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Ober-Dielbach. 5. Juni
1939.
Mein geliebetes Herz!
Bei Sonnenschein und Fliederduft sitze ich in der Laube im
Kohlerschen Garten und es ist wie eine
richtige Sommerfrische. Wie schade, daß Euch die Weimar-Reise nicht auch solche Eindrücke
brachte!
Hoffentlich ist es mit dem Rheuma in der Schulter
nicht ärger geworden? Über die Karte aus
Berka und Deinen lieben Brief vom 26. habe ich mich
innig gefreut. Den Brief von
Anderl sende ich Dir demnächst mit dem Protokoll
der "Weltgerichtsgeschichte" zurück. Wenn man die Sache von
Felizitas hört, wird sie
selbstverständlich anders lauten. Ich bin ja im ganzen geneigt, von
Anderl etwas mehr zu glauben. Aber du weißt ja auch: liebe Seele hab
Geduld - - - . Was hat
Eli Felizitas
denn auf deine Anfrage
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| erwidert? - Daß es bei Dir eine
häufige Erscheinung wäre, daß sich freundschaftliche Beziehungen
lockern, kann ich nun durchaus nicht zugeben. Ich habe ganz im
Gegenteil den Eindruck, daß du die Menschen dauernder festhältst, als
andere. Aber schließlich hat alles einen begrenzten Gehalt, und es
wäre töricht, etwas festhalten zu wollen, was seinen Sinn verloren
hat. All den Leuten gegenüber, die Du mir nennst, hast Du doch nicht
Grund, Dir etwas vorzuwerfen; aber Du hast sie Dir vielleicht
idealisiert, und von ihnen etwas erwartet, was sie nicht sind.
Man fängt wohl leicht jede Beziehung mit Illusionen und darum mit
Ansprüchen an. Aber man lernt immer mehr, die Leute zu nehmen, wie
sie sind. Am schwersten wird es mir beim
Vorstand, weil es sich da um
Wesensgegensätze handelt, die mit dem Charakter zusammenhängen. - Du
schreibst: ist nicht überall Bruch? - und das ist nur zu wahr. Ob es
leichter ist, wenn es von außen als Schicksal
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| kommt? Da
ist etwas, was mich erschüttert. Ich habe eine
Frau Baurat Deipser flüchtig
kennen gelernt, sehe sie alle paar Monate mal, und war kürzlich bei
ihr zum Kaffee mit
ihrer Tochter
zusammen, die vor dem Dolmetscher-Examen steht.
Der Sohn hat die juristischen
Examen hinter sich und die Mutter - (Witwe) - sagte mir: nun würde
sie es endlich etwas leichter im Leben haben. Gestern finde ich hier
in der Zeitung die Anzeige, daß dieser Sohn durch "ein jähes Ende"
ihnen entrissen sei. Was kann da vorliegen? Es ist eine grausame
Zeit!
Und dann quälen sich die Menschen untereinander! Am
Pfingstsonntag war bei
Rösel
eine wahre Grabesstimmung -
die
Schwester Cläre begleitete mich dann nach Haus, als ich bald
wieder ging und sagte, daß Rösel allen durch ihre Unbeherrschtheit
die Tage verdorben habe. Dabei war doch ihr
Walter vom Arbeitsdienst nur zu
kurzem Urlaub zu Haus.
Da ist es eine Wohltat hier in dem
friedlichen Hause zu sein mit den lieben Menschen.
Die Kleine ist sehr gewachsen
und lieb von Wesen.
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| Natürlich ist sie auch manchmal
unartig, aber man kann sie bald eines Besseren belehren.
Otto Kohler hat mir von seinem
seinem Freund erzählt, dem
Volksschullehrer Mäusel in
Mannheim, der mit großem Interesse bei
Jaspers philosophische Kollegs
hörte, nunmehr eine große Arbeit über
Hegel beendet hat. ⅓ davon ist hier in
Heidelberg als Doktordissertation angenommen,
alle Formalitäten sind beendet, aber es handelt sich jetzt noch um
den Druck. Die Arbeit ist als sehr gut bezeichnet, aber kein Verlag
will eine Dissertation annehmen und der Familienvater fürchtet die
Druckkosten, hofft irgendwie einen Zuschuß zu erhalten. Er hat sich
an die Kant-Ges. gewendet, die sei aufgelöst. Die Hegel-Gesellschaft
vertreten durch
Prof. Binder
(Jurist?) erklärte die Arbeit mit steigendem Interesse gelesen zu
haben und stellt eine erstaunliche philos.
Begabung fest, kann aber keinen Zuschuß vermitteln. Jetzt hofft er
nun auf die Neuen Deutschen Forschungen, bei
denen
Dr. Günther Herausgeber
ist - den kennen wir doch gut und so wollte ich dir die Sache mal
vortragen, ob nicht dabei eine
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| möglichst günstige Art des
Drucks
dabei zu bewerkstelligen wäre?
Die Arbeit ist jetzt bei Hans Günther, und wenn du meinst, daß ich
ihm die Situation beschreiben soll, kann ich es wohl tun.
Es ist ein wirklich großes Interesse, was den
Mann veranlaßt hat, Jahre mit der Ausarbeitung zuzubringen, von der
er doch eigentlich garkeinen äußeren Nutzen haben wird, nur jetzt die
Sorge um die Kosten. Vielleicht wirst du da irgend einen Rat geben
können. Dein Name soll unter den Herausgebern der Zeitschrift stehen.
Gerade wie
Drechsler hatte auch
er mit
Krieck bei der Dissertation
Schwierigkeiten, hat sie aber überwunden. -
- Sehr erfreulich
war ein Weg mit
Cläre Wendling
von der
Wolkenkur nach dem
Kümmelbacher, so wie wir ihn früher zu machen
pflegten. Es war einer der ersten schönen Tage und in mir klang es
von Erinnerungen und lieben Versen aus früherer Zeit. Wie sehr
wünschte ich Dich herbei.
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Wie mag sich jetzt der
Haushalt bei Euch einrichten? Hoffentlich geht alles glatt. -
Mancherlei Einzelheiten wären zu erzählen, aber das muß warten, bis
wir uns mal wieder sehen, denn jetzt will ich wieder in die herrliche
Luft drunten bei den Obstbäumen, wo immer ein leichter Wind geht.
-
Otto Kohler hat leider
eine eitrige Zahnwurzelentzündung und ist nach
Heidelberg. Hoffentlich wird die Sache nicht ärger.
Es ist jetzt eine sehr verbreitete Erkrankung.
Morgen,
Dienstag, werde ich wieder nach Haus fahren. Am liebsten bliebe ich
noch lange hier, denn es ist hier bei einer Höhe von 500 m. eine
herrliche Frische trotz der Sonnenscheins.
Sei sehr, sehr
herzlich gegrüßt, und verzeih, daß ich dich mit der Anfrage
belästige. Man hofft sehr, von dir einen Rat zu bekommen. Grüße
Susanne vielmals; hoffentlich
ist
die neue Hilfe recht
brauchbar.
In stetem Gedenken
Deine Käthe.