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Heidelberg. 21. Sept.
1937.
Mein geliebtes Herz!
Ob
die Sibirienpost noch arbeitet? Ich will es versuchen, denn ich
möchte Dir doch so gern einen Gruß senden. Zu erzählen habe ich
freilich nichts, denn Du weißt ja, wie ereignislos meine Existenz
ist; und von den mehr innerlichen Dingen kann ich doch nicht
schreiben. Sie bewegen mich unablässig im Gedanken an Deine Rückkehr.
Wann und wie wird das sein? Ich habe mir den Fahrplan vom N.Ll. an
den Sekretär gehängt und die Fahrzeiten der Potsdam rot
unterstrichen. Hoffentlich geht das alles programmgemäß. Aber das ist
ja noch nicht alles, was mich beunruhigt. Ich bin noch weit entfernt
von der japanischen Gelassenheit und mache mir wohl zu viel Gedanken.
Aber ist nicht die Wirklichkeit nur zu sehr dazu angetan? Ihr seid
dort mitten in einer Atmosphäre des Krieges, und ist denn in
Europa Frieden? Auch hier ist die Luft voller
Spannungen und Krieg (in jeder Form) beunruhigt die Gemüter. Es hat,
wie es scheint, dem
hiesigen
Bekannten[2]
| jede Möglichkeit zur Verwirklichung
seiner Pläne abgeschnitten. Vorläufig arbeitet er noch an seiner
großen Arbeit, aber ich zweifle, daß er damit eine Zukunft gründen
wird. - Andere haben das Zukunftgründen leichter genommen. Ich
schrieb Dir wohl, daß
Mädi auch
bereits ein Kindchen erwartet? Sie ist sehr zuversichtlich, aber ich
sehe lauter drohende
n
Ungewißheiten.
Anfang Oktober hoffe ich
die unvollkommene Scheibe für
zwei Tage hierzuhaben. Sie schwimmt oben auf dem Mittelmeer.
Hoffentlich ist es dort wärmer als hier. Ich habe bereits die ganze
Wintergarnitur an, denn
meine Wirte
spekulieren vorläufig noch meist auf Sonnenwärme, anstatt zu heizen.
-
Wolfgang Henning ist ganz
begeistert von seiner Reise nach
Sofia
heimgekommen. Er hat seinen Horizont auf alle Art dabei erweitert,
wie Du Dir denken kannst.
Mir will man ihn hier auch
äußerlich immer mehr beschränken. Du hattest sehr recht, daß man eine
Wohnung nicht wegen des schönen Blickes mietet. Aber es ist doch eine
angenehme Beigabe, und ich sehe mit Bedauern, daß mir jetzt auf der
anderen Seite eine Villa mit hohem Dach den
Blick nach Süden einengt. - Aber mit reiner Freude las ich Deinen
Brief, den
Donndorf im
Goetheheft veröffentlichte. Ob
er damit in Deinem Sinne gehandelt hat?! - Doch nun will ich endlich
Frau Ewald aufsuchen und diesen
Brief mit nach der Stadt nehmen. Grüße
Susanne und sei selbst immer gegrüßt von