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Dahlem, den
26.III.39.
Mein innig
Geliebtes!
Hoffentlich ist Dein Mißbefinden
überwiegend wetterbedingt. Denn es ist wohl eine kritische
Wetterperiode, die sich auf Leib und Seele legt. Auch ich - oder
vielmehr "Lieber Sohn ......." Wenn Du keine andere geeignete
Unterkunft finden kannst, solltest Du in ein Hôtel gehen. Ohne
Heizung kannst Du unmöglich bleiben. "Um Einsendung der Rechnung wird
ersucht."
Die Fahrt war lang und langweilig. Selbst die
Landschaft um den
Herkules - noch
schneebedeckt und düster - vermochte mich nicht zu beleben.
Susanne erwartete mich in
Potsdam. Um 10 waren wir zu Hause. - Die
bewußte Sitzung scheint ziemlich belanglos gewesen zu sein.
Am Freitag war das Wetter immer noch so rauh, daß wir - um
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nicht ganz zu Hause zu bleiben - in ein Kino gingen: Ein Schritt vom
Wege (=
Fontane, Effi Briest),
künstlerisch so wertvoll wie ein Film sein kann, ohne jede Konzession
an die Menge. Wie zart ist diese fontanesche Welt - aber auch tief
tragisch und in diesem Werk ungelöst!
Viel sachliche
Korrespondenz war nicht zu erledigen. Ich begann am Sonnabend mit dem
Ms. für
Wien und habe heute Sonntag Abend 35
Seiten, so daß nur noch 5 Seiten fehlen. Besuche beim Schneider und
Friseur bildeten das - wiederum draußen rauhe - Intermezzo. Gestern
Abend waren wir in kleiner Gesellschaft bei
Schmidt-Otts. Die alten Herrschaften, die schon
12 Enkel haben, sind immer reizend. Von den Anwesenden war mir
Schumacher wertvoll wegen
seiner immer ruhigen, objektiven, (aber auf die Länge gesehen
pessimistischen) Beurteilung der Dinge. Heute hatten wir den lange
verabredeten Besuch von
Dr.
Möckel aus
Leipzig, der
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1911 mein erster Bibliothekar war und jetzt ein
Jean Paulsches Ruhestandsdasein
in einer eigenen Hitsche bei Leipzig führt. "Kein Hauch
der aufgeregten Zeit ....." Wir zeigten ihm noch den
Wannsee. Aber es war wieder abscheulich rauh,
und in der Nacht hatte es wieder geschneit. Im Garten liegt immer
noch Schnee.
Morgen ist allerhand Praktisches in
verschiedenen Stadtgegenden zu erledigen. Mittwoch fahre ich via
Prag nach
Wien. Dort
habe ich schon 2 Verabredungen. Ich werde wehmütig an das reizende
Zusammensein mit
Lorchen vor 3
Jahren in
Grinzing denken. Ich habe ihr
vorgestern an den Äquator (
Italienisch-Somaliland) geschrieben. Diese
Ortsveränderung charakterisiert die Zeiten.
Hier weiß man,
soviel ich bisher feststellen konnte, nicht mehr als wir aus dem
vielen Papier herausgelesen haben. Mit
Rumänien haben wir uns gut geeinigt. Die Engländer
sind ernstlich
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| sehr böse.
Sch. meint, dies werde sich erst erheblich später
auswirken.
Es ist ein kleiner Trost, daß es weder in
Heidelberg noch hier besser ist als in
Wiesbaden. Und wenn wir auch von außen keinen
wärmenden Strahl u. keine Heilquelle gehabt haben, so bleibt es doch
so, wie Du auf der lieben Karte geschrieben hast, die ich bei der
Zigarrentasche fand.
Mein Schnupfen ist fast fort. Der Husten
natürlich nicht. Der verschwindet immer erst mit milderer Luft.
Es war schön, daß wir wieder beisammen waren, und ich danke Dir
warm für diese Begegnung im alten, ewigen
Sinne.