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Dahlem, den 4. Juni
1938.
auch im Gedenken an den 3. Juni.
Mein
innig Geliebtes!
Wenn Du den geplanten
Pfingstausflug machst, wirst Du Diesen meinen Pfingstgruß erst am 3.
Feiertag erhalten. Ich habe Dir inzwischen den
Bolza (mit stillem Dank)
zurückgesandt. Die Lektüre dieser klaren, vereinfachenden Abhandlung
war mir sehr wertvoll. Ich werde sie mir kaufen und vielleicht auch 1
Exemplar nach
Japan an
Suzuki senden. Wenn Du mal Zeit
hast, schreibe mir bitte trotzdem aus dem Anhang die Literaturangaben
(mit Jahreszahlen) ab. Die Namen, auf die es mir ankommt, habe ich
unterstrichen. Bolza konnte natürlich nicht alles in seinen Rahmen
bringen. So findet sich z. B. in
Hegels Religionsphilosophie (XI 212 der WW.
Originalausg.) das gehaltvolle Zitat:
Das Auge, mit dem Gott mich sieht, ist
das Auge mit dem ich ihn
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| sehe; mein Auge und sein Auge ist
eins. In der Gerechtigkeit werde ich in Gott gewogen und er in mir.
Wenn Gott nicht wäre, wäre ich nicht; wenn ich nicht wäre, so wäre er
nicht. Dies ist jedoch nicht not zu wissen;
denn es sind Dinge, die leicht mißverstanden werden und die nur im
Begriff erfaßt werden können."
Der Aufsatz über "Volkstum"
ist überhaupt noch nicht erschienen. Er sollte im Tschechischen
Staatsverlag (!) in einer Nummer der (sudetendeutschen) "Pädagogischen Rundschau"
herauskommen. Aber da hakt wohl etwas.
Die Zusammenkunft mit
Litt war gehaltreich und konnte
doch den Zwiespalt der Gefühle nicht klären, in dem man dauernd
existiert. Sonntag Mittag waren
Frau
Biermann und
Lenchen bei
uns. Am Dienstag waren wir beim
General v. Voß (
Günthers u.
Drechslers obersten Chef) eingeladen. Am Mittwoch
war die
Inanuma da und abends
ging ich in die Mittwochsgesellschaft. Gestern habe
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| ich
trotz Pfingsten noch volle Häuser gehabt. In der Psychologie ist es
eigentlich wie in den besten Zeiten.
Mittags habe ich mit
Günther in der Stadt gegessen.
Er war auch in
Heidelberg, hatte die Absicht,
Dich zu besuchen, unterhielt sich stattdessen 2 Stunden mit
K, der behauptet, keinen
Verfolgungswahn zu haben und niemanden abgesucht zu haben.
Susanne war zur Eröffnung einer
japanischen Ausstellung in
Schloß
Niederschönhausen und nachher bei
Borchardt. Es war schauderhaft
kalt.
Im Hause wird für schweres Geld gestrichen, und
die reiche Hausfrau läßt auch
im Garten arbeiten. Der angekündigte
Bruder mit
Frau ist nicht gekommen; durch die üblichen
Familienklatschereien ist das Verhältnis nicht gut.
So schreibt man
nun immer um das Wesentliche herum.
Ott u.
Luther sind bei
Hitler gewesen. Den ersten habe ich nicht gesehen.
Dafür habe ich den
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Dr.
Vogt aus
Tokyo zufällig in der U.-Bahn
getroffen.
Seine Frau mußte
gleich nach der Ankunft eine schwere Operation durchmachen.
Ein frz. Professor aus Nancy, großer Freund
meiner "Lebensformen" hat mich besucht. Sonst aber herrscht große
Stille. Die Post ist mal wieder so minimal, wie im August 1914.
Trotzdem bin ich natürlich immer sehr in der Arbeit. Meine Augen sind
nicht ganz in Ordnung. Spätestens im Juli werde ich dafür wohl mal
etwas tun müssen.
Nachdem Berlin
abgerissen ist, wird nun der Grunewald
"normalisiert". Eigentlich dachte man, gerade einiges Heimatliche
müsse nach irdischem Gesetz stehen bleiben. Aber das war auch ein
Irrtum.
Das äußerlich Belangvolle ist wohl nun gesagt. Das
Innere bleibt ungesagt aber verstanden. Wenn man nur nicht so müde
wäre - durch all das Ungesagte.
Innige Wünsche u.
Grüße
Dein
Eduard.
[Fuß] Vor 16 Jahren war auch gerade Pfingsten.[li. Rand] Ich bin bis Mittwoch Mittag in Weimar, Hôtel Kaiserin Augusta.[re. Rand] Kennst Du in Liebenstein
eine Oberin Hadlich (nach
Bericht von Borchardts
Bruder.)