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22.IV.38.
Mein innig
Geliebtes!
Wir erleben ja nun die Rache für den
allzufrühen und schönen Frühling, den wir genossen haben. Und ich
scheine außerdem die Rache für Japan oder
auch fürs Rauchen zu erfahren; denn mein Herz ist nicht eigentlich
krank, aber - "es reicht nicht aus" und beeinflußt den ganzen
Stimmungs- und Lebensrhythmus ungünstig, woran dann wohl auch das
"Klima" mitschuld ist.
Am Mittwoch war
Heinz zu Mittag hier. Er ist
mir dem Wesen nach sehr sympathisch. Ich habe zu seinem Charakter, zu
seinem Gemüt und zu seinem Streben alles Zutrauen. Aber
Susanne wie ich fanden ihn
gleich dem "Mann von 50 Jahren", und mir fehlte auch die Glut für
seine eigne Gedankenwelt. Ich habe inzwischen seine Dissertation
gelesen. Der 1. Teil ist talentvoll, in
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|soweit es sich um
Überblick und Verständnis handelt. Der zweite - systematische - Teil
ist resultatlos, gequält, ohne Linie, ohne die Unfertigkeit, die
eines Tages
durchbrechen muß. Da liegt ein
mattes Vorbild vor, das er im Grunde selbst nicht glaubt, und das den
unbefangenen Blick überall hemmt. Er kommt nicht ran ans Leben,
Drängen, Müssen. Aber ich bin überzeugt, daß er ebenso wie
sein Vater einmal ein
prächtiger, tüchtiger Mensch sein wird - dem die Philosophie - nicht
geschadet hat.
24.IV.
Heut
früh kam Dein lieber Brief. Ja, von dem Aufsatz übers Bogenschießen
kann ich mich nicht gut trennen; denn die Fahrt nach Stockholm kann sehr plötzlich kommen, und dazu muß
ich ihn noch einmal lesen. Ich werde versuchen, Dir das betr. Heft
von Nippon zu beschaffen.
Von meiner
am Donnerstag Abend lebhaft empfundenen Einsamkeit merke ich nicht
viel - aus Zeitmangel. Freitag
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| ging ich um 9 fort und kam
um 8 wieder, mußte dann noch mit wichtigen Briefen (die von
Georg Maier zweckmäßig
geförderte Sache betreffend) zur Post. Sonnabend um 9 kam ein
Student, um 12 war Empfang bei
Planck zu seinem 80. Geburtstag (große Teile der
Familie Harnack waren auch da) und um ½ 7
begann die Generalversammlung der nun wieder von mir geleiteten
Ortsgruppe der Goethegesellschaft mit Vorträgen, Essen und Gesang. Um
½ 1 nachts kam ich nach Hause. Heut habe ich den ganzen Vormittag
durchgearbeitet (das interessante und berühmte Buch
Kretschmer, Körperbau und
Charakter
[über der Zeile] (2. Mal)) Um 3 kommt
Frl. Dr. Koch, mit der ich
etwas spazieren gehen werde, obwohl es immer noch nicht einladend
ist.
Das Ansteigen der Hörerzahl nach einem Tiefpunkt am 3.
Feiertag über die Anfangszahl hinaus in beiden Vorlesungen ist ein
Lichtblick im Trüben. Auch kamen viele Briefe aus
Japan (Ordenssache wird weiter verfolgt,
Kotsuka kommt im Juli her u.
dgl.)
Frl. Silber war am
Donnerstag bei uns.
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Nachm.
Ich bin mit
Frl. Koch ein bißchen
spazierengegangen. Sie ist ein Mensch von starkem inneren Leben, mit
dem es immer fruchtbar ist. - Es ist auch heut noch kalt und
regnerisch.
Hier schicke ich Dir mit der Bitte um Rücksendung
Abschrift des Briefes an
W., die
ich zufällig aufgefunden habe. Ich kann heut nicht mehr schreiben,
weil ich von gestern noch recht müde bin.
Innige
Grüße und Wünsche
Dein
Eduard.