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Sonntag, den 18. Februar
1940
Mein innig Geliebtes!
Neulich kamen Deine "lieben Zigarren" und heute kam Dein "lieber
Brief" vom 16.II. 2–2½ Tage muß man jetzt für die Reise eines
Briefes annehmen. Ich freue mich, daß Du – bis auf die Stimmung –
noch in einem erträglichen Zustande existierst. Es ist bei Euch
anscheinend immer milder gewesen. Wir haben hier – abgesehen von 2
täuschenden Tagen – immer scharfen Frost gehabt. Heute sind – 18°R.
Am Donnerstag war ein neuer Schneefall. Auf den Straßen liegen
zusammengeschaufelte Berge; der im
Hof Dorotheenstr 6. ist über mannshoch. Die
Heizung in der Akademie, bei den Bibliotheken und der Kommode setzte
zuerst aus. Jetzt ist auch das Hauptgebäude unversorgt. Dorotheenstr.
6 war bisher noch warm; mein Seminar ist es noch auf der Westhälfte.
Aber ich glaube, "das ganze Ding heert uff". Im Hause können wir noch
morgen, längstens übermorgen heizen. Zufuhr (wie bei vielen anderen)
ganz ungewiß. Entsprechend mit Kartoffeln und Gemüse.
Man
spürt im Kopf eine gewisse
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| Blutleere. Aber meine Erkältung
ist nach 6 Wochen so ziemlich vorüber. Nur habe ich in der Nase
überhaupt keine Schleimhaute.
Ich arbeite im
Eßzimmer, seit Wochen. Um jedes Buch muß ich hinauf. Die Unordnung
wächst täglich, und die Hilfe dagegen ist nicht so wie es
wünschenswert wäre. Vielmehr kann ich nach 5 Jahren Erfahrung nur
"völlige Hilflosigkeit" konstatieren.
Heute Nachm. kommen
Hans u.
Jenny Honig. Dann folgt das
Vergnügen der Einkommen-
und
Vermögenssteuer. Am 26.II. soll ich in
Stettin über
Japan reden;
am 10.III. in
Hamm über die Lebensalter. Bis
dahin wird es vermutlich noch kalt bleiben. Wie es bei Tauwetter
wird, kann man sich garnicht ausmalen.
Du erwähnst eine
Nachricht von
Liselotte
Henrich. Ich habe seit fast 2 Jahren nichts von ihr gehört.
Das ist unsre Schuld. Wir waren bei
ihrer Mutter zum Tee eingeladen und haben das nicht
erwidert.
Trautz war Leiter des
Kulturinstitutes in
Kyoto. Du hast ihn nicht
gesehen. Das war ein Kaufmann oder Jurist
Sonderhoff. (Übrigens eben ein
Brief von Trautz aus
Baden-Baden.) Von Japan
sind noch allerlei Grüße mit ungeheurer Verspätung gekommen. Am
vorigen Mittwoch waren wir beim neuen
Botschafter Kurusu zum Teeempfang. Das ist immer
ein ganz zweckloser Massenmord. Von
Käthe Nachrichten via
Zürich (ist Hausgehilfin); von
Werner Richter gestern Karte
aus
Illinois, geschrieben 4.XII.
Hast
Du Jüngers Marmorklippen gelesen? Seltsame
Zeitvision. Spielt in Überlingen u.
Wolkenkuckucksheim. Angeblich verboten?
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Frau
Hedwig Heyl habe ich noch
persönlich gekannt. Sie war eine sehr verdiente Frau. Von dem Buch
weiß ich nichts. Den von Dir gehörten
Mozart kenne ich auch nicht. Ich ginge gern in ein
gutes Konzert. Aber die Stelzerei in der Dunkelheit ist gefährlich.
Susanne hat sich neulich die
Hand leicht verstaucht, als sie von
Frau H. Maier kam. Diese glaubte zu wissen,
Onkel Voß wäre verzweifelt und
möchte aus der Sache raus. Ich halte das für Unsinn. Aber wir hier
wissen nichts; durchweg.
Ich möchte gern noch mehr schreiben.
Aber ich habe jetzt sehr viel zu tun und muß am Vormittag noch mein
Besuch in
Charl. machen. Morgen, am 50.,
kommt
Frl. v. Kuhlwein; die
Sprechstunden sind ein Vorwand für sehr angenehme Unterhaltung. Sonst
wird nichts lossein.
Röschen
kommt nicht; es geht ihr weniger gut. Mein Deutschlehrer
Kinzel ist mit 91 Jahren
gestorben.
Ich breche ab mit all den
warmen Wünschen, die jetzt zeitgemäß sind. Wann
wird man sich einmal wiedersehn? Das ist ganz ungewiß. Wir wollen
aber den 80. von
Vater Welte
nicht vergessen.
Innigste Grüße u. vielen Dank für die
Zigarren, die ganz passabel sind, viel <re. Rand>
besser als eine Kollektion serbische, die ich bekommen habe.
Von
Heinz ein Brief, der
etwas skeptisch klingt.