuka stellt
jetzt 7 kulturphilosophische Vorträge zu einem japanischen Buch
zusammen. Ich mache hier noch weitere. Schon jetzt sind ca. 12 in
Japanisch da.
Trautz hat –
verärgert seinen Abschied eingereicht.
Bohner hat – verärgert – die Professur in
München nicht angenommen.
Frommherzens haben am 27.6. wieder
geschrieben.
Frau Witting muß
eine Pflegerin haben. – Meine Akademieabhandlungen müssen großenteils
neu gedruckt werden. Meine Gedanken sind auch hier ständig in
Bewegung.
Ich schicke diesen Brief versuchsweise über
Hermanns Adresse. Obwohl er
hier erst in 3 Tagen abgehen kann, spart dies vielleicht 3 Tage Zeit.
Photographien, die für Dich bestimmt sind, füge ich lieber nicht bei,
weil solche Einlagen manchmal den Transport gefährden. Als Drucksache
kann ich sie auch nicht schicken, weil ich Erläuterungen auf die
Rückseite schreiben muß.
Es ist doch ein entzückend
liebenswürdiges Volk. Als
Susanne v.
Tokyo kam, hat
der Omnibus sie bis vors Haus gefahren, weil alles unter Wasser
stand. Als ich heut vor 8 Tagen ohne Schirm naß geworden war, hat
mich ein
<re. Rand> japanischer Herr von einer
Landpartie mit einem Tuch sorgsam abgetrocknet, u. man kann nicht
einmal ein paar Dankworte sagen. Alle Kinder der Nachbarschaft sind
schon mit uns vertraut. Einmal als – nach Landesart vergnügt –
<li. Rand> ein Trauerzug sich formierte, fand ich
Susanne in einem ganzen Schwarm solcher graziösen Wesen am Wegrand
sitzen – ein reizendes Bild.
Innige gute
Reisewünsche. Stets Dein Eduard.