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Heidelberg. 21. Nov.
1939.
Mein geliebtes Herz!
Über Sonntag war ich in
Dielbach und hatte
Briefpapier mitgenommen, aber dort fand sich kein Ruhepunkt zum
Schreiben. So kommt erst heute der Dank für Deinen lieben Brief vom
12., denn auch im Laufe der Woche war allerlei, was am rechtzeitigen
Schreiben hinderte.
Emmy war
nämlich hier von Dienstag bis Freitag und da war ich mehrmals mit ihr
zusammen. Dem
Sohn geht es
jetzt gut und Ende der Woche darf er nach Haus. Neues hatte sie nicht
zu melden. Wenigstens war, was sie erzählte, nur Bestätigung für das,
was wir wissen. Auch was ihre Freunde in
Mannheim betrifft, die früher sehr anders dachten.
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Nun hat mit Vehemenz der Winter eingesetzt, mit einem Sturm,
der an das wilde Heer gemahnte. Am Schulhaus in
Dielbach riß er im ersten Stock einen Fensterladen
aus den Angeln und jagte ihn über die Straße
weg auf den Wiesenhang gegenüber. Dazu hat es gegossen, als sollte
alles wegschwimmen, die Bäche traten über ihre Ufer und der Neckar
ist ein reißender Strom.
Das
Jüngste im Lehrerhaus war wieder entzückend. Sie ist sehr mit
Recht
Vaters Liebling; sie ist
temperamentvoll, aber gut zu lenken, klug und nachdenklich. Möge er
ihr Heranwachsen glücklich erleben! - Die Nachrichten von ihm aus
seiner Fahrkolonne lauten soweit gut. Er ist mit überwiegend älteren
Leuten beisammen,
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| meist verheiratet und da manche noch
keinen Urlaub hatten, kann man sich die Stimmung der Familienväter
denken. Auch die Beförderung der Post ist oft recht unregelmäßig.
Heinz ist vermutlich
recht vorn an der Front, denn er schrieb von weltabgeschlossener
Stellung.
Walter Hecht übt mit
seiner Gebirgsartillerie noch in
Mittenwald,
und der
Neffe von
Rösel ist Infanterist in
Posen. Von den Schwiegersöhnen in
Berlin weiß ich nichts Neueres. So denkt man
immer wieder an die Freunde draußen, und auch
mit den hiesigen hat man Sorge. Denn von der guten
Frau Ewald höre ich, daß sie
keinen Besuch empfangen darf. Das will viel heißen, denn bisher
überwand sie die oft sehr schweren Herzanfälle sehr rasch. Wenn sie
bei ihrem Naturell einmal nachgibt, dann ist das sehr bedenklich.
Den Vortrag von
Jannings würde ich auch gern hören. Das Spiel von
Kraus ist in der Tat ausgezeichnet, wenn auch
die Maske nicht wirklich ähnlich ist. Die Rolle ist ja - aufs Ganze
gesehen - nicht unwürdig, aber natürlich sind die Charakterschwächen
betont, filmmäßig karikiert.
Adele war sehr tapfer dabei, dagegen ist sie jetzt
in heller Empörung über einen Artikel
ihres Bruders,
in dem behauptet wird, die Kinder hätten nichts von
ihrem Vater gehabt. Das ist
wohl in der Tat unrichtig, und aus einer dauernden Mißstimmung des
Sohnes heraus gesehen. Denn Adele sagt, daß der Vater immer des
Sonntags mit ihnen Ausflüge machte, daß er mit den Söhnen gereist sei
und sie alle mit Bedacht in die Umwelt und seine Interessen
einführte. Wie eingehend und inhaltreich sind auch die Briefe, die
Adele von ihm hat. Anders wird er sich auch sonst nicht gegeben
<Brief endet hier>