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Dahlem, den 15.I.40.
Mein innig Geliebtes!
Es ist
mir eine große Befreiung, daß Deine nie endende Güte mich auch
diesmal trotz meines schlimmen Streiches entlastet hat. Glaube mir
aber, daß ich trotzdem mit ganzer verdienter Schwere empfunden habe,
was ich "in meinem Tran" (kein Lebertran)
angerichtet habe. Um bei dem materiellen Thema zu bleiben: Es ist zu
unterscheiden: Einkommensteuer und Vermögenssteuer. In beiden
Hinsichten kommst Du bestimmt nicht über die Grenze. Wohl aber könnte
von Schenkungssteuer die Rede sein. Diesen Umstand wollen wir uns
nicht machen. Denn die Meininger sind nur vorläufige Investition von
Zuschüssen zu Deinem Lebensunterhalt, die in monatlichen Raten
gemacht werden. Damit wollen wir das als erledigt betrachten. Die
Stücke sind eingetroffen und kommen zu dem übrigen, was ich so
unaufmerksam behandelt habe, aber vollständig vorhanden ist.
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Wenn ich alles zusammenrechne, bin ich 5 Monate im
Jahr ein wasserschnaubender Neptun. Dazu kommt noch eine Halsreizung
rechts, die nicht ganz weichen will. Auch sie hängt mit den Segnungen
der Zeit teilweise zusammen. Denn das Braunzeug, das jetzt geraucht
wird, ist nicht einmal mehr ein pfälzisches Kartoffelfeuer.
Wir sind erleichtert, daß seit gestern die Temperatur über Null
liegt. 14 Tage lang blieb es oben bei 8-9°. Ich mußte unten arbeiten,
bei z. T. geschlossenen Läden, und um jedes Buch nach oben laufen.
Jeder Besuch fror auch (so der
Garnisonpfarrer von
Warschau, ein sehender Mann.)
Ich habe in dieser Woche ein neues Trimester begonnen, die philos.
Vorlesung mit etwa 120, die päd. mit 80 und mehr (über alles
Erwarten), das Seminar bisher mit 20. Das sind ganz ungeheure Zahlen.
Denn alles flieht die Stätte der Aussichtslosigkeit. In der Anatomie
aber sind 1200 - die dann zunächst militärfrei sind.
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Die Begegnung mit dem
Marineschwager vor 8 Tagen verlief bei
gegenseitiger Scheu passabel. Es ist erstaunlich, wie dieser Typ von
Susanne abweicht. Unsinn
Erbgut? Die beiden Schwestern wetteifern in liebevoller, mühevoller
Versorgung unsres kleinen Betriebs mit allen guten Dingen. "Da muß
ich denn aber doch sagen", wenn Du noch einmal Fleischmarken
schickst, wird es ein heiliges Winterdonnerwetter geben. Du
sollst Dir dafür anschaffen, was zu haben
ist, und Dein Bromural kann mich garnicht trösten. Dies ist ein
ernstes Wort.
Prof. Najdanowić in
Belgrad sandte durch seine Gesandtschaft ein
nahrhaftestes Packet; bald darauf tauchte er mit
seiner Frau wieder hier auf -
diese Idealisten from abroad! Wir konnten sogar den
Prof. Cysarz, Redner in der
Güntherschen Gesellschaft,
heroischen Kriegskrüppel, aber auch misericordia-Philosophen, zu einem sehr ehrenwerten
Mittagessen einladen.
Gestern und heute habe ich 32 Seiten vom
Vortrag für
Aachen: "
Goethes Gedanken über letzte
Fragen des Lebens" niedergeschrieben. Denn nach allen Informationen
über
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| Reiseverhältnisse ist es mindestens unsicher, ob ich
rechtzeitig hinkomme. Man soll es dann
vorlesen können. Das ganze Unternehmen ist wenig angenehm, aber
vielleicht für die Soldaten dort doch heilsam.
Christian hat einen sehr lieben
philos. feinen Brief aus seinem Unterstand geschrieben. Ebenso
Anderl einen reizenden
Freundschaftsbrief. Ich bin glücklich, daß ich
dieses Band zum Hause behalte, das wirklich
echt ist. Er hat auch mit
Frau
Kerschensteiner über ihre Biographie korrespondiert. Und vom
heimgegangenen
Ernst Fischer
ist auch dieses Jahr noch ein Stahlstich gekommen. Ergreifend!
Man kann sich gar nicht ausmalen, was Finnland für eine merkwürdige Angelegenheit
ist.
Gestern waren wir in einem Quetschen Kino: Fasching (
München), das gerade das rechte für den Zweck
war. Heute haben wir
Frau Maier
und die im gleichen Hause wohnende
Frau A. besucht.
Käte hat über
Zollinger Nachrichten gesandt. Also Haushilfe.
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Louvaris und
andere Griechen schreiben oft. Auch aus
Japan
interessante Nachrichten, aber meist von Deutschen.
Meinecke befindet sich in
bedenklichem Gesundheitszustand. Ich wäre glücklich, wenn uns dieser
bedeutende Geist und warme Freund noch eine Zeitlang erhalten bliebe.
Petersen hat einen Anfall von
Herzschwäche in
Murnau gehabt u. ist bei
Wigger in Partenkirchen. Die Arbeiten an den
Münchenbauten für die Winterolympiade dort soll man erst am 15.XII
eingestellt haben.
Onkel
Voß soll der Meinung sein: im März Durchbruch, zu Pfingsten
Friede. Sein Freund
Mittelzell
soll sich dagegen erklären.
Langeweile ist ein zermürbender
Zustand. Ich kann nicht klagen; andere tun
es so, daß Gefahr besteht.
Der "
Fröbel" ist schon ins
Amerikanische übersetzt worden. Von
Amerika
kommt ganz selten Post durch; aber sie kam.
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Ich
habe lachen müssen über Deine leeren Seiten im "Pfarrerspiegel". Ein
halber Bogen ist wohl nur einseitig bedruckt. Kein großer Schade! Mit
Recht findet
Elis v. Harnack,
daß da eigentlich keine gestaltende Redaktion gewaltet hat. Der
Zufall bringt auch Gutes; aber besser ist planvoller Aufbau. (So auch
sonst!)
Was man in Hermann u. Dorothea I liest, rückt jedem
näher. Es ist durchaus keine Grenzerscheinung. Ich beschäftige mich
auch damit. Denn eines Tages werden Ahriman und Ormud
aufeinandertreffen müssen. Hoffentlich ohne unmittelbare Beteiligung
eines Engels aus dem Engelland.
"Gleichviel, du
hörst es ja, Gleichviel." Denn was besteht, ist wert auch, daß es
untergeht.
Nun also wieder erst einige Zeit
nach Aachen. Denn
es häuft sich jetzt allerlei. Ich konsentiere mit
Susanne, die den Augenblick des
Schlafengehens als den allein fruchtbaren Augenblick des derzeitigen
Lebens verherrlicht. Schlafen, Schlafen, vielleicht auch -
hoffentlich
nicht - träumen. Innigst Dein
Eduard.